Dez 062016
 

Kinder denkt euch nur! Als ich heute früh erwachte, herrschte draußen noch Finsternis. Ich sprang auf, knipste das Licht an und streckte die Beine in der ausgekühlten Wohnung aus. Doch was spürte ich da? Ein Päckchen lag zu Füßen meines Bettes! Blau eingepackt, mit einem goldenen Stern darauf! Wer mochte das geheimnisvolle Päckchen dort hingelegt haben? War das etwa der… ? Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen! Das war sicher der gute Nikolaus gewesen, der bei  mir vorbeigeschaut hatte, als ich schon schlief! Ich kniete gleich nieder, im Nu hatte ich das Päckchen ausgewickelt. Was war das? Ein Buch, in lindgrünem Umschlag, mit einem sauberen Rücken aus dunkelgrünem Leinen! Gleich öffnete ich es, da fiel schon ein Kärtchen heraus, mit sauberer Schönschrift bedeckt.

Wollt ihr wissen, was auf dem Kärtchen stand?

Ich las:

„Der 6. Dezember ist der Gedenktag des Hl. Nikolaus. Die Gebeine des Heiligen ruhen in Bari.

Ein Gespräch ist ein Geschenk,
dessen sind wir hiermit eingedenk,
In der Stadt des Heiligen, der heut wird verehrt,
hast Du diese Kunst einst gelernt und gelehrt.“

O der gute Nikolaus! Wie hatte er diese Wahrheiten denn gelernt? Es stimmte! Wer hatte sie ihm hinterbracht? Doch nicht sein Knecht Ruprecht? Wer, welcher tüchtige Franke hatte diese altfränkischen Knittelverse gedichtet, die so recht an den alten Hans Sachs und die Nürnberger Meistersinger erinnerten? Oder war es der treffliche Johann Peter Uz oder eine Schwester von ihm aus dem mittelfränkischen Ansbach, der noch einmal seine alte Reim- und Deute-Kunst uns zu Gehör brachte?

Ich sprang vor Freude auf und jubelte! Hatte das wirklich alles der Nikolaus selbst im Verbund mit Hans Sachs und Johann Peter Uz vorbereitet, bedacht, ersonnen? Was glaubt ihr, Kinder?

Ihr lächelt, ihr zweifelt, ihr schmunzelt? Glaubt mir doch, Kinder, nichts von all diesem ist erfunden! Glaubt mir nur, es stimmt.

Und das geschenkte Buch? So lautet es – es hat einen recht anspruchsvollen Titel:

Italienische Konversations-Grammatik für den Schul- und Privatunterricht. Von Pio Gironi. Copyright 1942 by Langenscheidtsche Verlagsbuchhandlung (Professor G. Langenscheidt) K.G., Berlin-Schöneberg, Bahnstraße 28-30

Aber wie kann das sein…? Das ist doch nur einen Steinwurf von unserer Wohnung entfernt! Die Bahnstraße, da war doch wirklich einmal der Langenscheidt Verlag ansässig. Und später, liebe Kinder, da wurde diese Bahnstraße in Crellestraße umbenannt, und so heißt sie heute noch. Der Langenscheidt Verlag mit seinen vielen gelben Büchern ist zwar mittlerweile umgezogen, aber die gelben Bände, die habe ich immer zu Dutzenden noch in meinem Bücherschrank. Aber damals, vor über 70 Jahren, damals waren die Bücher noch grün.

Und in diesem Buch finde ich schöne italienisch-deutsche Geschichten, von Dante etwa oder von Goethe, der Manzonis Ode „Il cinque Maggio“ selbst übersetzte und auf eigene Faust drucken ließ, während Manzoni selbst das Gedicht in Mailand nicht herausbringen durfte. Die hartherzigen Österreicher, die damals über die Stadt herrschten, verboten es! Einfach so!

Aber Goethe – wir zitieren aus dem von Nikolaus geschenkten Buch – „trovò tanto bella l’ode del fratello minore italiano che la tradusse in tedesco e pubblicò originale e traduzione in Germania“.

Eine schöne Geschichte, der sich heute abend bei uns zuhaus noch ein Gespräch anschließt. Denn was sagte Goethe über Manzoni in seinem Gespräch mit Eckermann am 23. Juli 1827? Hört es selbst:

„Manzoni ist ein geborener Poet, so wie Schiller einer war. Doch unsere Zeit ist so schlecht, daß dem Dichter im umgebenden menschlichen Leben keine brauchbare Natur mehr begegnet. Um sich nun aufzuerbauen, griff Schiller zu zwei großen Dingen: zu Philosophie und Geschichte; Manzoni zur Geschichte allein. Schillers ›Wallenstein‹ ist so groß, daß in seiner Art zum zweiten Mal nicht etwas Ähnliches vorhanden ist; aber Sie werden finden, daß eben diese beiden gewaltigen Hülfen, die Geschichte und Philosophie, dem Werke an verschiedenen Teilen im Wege sind und seinen reinen poetischen Sukzeß hindern. So leidet Manzoni durch ein Übergewicht der Geschichte.«

»Euer Exzellenz«, sagte ich, »sprechen große Dinge aus, und ich bin glücklich, Ihnen zuzuhören.« – »Manzoni«, sagte Goethe, »hilft uns zu guten Gedanken.« Er wollte in Äußerung seiner Betrachtungen fortfahren, als der Kanzler an der Pforte von Goethes Hausgarten uns entgegentrat und so das Gespräch unterbrochen wurde. Er gesellte sich als ein Willkommener zu uns, und wir begleiteten Goethe die kleine Treppe hinauf durch das Büstenzimmer in den länglichen Saal, wo die Rouleaus niedergelassen waren und auf dem Tische am Fenster zwei Lichter brannten. Wir setzten uns um den Tisch, wo dann zwischen Goethe und dem Kanzler Gegenstände anderer Art verhandelt wurden.

Was Goethe damals über Manzoni sagte, das sag ich heute abend über dich, guter Nikolaus von Bari! Du hast mir heute zu guten Gedanken geholfen. Und dafür danke ich dir und deinen fränkischen Gehilfen von Herzen!

 

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