Vor wenigen Wochen guckte ich die ARD-Tagesthemen. Ein arbeitsloser Familienvater kam zu Wort. Er war vor einigen Monaten entlassen worden, da sein Werk dichtgemacht hatte. Er war schon fast 45 Jahre alt, gesund, hatte offenkundig zwei kluge und liebe Töchter – ditto eine ebensolche Ehefrau. Sie bewohnten eine Wohnung mit drei Zimmern. Sie litten weder an Pest noch an Aids noch an Lungenentzündung. Sie hatten genug zu essen, Kleidung und ein Dach über dem Kopf. Sie waren – mit einem Wort – gesund, eine intakte Familie. „Wie, glauben Sie, kann sich Ihre Situation verbessern?“ fragte die einfühlsame Reporterin. (Sie meinte natürlich: „Glaubst du denn im Ernst, dass sich deine Lage noch zu Lebzeiten verbessern wird?“)
Der Mann antwortete: „Ja, ich hoffe, dass der Staat mir endlich eine Arbeit gibt … sonst sehe ich schwarz.“ Dies war die letzte Aussage des Mannes, irgendein Fünkchen Hoffnung verbreitete der Tagesthemen-Bericht nicht.
Ich fasse die Aussage des Berichts in in einem schlichten Satz zusammen: „Nur der Staat kann mir noch helfen.“ Der Staat muss es richten. Die Arbeitslosen signalisieren inständig und flehentlich ihre Hilfsbedürftigkeit gegenüber dem Vater Staat (und der Mutter Bundesrepublik).
Dieser Bericht fiel mir wieder ein, als ich gestern nach getaner Body-Shape-Arbeit im Fitness-Studio den Bericht in der Morgenpost las, welcher Kanzlerin Merkel mit einer ganz ähnlichen Aussage zitiert:
Konjunktur – Staat steigt bei Pleite-Banken ein – Wirtschaft – Printarchiv – Berliner Morgenpost
Merkel betonte, die HRE müsse jetzt „in stabile Seitenlage“ gebracht werden. Zugleich unterstrich sie, die Regierung habe keinen Ehrgeiz, nun auch noch Banktätigkeiten auszuüben. Es seien aber die Banken gewesen, die ihre Hilfsbedürftigkeit gegenüber der Politik signalisiert hätten. „Außer dem Staat kann keiner mehr helfen. Das ist eine interessante Erfahrung.“
Was ist von einer solchen Aussage zu halten? Ich meine: Aus dem Munde des arbeitslosen Familienvaters signalisiert sie eine „erlernte Hilflosigkeit“. Bei mir erregt sie allerdings kein Mitleid, sondern eher den Wunsch, diesen Familienvater zu rütteln und zu schütteln … Die Vorstellung, dass nur der Staat noch helfen kann, halte ich für einen großen, abwegigen Irrtum, der zur Selbstlähmung führen muss.
Aus dem Munde eines Politikers signalisiert dieser Satz eine ebenso abwegige Selbstüberschätzung. „Die Politik“, „der Staat“ erweckt gerade in diesen Tagen eine gespenstische Hoffnung, an dem selbstverschuldeteten Zusammenbruch von einigen Teilen des Finanzsystems etwas Wesentliches verhindern zu können. Die Banken wimmern und weinen wie unartige Kinder. Sie signalisieren ihre Hilfsbedürftigkeit. Ja, wie es heißt es denn so schön: Bettelt, so wird euch gegeben! Aber dieser Grundsatz, der im mitmenschlichen Bereich Geltung haben mag, ist verheerend im staatlichen Bereich – wenn ihm derart willfährig nachgegeben wird, wie das „die Politik“ jetzt macht.
Gerade im Fall der HRE halte ich es für einen Fehler, dass überhaupt auf Verlangen der Betroffenen selbst so viele Steuergelder in die Hand genommen worden sind, um einen solchen kranken, von Anfang an zum Sterben verdammten Dinosaurier zu retten. Man hätte mehr dieser Dinosaurier sterben lassen müssen.
„Der Staat“ denkt jetzt darüber nach, diese sterbenden Dinosaurier, diese künstlich erzeugte Qualzüchtung Hypo Real Estate, durch Enteignungen vor dem Tode zu schützen. Der Staat spielt – Gott. Das kann nicht gutgehen. Zwar lässt sich gewiss das eine oder andere Missgebilde (also die ausgelagerten faulen Kredite der HVB) mit einem dreistelligen Milliardenbetrag ins Siechenheim retten, aber auf wessen Kosten? Auf Kosten der Künftigen, auf Kosten der Grundprinzipien des Markts, auf Kosten des ganzen Systems. Nein. Es passt alles nicht mehr zusammen, die Politik kaschiert mühsam die eigenen Versäumnisse der Vergangenheit, die ach so notleidenden Bankmanager können sich ins Fäustchen lachen.
Immerhin, die FAZ wirft sich heute dagegen ins Feld:
Jetzt genügt offenbar schon ein Einzelfall – die gewiss desolate Lage der Hypo Real Estate (HRE) -, um mit der Drohung zu spielen, die Rechtsordnung außer Kraft zu setzen und dem Investor Christopher Flowers (er hält knapp 25 Prozent der HRE-Aktien) mit der Zwangsenteignung zu drohen. Und es genügt der Verweis auf reichlich nebulöse Gründe („systemisches Risiko“, die Bank als „öffentliches Gut“, das „Gemeinwohl“), um in der Güterabwägung das Eigentumsrecht zu vernachlässigen. Allein das Menetekel „Lehman“ raunend auszusprechen reicht aus, um die Bail-out-Maschine anzuwerfen und die Frequenz der staatlichen Rettungspumpe zu erhöhen.
Hätte der steuerzahlende Bürger nicht zumindest das Recht, sich von der Plausibilität eines Zusammenbruchs der nationalen Geldversorgung ein rationales Bild zu machen?
Die Drohung mit der Angst
Allein die Drohung mit der Angst nutzt sich allmählich ab.
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