Mrz 042015
 

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Im Evangelium des Johannes lesen wir unter Kapitel 4, Vers 22:
ἡμεῖς προσκυνοῦμεν ὃ οἴδαμεν ὅτι ἡ σωτηρία ἐκ τῶν Ἰουδαίων ἐστίν.

Das ist aus dem Griechischen verdolmetscht in roh gepflastertes, unbehauenes Deutsch: „Wir strecken uns ganzkörperlich vor etwas nieder, was wir wissen, dass die Rettung aus den Juden ist.“

Sammeln wir ähnliche Sätze dieses Typs:
1) „Das Heil kommt von den Juden“ (Johannesevangelium 4,22)
2) „Die Juden sind unser Unglück“ (H. v. Treitschke, 1879)
3) „Deutschland verrecke“ (übermenschlich große öffentliche Inschrift auf Berliner Hausdach, Revaler Straße, sichtbar 2013- ?)
4) „Die Verwüstung des afrikanischen Kontinents nahm politisch und ökonomisch 1884 von Berlin aus ihren Anfang“ (Beilage des Festivals „Return to Sender“ in der Tageszeitung taz vom 28.02.2015, S. 3)
5) „War es doch unser Land, von dem aus alles Europäische, alle universellen Werte zunichtegemacht werden sollten“ (Bundespräsident Gauck am 22.02.2013)

Was eint diese Sätze?

Antwort: Diese 5 Sätze schreiben einem Volk, einer Stadt, einem Land das Merkmal des schlechthin Guten, des Heils, oder des schlechthin Bösen, des Ursprungs der Wertevernichtung zu.

1) Für den Evangelisten Johannes sind es die Juden, von denen das Heil der Welt kommt.
2) Für den Historiker Treitschke sind es demgegenüber die Juden, aus denen das Unglück kommt.
3) In Friedrichshain-Kreuzberg gilt Deutschland heutzutage in aller Öffentlichkeit als minderwertiges Land, von dem es besser wäre, wenn es sofort qualvoll verschwände.
4) Bei den Kolonialismus-Kritikern des gegenwärtig laufenden, öffentlich geförderten Festivals „Return to Sender“ gilt Deutschland und die Berliner Afrika-Konferenz von 1884 als der eigentliche Ursprung der Zerstörung eines ganzen Kontinents.
5) Für den Bundespräsidenten gilt „unser Land“ Deutschland als Ursprung der Vernichtung des Europäischen, der universellen Werte.

Stimmen diese 5 Sätze? Sind sie wahr?

Antwort:
Diese 5 roh hingepflasterten Sätze sind für sich genommen weder beweisbar noch widerlegbar. Man kann sie glauben oder auch nicht glauben. Es sind zweitens gewissermaßen theologische Sätze, die im Zusammenhang ihrer Entstehung gedeutet werden müssen. Und es sind drittens von völkischem Denken geprägte Sätze. Sie schreiben einem einzelnen Volk (also den Juden an sich bzw. den Deutschen an sich) den überzeitlich wirksamen Keim des Guten oder des Bösen zu.

Viele Fragen bleiben!

Etwa diese:

Nahmen der Kolonialismus, der Sklavenhandel, die Ausplünderung der Rohstoffe, die kolonialistische Zerstörung Afrikas wirklich 1884 von Berlin aus, von Deutschland aus ihren verhängnisvollen Lauf? Oder gab es auch vor 1884 einen Sklavenhandel, eine Ausplünderung des afrikanischen Kontinents? Oder spielten auch andere Länder, andere Völker eine ursächliche Rolle dabei?

Wir Deutsche neigen – wie die Sätze 3-5 zeigen – dazu, die Hauptschuld für alles Böse in der gesamten Weltgeschichte etwa ab 1884 auf unser Haupt zu laden. Jetzt sollen „wir Deutschen“ – nach den beiden Weltkriegen I und II, dem Holocaust usw. usw. usw.- also auch noch die entscheidenden allein- oder doch zumindest hauptschuldigen Auslöser für die verheerenden Folgen des gesamten Kolonialismus ab 1884 (oder auch bereits vor 1884?) sein.

Sind wir Deutschen wirklich das Trägervolk des Bösen in der gesamten Neuzeit?

Das kann man so glauben. Man muss es aber nicht glauben.

Ich konstatiere ein geschichtlich absolut negativ geprägtes Selbstbild der Deutschen. Und damit wird man niemanden gewinnen können, am allerwenigsten die jungen Deutschen und die berühmten „neuen Deutschen“. Irgendwo muss es doch auch was Gutes geben in der deutschen Geschichte!

Zum Beispiel? Zum Beispiel – die Berliner Abwasserkanalisation, maßgeblich bewirkt durch Rudolf Virchow. Die geordnete Entsorgung des keimbelasteten Abwassers, die geordnete Versorgung der Bevölkerung mit hygienisch einwandfreiem Trinkwasser hat seit Virchows Taten Millionen und Abermillionen Menschen in Deutschland und anderswo Leben und Gesundheit bewahrt. Sie ist ein unerlässlicher Bestandteil der socialen Medizin.

War also Rudolf Virchow, der in Deutschland heute längst vergessene Erfinder des Prinzips der „socialen Medizin“ oder der „Public-Health-Philosophy“ wie man heute korrekterweise sagen muss, ein im Grunde Guter, obwohl er doch nur ein Berliner, nur ein Deutscher war? Gab es denn auch zwischendurch zur Abwechslung etwas Gutes in der deutschen Geschichte?

http://www.hebbel-am-ufer.de/programm/festivals-und-projekte/return-to-sender/

via Greek Bible.

 Posted by at 13:01

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