Freunde, diese ganze Bloggerei hier muss verblassen vor dem echten menschlichen Miteinander, dem direkten politischen Austausch von Angesicht zu Angesicht. Das habe ich gestern wieder einmal auf dem Stammtisch der CDU Friedrichshain-Kreuzberg im Glashaus erlebt. Politik entfaltet sich zunächst und zumeist in Stimme und Gestalt, in Blick und Wort. Deshalb ziehe ich in der Regel politische Versammlungen dem Forschen und Wühlen im Internet vor. Das Internet ist zwar eine notwendige Ergänzung des eigentlichen politischen Geschäfts. Der lebendige Austausch vor Ort darf und soll aber durch die virtuelle Sphäre nicht ersetzt werden. Wir brauchen die Stammtische, wir brauchen Menschen aus Fleisch und Blut in den Parlamenten und Regierungen. Wir brauchen politische Debatten auch ohne Fernsehen und ohne Internet.
„Die Reform des Steuersystems muss auf einen Bierdeckel passen!“, so sagte ein bunter Hund der Opposition vor Jahren. Gestern bekam ein anderer überall (außer in diesem Blog) eine Tracht Prügel, weil er irgendetwas von spätrömischer Dekadenz ausbreitete, was auf keinen Bierdeckel geschweige denn eine Kuhhaut passte.
„Ihr ‚Migranten‘ müsst euch zu Wort melden“, so schrieb ich gestern auf einen BIERDECKEL im schönen Restaurant GLASHAUS. Den Bierdeckel schob ich unauffällig einem Mit-Deutschen zu. Der Bierdeckel war mein gestriger Beitrag zur Reform der Integrationspolitik. „Melde Dich zu Wort“, flüsterte ich einer Mit-Deutschen zu, nachdem schon fünf Ohne-Deutsche lange und ausführlich geredet hatten. Dies waren gestern meine bescheidenen Beiträge zum Stammtisch über Integration, zu dem die CDU Friedrichshain-Kreuzberg geladen hatte.
Ort des Geschehens: das Glashaus, Linden- Ecke Ritterstraße. Referent: Burkard Dregger, den wir in diesem Blog bereits am 31.10.2009 vorgestellt hatten (bitte dort nachlesen). Unter der kundigen Leitung des Kreisvorsitzenden Kurt Wansner entfaltete sich eine sehr anregende, auf hohem Niveau geführte Diskussion.
Ich höre euch grummeln: „Mit-Deutsche„, „Ohne-Deutsche“ – was soll denn das? Verzeiht, damit meine ich Deutsche mit und Deutsche ohne Migrationshintergrund. Eine ach so wichtige, ach so folgenträchtige, ach so fundamentale Unterscheidung!
Ich selber bin jedoch der Meinung: Nach 6-12 Monaten in unserem Land ist man kein Migrant mehr. Man gehört dazu, hat Rechte und Pflichten eines Bürgers. Man bedarf dann keines Sonderstatus mehr. Keiner Sozialarbeiter, keiner Fördermaßnahmen. Wie gut gefiel es mir, als eine Mit-Deutsche gestern klagte: „Obwohl ich einen türkischen Namen habe, bin ich Deutsche. Ich bin hier aufgewachsen, studiere an der TU. Es kränkt mich, wenn ich immer mit dem Etikett Migrationshintergrund abgestempelt werde.“
Brauchen wir also überhaupt noch Integrationspolitik? Dregger legte sich und uns diese Frage vor. Manche CDU-Parteifreunde im schönen Wedding (Nähe Soldiner Straße) hätten ihm gegenüber diese Meinung vertreten. „Es hat doch alles nichts gebracht! Weg mit der Integrationspolitik!“ Dregger sondierte mit derartigen Ködern sozusagen das Terrain … er nahm uns, seinen Zuhörern, den Puls ab.
Äußerst geschickt stellte Dregger sich als Quereinsteiger, als Neuling dar, der den Vorteil des Unerfahrenen mit sich bringe. Er sei neugierig, habe viel gelesen und zugehört, wolle Meinungen und Erfahrungen in verschiedenen Bezirken auflesen und dann in ein Thesenpapier zusammentragen, das auf einem Sonderparteitag im Frühjahr 2010 vorgelegt werden solle. Na bitte, ein zuhörender, ein lernender Politiker – großartig!
Aber beim Zuhören blieb es nicht. Dregger führte doch recht klar aus, wie er sich gelingende Integration vorstellt. Er tat dies in einprägsamen, positiven, zur Zustimmung einladenden Formulierungen.
Dregger hob immer wieder den Gedanken der Werbung hervor. „Die bloße Einhaltung der Gesetze genügt nicht. Wir sollten alle, die bei uns leben, für unsere Ideale begeistern.“ Die Deutschen könnten stolz auf dieses freiheitliche System sein, in dem sie lebten. Es sei der beste denkbare vorläufige Endpunkt einer mehr als 2000 Jahre dauernden Entwicklung von den Hochkulturen der Antike, der Christianisierung Europas hin zu den Werten der Aufklärung, den bürgerlichen Revolutionen, der Erklärung der Menschenrechte, und letztlich zum Grundgesetz mit dem unübertroffenen Spitzensatz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und schützen ist Aufgabe aller staatlichen Gewalt.“
Ein Traum, den ich schon lange hegte, wurde gestern abend auf dem CDU-Stammtisch wahr! Endlich einmal steuerte eine Mit-Deutsche fundiert etwas zu den Herkunftsländern der Zuwanderer bei. Ich meine nämlich, man kann die Zuwanderer nur verstehen und integrieren, wenn man etwas weiß über die Länder, aus denen sie kommen. Dazu bin ich sehr neugierig auf die türkische Verfassung, auf das syrische, das libanesische Schulwesen, das ägyptische Parlament.
Die oben bereits erwähnte mit-deutsche Studentin – neben der ich zufällig saß – kontrastierte die türkische Verfassung mit dem deutschen Grundgesetz: „In der Türkei herrscht ein vollkommen anderes Staatsverständnis“, erklärte sie uns. „Nicht die Würde des Menschen steht an erster Stelle, sondern der Schutz des Staates.“
Zitieren wir doch wörtlich aus der Präambel der türkischen Verfassung:
Diese Verfassung, die die ewige Existenz des türkischen Vaterlandes und der türkischen Nation sowie die unteilbare Einheit des Großen Türkischen Staates zum Ausdruck bringt, wird, um entsprechend der Auffassung vom Nationalismus, wie sie Atatürk, der Gründer der Republik Türkei, der unsterbliche Führer und einzigartige Held, verkündet hat […]
Besonders aufmerksam lauschte ich gestern den türkischen Parteifreunden. (Araber oder Polen waren leider keine da). Sie berichteten vom häufigen Gefühl der Diskriminierung. Einer fragte, ob man nicht statt von Integration besser von Partizipation sprechen sollte. Wir hörten einander alle aufmerksam zu, jeder durfte etwas beisteuern.
Eine Sternstunde der politischen Debatte – klug moderiert und mit umfassendem Detailwissen bereichert von unserem Kreisvorsitzenden Kurt Wansner.
Meine persönliche Bilanz:
1) Der Abend im Glashaus brachte ein sehr gutes, in die Tiefe gehendes Gespräch. Der Grundansatz von Burkard Dregger scheint mir vollkommen richtig: selbstbewusstes Werben für unser Land, keine Vorwürfe gegenüber denen, die noch nicht ganz „angekommen“ sind in unserem Land, aber eben auch keine rückgratlose Verbeugung vor dem Wischi-Waschi der Allesversteher und denen, die sich dauerhaft und über Generationen hinweg auf Sozialleistungen verlassen. Die Integrationspolitik sieht sich in Berlin einer außerordentlich schwierigen, fast verfahrenen Situation gegenüber. Die Probleme werden größer, nicht kleiner. Vorbilder gelingenden Lebens sind wichtig, auch wenn sie vielerorts in der Minderzahl sind.
2) Persönlich bin ich mittlerweile zur Ansicht gelangt, dass wir alle – also der deutsche Staat – mehr Klarheit zeigen sollten gegenüber allen, die hierher kommen. Bitte mehr Kante zeigen! Wir müssen klar machen, dass die Menschen hier alle Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben haben, sehr viel mehr Freiheit haben, aber auch mehr Verantwortung tragen als in den Ländern, aus denen sie kommen. Der deutsche Sozialstaat kann in Übergangssituationen helfen, aber grundsätzlich sollte jeder Arbeitsfähige seinen Lebensunterhalt selbst erwerben.
3) Der Zugang zum Arbeitsmarkt muss erleichtert, der Zugang ins Sozialsystem muss deutlich erschwert werden! Deutschland kann nicht die sozialen Probleme der arbeitslosen Staatsangehörigen der Türkei, Syriens, Libanons, Rumäniens lösen. Diese Länder müssen selbst Lösungen für ihre Bevölkerung erarbeiten. Insgesamt wird – so meine ich – durch den deutschen Staat zu viel gefördert und zu wenig von den Zuwanderern gefordert.
4) Angst vor Überfremdung? Ja! Habe ich persönlich durchaus! Oder besser gesagt: Angst vor Verlust des kulturellen Zusammenhalts der in Deutschland nachwachsenden Generation. Wir haben in der Schulklasse meines Sohnes hier in Kreuzberg eine deutliche arabische Schülermehrheit, eine türkische Schülerminderheit – und einige ganz wenige nichtmuslimische Kinder. Und dies etwa 2 km vom Deutschen Bundestag entfernt. Ich habe das Gefühl, dass hier in Kreuzberg wirklich vollkommen getrennte Kulturen nebeneinander her existieren. Und mein Sohn – irgendwo dazwischen, zwischen der russischen, der deutschen, der türkischen und der arabischen Kultur.
Besondere Besorgnis erzeugt in mir das Gefühl, dass in ganz Deutschland die große deutsche Musik von Bach bis Brahms, die große deutsche Philosophie von Kant bis Heidegger und Wittgenstein, die große deutsche Literatur mit Goethe und vielen anderen nach und nach verlorengeht, ersetzt wird durch Spielkonsolen und Videogames, elektronische Medien. Die zehnjährigen Kinder gucken heute durchschnittlich 210 Minuten pro Tag fern! Was sehen sie da? Die Zukunft unseres Landes?
2 Responses to “Ihr ‚Migranten‘ müsst euch zu Wort melden”
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Ja, Löwe, sehr gut Ihr letzter Gedanke! Gerade die kopftuchtragenden Mädchen und jungen Frauen hier in Berlin sprechen meiner Erfahrung besser deutsch, sind am selbstbewusstesten. Das erfahre ich nun mal so. Das muslimische Kopftuch erlebe ich – so merkwürdig das klingt – als einen Akt der Rebellion gegen den linksangepasst-neoliberalen Zeitgeist. Auch meine Tante habe ich fast nur mit Kopftuch gesehen. Sie ist eine katholische Nonne in Bayern.
Beim letzten Satz kommen Sie (und ich) zu dem Punkt, an dem wir hilflos bleiben und jämmerlich scheitern.
Wir haben uns eine Unterhaltungsindustrie geschaffen, die den Geist und die Kraft der Nachkommen auffrisst.
So schaut es zumindest aus.
Der Verfall an Geist und Kraft (und Solidarität und Lust an realer Kommunikation und Vertrauen in die Realität, wie sie ist) – dieser Verfall ist wohl nicht aufzuhalten. Die Unterhaltungsindustrie arbeitet schon an der nächsten Generation von Verführern. Süchtig sollen die jungen Leute werden, süchtig nach den Unterhaltungswaren, hardware und software, immer noch süchtiger. Damit sie kaufen, kaufen, kaufen.
Klar, dass das Ungeheuer sich mittelfristig selbst zerstört, denn kaufen kann nur, wer gearbeitet und genug Geld verdient hat, und der Unterhaltungssüchtige arbeitet nicht so gut …
Die mir symathischte Erscheinung unter den jungen Leuten heute in Deutschland sind mir deshalb — die türkischen Kopftuchmädchen. Die schaffen es noch, etwas jenseits der Unterhaltungsmaschinerie selber zu machen, gemeinsam, engagiert, durch ihren Glauben gestärkt.