Dez 052011
 

041220111468.jpg

Zielstrebig und beharrlich bohre ich mich in diesen Tagen durch das Europarecht, suche in diesem „System vernetzter Ordnungen“ die Brüche und Pass-Ungenauigkeiten. Eines wird mir immer klarer: Nicht alles an der seit 2008 andauernden Finanz- und Europa-Krise haben die Regierungen der EU-Länder oder die ominösen Märkte zu verantworten. Einiges an der Vertragskonstruktion ist schlechterdings nicht kohärent. Manches mutet bei geduldiger Lektüre als „windschief“ an. Gerade die wirtschafts- und finanzpolitischen Steuerungsmechanismen des Vertrags über die Europäische Union (EUV) und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) scheinen mir sehr bedenklich. In vielfacher Hinsicht schränken sie die Handlungsfreiheit von Parlamenten und Regierungen unnötig ein.

Diese damals politisch gewollten Festlegungen der Lissabonverträge erweisen sich in unseren Tagen zunehmend als Danaergeschenk, zumal sie auch in nationales Recht, etwa in das Recht der Bundesrepublik Deutschland eingeführt werden, ohne dass hierüber auch nur der Ansatz einer ausreichenden Debatte stattgefunden hätte.

Dafür nur ein Beispiel:

Der 1992 eingefügten Art. 88 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) setzt eindeutig die Sicherung der Preisstabilität als vorrangiges Ziel der Bundesbank fest und widerspricht damit klar dem „magischen Viereck“ der klassischen Volkswirtschaftslehre, wie es etwa in das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StWG) Eingang gefunden hat.   Höchst problematisch!

Art. 88 Satz 2 GG schränkt meines Erachtens die Freiheitsrechte des Bundestags und der Bundesregierung übermäßig ein. Wieso sollte Preisstabilität auf einmal wichtiger als hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und angemessenes Wirtschaftswachstum sein? Was nützen den spanischen Jugendlichen stabile Preise, wenn 48% Jugendarbeitslosigkeit herrscht?

Ich bemerke mangelndes Vertrauen in die Freiheit, wenn ich mir die Rechtsproduktion der Europäischen Union ankucke.

Was meint Ihr dazu? Kommentare erwünscht!

Literatur:

Art. 119 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEU)

Matthias Herdegen, Europarecht, 13., überarbeitete und erweiterte Auflage, C.H. Beck Verlag, München 2011: § 23: Wirtschafts- und Währungspolitik: die Wirtschafts- und Währungsunion S. 358-390, hier insb. S. 373.

Europa-Recht. 24., neubearbeitete Auflage, Textausgabe mit einer Einführung von Prof. Dr. Claus Dieter Claussen, Stand 1.1.2011, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2011

 Posted by at 20:20

Sorry, the comment form is closed at this time.