Zu den zwei oder drei beliebtesten Ländern auf der Welt zählt mittlerweile die Bundesrepublik Deutschland. Das haben Umfragen der BBC ergeben. Was mag die Ursache dafür sein? Der britische Europäer Timothy Garton Ash versucht eine Antwort:
„Tatsachen sind subversiv“ – Timothy Garton Ash „Jahrhundertwende | Büchermarkt | Deutschlandfunk
Deutschland ist Weltmeister in Geschichtsaufarbeitung. In Vergangenheitsbewältigung.
Wie recht er doch hat! Wir sind Weltmeister. Und wir werden uns unsere Singularität nicht nehmen lassen. Da geht uns Deutschland wirklich über alles. Erst gestern kam mir dieser Singularitätsanspruch der Deutschen wieder in den Sinn. Seine Grundformel lautet: „Was wir Deutschen über all die Jahrhunderte hinweg verbrechen und verbrochen haben, ist ohnegleichen. Niemand kann uns auch nur im entferntesten das Wasser reichen! Was bei uns stattfand und stattfindet, ist ohnegleichen. Wir sind die Bösesten.“
Im herrlichen Indian Summer führte mich gestern ein Spaziergang durch den Berliner Tiergarten. Eine Metallplatte bannte unversehens meine Aufmerksamkeit: „Im nationalsozialistischen Deutschland fand eine Homosexuellen-Verfolgung ohne gleichen in der Geschichte statt.“
Da ist er wieder! Dieser Absolutheitsanspruch, in Erz gehämmert, gebrannt, gestochen und gegosssen, untermauert und zusätzlich hervorgehoben durch das bewusst falsch geschriebene „ohne gleichen“!
Ja, ja, wir sind wirklich die Besten! Die einzige Schwierigkeit besteht darin, dass Einzigartigkeitsansprüche miteinander zusammenprallen können. So wird beispielsweise immer wieder die Einzigartigkeit des Holocaust, also des Massenmordes an den europäischen Juden wiederholt. Wer diese Einzigartigkeit auch nur mit einer einzigen Silbe in Frage stellt, riskiert in Deutschland seine wissenschaftliche und politische Karriere. Zwar wird er nicht gleich vor ein Strafgericht gestellt oder ins Gefängnis geworfen. Denn die Leugnung der Einzigartigkeit des Holocaust und der Einzigartigkeit der deutschen Verbrechen ist noch kein strafbewehrtes Meinungs-Verbrechen, wie es etwa die „Herabsetzung des türkischen Staates“ in der Türkei ist. Aber sie kratzt eben doch am hart erkämpften Mythos der Unbesiegbarkeit der deutschen Schuldkultur und letztlich am BBC-Sympathieindex der Deutschen insgesamt. Die Einzigartigkeitsinfragestellung ist der Dolchstoß in den Rücken der deutschen Selbstentwertung und der sympathieerweckenden Selbstanklage!
Dazu ist es in Deutschland ratsam, die staatlichen Massenmorde anderer Nationen, aber auch die Verbrechen, die an anderen Opfergruppen der Nazis außerhalb des Holocaust und alle Verbrechen, die durch nichtdeutsche Täter begangen wurden, bewusst zu verschweigen. Wir sollten uns unseren Weltmeisterstatus nicht durch irgendwelche GULAGs, kambodschanische Killing fields, sowjetische Katyns oder Holodomors, NKWDs, Lubjankas, sowjetisch-russische Angriffskriege, französische Kollaborateure, italienisches Giftgas oder belgische Kolonialgräuel streitig machen lassen. So ist man stets auf der sicheren Seite!
Seht ihr jetzt, auf wie gefährlichem Grund diese offizielle Gedenktafel am Homosexuellen-Mahnmal in Berlin-Tiergarten steht, direkt gegenüber dem Holocaust-Mahnmal? Es könnte doch sein, dass Kritiker und Beckmesser an dieser merkwürdigen Wendung „ohne gleichen“ Anstoß nehmen. Ich empfehle deshalb höchst vorsorglich – wie die Juristen sagen – folgenden Zusatz: „Der vorstehende Satz ist nicht so zu verstehen, als sollte damit die Einzigartigkeit des Holocaust (siehe Mahnmal gegenüber) geleugnet oder in Frage gestellt werden. Vielmehr geht es darum, die weltweite deutsche Spitzenstellung bei ganz unterschiedlichen Massenverbrechen gegenüber unterschiedlichen Opfergruppen zu bekräftigen.“
So ist es – wie ich meine – juristisch und politisch wasserdicht. Und wir bleiben doch Weltmeister!
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