Mrz 222014
 

Im Gespräch mit Russinnen und Russen, Ukrainerinnen und Ukrainern, aber auch mit einigen „westeuropäischen“, insbesondere deutschen Russlandkennern außerhalb der Politik ergab sich unseren Blicken mit erstaunlicher Eindeutigkeit folgendes Gesamtbild:

Die gegenwärtige Krise in den Beziehungen Russlands mit einem Teil der Staatenwelt  ist im Kern eine Krise scheiternder Kommunikation. „Wir Russen fühlen uns unverstanden wie eh und je.“ Ja, sie fühlen sich unverstanden wie damals in den Jahren 1813 und folgenden, 1913 und folgenden. Und sie haben recht damit.

Wir schätzen diese Krise als ernst, aber nicht als ausweglos ein. Wie so oft, hat nicht nur eine Seite recht. Wie so oft, fehlt es an Menschen, die „treuesten Sinns hinübergehen und wiederkehren“, wie dies Hölderlin sagte.

Die westeuropäische und schlimmer noch die US-amerikanische Presse berichtet nur ausschnitthaft, hat sich in unerträglicher Weise auf einige wenige Schlagworte mit geringer Streubreite und geringer Tiefenschärfe eingeschossen; es fehlt den Journalisten an Rückgrat, sie schaffen es fast nie, beide Seiten – oder die mehreren Seiten der Konflikte – darzustellen. Die Redaktionen setzen die vorgegebene Linie beinhart durch. Fehlende Kenntnisse des Russischen lassen wir nicht als Entschuldigung gelten, obwohl sie ein Problem darstellen.  Auch ohne Kenntnisse des Russischen kann man sich durch direkte Gespräche mit Menschen aller beteiligten Länder sehr wohl ein einigermaßen vollständiges Bild machen. Das geschieht aber nicht! Die westlichen Medien liefern keine Rundumsicht. Sie liefern keine Tiefensicht.

Es herrscht bei uns eine viel zu starke Personalisierung auf die Gestalt des russischen Präsidenten vor. Es geht hier nicht um Putin, es geht um ganz Russland. Der russische Präsident kann sich gerade jetzt auf einen wachsenden Rückhalt in der Bevölkerung stützen, selbst unter denen, die ihm grundsätzlich sehr kritisch gegenüberstehen oder ihn ansonsten ablehnen. Die entscheidende Karte, die er ausspielt, ist die Karte der großen nationalen Erzählung Russlands. Diese Großerzählung über das russische Reich, das gestützt ist durch die Person des Herrschers, die verbindende christliche Religion, das Band der Menschen untereinander und das Band zum eigenen Boden, zieht sich – ganz im Gegensatz zum hochgradig zersplitterten Deutschland – durch alle Schichten des russischen Volkes – vom Akademiker bis zum Müllwerker.

„Unser ist durch tausendjährigen Besitz
Der Boden – und der fremde Herrenknecht
Soll kommen dürfen und uns Ketten schmieden,
Und Schmach antun auf unsrer eigenen Erde?“

Lest Friedrich Schiller, Wilhelm Tell, des zweiten Aufzugs zweite Szene! Diese Worte geben das Grundgefühl der überwältigenden Mehrheit der Russen bezüglich der Krim zutreffend wieder. – Schiller, ein Autor, der in Russland – erneut im Gegensatz zu Deutschland – weiterhin geschätzt und geehrt wird. Den könnte man auch in Deutschland wieder mal lesen, um die Russen besser zu verstehen. Was ist so schlimm an Friedrich Schiller, was ist so schlimm an Goethe, an Kant, an Sigmund Freud, an Franz Kafka, an Rudolf Virchow, an Hölderlin?

Wichtig bei der Krim-Debatte ist zu wissen: Sezession von Teilgebieten eines Staates ist häufig und ist auch erlaubt. Es gibt im Völkerrecht durchaus ein Sezessionsrecht. Staaten, die durch Sezession entstanden sind, im  „Abfall der Niederlande“ etwa, im „Rütlischwur der Schweiz“ etwa, sind jahrhundertelang erfolgreicher als solche, die durch zwischenstaatliche Verträge geschaffen worden sind: Belgien, Tschechoslowakei, Jugoslawien sind abschreckende Beispiele,  von den durch die europäische Diplomatie zusammengeschusterten heutigen afrikanischen Staaten ganz zu schweigen.

Für die Russ*innen ist es schrecklich zu sehen, dass man sich hier in Deutschland über den bösen bösen Taka-Tuka-Rassismus der bösen bösen Pippi Langstrumpf-Autorin Astrid Lindgren die Köppe zusammenschlägt, aber die wirklich wichtigen Autor*innen beiseite drückt.

Es herrscht – trotz all der Drohungen und Kränkungen, die hin- und herfliegen – ein großes politisches Schweigen, ein großes politisches Aneinandervorbeireden zwischen Russland und dem Westen. Not tut das gute, freie, das gelöste und lösende Wort.

Aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund. Wer mag diesen halblaut gemurmelten Spruch noch kennen?

Wer murmelt diesen Wunsch noch?

 

 Posted by at 06:27

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