Habt ihr gemerkt? Ich widersprach im vorigen Eintrag Rifkins Selbstdeutung. Er scheint nämlich der Meinung zu sein, seine empathy sei dem Wesen nach eine Neuentdeckung. Alle Vorläufer hätten das nicht zu fassen vermocht, was er fasst:
Jeremy Rifkin: Die empathische Zivilisation: Mir ist so ganz empathisch wohl – Sachbuch – Feuilleton – FAZ.NET
So wichtig alle diese Vordenker seiner zentralen Aussage auch seien, ist die Menschheit doch erst mit dem Erscheinen des Wortes „Empathie“ auf den richtigen Weg gebracht. So wird von Rifkin mehrmals bemängelt, dass Autoren, die vor dem zwanzigsten Jahrhundert über Mitgefühl nachgedacht haben, gar nicht den passenden Terminus dazu hatten. Bei ihm ist das anders. Rifkin verfügt über das Konzept einer „empathischen Zivilisation“, wie der Titel seines neuen Buches lautet, und natürlich ist Empathie mehr als Moral und Ethik: „Empathisches Handeln erweitert den Geltungsbereich der Moral.“ Wie, das behält Rifkin für sich. „Empathie ist etwas, was wir gleichzeitig spüren und mit dem Verstand erfassen können.“
Ich vermag Rifkin hier in seinem Anspruch auf Urheberschaft nicht zu folgen. Die Werte des Erbarmens, des Mitfühlens, des Mitgehens, Mitleidens usw., die ziehen sich doch durch die gesamte europäische Geschichte als eine Art Leuchtspur. Nietzsche spricht immer wieder abschätzig und verächtlich von einer Kultur des Mitleidens, einer christlichen Kultur der Schwäche, die es zu überwinden gelte.
Aber genau diese Kultur des Mitleidens und der Schwäche ist ein Merkmal eines wesentlichen Teils der europäischen Kultur! Einsicht in die Schwäche, in das Leiden des anderen, öffnet den Blick für die eigene Schwäche. Es ist eine Grundlage für die Entstehung von Moral.
Das zeigt sich am Wort empathy selbst. Es ist griechischen Ursprungs. Rifkin verwendet es ungefähr so, wie Aristoteles von eleos spricht. Eleos ist das zugleich rationale und emotionale Mitgehen mit einem exemplarisch vorgeführten Leiden.
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