Sep 292008
 

 Einer der aufschlussreichsten Wahlabende seit langem liegt hinter uns. Befund: eindeutig.  Sowohl in Bayern als auch in Brandenburg als auch in Österreich haben die jahrzehntelang im Sattel sitzenden Parteien zusammen gegenüber den vergangenen Wahlgängen hohe Verluste eingefahren. In Bayern hat es die CSU trotz bester wirtschaftlicher Daten nicht geschafft, die Zeichen der Zeit zu vernehmen. Die überzeugende personelle und inhaltliche Erneuerung, das beständige Nachjustieren am kommunikativen Auftreten – eine Daueraufgabe für jede Partei – glaubte man sich offenbar schenken zu können.

Bester Beweis für diese Versäumnisse war erneut der Auftritt der Generalsekretäre im ARD-Fernsehen. Wie schon seit Jahren vernahm man keine neuen Einsichten, obwohl doch das sensationelle Ergebnis in Bayern geradezu danach schreit, mal den Fehler bei sich selbst zu suchen. Die alte misstönende Leier vom „bürgerlichen Lager“, das in sich konstant geblieben sei, darf uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bindekraft des Lagergedankens noch einmal schwächer geworden ist. Die Deutschen und die Österreicher, also das Volk, wählen von Mal zu Mal das Lagerdenken erneut ab, aber die Volksparteien merken es nicht. Außer einem Hubertus Heil, aber der hatte gestern auch nichts zu lachen, sondern war eher grimmig drauf. Grotesk!

Für die CDU Brandenburg hat sich offenbar das seit Jahren zerstrittene Auftreten als Misserfolgsfaktor erster Ordnung bewahrheitet. Erneut zeigt sich: Zerstrittene Parteien, die es nicht schaffen, die richtigen Leute auf die richtigen Plätze zu stellen, werden in Zeiten der schwindenden Parteientreue besonders hart bestraft.

Die Regierungspartei brach in Bayern ein, die größte Oppositionspartei verlor ebenfalls. Die Wähler schwimmen den Volksparteien davon. Die Wähler machen sich, statt sich nur verzweifelt die Haare zu raufen, eigene Parteien – wie die Freien Wähler. Man kann es ihnen nicht verdenken.

Was können die Parteien in anderen Bundesländern lernen? Ich meine dreierlei:

1. Wir brauchen beständig hinhörende, beständig werbende, beständig sich erneuernde, beständig lernende Parteien. Dies gilt besonders für die Volksparteien CDU und SPD. Erbhöfe gibt es nicht mehr.

2. Zerstrittene Parteien, die mehr mit sich selbst als mit Sachthemen beschäftigt sind, werden unerbittlich bestraft. Hier gilt es, zwischen den Wahlgängen die parteiinternen Prozesse so umzugestalten, dass größere Betriebsunfälle kurz vor den Wahlen zuverlässig vermieden werden.

3. Die Wähler schätzen es nicht, wenn man den schwarzen Peter ständig weiterschiebt. „Die große Koalition ist schuld!“ „Der Stoiber muss wieder her!“ Usw. usw. Die Suche nach dem Sündenbock läuft wie ein Marathon in Fortsetzungen. Aber die Wähler wollen reinen Wein eingeschenkt bekommen. Die Funktionäre scheinen dem Strom hinterherzuschwimmen, statt ihn aktiv zu lenken. Das Floß treibt im Strudel. Mehr und mehr Stämme lösen sich ab. In einer solchen Lage gilt es, mit eigenen Konzepten hervorzutreten, den Wandel zu gestalten, statt ihn ohnmächtig zu erleiden.

Ein herrliches Denkbild schenkte uns – wie in diesem Blog berichtet –  am 8. Mai 2008 Thomas de Maizière: Er erzählte die Geschichte von den drei Kindern, die in einem Zimmer herumtoben, bis eine kostbare Vase zerbricht. Die Eltern schauen herein und fragen: „Was ist passiert? Wer hat diese Vase zerbrochen?“ Alle Kinder sagen: „Ich war es nicht!“

Sie weigern sich, eigenes Fehlverhalten einzugestehen – obwohl die Gesetze der Physik dagegen sprechen.

Unser Bild zeigt einen weiteren Eindruck vom laufenden Volk. Gestern aufgenommen.

Interaktiv: Die Wahlergebnisse in Bayern – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Politik

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Mitglieder, Nicht-Mitglieder: Knackt die Parteien!

 Sündenböcke  Kommentare deaktiviert für Mitglieder, Nicht-Mitglieder: Knackt die Parteien!
Sep 102008
 

Wir beobachten in diesem Blog seit einiger Zeit die tiefe Krise der Volksparteien, für die die aktuellen Vorgänge um Kurt Beck und Friedbert Pflüger nur ein sinnfälliger Ausdruck sind. Hätten wir gesunde, funktionierende Volksparteien, dann dürfte es nie und nimmer zu derart unwürdigen Szenen kommen, wie sie sich derzeit vor aller Augen in Berlin abspielen. Die Berliner CDU zerlegt sich wieder einmal selbst, die Bundes-SPD serviert ihren Vorsitzenden in einem Überraschungs-Coup ab. Es geht dabei nicht um einzelne Personen allein, sondern um Machtansprüche, persönliche Eitelkeit, Bewahrung eigener Pfründe. Die Gesprächsunfähigkeit ganzer Führungsgruppen in den Parteien SPD und CDU erweist sich also erneut.

Periodisch wird dann ein Sündenbock gesucht, den man in die Wüste schickt. Die, die bleiben dürfen, lachen sich ins Fäustchen. Das dysfunktionale System der Parteienherrschaft bleibt der Bundesrepublik erhalten, die Demokratie wird geschwächt, das Grundgesetz verstaubt irgendwo in der Schublade, die Parteienverdrossenheit der Bürger erhält erneut einen kräftigen Aufschwung. Am wenigsten gefragt ist die Meinung der einfachen Mitglieder. Gremien, die teilweise nicht einmal durch die Satzung legitimiert sind, hecken ihre Pläne aus. Man könnte sagen: Die Parteien gebärden sich als geschlossener Laden, der die Beute – also Posten, Ämter, Einfluss – unter den wenigen Ladeninhabern verteilt.

Gibt es Hoffnung? Ich meine ja! Dafür nur drei Beispiele:

1) Präsident Sarkozy holte nach seinem Wahlsieg Vertreter der Zivilgesellschaft in sein Kabinett, also Menschen, die keiner Partei angehörten oder einer anderen Partei angehörten. Er durchbrach das System der wechselseitigen Gefälligkeiten, jene Mauer der Verschwiegenheit, welche Parteikarrieren ermöglicht und Bündnisse zusammenschmiedet.

2) Die europäischen Grünen haben heute angekündigt, ihre Kandidatenlisten bei den Europawahlen für Nicht-Mitglieder zu öffnen.  Die Taz berichtet von derartigen Bestrebungen bei den französischen Grünen und fährt fort:

Auch bei den deutschen Grünen zeichnet sich ein Trend zur Öffnung der Europa-Liste für geneigte Aktivisten ab. So wird die Deutschland-Chefin von amnesty international, Barbara Lochbihler, für einen vorderen Platz gehandelt. Der Mitgründer von Attac Deutschland, Sven Giegold, will für den Landesverband Nordrhein-Westfalen nach Brüssel und Straßburg. Er sagte der taz, „die Grünen können mit einer Öffnung zur Zivilgesellschaft nur gewinnen“.

taz.de – Europawahl 2009: Grüne wollen Listen öffnen

3) In Berlin wiederum sprechen die Neuköllner Kreisvorsitzende Stefanie Vogelsang und der ehemalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen die schroffe Wahrheit recht unverblümt aus: Nicht ein Politiker, zwei Politiker oder drei Spitzenpolitiker der Berliner CDU haben versagt, sondern das ganze System der Berliner CDU schreit geradezu nach einem entschiedenen Neuanfang. Ein sehr gutes Zeichen, dass diese beiden CDU-Mitglieder den Mut finden, dies auszusprechen. „Die Wahrheit wird euch frei machen“, so sagt der Apostel Paulus. Er hat recht. Die Morgenpost berichtet:

Am Abend sprach sich Diepgen auch öffentlich für einen generellen Neuanfang in der Partei aus. Dabei plädierte er auch für eine personelle Neuaufstellung. In der RBB-Sendung „Klipp und Klar“ forderte er damit indirekt sowohl Pflüger als Schmitt zum Rücktritt auf. Zu Pflüger sagte Diepgen: „Ich hoffe nicht, dass er sich das antut, sich abwählen zu lassen.“ Über Schmitt sagte Diepgen, der CDU-Landesvorsitzende verkörpere kein inhaltliches Konzept der CDU.

Der Landesvorstand, welcher satzungsgemäß berufen wäre, die Geschicke der Landespartei zu leiten,  hat sich bisher in der gesamten Krise überhaupt nicht zu Wort gemeldet. Er ist komplett abgetaucht, in der Versenkung verschwunden. Von der parteiinternen Kritikerin Vogelsang berichtet ebenfalls die Morgenpost:

Neuköllns Kreisvorsitzende Stefanie Vogelsang forderte sowohl Pflüger als auch Schmitt zum Rücktritt auf, um einen wirklichen Neuanfang der Berliner CDU zu ermöglichen. „Wir haben uns hingesetzt und nach einer Lösung gesucht“, sagte die stellvertretende CDU-Landeschefin Vogelsang der Berliner Morgenpost. „Beide Vorstände haben das nicht hinbekommen. Beide tragen die Verantwortung für das Desaster. Wenn Friedbert Pflüger geht, muss Ingo Schmitt auch gehen“, sagte Vogelsang, die in Neukölln Stadträtin ist und 2009 für den Bundestag kandidieren will.

Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen: Nicht nur Pflüger und Schmitt, sondern der gesamte Landesvorstand der CDU muss sich fragen lassen: Was habt ihr eigentlich die ganze Zeit gemacht? Sahet ihr diese unhaltbare Situation nicht heraufkommen? Soll also der gesamte Landesvorstand zurücktreten? Ich meine: ja! Denn die Verantwortung ruht nie auf zwei oder drei Menschen allein, sondern auf der gesamten Führungsebene einer Partei – und eines Landesverbandes. Diepgen und Vogelsang verlangen diesen geschlossenen Rücktritt nicht, denn auch sie können keine überzeugende personelle Alternative anbieten. Und Vogelsang wird sich hüten, einen derart radikalen Schritt zu verlangen – denn sie will ja in den Bundestag, ist also auf das Wohlwollen des Landesverbandes weiterhin angewiesen.

Wo ist der Nachwuchs, wo sind die Mitglieder? Große Frage, großes Fragezeichen! Ein Sonderparteitag des CDU-Landesverbandes mit stärkster Einbeziehung der einfachen Mitglieder und mit geschlossenem Rücktritt und Neuwahl des gesamten Landesvorstandes scheint fast unumgänglich. Ich möchte ihn hiermit anregen.

Vor wenigenTagen erst sprach ich mit einem Mitglied der UMP über das französische Parteiensystem. Auffälliger Unterschied ist: Die Lebensdauer der französischen Parteien ist recht kurz – im Durchschnitt etwa 15 Jahre. Wenn sie morsch geworden sind und sich überlebt haben, werden sie aufgelöst. Sie sterben, wie ja auch die italienischen Christdemokraten gestorben sind. In Deutschland tun wir uns noch damit schwer, Parteien oder Landesverbände aufzulösen. Sie gelten als nahezu unantastbar, ähnlich den Institutionen wie etwa dem Parlament oder den Gerichten. Dabei sind sie sterblich, sie können bankrott gehen oder sich selbst in ihre Einzelteile zerlegen. Sie können jede Glaubwürdigkeit verspielen.

Oder sie erkennen den Ernst der Lage und wagen nach einer schonungslosen Selbstbesinnung den entschlossenen Neuanfang mit neuen Personen und neuen Methoden, wie dies Eberhard Diepgen, Stefanie Vogelsang, Peter Radunski, Gerd Langguth, Manfred Güllner und einige andere – darunter der Verfasser dieses Blogs – gefordert haben.

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