Mrz 212008
 

helmi_21032008.jpg An diesem regnerischen Karfreitag des Jahres 2008, dem 14. Adar des Judentums, also dem Purim-Fest, beschließen wir nach reiflichem Erwägen, das Puppentheater im Jüdischen Museum zu besuchen. Wir verlieren uns zunächst unrettbar im verwinkelten Gegänge des Libeskind-Baus in der Lindenstraße, doch nach zahlreichen Rückfragen erreichen wir die Kinderinsel. Dort warten schon die drei Spieler des Theaters Helmi mit ihren drolligen, aus Schaumstoff geschaffenen Puppen auf die Kinder. Gegeben wird Purim, eine theatralische Umsetzung der Ester-Geschichte, die ja sowohl in der hebräischen wie in der christlichen Bibel zu finden ist. Worum geht es? Am persischen Hofe zu Susa herrscht ein recht kläglicher, allen Einflüsterungen seines korrupten Höflings Haman ausgelieferter König namens Ahaschverosch. Aus gekränkter Eitelkeit heckt Haman einen Vernichtungsplan gegen das gesamte jüdische Volk aus, doch die mutige und schöne Jüdin Ester erringt das Vertrauen des Königs und vereitelt diesen Anschlag.

Wie bei diesem jüdischen Fest heute üblich, erhalten die Kinder Ratschen und allerlei Klangwerk, um den missgünstigen Haman bei jeder Namensnennung zu übertönen und zu vertreiben.

Bei vielen Reden stockte mir schier der Atem. Wie konnten die Vernichtungsgesetze des persischen Trunkenbolds ausgerechnet im Jüdischen Museum, in dem die Shoah eine so beklemmende Vergegenwärtigung erfährt, mit derart leichtsinnigem Tand und mutwilligem Treiben als ein Art Kasperletheater mit bösem Krokodil und lieber Prinzessin ins Werk gesetzt werden? Durfte diese maßlose Rache- und Zerstörungsphantasie denn an diesem Ort so unverhüllt noch einmal ausgesprochen werden? Immerhin entwirft das in der Bibel wiedergegebene Gesetz des Perserkönigs zunächst einmal eine Art Grundsatzprogramm des „eliminatorischen Antisemitismus“, wie dies Daniel Goldhagen etwa 2.500 Jahre später nennen sollte: Vernichtung und Tötung aller Juden im Reich, Enteignung und Umverteilung ihrer gesamten Habe, Bereicherung der Staatskasse durch Einzug des herrenlos gewordenen Vermögens.

Ich habe mich nach der Aufführung mit einem der Puppenspieler unterhalten, habe aber sogleich gesagt, dass ich diesen Versuch nicht nur künstlerisch höchst gelungen, sondern auch pädagogisch wertvoll finde: immerhin gehen Kinder häufig mit Todes- oder Rachephantasien um, diese Bilder des Bösen sind ein häufiger Gegenstand von Märchen und Träumen; die Bilder spielen ferner auch eine gewisse Rolle in den Kämpfen der Kinder untereinander. Das lustige Puppentheater erlaubte es den Kindern, sich mit „den Guten“ zu identifizieren, Vertrauen in die Kraft der Gemeinschaft zu fasssen, die sich auch in bedrückender Unterlegenheit durch Witz und Klugheit den rettenden Weg aus höchster Gefahr schafft. Das Helmi, dieses Berliner Puppentheater, verdient höchstes Lob! Lob verdient auch die Leitung des Jüdischen Museums, die sich getraut hat, einen derart explosiven Stoff den spielerischen Händen einer buntgewürfelten Truppe von Bajazzos und Komödianten anzuvertrauen.

Beim Nachschauen in der Bibel fällt mir noch einmal auf, eine wie schlechte Presse doch das Perserreich in der Antike hatte! Wir hatten schon einmal in diesem Blog Gelegenheit, dieses zähe antipersische Vorurteil bei der Betrachtung der Perser des Aischylos anzusprechen (dieses Blog, Eintrag vom 08.01.2008). Die heutige Bibelwissenschaft freilich scheint die Darstellung des Perserhofs im Buch Ester mehrheitlich als Karikatur aufzufassen; so schreibt etwa Annemarie Ohler in ihrem sehr kundigen, hilfreichen Bibel-Atlas:

Das Buch Ester übertreibt satirisch Luxus und Willkür des Perserkönigs. Der Günstling Haman, den es ärgert, daß ein Jude nicht vor ihm niederfällt, erhält die Erlaubnis, alle Juden im Reich umzubringen. Zum Glück verbraucht der König Wein und Mädchen in Mengen, denn so gerät er an Ester. Todesmutig nützt sie ihre Schönheit, lädt ihn zum Trinkgelage und stimmt ihn um. Der Freibrief zu töten wird Haman entzogen; wörtlich denselben erhalten nun die Juden (8,11 = 3,13).

Regierungsamtliche Judenverfolgung war im Perserreich undenkbar; das Buch setzt sich mit Vorgängen in hellenistischer Zeit auseinander. Es ermutigt Verfolgte; doch es warnt auch: Gewinnen Ohnmächtige Macht, gehen sie nur zu leicht mit ehemaligen Verfolgern so um, wie diese zuvor mit ihnen (9,12 ff.).

zitiert aus: Annemarie Ohler, dtv-Atlas Bibel, Deutscher Taschenbuch Verlag, 3. Auflage, München 2006, S. 133

Mir fällt auf, dass Buch Ester ausdrücklich hervorhebt, dass die Erlasse des Königs jeweils in den verschiedenen Sprachen der Volksgruppen übersetzt wurden. Das Perserreich war zweifellos ein multikulturelles Gebilde, in dem sich keine „Leitkultur“ dominierend über die andere legte, sondern die Macht des Königs die zentrale Achse war, um die herum sich Politik, Recht und Herrschaft anordneten. Immer wieder tritt es freilich in der vernichtend harten Kritik etwa des Aischylos oder auch der Bibel hervor: Wo kein überpersönliches Recht herrscht wie etwa im alten Israel, wo keine starke, von allen getragene Identifikation mit dem Gemeinwesen ausgebildet wird wie etwa in der attischen Demokratie, da geht diese personalisierte Reichsvorstellung an sich selbst zugrunde. Tyrannei, also Macht ohne Legitimität, so kommen Aischylos und Buch Ester überein, hebt sich selbst auf, geht an Übertreibungen und Genusssucht zugrunde.

Es besteht mehr als ein Anlass, dieses Buch erneut zu lesen und sich einen Reim aus heutiger Sicht darauf zu machen! Das Theater Helmi im Jüdischen Museum zu Berlin – was für eine mutige, fruchtbare Zusammenstellung!

 Posted by at 22:48

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