Jun 242013
 

2013-06-22 09.32.30

„Auf den sollt ihr hören!“ Mit dieser zeigenden Haltung prägte sich mir von frühester Kindheit an das Bild Johannes des Täufers ein, dessen Tag wir heute begehen und auf dessen Namen ich selbst auch getauft wurde. Theodor W. Adorno und Max Horkheimer dachten in einem Fragment der Dialektik der Aufklärung darüber nach, weshalb nicht Johannes der Täufer, der ältere der beiden Cousins, der ältere der beiden Milchbrüder, sondern der jüngere Jesus von Nazareth zum Urquell einer neuen Religion werden konnte. Horkheimer und Adorno bieten keine wirklich befriedigende Antwort an und gestehen dies auch offen ein. Eine Antwort könnte darin liegen: Johannes und Jesus haben es ausgehandelt, sie haben es in einem gemeinsamen Gespräch herausgefunden, indem sie beide in sich hineinhörten. Und beide wollten einander den Vortritt lassen, bis schließlich Johannes einlenkte. Matthäus schreibt: „Da gab Johannes nach“ und taufte Jesus.

Hier irren also meines Erachtens jene, die in Johannes nur den starrsinnigen Aussteiger, den kompromisslosen Rechthaber, den verrückten Öko-Aktivisten erkennen wollen; diese häufig gezeigte, oft verspottete  Kompromisslosigkeit scheint zwar ein Wesenszug Johannes des Täufers gewesen zu sein. Doch hat er sich immerhin gegenüber Jesus auf diesen einen großen, gewaltfrei ausgehandelten  Kompromiss eingelassen.  Jesus selbst wiederum scheint sich endgültig seiner Berufung erst sehr spät bewusst geworden zu sein, denn wie sonst wäre zu erklären, dass er immer wieder fragte: „Für wen halten mich die Menschen?“ Jesu Taufe am Jordan muss im Rückblick als ein Schlüsselerlebnis gedeutet worden sein.

„Auf den sollt ihr hören!“ Das ist die Zeigehaltung des Johannes, der hinter dem Jüngeren, dem später Geborenen zurücktritt und sagt: „Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er vor mir war.“

Beide Milchgeschwister traten mutig, unerschrocken und vollkommen gewaltlos für das ein, woran sie glaubten. Johannes predigte den bescheidenen, von Verzicht und tätiger Hingabe geprägten Lebensstil, während Jesus vielfach den Sinnengenuss – etwa im Wein, im Brot und im Salböl – pries. Johannes, der sich von wildem Honig und Heuschrecken ernährte, kann in vielerlei Hinsicht als fortzeugender Urvater der Ökobewegung  unserer Tage gelten. Er lebte in fair erzeugter Kleidung, lebte in biodynamischer Ernährung und im gesamten Lebensstil den Gedanken der Nachhaltigkeit vor. Er war aber auch ein großer Unzeitgemäßer, denn er verlangte auch von Königen und Königinnen eheliche Treue und widersetzte sich der postmodernen Beliebigkeit seiner Tage. Während der Zeitgeist damals so wehte, dass alle Lebensformen gleichermaßen unterstützenswert und achtenswert seien, vertrat Johannes die Besinnung auf Geist und Wortlaut der zehn Gebote, die damals – vor 2000 Jahren also – offenbar bereits bei der Menge als ebenso hoffnungslos veraltet, als ebenso miefig und verzopft galten wie bei uns auch.

Beide – Johannes wie Jesus – starben eines gewaltsamen Todes, obwohl oder weil sie doch so unerschrocken die Gewaltlosigkeit, den Verzicht auf das Schwert gepredigt und vorgelebt hatten.

Für mich ist der Aufruf zur Gewaltlosigkeit, der Verzicht auf die Waffe zur Durchsetzung eigener Macht- und Besitzansprüche, das Eintreten für gewaltfreie Kommunikation fundamental. Das geht für mich bis ins Politische hinein. Nur diejenigen politischen Bewegungen halte ich für unterstützenswert, die den politischen Wandel im Inneren der Länder durch Gewaltlosigkeit, durch den Verzicht auf körperlichen Zwang und den Verzicht auf entwürdigende sprachliche Hetze bewirken.

Einen späten Reflex dieses mutigen Eintretens für Gewaltfreiheit erblicke ich im Duran Adam, wie der Türke sagt, im unerschrockenen Adam, unerschütterlichen, im gewaltfreien Adam, stummen und doch beredten Eintreten für das, woran man glaubt.

Quellenangaben:

Max Horkheimer und Theodor W. Adorno: „Verwandlung der Idee in Herrschaft“. In: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1969, S.  189-192 et passim, hier bsd. S. 190

Neue Jerusalemer Bibel. Einheitsübersetzung mit dem Kommentar der Jerusalemer Bibel. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2007, hier bsd. S. 1381 (Mt 3,13-17) et passim

Guillaume Perrier:  Les opposants turcs choisissent l’arme de la non-violence.  Les manifestations d'“hommes immobiles“ se multiplient depuis l’évacuation de la place Taksim. Le Monde, 23-24 juin 2013, S. 3

http://www.lemonde.fr/europe/article/2013/06/22/les-opposants-turcs-choisissent-l-arme-de-la-non-violence_3434812_3214.html?xtmc=taksim&xtcr=2

Bildlegende:
Duran Adam. Stumm dastehende Zeugen der gewaltfreien Kommunikation. Ein Gruppenfoto vom linken Nebenportal der Liebfrauenkathedrale in Paris. Von links nach rechts: Maria, Jesus, Johannes der Täufer, Stefan, Genoveva, Silvester. Schnappschuss vom 23.06.2013

 

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