Apr 172009
 

Ich bin natürlich ein Produkt meiner Zeit und der westlichen Moderne, ich bin ein Stiefkind der Aufklärung. Der dekadente Punkt ist, dass mich in der Auseinandersetzung mit dem Religiösen vor allem interessiert, daraus Kunst zu machen.“ So äußert sich Feridun Zaimoglu in einem Interview im neuesten Magazin tip Berlin 09/2009, S. 50, unter dem Titel: „Wo gärt das Böse?“ Allein schon deswegen musste ich mir Karten für morgen abend bestellen. Dann wird Zaimoglus neues Theaterstück „Nathan Messias“ unter der Regie von Neco Celik im Ballhaus Naunystraße aufgeführt. Ich bin selbst dort schon mehrfach mit der Geige aufgetreten – wie mag es sich seither verändert haben? Ich werde euch von der Aufführung berichten! Mir gefällt, dass endlich einmal jemand persönlich angeben kann, was ihn an den orientalischen Religionen Islam, Christentum und Judentum fasziniert! Pro-Reli-Unterstützer  – bitte hinschauen, gucken!

Das Foto oben zeigt die Knabenschule Bismarcks, die Plamannsche Anstalt, aufgenommen heute in der Stresemannstraße.

Als normales Produkt unseres staatlichen Unterrichts verließ ich 1832  die Schule als Pantheist, und wenn nicht als Republikaner, doch mit der Überzeugung, daß die Republik die vernünftigste Staatsform sei, und mit Nachdenken über die Ursachen, welche Millionen von Menschen bestimmen könnten, einem dauernd zu gehorchen, während ich von Erwachsenen manche bittre oder geringschätzige Kritik über die Herrscher hören konnte.“

An diesem Anfang der „Gedanken und Erinnerungen“ Otto von Bismarcks gefällt mir, wie nüchtern er seine Bedingtheit einschätzt. Er sagt: Als junger Mann teilte ich die wesentlichen Überzeugungen, die man im Laufe der Jugend einfach so erwirbt. Und so erwarb Bismarck auch sein Nationalgefühl und wurde vorübergehend Anhänger der deutschnationalen, demokratischen Burschenschaften. Sein knochentrockenes Verdikt: „Ich hatte den Eindruck einer Verbindung von Utopie und Mangel an Bildung.“ Großartig, dieser Schriftsteller! Seine kleinen Boshaftigkeiten beweisen, dass er weitergedacht hat, dass er – nicht anders als Zaimoglu – die Fähigkeit und Ehrlichkeit aufbrachte, über die Determiniertheit, die sich der Erziehung schuldet, hinauszugehen.

Wir sind – einerseits – schlicht ein Produkt unserer Erziehung und unserer Zeit. Das wird niemand leugnen können. Aber andererseits besitzen wir die Freiheit, zu neuen Ufern aufzubrechen. Zaimoglu und Bismarck haben dies getan. Und dadurch wird die Sache so spannend.

Heute nahm ich an einer Führung der CDU durch Kreuzberg West teil. Der Herr Sielaff, durchtränkt mit Wissen über seinen alten Bezirk, zeigte uns das Haus, in dem einst die Plamannsche Anstalt untergebracht war. Dort ward Bismarck vom sechsten bis zum zwölften Jahre erzogen und genoß auch die turnerische Vorschule mit Jahnschen Traditionen. Mir fiel gleich der Anfang der Bismarckschen Autobiographie ein, und ich rezitierte ihn, wo nicht wort-, so doch sinngetreu. Und ich schloss keck an: „Auch wenn ich Demokrat und Republikaner bin: Die erste Seite von Bismarcks Lebenserinnerungen sollte jeder Politiker lesen!““Aber dafür haben die Politiker keine Zeit“, scholl es mir entgegen.

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Wie auch immer –  unser Viertel birgt so mancherlei kostbare Spuren – unter anderem auch das Wohnhaus von Konrad Zuse, in welchem der Erfinder des ersten funktionsfähigen Computers wohnte. War er auch nur ein Produkt Kreuzbergs? Oder hatte er die Kraft, der Welt mehr zu zeigen als das Produkt der Umstände, die ihn gemacht hatten?

 Posted by at 23:26

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