„À quoi tenons-nous?“/“Worauf legen wir Wert?“ Dies ist das Grundthema eines Gesprächs zwischen Bruno Latour und einigen Fragenden:
Les Matins de France Culture – Bruno Latour
http://www.youtube.com/watch?v=QhVlku1NmaY
Latour lässt sich auf zahlreiche Anfragen, auf mehrfache Unterstellungen, Angriffe und Herausforderungen ein.
„Sie haben das und das gesagt. Wenn Sie das und das sagen, sind Sie kein Freund der Moderne! Sie sind ein Feind der Moderne, Herr Latour!“
„Wenn Sie das sagen, sind Sie kein Freund der Wissenschaft und der Institutionen, Sie sind ein Dekonstruktivist!“
So lauten dem Sinne nach wiedergegeben die Unterstellungen der Gegenseite.
Der Philosoph antwortet – sinngemäß wiedergegeben – mehrfach auf diese Unterstellungen mit:
„Nein, das bin ich nicht. Weder bin ich ein Feind der Moderne und der Institutionen, noch bin ich ein Feind der Vernunft und Wissenschaft, der allerhöchsten Kraft! Die Frage ist vielmehr: À quoi tenons-nous?“
Mehrfach kommt es zu dieser ringenden Denkbewegung zwischen den Fragestellern und dem vermeintlich in die Enge getriebenen Philosophen.
In der Tat, Freunde! Lasst uns doch die Frage stellen: À quoi tenons-nous? Worauf legen wir Wert? Ist dies die alles entscheidende Frage? Worein setzen wir unser Vertrauen? Was trägt uns, was hält uns noch? Was trägt uns, was hält uns wieder?
Worauf legen wir am meisten Wert? Sind’s die Demokratie und die Politik? Oder sind Verstand und Wissenschaft des Menschen allerhöchste Kraft, die man nie verachten darf? Sind es die geheiligten Institutionen, also etwa die Bundesbank und die Geldwertstabilität, an die ja angeblich alle Deutschen glauben, oder ist es der Euro, oder ist es die Auflösung des Euro, ist’s die Familie oder die Auflösung der Familie, ist es die Gleichberechtigung zwischen Mann und Weib, ist es die Überwindung des Unterschiedes zwischen Mann und Weib, ist es die Überzeugung von der Heiligkeit des Lebens oder die Abschaffung des Gedankens der Heiligkeit des Lebens? Ist nicht vielmehr der Klimaschutz heute der alles überragende Imperativ des menschlichen Handelns, neben dem Fragen von Krieg und Frieden, von Recht und Unrecht, von Mann und Weib und Kind verblassen müssen? Ist wirklich der Klimaschutz, die Klimapolitik die alles entscheidende Frage und das höchste Gebot? Oder ist nicht vielmehr die Rettung oder auch die Auflösung des Euros die alles entscheidende Frage?
Was ist das höchste Gebot des Handelns?
Sind wir steckengeblieben? Im stammelnden, tastenden Fragen, im zweifelnden Ringen ergibt sich eine Fülle an Einsichten aus diesem Gespräch, für das wir dankbar sein dürfen!
Wir fragen in der Tat immer erneut: Welches ist heute und hier die alles entscheidende Frage: À quoi tenons-nous? Worauf legen wir, wir reichen, klugen, erfahrungsgesättigten, hochgebildeten, mehrsprachigen Erwachsene Wert?
Darf man die Frage umdeuten in:
„À quoi tiens-tu?“ Worauf legst du Wert? Woran möchtest du denn glauben, du einfältiges Kind?
Latour schreibt in einem 2011 auf Deutsch erschienenen Buch:
„Einerseits hat man den Eindruck, dass alles verspielt ist, alles verloren, alles zu Ende; andererseits, daß noch nichts wirklich begonnen hat. Einerseits liegt man zerschmettert und stumm hingestreckt, die Zunge gelähmt von der Ungeheuerlichkeit der Aufgabe, der Antiquiertheit der Texte, der schwindelerregenden Anhäufung von Glossen, des Umfangs der Verbrechen – andererseits möchte man daherplappern wie ein Kind, als wäre es das erste Mal, daß eine etablierte Sprache zur Rede wird.“
Quellennachweise:
Les Matins de France Culture – Bruno Latour. Fernsehsendung vom 18.09.2012
http://www.youtube.com/watch?v=QhVlku1NmaY
Bruno Latour: Jubilieren. Über religiöse Rede. Aus dem Französischen von Achim Russer. Erste Auflage, Suhrkamp Verlag Berlin 2011, S. 244
Bild:
Ein in der überschwemmmten Landstraße steckengebliebener LKW bei Mühldorf/Niederbayern. Aufnahme des Bloggers vom 03.06.2013
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