Feb 182011
 

„Wir vertrauen dem Menschen.“ In diesem Satz finde ich mich wieder. Und gerade weil ich dem Menschen vertraue, halte ich wenig davon, wenn Menschen ihr Tun und Lassen zu sehr von einer kollektiven Instanz abhängig machen, etwa von einem Staat, einer Partei, einem religiösen Lehrgebäude.

Ebensowenig halte ich von einer Kultur des umfassenden Misstrauens, wie sie etwa Walter Benjamin seinem Lob des destruktiven Charakters anstimmt.

Der japanische Sozialphilosoph Ken’ichi Mishima hat Benjamin in diesen Tagen ausführlich zitiert, als er den Ehrendoktor der Freien Universität Berlin erhielt. Jürgen Habermas hielt die Laudatio.

Lob des destruktiven Charakters – Berliner Zeitung
„Der destruktive Charakter hat das Bewußtsein des historischen Menschen, dessen Grundaffekt ein unbezwingliches Mißtrauen in den Gang der Dinge und die Bereitwilligkeit ist, mit der er jederzeit davon Notiz nimmt, daß alles schief gehen kann. Daher ist der destruktive Charakter die Zuverlässigkeit selbst. Der destruktive Charakter sieht nichts Dauerndes. Aber eben darum sieht er überall Wege. Wo andere auf Mauern oder Gebirge stoßen, auch da sieht er einen Weg. Weil er aber überall einen Weg sieht, hat er auch überall aus dem Weg zu räumen.“

Vertrauen in meinem Sinn bedeutet nicht, dass man nicht damit rechnen würde, dass auch etwas schiefgehen könnte. Selbstverständlich kann vieles schiefgehen. Vieles geht schief, wir scheitern, werden getrogen, wir leiden. Aber ich gehe davon aus, dass Menschen, wenn sie einander vertrauen, mehr Gutes als Falsches bewirken. Dieses Grundvertrauen in den Menschen kann, wenn es gehegt wird, alle Enttäuschungen und Kränkungen überstehen. Es wird dann nahezu unbezwinglich. Es wird zum Merkmal des konstruktiven Charakters. Der konstruktive Charakter sieht wenig Dauerndes, aber er bejaht den Wandel. Er sieht stets mehrere Wege und weiß, dass Wege selten alternativlos sind. In der Freiheit des Wählens werden die Berge des Misstrauens abgetragen und die Mauern des Verhinderns stürzen ein.

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