Okt 082008
 

… schrieb Johannes Hampel am 30. Juli 2008 in diesem Blog. Damals brach die jüngste Zuspitzung der Dauerkrise aus … nämlich in dem Totalverriss der Berliner CDU, den Gunnar Schupelius in die BZ setzte. Aus Gründen der historischen Nachprüfbarkeit sei auch dieser Beitrag, den ich später löschte, noch einmal unverändert hier veröffentlicht:

Beitrag aus Johannes Hampels Blog am 30. Juli 2008 (unverändert):

Wohin will die Berliner CDU des Jahres 2008  …

east-side-gallery-21062008001.jpg fragt Chefreporter Gunnar Schupelius in der heutigen BZ. Er weiß es nicht. Aber: Wie so oft, gibt der Fragende in seinem Kommentar bereits einige erste Antworten. Schupelius schreibt:

“Es irritiert mich, dass die Berliner, insbesondere im Westteil der Stadt, der CDU so wenig die Treue halten.”

Ich meine: Herr Schupelius, das sollte niemanden irritieren. “Treue” oder “feste Parteienbindung” gibt es nicht mehr in dem Sinne, wie das noch bis in die 90er Jahre hinein galt. Wer auf “Treue” setzt, hat in der heutigen Wettbewerbsdemokratie schon verloren. Die Berliner CDU sollte also nicht mehr auf “Treue” setzen, sondern auf “Überzeugung”, “Wettbewerb” und “Werbung”. Sie muss über ihre schrumpfende, alternde Stammklientel einen mutigen Schritt hinausgehen. Etwa in der Kandidatenaufstellung. Frisches Blut muss heran. Die hochmobilen Großstädter, die Akademiker, die jungen Frauen, die Künstler, die nicht-linken Umweltbewegten, die sozial Schwachen, die konservativen Türken mit deutscher Staatsbürgerschaft, die enttäuschten Alt-Linken – diese Gruppen sind ein riesiges Reservoir an Wählerstimmen, das die Berliner CDU entdecken könnte. Sattelt die Fahrräder! Seht euch nicht länger als rückwärtsgewandte, konservative Bürgerblockpartei für Stadtrandgruppen, sondern werdet die dynamische Volkspartei der Mitte, der Stadtmitte und der Vermittlung, wie es das neue Parteiprogramm der Bundes-CDU verheißt.
Die Berliner CDU hätte große Chancen, wenn sie ein positives, in die Zukunft weisendes Leitbild für die Stadt Berlin entwickelt hätte – ähnlich der “wachsenden Stadt” eines Ole von Beust in der ehemaligen SPD-Bastion Hamburg. Die Berliner CDU hat jedoch kein positiv besetztes Leitbild für diese Stadt nach außen getragen. Positive Kommunikation – wie sie etwa vor wenigen Tagen Barack Obama so glanzvoll vorgeführt hat – ist ihr ein Fremdwort. Die Berliner CDU pflegt mit Inbrunst ihre unnachahmliche Variante der Negativpropaganda. Sie schimpft auf den unfähigen Senat, auf den ach so schwachen Regierenden Bürgermeister, der angeblich nichts zustande bringt. Warum tut sie das? Wem schadet sie damit?

Bitte bedenken Sie auch, lieber Herr Schupelius: In Berlin hat seit 1991 ein riesiger Bevölkerungsaustausch stattgefunden. Über 1,6 Millionen Menschen haben die Stadt verlassen, über 1,6 Millionen Menschen sind zugewandert. Diepgen, der 2001 abgewählt wurde, ist vielen von ihnen schon eine unbekannte Größe. Und mit der Tempelhof-Kampagne hat die Berliner CDU aufs falsche Pferd, auf ein nostalgisch besetztes Thema gesetzt, das die Wähler im Osten und auch die zugezogenen Neuberliner eher kalt lässt oder sogar gegen die CDU aufbringt.

Für einen groben Irrtum halte ich es, wenn die Schuld am derzeitigen Tiefstand der Berliner CDU hauptsächlich dem Bankenskandal oder einer einzelnen Person gegeben wird. Denn dann hätte es die SPD ähnlich hart treffen müssen, was aber nicht der Fall ist. Außerdem ist das Führungspersonal der Berliner CDU seit der Ära Diepgen/Landowsky fast komplett ausgetauscht, an den Sünden der Vergangenheit kann es also nicht im wesentlichen liegen, wenn die Wahlergebnisse der CDU nach unten gegangen sind. Der Bankenskandal hat der SPD und der CDU sicherlich in erheblichem Umfang geschadet, aber die Wählerschaft hat neuerdings ein erstaunlich kurzes Gedächtnis.

Schupelius schreibt:

“Es irritiert mich also, dass die Berliner ihre CDU im Stich lassen.”

Auch hier gilt, so meine ich: Keine Partei genießt Bestandsschutz! In Italien ist die christdemokratische Partei, die berühmte Democrazia Cristiana, vollständig von der Bildfläche verschwunden. Sie hat sich selbst aufgelöst. Dabei war sie noch ein Jahrzehnt zuvor die mächtigste Partei im westlichen Lager überhaupt. Sie erkannte die Schrift an der Wand nicht, zog keine Lehren aus Skandalen und Korruption. Andere sahnten ab. Eine Antipartei wurde über Nacht aus dem Boden gestampft und gewann die Wahlen.

“Im Stich lassen …” – die Wähler lässt so ein Vorwurf kalt. Verehrter Herr Schupelius: Ich glaube, so wird kein Schuh draus. Die Wähler wollen umworben, überzeugt, mitgerissen werden. Die Wähler fühlen sich offenbar von der CDU im Stich gelassen. So wird ein Schuh draus. Wer – wie die Berliner CDU – sich weiterhin im “bürgerlichen Lager” einigelt, der hat an den Wahlurnen schon verloren. Denn die Bürger sind längst weitergezogen. Und: Wir alle sind Bürger, und die Bürger wählen in Berlin in diesen Jahren eben nur zu einem kleinen Teil die CDU.

Schupelius schreibt:

“Fassungslos sehe ich, wie die CDU gegenüber einem Senat in der Bedeutungslosigkeit versinkt, der seinerseits einer der schwächsten ist, die hier jemals regiert haben. Senatoren wie von der Aue, Lompscher, Junge-Reyer, Wolff usw. unterlaufen ständig schwere Fehler. Und die Union merkt es gar nicht oder interessiert sich nicht. Wohin eigentlich will die Berliner CDU des Jahres 2008? Ich weiß es nicht.”

Unausgesetzt höre ich aus der CDU: “Rot-rot kann es nicht. Rot-Rot muss weg. Rot-rot macht arm.” Ich meine: Wenn der Senat handwerklich wirklich so schwach ist, wie Sie, Herr Schupelius, und die Berliner CDU dies gerne behaupten, dann müsste dies doch der Opposition zugute kommen, nicht wahr? Oder die Berliner CDU beherrscht das Handwerk der politischen Kommunikation nicht. Augenscheinlich profitiert nämlich vor allem die Partei “Die Linke” von den Fehlern der Berliner Landesregierung. Diese Partei hat es erfolgreich verstanden, sich zugleich als Regierung und Opposition darzustellen. Ein echtes Kabinettstückchen! Bitte studieren!

Was sollte die Berliner CDU tun? Ich meine: Not tut ihr jetzt, in diesem Augenblick, eine gründliche reformatio capite et membris unter folgenden Leitsätzen:

1) Eine gute Kommunikation pflegen. Die vorherrschende Negativpropaganda abstellen, verbal abrüsten. Gute Beispiele suchen und ihnen nacheifern.

2) Hilfe von außen suchen, insbesondere von der CDU-Spitze und der CDU anderer Bundesländer! Die Politikmodelle “Team Merkel” und “Team Ole von Beust” studieren, deren Grundkonzeption anpassen und auf Berlin übertragen. Boris Johnson in London, Gianni Alemanno in Rom haben beeindruckend vorgeführt, wie in europäischen Millionenstädten neue Mehrheiten für die politische Mitte zu gewinnen sind. Wie? Nun, man sollte vermittelnde, moderate Töne anschlagen, nicht immer gleich mit der Brechstange argumentieren, den Gegner nicht beschimpfen und kleinreden. Ich empfehle noch einmal nachzulesen, was Kanzleramtsminister de Maizière der CDU Friedrichshain-Kreuzberg ins Stammbuch geschrieben hat. Dieses Blog berichtete am 09.05.2008.

3) Fachleute von außerhalb der Partei einbinden, die den gesamten kommunikativen Auftritt unerbittlich auf den Prüfstand stellen. Aus einer “lärmenden Partei” sollte die Berliner CDU zu einer “lernenden Partei” werden.

4) Zukunft schlägt Vergangenheit! Nicht in die Vergangenheit starren. Die Mauer ist weg. Es gilt viele Mauern abzubauen. Die East Side Gallery – siehe Bild oben – stellt es in wünschenswerter Klarheit dar.

5) Realistische Mehrheiten in der Sache suchen, nicht auf mögliche Koalitionen starren. Ich halte es für falsch, irgendwelche Kampagnen loszutreten, die nur eine Art fiebrige Wahlkampfstimmung erzeugen, aber zu keinem messbaren Erfolg in der politischen Praxis führen. Die Wahlergebnisse sind in Deutschland schon seit Jahren schwer vorherzusehen. Jegliches systematische Arbeiten auf Koalitionen hin kann von den Wählern durchkreuzt werden. Deshalb rate ich – wie de Maizière auch – davon ab, allzu sehr über Jamaika oder andere Dreifach-Koalitionen zu spekulieren. Die Parteien müssen selbst ihre Schäfchen ins Trockene bringen, es herrscht Wettbewerbsdemokratie bei uns, nicht Hinterzimmerdemokratie.

6) Themen setzen – Themen besetzenein überzeugendes Leitbild für ganz Berlin erarbeiten. Es gibt so viele Politikfelder, auf denen es in Berlin an gangbaren Konzepten fehlt. Daran könnte sich die Berliner Opposition erproben, damit könnte sie Breitenwirkung entfachen und neue Wählerschichten ansprechen. Wenn sie denn wollte.

7) In jedem historischen Tiefstand stecken Chancen. Man muss hinhören, einen kurzen Augenblick innehalten und sich selbst gegenüber und auch nach außen ehrlich sein.

Lesen Sie auch einen Artikel samt Forum im Tagesspiegel:

Linke und CDU erstmals gleichauf

Lesen Sie jetzt noch die heutige Kolumne des BZ-Reportes im Wortlaut:

Schupelius-Kolumne – BZ-Berlin.de
“Eine Forsa-Umfrage hat die friedlich in der Sommerpause schlummernde Berliner CDU gestern wie ein Erdbeben erschüttert: Sie käme jetzt nur noch auf 20 Prozent der Stimmen und läge damit gleich auf mit der Linkspartei. Das wäre das schlechteste Ergebnis der Union in ihrer ganzen Geschichte, nur1948 stand sie schlechter da 19,4.Es irritiert mich, dass die Berliner, insbesondere im Westteil der Stadt, der CDU so wenig die Treue halten. Hier erreichte sie 1981 sagenhafte 48 Prozent. Aber auch in der wiedervereinten Stadt war sie lange Zeit die führende Kraft: 1990 kam sie mit Eberhard Diepgen auf 40,4 Prozent, 1999 unter seiner Führung sogar auf 40,8 Prozent. 53 Prozent der Berliner hätten Diepgen damals direkt gewählt, wenn das möglich gewesen wäre, 63 Prozent waren mit seiner Politik zufrieden.

So weit hat es nicht einmal Klaus Wowereit gebracht, der auch auf dem Höhepunkt seiner Popularität im Herbst 2006 zwei Punkte dahinter blieb 61 Prozent Zustimmung.

Es irritiert mich also, dass die Berliner ihre CDU im Stich lassen. Ich kann es aber verstehen. Denn die CDU nimmt in meinen Augen ihre Rolle als Opposition nicht wahr. Anfang dieser Woche beispielsweise, als SPD-Chef Müller die Zahl der Senatoren um 20 Prozent aufstocken wollte, in Zeiten, da der öffentliche Dienst abgebaut wird, da stimmte die CDU sofort zu, anstatt diese unpassende Idee in der Luft zu zerreißen. Ich könnte eine endlose Reihe solcher Beispiele zitieren.

Fassungslos sehe ich, wie die CDU gegenüber einem Senat in der Bedeutungslosigkeit versinkt, der seinerseits einer der schwächsten ist, die hier jemals regiert haben. Senatoren wie von der Aue, Lompscher, Junge-Reyer, Wolff usw. unterlaufen ständig schwere Fehler. Und die Union merkt es gar nicht oder interessiert sich nicht. Wohin eigentlich will die Berliner CDU des Jahres 2008? Ich weiß es nicht.”

 Posted by at 12:04

Sorry, the comment form is closed at this time.