Der erst 24 Jahre junge deutsch-türkische Schauspieler Burak Temir bekennt sich in der New York Times offen zu seinem Stolz auf sein Türkentum. Er trägt auch im Privatleben den Bart nach osmanischer Sitte und die osmanischen Salvar-Hosen, die traditionellen Pluderhosen. „It makes me proud to be Turkish – es lässt mich stolz darauf sein, Türke zu sein.“
Ein junger Deutsch-Türke entdeckt seinen Nationalstolz und bekennt sich stolz und selbstbewusst zu seinem Volkstum.
Das Wiedererstarken des osmanischen Nationalstolzes ist nicht nur in der Türkei selbst, sondern auch in der starken, stetig anwachsenden türkischen Gemeinde in Deutschland ein verblüffendes Phänomen. Kein anderer Film zog so viele Deutsch-Türken in die Kinos wie Fetih 1453 – das filmische Epos über die Eroberung des damals christlich-griechischen Konstantinopel durch den erst 22 Jahre jungen Sultan Mehmet II. Etwa 10% aller Deutschtürken dürften laut Ticketverkaufszahlen das blutrünstige, weltweit erfolgreiche Heldenepos gesehen und im nationalen Stolz auf die Eroberungstaten ihrer Vorväter geschwelgt haben.
Die New York Times berichtet von Aufführungen, in denen das Publikum bei der Eroberung der schier uneinnehmbaren, 16 m hohen Wallmauern des damals griechischen Konstantinopel „Allahu akbar“ ausgerufen habe. Das ist arabisch und bedeutet „Gott ist groß“. Die Sieg über das griechische Konstantinopel wird im Jahr 2012 in aller Öffentlichkeit in den Kinosälen als Fingerzeig Gottes gefeiert, als Sieg des stolzen Islams über das schwache, dekadente abendländische Christentum.
Auch die von den Seldschuken im Jahr 1071 gewonnene Schlacht von Manzikert taucht neuerdings wieder in türkischen Politiker-Reden und Feiern auf. Der Kemalismus, also das persönliche, religionsähnliche Einschwören aller Türken auf den großen unsterblichen Führer der modernen, laizistischen Türkei nimmt in der Türkei allmählich ab. Der Osmanismus nimmt zu wie ein zunehmender Mond! Die islamische Türkei besinnt sich auf die uralte militärische und kulturelle Stärke der alten vorderasiatischen Eroberervölker, beschwört die siegreichen Schlachten, in denen der christliche Westen besiegt, erobert und unterworfen wurde. Die unterschwellige Botschaft scheint zu sein: Setzt die Eroberungen fort. Ihr habt viel Zeit. Schaut mal her, wie lange es von 1071 bis 1453 gedauert hat! Erobert Deutschland, aber werdet keine Deutschen. Erobert Europa, aber bleibt gute Moslems. Bleibt auch nach Siegen tolerant gegenüber den unterworfenen Christen und Juden! Besinnt euch auf die uralte Tugend der Schonung des unterworfenen Gegners. Erinnert euch der humanitären Großtaten eurer Väter, die jahrhundertelang den verfolgten Juden Zuflucht und Schutz vor blutiger Verfolgung und Vertreibung durch die Christen gewährten! Denkt nicht in Jahren, denkt nicht in Jahrzehnten, denkt in Jahrhunderten! 1071 – 1453 – 2071!
Was ist der Unterschied zwischen der politischen Kultur Deutschlands bzw. der Europäischen Union und der Türkei?
Die offizielle Türkei bezieht neuerdings Kraft und Stärke auf die Besinnung auf militärische und kulturelle Großtaten, auf blutige Schlachten und prachtvolle Bauten, auf Toleranz und Großmut und Schonung des Feindes, mit denen die kulturelle Überlegenheit der Seldschuken, der Osmanen, der Türken und der muslimischen Völker über das Abendland nachgewiesen wird. In der Türkei kann auch nach der Reform des Paragrafen 301 des Jahres 2008 weiterhin jeder bestraft werden, der die unteilbare türkische Nation verunglimpft oder die Integrität der staatlichen Grenzen antasten will. Dies ist das einzige relevante Meinungsdelikt, das das türkische Strafrecht kennt. Eine Abspaltungsbewegung – etwa durch die 20 bis 25 Millionen Kurden – wird die Türkei niemals hinnehmen.
Deutschland hat dem fast nichts entgegenzusetzen außer der kulturellen Selbstverleugnung (wir wollen alle sein wie Pippi Langstrumpf) und der Pflege des Gedenkens an die zahlreichen Massenverbrechen, die die Deutschen von 1933-1945 begangen haben. Deutschland bosselt und baut unermüdlich weiter an seiner negativen Auschwitz-Theologie. In Deutschland kann jeder bestraft werden, der den religiös überhöhten Holocaust, also den Inbegriff des Bösen, begangen vom Trägervolk des Bösen, also den Deutschen und nur den Deutschen, kontextualisiert, relativiert, leugnet. Dies ist das einzige politisch relevante Meinungsdelikt, das das deutsche Strafrecht kennt. Abspaltungsbewegungen – etwa „Wir Bayern wollen los von der Bundesrepublik“ – werden belächelt, aber nicht bestraft. Deutschen-Bashing, Christentums-Bashing ist in Deutschland voll OK. So wie man vor vielen Jahrhunderten im Abendland für Gotteslästerung bestraft werden konnte, kann man heute für Relativierung, Kontextualisierung oder gar – horribile dictu – Leugnung des Holocaust bestraft werden. Der Holocaust ist das factum absolutum der deutschen Geschichte.
So wie für die Christen die Kreuzigung und Auferstehung des Juden Jesus von Nazareth, also der „Monokaust“, die Tötung eines einzelnen, historisch benannten Menschen der Kristallisationspunkt ihrer positiv nach vorn, in die Zukunft gerichteten Identität im Glauben geworden ist, droht der jüdische „Holokaust“ – das rituell-religiöse überhöhte Ganzopfer – zum Kristallisationspunkt der prinzipiell negativ definierten deutschen Identität zu werden. Diese rückwärtgewandte, der Kontextualisierung enthobene Fixierung auf die Vergangenheit lähmt die Eigenkräfte, bannt die Menschen im Selbstzweifel, verhindert Wachstum und Kultur, verhindert Schaffung des Neuen und Gestaltung der Zukunft.
Quelle:
Dan Bilefsky: On Screeen and Off, A New Turkish Pride. The New York Times International Weekly, Monday, November 12, 2012, page 6
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