Jul 012013
 

2013-06-15 13.55.46

http://www.latimes.com/local/lanow/la-me-ln-wendy-davis-took-on-texas-bullies-on-abortion-and-won-20130626,0,5588133.story

http://www.spiegel.de/panorama/wendy-davis-aus-texas-laufschuhe-werden-zum-verkaufsschlager-a-908481.html

Großer, riesiger Erfolg für Wendy Davis, eine Abgeordnete der Minderheitenfraktion der Demokratischen Partei im texanischen Senat! Die rosaroten Laufschuhe, die sie bei ihrem Redemarathon, dem berühmten amerikanischen Filibuster trug, sind der Renner bei Amazon! Die Presse ist begeistert, der deutsche SPIEGEL stimmt mit Pauken und Trompeten, mit Bilderstrecken und Lobesergüssen in den Jubel ein. Auch  der amerikanische Präsident beglückwünscht seine Parteifreundin zu ihrem heroischen Akt, durch den sie verhinderte, dass die republikanische Mehrheit der Abgeordneten einige Einschränkungen beim Recht der Frau auf sichere, gesunde und selbstbestimmte Abtreibung durchgesetzt hätten.

Finster dreinblickende Frauen, die Frauen aus der Mehrheitspartei, der republikanischen Partei, die Abtreibungsgegnerinnen, standen hinter dem Gesetzentwurf. So zeigte sie der SPIEGEL. Fröhlich befreit jubelnde Männer, die Abtreibungsbefürworter, erhoben laut ihre Stimme und fuchtelten mit den Armen von der Zuschauertribüne herab, nachdem der Gesetzentwurf gescheitert war.

Schauen wir uns den Triumph der jubelnden Massen genauer an – vergleichen wir die geplante, aber durch Wendy Davis‘ heroischen Filibuster verhinderte  Einengung des Rechts der Frau auf gesunde, sichere und selbstbestimmte Abtreibung mit unserer Lage in Deutschland!  Das versuchte die Mehrheitsfraktion der Republikaner durch die Gesetzesvorlage durchzusetzen:

1) Eine Abtreibung des Fötus nach der 20. Woche (=etwa 5 Monate alter Fötus)  nach der Befruchtung wäre in Texas grundsätzlich verboten worden; nur bei akuter Gefahr für das Leben der werdenden Mutter wäre sie weiterhin erlaubt gewesen. Grundsätzlich gilt laut US-Bundesrecht, dass die Abtreibung bis zur Überlebensfähigkeit des Fötus außerhalb des Uterus („viability“) erlaubt ist. Nach deutschem Sprachgebrauch ging es also in Texas um die sogenannten Spätabtreibungen, wie sie etwa in China millionenfach gang und gäbe sind – es sind die Fälle, bei denen manchmal die Ärzte dann einen lebendigen Fötus auf dem OP-Tisch haben und nicht so recht wissen, wie sie mit ihm umgehen sollen. Er ist ja an der frischen Luft nur wenige Minuten lebensfähig.

Vergleich mit Deutschland: Mit dieser Gesetzesänderung wäre die Rechtslage in Texas etwas strenger als bisher in den meisten US-Staaten, aber noch bei weitem nicht  so streng wie in Deutschland geworden. In Deutschland ist bekanntlich die Abtreibung des Embryos nur bis zur 12. Woche (etwa 3 Monate)  der Schwangerschaft bei Einhaltung gewisser Beratungspflichten  straffrei und danach nur bei akuter Gefahr für das Leben der Frau zulässig. Das deutsche Recht erkennt auch dem ungeborenen menschlichen Leben grundsätzlich eine gewisse Schutzwürdigkeit zu.

2) Der Schwangerschaftsabbruch hätte nur noch in medizinischen Einrichtungen durchgeführt werden dürfen, die als Tagesklinik ausgestattet gewesen wären, nicht hingegen in rein ambulanten Praxen von niedergelassenen Ärzten.

Vergleich mit Deutschland: Der Eingriff gilt in Deutschland innerhalb der ersten drei Monate in medizinischer Sicht als unproblematisch, etwa 100.000 Abbrüche werden pro Jahr ganz überwiegend ambulant durchgeführt. Von diesen sind etwa 3% durch akute medizinische oder durch kriminologische Notlagen, also durch die Schwangerschaft als Ergebnis einer Vergewaltigung, bedingt.

Wie mag ein Fötus in der 20. oder 24. Schwangerschaftswoche die Abtreibung wohl empfinden? Zwar lernen die Winzlinge bereits in diesem Alter den Klang der mütterlichen Stimme kennen, sie erkennen den mütterlichen Herzschlag, sie reagieren auf seelische Erschütterungen der Mutter. Bewegende Zeugnisse dieser vorgeburtlichen Empfindungsfähigkeit haben mir schwangere Mütter immer wieder berichtet. Sie erleben das Kind bereits vor der Geburt als eine Art inneres Gegenüber, als ein menschliches Wesen, das irgendwie das Leben der Mutter sanft oder auch gewaltsam zu verwandeln beginnt. Durch die Abtreibung wird diese menschliche Beziehung jäh unterbrochen.

Ich persönlich habe das Gefühl, dieses zarte beginnende menschliche Leben verdient Schutz und Hege. So hat es – wie ich meine zu Recht – der deutsche Gesetzgeber auch damals bei der bitter umkämpften Neufassung des § 218 ausdrücklich niedergelegt.

In den USA steht dagegen das Recht der Frau auf ein selbstbestimmtes Leben deutlich vorne. Keine Frau soll Mutter werden, ohne dies zu wollen. Der Wille der Frau entscheidet. Das Recht der Frau auf ein selbstbestimmtes Leben, die absolute Herrschaft über den eigenen Körper behält die Oberhand über dem unerwünschten Leben des menschlichen Winzlings, der zur falschen Zeit am falschen Ort kommt. So legen es die Abtreibungsbefürworter immer wieder dar. Sie verneinen, dass dem menschlichen Leben aus sich heraus grundsätzliche Schutzbedürftigkeit zukomme. Niemand soll der Frau dreinreden, was sie mit ihrem Körper macht, schon gar kein Mann!

Aber wir müssen wieder einmal erkennen, dass moralische Vorstellungen von Land zu Land unterschiedlich  sind. Das zeigt sich etwa im Waffenrecht der USA. Es zeigt sich aber auch im Recht der Frau auf Abtreibung.

Vor wenigen Tagen, genau an dem Tag, als ich gerade von den Heldentaten der demokratischen Abgeordneten Wendy Davis mit den rosaroten Sneakern, die der Renner bei Amazon sind,  gelesen hatte,  hupte mich ein wütender Autofahrer an, weil ich beim Überqueren der Fahrbahn  für ihn nicht schnell genug die Straße räumte. Fast hätte ich ihn, der über sicherlich 140 PS verfügte,  gezwungen, sein Fahrzeug abzubremsen. Ich, der radelnde Winzling stand ihm sozusagen im Weg. Vielleicht hatte er ja eine eilige Besorgung? Ich hinderte ihn gewissermaßen daran, seine Pläne und Vorhaben zügig und straff durchzuführen.

Dennoch durfte ich mich darauf verlassen, dass der Autofahrer im Notfall abgebremst hätte. Obwohl ich der deutlich, der unvergleichlich Schwächere war, obwohl ich zur falschen Zeit am falschen Ort war, hätte er mit größter Wahrscheinlichkeit  mein Leben verschont. Er hätte die Schutzbedürftigkeit des trödelnden Radfahrers sicherlich anerkannt, zumal ja so ein Unfall mit einem Fußgänger oder Radfahrer immer mit vielen Scherereien – Schäden am Kotflügel, Polizeiärger, Versicherungen, Gerichtsverhandlung – verbunden ist.

Ich atmete erleichtert auf: Wie froh dürfen wir doch sein, dass unsere Rechtsordnung allen Menschen von Geburt an ein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zuerkennt! Ein Unbehagen bleibt dennoch: Was macht das mit einer Gesellschaft, wenn das Erreichen der Geburt so eindeutig an die Zustimmung der Mutter gebunden ist? Erscheint es dann nicht so, als „verdankten“ wir wie alle anderen Kinder letztlich dem Willen der Erwachsenen, dass wir geboren werden durften? Entsteht dann nicht der Eindruck, als lebten wir alle sozusagen von Gnaden unserer Mütter?

Diese Gedanken schossen mir bei dem und kurz nach dem Beinahe-Unfall durch den Kopf. Ich konnte ab da dem Erfolg des heroischen Filibusters keinen Jubel abgewinnen. Im Gegenteil. Der Jubel erstickt einem sozusagen im Halse.

Bild: Hier stand einmal ein Baum. 13.06.2013, Kreuzberg, Großbeerenstraße

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