Sep 122010
 

In den Ferien hatte ich leider wegen der Torfbrände um Moskau herum wieder reichlich Zeit, mich im Rahmen bibliothekarischer Streifzüge in die bolschewistische und die nationalsozialistische Propagandasprache einzulesen. Wir wohnten in der Datscha, in der früher russische Abweichler ein- und ausgegangen waren, wie etwa der Ökonom Nikolaj Kondratjew (erschossen während der großen Säuberungen 1938).

Ganz besonders häufig wurde von den sowjetischen und den deutschen Diktaturen gegen „Abweichler“, gegen „Beschmutzer“, gegen die „Giftmischer“ und „Brunnenvergifter“, gegen zersetzende Propaganda des Feindes zu Felde gezogen.

Die Beleidigung und Herabwürdigung anderer Menschen als „Giftmischer“ oder „Rattenfänger“ ist kennzeichnend für die totalitäre, menschenverachtende Propaganda der Kommunisten und der Nationalsozialisten.

Wichtig: Die Fakten spielen keine Rolle. Es wird nur immer wiederholt: Dieser oder jener Mensch – z.B. der Okönom Kondratjeff  – ist ein Abweichler, er muss entsorgt, er muss beseitigt werden. Er beschmutzt das hehre und reine Anliegen der Bewegung.

Kommunistische Propaganda und später auch die faschistische und die nationalsozialistische Propaganda sind hocheffizient darin gewesen, abweichende Meinungen zu brandmarken, nicht durch sachliche Widerlegung, sondern durch Rufmord, durch gezielte Beschimpfung von Menschen.

Es fehlt hier an der Redlichkeit des Wortes, an einer respektvollen Befassung mit dem parteipolitischen Gegner. Es fehlt an echter Debattenkultur.

Genau dasselbe Verfahren wird derzeit wieder einmal gegen Erika Steinbach angewendet. „Frau Steinbach ist eine Giftmischerin“ – so wörtlich Thomas Oppermann, Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. „Giftmischerin?“ – da fehlt nur noch die Aussage: „Es gibt Hexen. Steinbach ist eine von ihnen.“

Die Sprache verrät die Absicht. Sie enthüllt eine unredliche Grundhaltung. Statt sich auf der Sachebene mit dem Gegner einzulassen, wird er dämonisiert und seiner Würde beraubt. Zuletzt gilt es ihn zu „entsorgen“. Das ist LTI – Lingua Tertii Imperii!

Steinbachs  Aussagen sind sachlich nicht zu widerlegen. Das würde weder Herrn Oppermann noch Herrn Nouripour (ebenfalls MdB) gelingen. Zumal die deutsche politische Klasse über recht eingeschränkte Kenntnisse der osteuropäischen Geschichte verfügt. Wer kennt sich heute noch im komplizierten Bündnissystem der Zwischenkriegszeit aus, das es beispielsweise der Republik Polen ermöglichte, im Zuge des Münchner Abkommens eigene Gebietsansprüche gegenüber der Tschechoslowakei zu befriedigen, indem sie das tschechische Gebiet um Teschen für sich einkassierte?

Ja, wer hättte das gedacht – die Republik Polen paktierte 1934 mit dem Deutschen Reich, schloss 1934 bzw. 1932 Freundschaftsverträge mit Hitler und Stalin, profitierte auch vom Münchner Abkommen 1938, um ein Teilgebiet der Tschechoslowakei für sich zu erobern. Hätten Sie’s gewusst?

„Aber sie könnte ja etwas damit gemeint haben, die sagt das doch nicht einfach so dahin.“

Hierauf ist zu erwidern: Sie, Erika Steinbach, verleugnet doch gar nicht die deutsche Schuld! Was wollt ihr eigentlich?

Ich meine: Es ist höchst gefährlich, jemand anderen des „Beschmutzens“ oder des Giftmischens zu bezichtigen. Die Vorwürfe gegen Erika Steinbach, wie sie etwa Omid Nouripour oder Thomas Oppermann erheben, erinnern an die uralten antijüdischen Vorwürfe der Giftmischerei und der Brunnenvergiftung. Sie gemahnen an mittelalterliche Hexenjagd. Wir sollten diese Vorwürfe entschlossen zurückweisen.

Und heute mal im ZDF die tschechische Dokumentation „Töten auf Tschechisch“ ankucken.

Grünen-Politiker Nouripour: „Frau Steinbach beschmutzt das Anliegen der Vertriebenen“ – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Politik
Das im Kern richtige Anliegen der Vertriebenen, auf das Unrecht der individuell erlittenen Vertreibung aufmerksam zu machen, beschmutzt sie mit ihren geschichtsverfälschenden Äußerungen.

 Posted by at 23:13

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