Seit vielen Jahren lebe ich in der Nähe des Kottbusser Tores. Und eigentlich ärgere ich mich, wenn wieder einmal behauptet wird, das Leben dort sei „perspektivlos“. Nein, das Gegenteil ist richtig! Nehmen wir nur das Prinzenbad! Wo sonst gibt es ein so tolles Schwimmbad, in dem sogar das Badewasser vorgewärmt wird?
Da sich kaum etwas verschlechtert hat und das meiste gleich geblieben ist, kann man sagen: Die Perspektive ist da – es geht so weiter wie bisher. Wieder einmal steckt der Staat zusätzliche 40 Millionen Euro in den Bezirk, auf dass es so bleibe, wie es ist! Und da wir alle Gewohnheitstiere sind, fühlen wir uns da wohl, wo alles bleibt, wie es ist. Der Tagesspiegel schreibt heute:
Leben am Kottbusser Tor – perspektivlos wie immer
Die Außensicht auf den Kotti entspreche nicht dem Lebensgefühl der Menschen, die hier wohnen, sagt Atrache- Younes. Bei einer Befragung hätten 90 Prozent der Anwohner angegeben, sie fühlten sich wohl im Kiez. Viele Einwanderer haben sich hier ihr Zuhause eingerichtet, ein Stück Heimatgefühl nach Deutschland geholt. Das könne sie durchaus nachvollziehen, sagt Atrache-Younes, die aus Syrien stammt.
Wer schnöde und kalt das Leben am Kotti perpektivlos nennt, beweist auch seine Ignoranz gegenüber den Herkunftsländern. Denn der deutsche Sozialstaat bietet genau das: eine Dauerperspektive über mehrere Generationen hinweg.
Ich wette: Allen, die hierherziehen, geht es in Deutschland weit besser als etwa in Syrien, Libanon oder Türkei. Es gibt hier in Berlin geschlossene arabisch- oder türkischsprachige Wohngegenden. Und auf Almosen ist man bei uns nicht angewiesen, denn der deutsche Sozialstaat sorgt in vorbildlicher und verlässlicher Weise dafür, dass es zu keiner echten Armut kommt, wie sie die Menschen in Syrien, Libanon oder der Türkei zu gewärtigen hätten. Im Gegenteil: Durch Segnungen wie etwa „Quartiersmanagement“ oder „Die soziale Stadt“ wird den Vätern und Müttern immer mehr Erziehungs- und Bildungsarbeit abgenommen, die Zuwanderer können sich ganz auf die staatliche gewährte Dauerperspektive verlassen. Echte Anstrengungen werden nicht von ihnen verlangt.
Kenan Kolat MdB sprach einmal von der üblichen Netzwerk-Migration (dieses Blog zitierte ihn am 13.10.2009): Eines Tages beschließen die Dorfältesten, etwa in Anatolien, dass ein ganzes Dorf nach Deutschland übersiedelt. Gesagt – getan! Den ganzen Papierkram erledigen bezahlte Profis, die Investition hat man schon nach wenigen Monaten wieder hereingeholt.
In Deutschland wartet eine ganze Batterie von Sozialämtern, Helfern, Assistenten, Betreuern und Landsleuten. Niemand ist auf sich allein gestellt, jeder wird mit offenen Armen empfangen und ins Netz eingeführt. Niemand braucht Deutsch zu lernen. Materielle Not gehört der Vergangenheit an. Erwartungen, dass man irgendwann einmal den Lebensunterhalt durch Arbeit verdienen soll, werden nicht gestellt.
Das ist die Perspektive. Es ist eine Dauerperspektive! Um sie zu erhalten, ergießt sich immer wieder ein warmer Geldregen auf diese Gebiete wie etwa den Kotti. Von diesem Geldregen profitieren Wohnungsbauunternehmen, Sozialprofis, Händler und Helfer. Da es so stetig vorwärtsgeht, kommen auch neue Zuwanderer nach Deutschland, die im Heimatland keine Dauerperspektive erarbeiten könnten und auf Almosen angewiesen wären. Hierfür schlage ich in Anlehnung an Kenan Kolats Ausdruck „Netzwerkmigration“ den Ausdruck „Trichtermigration“ vor.
Unter „Trichtermigration“ verstehen wir die Sogwirkung, die in Städten wie Berlin durch die sozialstaatliche Daseinsvorsorge ausgeübt wird. Dieser Sog wirkt in die unterentwickelten Gegenden anderer Länder hinein und erfasst jene Menschen, die dort keinerlei Zugang zum Arbeits- und Heiratsmarkt haben.
Intensive staatliche Fürsorge, finanzielle Bevorteilung der „benachteiligten“ Stadtquartiere verstärkt die Sogwirkung des Trichters. Das Ergebnis: Der „Trichter“ zieht von außen neue Menschen an, die dann die geschlossenen Siedlungsgebiete der einzelnen Volksgruppen verstärken. Es wird mit sozialstaatlicher Hilfe „eine zweite Heimat“ geschaffen, in der ein weitgehend anstrengungsloses Leben möglicht ist: ein nahezu paradiesischer Zustand, den man auf keinen Fall perspektivlos nennen sollte!
Die Menschen, die seit längerem hier wohnen, versuchen, sobald sie sich den geschlossenen ethnischen Gebieten nicht mehr zugehörig fühlen, den Trichter zu verlassen. Sie ziehen vom Kotti oder überhaupt aus Kreuzberg weg. Es ist ihnen – zu paradiesisch.
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