Spannendes Überfliegen der heutigen Süddeutschen (München), der heutigen Monde (Paris), der heutigen New York Times über die Ereignisse der letzten Woche!
Die New York Times geht hinein in die Stadtränder, die Massenquartiere, z.B. Vaulx-en-Velin bei Lyon. Die Mehrheit dort fühlt sich nicht einbezogen, nicht angesprochen, nicht gemeint vom offiziellen Frankreich. Die Sympathien der jungen Französinnen und Franzosen, die im Artikel auf S. 4 zitiert werden, liegen teils auf Seiten der Ermordeten, teils aber auch auf Seiten der Täter.
In der Süddeutschen erkennt Joschka Fischer auf S. 2, welch tiefer Riss sich zwischen den drei größten Volkswirtschaften der Euro-Zone auftut. Er erkennt, dass der Unmut etwa der Italiener sich nicht nur gegen die „Austerity“ (also die Einhaltung der EU-Verträge) richtet, sondern zunehmend gegen das ganze Währungssystem und folglich auch gegen die gesamte EU. Fischer wiederholt das endlose Mantra der Regierenden, die bisher nirgendwo bewiesene Behauptung, kein einziges Problem, vor dem Europa stehe, sei allein und national besser zu lösen als innerhalb der EU. Warum sollen wir das glauben, Herr Fischer? Bedenken Sie: Die EU, namentlich die Eurozone steht doch insgesamt derzeit schlechter da als einzelne Staaten, die salopp gesagt ihr eigenes Ding machen wie etwa das clevere Luxemburg (der absolute Einkommens-Überflieger in der EU – wie machen die das?), die clevere Schweiz, Singapur, die stolzen USA oder das reiche Norwegen.
„L’union nationale, jusqu’à quand?“ In der Monde fällt auf, wie stark das offizielle Frankreich auf der Einheit der Nation pocht, wie sehr die republikanischen Werte beschworen werden. „Wir sind doch alle Franzosen, der französische Staat schützt jeden einzelnen seiner Bürger – unabhängig von Rasse, Religion, Hautfarbe und Herkunft“, so lassen sich die Äußerungen zusammenfassen. Aber auf S. 5 erwähnt das Blatt auch, dass die Zeitschrift Charlie Hebdo seit 1992 48 Mal vor Gericht verklagt und neun Mal verurteilt worden ist, hauptsächlich wegen „Verleumdung“. Vor französischen Gerichten! Auffallend, dass fast nirgendwo in der französischen Debatte ein Bezug auf andere EU-Länder genommen wird!
Kurz: Die drei genannten Zeitungen bieten heute wie so oft einen Beleg für das ganz unterschiedliche Meinungsbild in Frankreich, Deutschland und den USA. Diese Vielfalt ist spannend, sie lässt die Eigenarten der Nationen schroff und unverbrämt hervortreten: zunächst einmal das pathetische, typisch deutsche Bekenntnis eines Joschka Fischer zu europäischen Werten, die unrealistische, nur in Deutschland verbreitete Einschätzung, dass die Nationen eine Sache der Vergangenheit seien und dass die Zukunft den großen überstaatlichen Machtverbünden gehöre – dann das gespaltene gesellschaftliche Bewusstsein der französischen Nation, die immer wieder den Zusammenhalt beschwört – und schließlich der realistische, ernüchterte Blick der USA auf tatsächliche Verwerfungen in den heterogenen, multikulturellen und multireligiösen Gesellschaften der heutigen Einwanderungsländer.
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