Apr 052011
 

„Wir leben im Kapitalismus. Kapitalismus funktioniert nur unter der Voraussetzung immerwährenden Wachstums.“ So höre und lese ich es im meinem tiefroten, leidenschaftlich linken Berlin-Kreuzberg immer wieder.

„Immerwährendes WACHSTUM“ als ehernes Gesetz? Behaupten die Marxistinnen, viele Sozialisten, Kapitalismuskritikerinnen und viele Politikerinnen bei Grünen, CDU, FDP, SPD und den Linken. Ich halte das für nachweislich falsch. Das gölte in Marktwirtschaften wie der unsrigen nur, wenn man nicht bereit wäre, Einbußen an Wohlstand und Umverteilungsmasse hinzunehmen. Schrumpfungen, relative Verarmung und Krisen gehören im Markt dazu, sie geschehen auch immer wieder, ohne den Markt zu zerstören. Man denke nur an Großbritannien in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als weite Teile der Bevölkerung massive reale Einkommensverluste erleiden mussten.

Entscheidend ist meines Erachtens: Unsere sozial eingehegte Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland ermöglicht – wie die Erfahrung lehrt – auf Dauer allen Bürgerinnen ein Leben in Menschenwürde und Freiheit – und seit Jahrzehnten und wohl weiterhin auf absehbare Zeit sogar frei von Armut, also in relativem Wohlstand. Es gibt keine Armut in Deutschland – eine gute Botschaft! Jeder hat ein Dach über dem Kopf, jeder hat genug zu essen, es herrscht Frieden, alle Kinder bekommen eine kostenlose Schulausbildung, alle Menschen bekommen eine gute medizinische Versorgung – und zwar alle hier wohnenden Bürgerinnen unabhängig von der Staatsangehörigkeit, unabhängig davon, ob sie arbeiten oder nicht arbeiten. Eine riesige Leistung!

Der riesige Schritt, den leider unsere allermeisten Politiker nicht bereit sind zu gehen, bestünde darin zu sagen: Wir können euch keinen gleichbleibenden Wohlstand garantieren. Ihr müsst euch den gewünschten Wohlstand Tag um Tag erarbeiten, für euch selbst, für die Gemeinschaft, für eure Kinder. Und selbst Wohlstandseinbußen sind kein Unglück! Wenn wir alle im Durchschnitt wieder so wenig Haushaltseinkommen wie in den 50er Jahren hätten, also etwa ein Viertel des heutigen Wertes, wäre dies kein echter Schaden für Leib und Leben!

Über die Jahrhunderte hin gab es immer wieder starke Bewegungen, die aus dem „Immer mehr“ ausstiegen. Ich denke da z.B. an die ökonomisch sehr erfolgreichen christlichen Klöster, an die Stadtrepubliken der frühen Neuzeit in den Niederlanden und der Schweiz (Den Haag, Genf), die den Bürgern Sparsamkeit und relative Armut in der Lebensführung aufzwangen.

Mancher mag auch an die Botschaft des Mannes aus Nazaret denken: „Verschenke alles, was du hast, den Armen.“ Der Mann aus Nazaret  meinte vermutlich: Es gibt Wichtigeres als irdischen Besitz. Beziehungsorientierte Werte wie Gemeinschaft, Gemeinde, Nächstenliebe, tätige Hinwendung zum anderen Menschen standen für ihn ganz oben. Darin sah er die Sinngebung irdischen Reichtums.

Teile der heutigen Grünen und der Autor Tim Jackson, Verfasser des Buches Prosperity without Growth, fügen sich in diesen jahrtausendealten Strom nahtlos ein. Auch Jackson fordert eine Abkehr vom Imperativ des wirtschaftlichen Wachstums, um bleibenden, also geistigen Wohlstand im Sinne eines werte- und beziehungsorientierten Miteinander zu erreichen:

Prosperity Without Growth by Tim Jackson | Book review | Books | The Guardian
The last chapter of the book looks at opportunities for achieving „a lasting prosperity“. They are many and varied, and most of them – unsurprisingly – start from the grassroots.They are many and varied, and most of them – unsurprisingly – start from the grassroots. High on the list is the need for us all to consume less „stuff“ and to seek a type of prosperity outside the conventional trappings of affluence: within relationships, family, community and the meaning of our lives and vocations in a functional society that places value on the future.

 Posted by at 11:24

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