Nov 022009
 

„Wir wollen, dass die Menschen verbunden, nicht getrennt werden“, in diesem Sinne äußerte sich gestern unser neuer Außenminister. Aus diesem Grund gab er durch die Blume zu verstehen, dass die Wünsche unserer östlichen Freunde bei der Besetzung einer nationalen Stiftung berücksichtigt werden. Er gab den Freunden nicht in der Sache recht, er widerlegte auch die Argumente der Freunde nicht. Er forderte die Freunde nicht auf, eine Gewissenserforschung zu versuchen. Mit einem Wort: Der Außenminister zeigte ein Beispiel diplomatischer Toleranz. Toleranz bedeutet in diesem Sinne: Man nimmt die Bedenken und Vorwürfe des Freundes so entgegen, wie sie kommen. Man streitet nicht mit ihm, sondern lässt ihn in seinem Glauben. Man lässt alles, wie es ist, und vermeidet die Konfrontation. Eine gute Beziehung ist in diesem Fall wichtiger als die Suche nach einer gemeinsamen Wahrheit. Man vermeidet die Auseinandersetzung in der Sache. So ist es über viele Monate hinweg zwischen Deutschland und Polen geschehen. Da ich Polnisch kann, immer wieder mit Polen zusammentreffe, kann ich nur sagen: Deutsche und Polen sind von einer gemeinsamen Wahrheitssuche noch weit entfernt.

Die großartige Chance, die sich mit den Jahren 1989/1990 eröffnete, ist bisher erst ansatzweise genutzt worden.  Wir könnten heute ohne Unterjochung durch diktatorische Regimes versuchen, im gemeinsamen schmerzhaften Dialog eine Aufarbeitung der Vergangenheit zu erreichen.

Konfrontativ wäre es, wenn man Argumente für oder gegen eine Position abwöge und dann versuchte, eine gemeinsame Lösung zu suchen.  Man würde – auch im Verhältnis zwischen Freunden – den Widerstreit unterschiedlicher Positionen aushalten.

Ich meine: Ein übermäßiges Entgegenkommen, ein ständiges Eingehen auf die Wünsche der Beziehungspartner ist Zeichen mangelnden Selbst- und mangelnden Fremdvertrauens. Die Beziehung ist nicht belastbar genug für eine Konfrontation. Der Psychologe Jeffrey Young spricht hier von einem zum Schema erstarrten Unterwerfungsgebaren: Starke eigene Unsicherheit führt uns dazu, uns den anderen gewissermaßen anzudienen. Wir halten dann größere Meinungsunterschiede nicht aus. Wir übernehmen die Sichtweise der anderen, ohne deren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Wir bleiben im Bann einer nicht durchschauten, unaufgelösten traumatischen Erfahrung. Wir sind dem Trauma verhaftet, wagen es nicht anzurühren aus Angst, der andere könnte böse werden, wenn wir ihn auf verschwiegene Wahrheiten aufmerksam machen.

Eine solche Toleranz gegenüber den anderen, ein bloßes Akzeptieren und Hinnehmen aller Übergriffe und Behauptungen des anderen halte ich für äußerst gefährlich. Denn es führt zu einer Leugnung von Erkenntnissen, zu einer künstlichen Beziehungsrealität, die zum Schema erstarrt. Der eine Partner wird ständig versuchen, mit dem anderen „Schlitten zu fahren“. Die Geschichte der Diplomatie ist angefüllt mit Beispielen dafür.

Ich meine: Zu jeder echten Freundschaft, zu jeder echten Beziehung gehört auch ein gewisses Maß an Konfrontation. Konfrontativ ist ein Verhalten, das unbequeme Meinungen ausspricht und aushält. Das Gerichtsverfahren zwischen zwei Zivilprozessgegnern  ist ein Beispiel dafür. Im streitigen Für und Wider werden die unterschiedlichen Standpunkte vorgetragen, bewertet und entschieden.

Freunde können, ja müssen einander auch unbequeme Wahrheiten sagen. Es ist gerade Zeichen einer echten Freundschaft, wenn Meinungsunterschiede zugelassen werden. Sich-Andienen, Sich-Unterwerfen ist auf Dauer schädlich für jede Beziehung zwischen gleichberechtigten Partnern. Echte Freunde, Partner einer guten, gesunden, entwicklungsfähigen Beziehung finden den rechten Mittelweg zwischen Konfrontation und Toleranz.

Das Ideal der Toleranz allein führt in Gleichgültigkeit, in Erstarrung und Unterhöhlung von Beziehungen. Das Ideal der Konfrontation allein hingegen führt zu Streit, es kann – wenn dem anderen zuviel zugemutet wird – zum Beziehungsabbruch führen. Gleichgültigkeit und Beziehungsabbruch sind gefährlich.

Erneut verwenden wir einen Ausdruck aus der Welt der Psychotherapie: Eine gesunde Beziehung hält die Spannung zwischen polaren Positionen aus.

324 Jahre nach dem berühmten Toleranzedikt von Potsdam gilt es zu bedenken, dass Toleranz allein nicht der Goldstandard des Zusammenlebens sein kann. Falsch verstandene Toleranz vereinzelt. Das rechte Maß an Toleranz und Konfrontation ist unerlässlich für eine gelingende Partnerschaft. Das gilt sowohl für zwischenmenschliche als auch für zwischenstaatliche Beziehungen.

Leseanregungen:

1) Eckhard Roediger: Praxis der Schematherapie. Grundlagen – Anwendung – Perspektiven. Schattauer Verlag, Stuttgart 2009, hier insbesondere: S. 63 und S. 200

2) Potsdamer Toleranzedikt – Start
Am 324. Jahrestag der Verkündung des Ediktes von Potsdam gründet sich in der Französischen Kirche Potsdam dieser Verein. Er betrachtet als seine Zielsetzung, die Ergebnisse des Potsdamer Toleranzediktes des Jahres 2008 aktiv fortzuführen. „Der Verein setzt sich ein für die Förderung von Toleranz, Meinungsfreiheit und Demokratie im Sinne einer offenen und toleranten Stadt der Bürgerschaft“. Ziel ist es, das zivilgesellschaftliche Engagement im Sinne einer Stadt der Bürgerschaft anzuregen und zu fördern. Die stadtweite Toleranzdiskussion soll hierbei konkret durch Unterstützung bestehender Projekte, Bündnisse, Gruppen, Vereine, Aktivitäten und Ideen aufgegriffen und fortgeführt werden.

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