Feb 082009
 

06-02-09_1524.jpg Ich bin Fahrer eines Luxusfahrzeugs. Meine Familie besitzt mehrere Luxusfahrzeuge – nämlich insgesamt 5 Fahrräder bei nur 4 Familienmitgliedern (darunter auch ein Tandem). Alle haben Licht vorne und hinten, außerdem eine Klingel und seitliche Reflektoren bzw. weiß leuchtende Bereifung. Nach Berliner Verhältnissen: Luxus in Hülle und Fülle! Im Zeitalter der Globalisierung messen wir uns selbstverständlich am Welt-Durchschnitt, und wir wissen also: Wir gehören zu den reichsten 15 Prozent unter den 6 Milliarden Menschen. Dies gilt übrigens auch für alle Hartz-IV-Empfänger in diesem unseren so beliebten Lande.

Dennoch wagte ich mich gestern mannhaft radelnd mit meinem 7-Gang-Luxus-Fahrzeug auf den Lausitzer Platz, um Vera Lengsfeld und ihre kleine, aber unfeine Oppositionspartei ein wenig zu unterstützen. Thema: Protest gegen das Abfackeln von Luxusfahrzeugen im heimatlichen Kreuzberg. Bisher traf es zwar nur PS-stärkere Automobile – aber, wie gesagt, auch ein Fahrrad ist im Lichte der Globalisierung ein Luxusfahrzeug. Insofern sind wir alle betroffen. Zumal ja auch die Deutsche Bahn gezielt angegriffen wurde – etwa weil sie so schwere und teure Fahrzeuge im Lande herumschickt?

Na, und was soll ich euch sagen? Es war lehrreich! Höchst bemerkenswert waren einige der Kommentare, die ich zu hören bekam: „Was regt ihr euch auf, wenn ein paar Autos abgefackelt werden – das ist doch soziale Hygiene“. Na, bitte, den Feuerteufeln schlägt das Herz auf dem rechten Fleck, gaanz weit rechts! Man kämpft für die Gesundung des Kreuzberger Volkskörpers, wie das mindestens 12 Jahre lang in Deutschland genannt wurde, durch Vertreibung des schmarotzenden Gesindels. Notabene: Die Rassenhygiene war ausdrücklich nur ein Teil der Sozialhygiene. Leider hat das Bayrische Finanzministerium den Nachdruck der Belegliteratur aus jenen Jahren, das verdienstvolle Unternehmen Zeitungszeugen untersagt. Es wäre eine Fundgrube für all jene, die die Sprache des Terrors kennenlernen wollen.

Naturgemäß schildert einer der Betroffenen die Sache ein klein wenig anders. Wir zitieren aus der Morgenpost:

Einer der betroffenen Fahrzeugbesitzer ist der Immobilienkaufmann Harald-Fritz Goile aus der Eldenaer Straße. Der 43-jährige Familienvater schilderte gestern der Berliner Morgenpost, wie er die nächtliche Attacke auf seinen Porsche Cayenne erlebte, und wie er und seine Familie sich nach dem Anschlag nun fühlen. „Ich bin traurig, total sauer und erbost auf die feigen Brandstifter, die vielleicht glauben, sie hätten einem Bonzen weh getan“, sagt Goile. Doch der Immobilienkaufmann berichtet, dass er selbst aus einfachen Verhältnissen stamme und sich bestimmt nicht als „Kapitalist“ sehe. Die wirklich Reichen würden doch bekanntlich in anderen Stadtteilen leben – und nicht in Friedrichshain oder in anderen von Anschlägen betroffenen Innenstadtbezirken. Goile empfindet den Anschlag auf sein Auto als persönlichen Angriff.

Kriminalität – „Ich lass mich nicht aus Friedrichshain vertreiben“ – Berlin – Printarchiv – Berliner Morgenpost

Ein anderes Zitat einer Passantin verdient ebenfalls berichtet zu werden: „Regt euch doch nicht auf, die suchen sich die Autos schon sehr sorgfältig aus, die sie anzünden.“  Da klingelt doch was — ja richtig! Genau so hörte ich das in den 80er Jahren bei den Diskussionen über die Anschläge der RAF. „Reg dich nicht auf, die wissen schon, wen sie sich aussuchen.“ Wie sagt doch Fritz Goile:

Und manchmal erinnere ihn das Ganze an die Anfänge der Roten Armee Fraktion.

Meine Bilanz: Diese Gewalt gegen Sachen – also gegen Fahrzeuge aller Art – wird in Kreuzberg von einigen – ich würde sagen: von nicht nur wenigen vereinzelten – mit klammheimlicher Freude gesehen.

Wollt ihr was wissen? Das find ich nicht so klasse. Immerhin: Auch mir sind schon mehrere Fahrräder gestohlen oder beschädigt worden. Und ich habe keine Kaskoversicherung, die mir den Schaden ersetzt. Ich sehe keinen wesentlichen Unterschied, ob ein Porsche Cayenne abgefackelt oder ein Fahrrad geklaut wird. Es bleibt hinterhältiges Unrecht.

Dank an die kleine rebellische Oppositionspartei CDU, die sich gegen die weitverbreitete klammheimliche Freude über diese umweltverschmutzenden Wertvernichtungen auflehnt! Endlich eine kleine aufrührerische Minderheit, die sich dem herrschenden Kreuzberger Konformismus entgegensetzt.

Unser Foto zeigt den Verfasser im Gespräch mit der herrlich unangepassten Vera Lengsfeld.

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