Immer wieder erschrecke ich angesichts der – in meinen Augen auffälligen – Grammatik- und Rechtschreibschnitzer, die – wie mir scheint – beständig an Zahl zunehmen. Auch Karl Kraus hatte vor etwa 100 Jahren diesen Eindruck. Die Deutschen lernen nicht mehr richtig Deutsch!, dieser Seufzer entfährt mir immer wieder. Das sind zwar nur subjektive Empfindungen oder auch Empfindlichkeiten, aber sie lassen sich empirisch durch Längsschnitt-Tests erhärten. Die Vera-Deutschtests etwa zeigen dies wissenschaftlich. Die Lehrer in Berlin werden es vielleicht bestätigen.
Infas&Allensbach! Fragt bitte 1000 Deutschlehrer mit mindestens 10 Jahren Berufserfahrung: „Haben Sie das Gefühl, dass die Kinder durchschnittlich mit immer schlechteren Deutschkenntnissen in die Schule kommen?“ Die Antworten würden mich sehr interessieren!
„Hier kommen eure Njuhs: Nach neuen Untersuchungen verbringen Kinder super viel Zeit am Fernsehen: im Durchschnitt über zweieinhalb Stunden pro Tag.“ So ungefähr vorgestern die Kinder-Nachrichtensendung logo im öffentlich-rechtlichen KIKA. „Eure Njuhs„, „super viel Zeit„? Ich empfinde das nicht als gutes Deutsch. Ich finde, KIKA biedert sich oft mit allerlei Verrenkungen und schiefen Bildern sprachlich an die Kinder (die berühmten Kids) an, statt Vorbilder zu setzen.
„Da hin gehen, wo andere fliehen – das ist Mut.“ Überlebensgroß auf einem Misereor-Plakat auf unserem Schulweg – leider falsch geschrieben, sowohl nach alter wie nach neuer Rechtschreibung.
„Arbeit für Alle“, „Wohlstand für Alle“, „Wir bleiben Alle“, so etwas ist tausendfach zu lesen, selbst bei Liebig-14-Unterstützern! Spannend: Noch Hegel schrieb alle in der Erstauflage seiner Phänomenologie des Geistes von 1806 groß. Aber seit 1900 wird „alle“ klein geschrieben. Das kleingeschriebene „alle“ wurde nie ernsthaft in Frage gestellt.
Ich frage euch alle: Wieso sollen Kinder noch Rechtschreibung und Grammatik lernen, wenn sogar die Großen von Liebig 14 sich nicht daran halten?
Unser heutiges Rätsel kreist aber um den Dauerbrenner aller Deutschlehrer: Erschrocken oder erschreckt? Von Lessings und Goethes Zeiten bis zu meiner Schulzeit galt als eherner Unterschied:
Das Gespenst erschreckt mich – das hat mich erschreckt – das erschreckte mich gestern, als ich es hörte. Transitiver Gebrauch von erschrecken mit Akkusativ-Objekt – schwach gebeugt, also ohne Ablaut!
Umgekehrt der intransitive Gebrauch:
Ich erschrecke angesichts des deutschen Sprachgebrauchs unserer Medienelite. – Ich bin erschrocken angesichts des schlechten Sprachgebrauchs. Ich erschrak gestern angesichts des Sprachgebrauchs.
Intransitiver Gebrauch von erschrecken verlangte im Hochdeutschen von den Zeiten Lessings und Goethes bis Ende des letzten Jahrtausends die starke Beugung mit Ablaut. Auch Karl Kraus sah dies so. In vielen deutschen Dialekten ist es anders, ebenso auch in vielen regionalen Varianten des Deutschen.
Ja, so war das früher!
Heute ist alles anders! Lest hier ein Interview mit einem deutschen Fernsehregisseur:
Interview: Ich weiß nicht, was mit Merkel los ist – Medien – Tagesspiegel
Der türkische Premier Erdogan hat diese Woche gesagt, türkische Kinder in Deutschland bräuchten sich nicht zu assimilieren.Das hat mich sehr erschrocken. Auch dieser fast schon enthusiastische, fehlgeleitete Applaus, den man im Fernsehen sehen konnte bei seiner Rede in Düsseldorf.
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