Feb 082009
 

Unter allen Politiker-Äußerungen finde ich regelmäßig die am erhellendsten, die sie VOR ihrer großen Karriere, und die, die sie NACH ihren Ämtern verlauten lassen. So ist es äußerst reizvoll, Helmut Schmidts „Außer Dienst“ gewissermaßen querzulesen mit Barack Obamas „Audacity of Hope“. Es waren die beiden besten Bücher zur Politik, die ich im Jahr 2008 zwischen die gierigen Finger bekam! IM DIENST werden die Politiker kaum je genau Aufschluss geben über das, was sie gerade fühlen. Im Gegenteil, sie müssen jede – auch emotionale – Äußerung auf mögliche Wirkung hin abklopfen. Sie dürfen sich nicht zu allzu freimütigen Vorwürfen oder Schuldbekenntnissen hinreißen lassen. Erst nach der Zeit als aktiver Politiker gewinnen ihre Worte Goldwert.

Höchst lesenswert ist aus genau diesem Grund das Interview des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen in der heutigen Morgenpost. Auszüge:

Eberhard Diepgen – „Ich hätte zurücktreten müssen“ – Berlin – Berliner Morgenpost
Morgenpost Online: Für den damaligen Senat galt die Devise Aufbau Ost vor Ausbau West. Das hat die Sanierung der östlichen Bezirke beschleunigt. Dennoch ist die PDS, heute Die Linke, immer stärkste Partei im Osten geblieben. Hatten Sie mehr Dankbarkeit in Form von Wählerstimmen für die CDU erwartet?
Eberhard Diepgen: Natürlich habe ich mir gewünscht, dass unsere Politik auch im Wahlverhalten stärkere Unterstützung gefunden hätte. Aber immerhin war die CDU damals zweitstärkste Partei im Ostteil der Stadt. Im übrigen: Dankbarkeit darf man nicht einfordern, das führt selbst in Familien zu Aggressionen.
Morgenpost Online: Seit Jahren regiert eine rot-rote Koalition in Berlin. Hat die Regierungsbeteiligung der PDS/Linkspartei – bei aller inhaltlichen Kritik – zum Zusammenwachsen der Stadt beigetragen?
Eberhard Diepgen: Ja. Weil Eliten der DDR stärker eingebunden worden sind. Die Auseinandersetzung mit der Linkspartei sollte weniger um ihre Vergangenheit im SED Regime, mehr um die politischen Inhalte geführt werden. Die linken Reaktionäre kommen heute auch wieder mehr aus den kommunistischen Splittergruppen West- Deutschlands.
Morgenpost Online: Eine Enttäuschung ganz anderer Art war für Sie die Reaktion in West- Deutschland auf Mauerfall, Wiedervereinigung und auf die Hauptstadtfrage.
Eberhard Diepgen: Das gehört zu den größten Enttäuschungen meines politischen Lebens. Dieses Ausmaß an Egoismus und Wortbruch hätte ich nicht für möglich gehalten.

Bemerkenswert finde ich Diepgens Einstellung zur Linken – sie liegt genau auf der Linie dessen, was ich bereits am 19.05.2008 diesem Blog anvertraut habe: Verteufelung hilft kaum weiter, treibt Menschen eher zurück in die Arme ihrer vertrauten Kiez- und Kümmererpartei. Und beachtlich ist auch die Tatsache, dass Diepgen unverhohlen über Enttäuschungen spricht – gerade von seiten der eigenen Weggefährten.

Man sollte auf den Mann hören, auch wenn man ab und zu anderer Meinung sein mag.

 Posted by at 23:47

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