Auf dreierlei konnten wir gemeinen Bürger uns in dem hinter uns liegenden Bundestagswahlkampf verlassen: zum einen auf eine entschlossene Vermeidungshaltung der sich selbst als solche bezeichnenden „demokratischen“ Parteien gegenüber den wirklich drängenden Themen Europas und der Europäischen Union, zum anderen auf eine angewiderte, angeekelte, fast schon hasserfüllte Haltung der sich selbst als solche bezeichnenden „demokratischen“ Parteien gegenüber dem von den „demokratischen Parteien“ als solchem bezeichneten „Rechtspopulismus“ und den Wählern der „Rechtspopulisten“; die demokratischen Parteien standen in dieser Frage zumindest in geschlossen abwehrbereiter Front zusammen; zum dritten schließlich auf eine nicht minder angewiderte, ja fast schon gleichgültige Haltung gegenüber allen kulturellen Themen, die häufig in einer geradezu allergischen Reaktion der gelehrten und akademisch angehauchten Öffentlichkeit gegenüber Wort und Begriff der europäischen bzw. deutschen „Leitkultur“ gipfelte.
Die Kultur, geschweige denn die mindestens in meinen Augen ganz entscheidende Frage der kulturellen Leitwerke der 47 europäischen Staaten, die im Europarat vereinigt sind, sowie auch Fragen der kulturellen Selbstverständigung der Bundesrepublik Deutschland spielten im Bundestagswahlkampf keine Rolle.
„Uns droht die Kultur!“, so seufzen die Beamten in Brüssel laut dem Zeugnis des gestern ausgezeichneten Schriftstellers Robert Menasse, wenn es um die Verteilung der Zuständigkeiten geht. „Österreich soll mit Kultur abgespeist werden!“ „Die Bildung wurde unterschlagen.“ Das lässt schmunzeln. Auch in der EU lässt sich also mit Kultur kein Staat machen! In Deutschland haben die sich selbst so bezeichnenden „demokratischen“ Parteien um die Kultur einen Bogen gemacht genauso wie um die wichtigen, zukunftsentscheidenden Fragen der Europäischen Union. Indifferenz gegenüber der Zukunft der Europäischen Union, Einheitsfront gegenüber dem erbittert zu bekämpfenden Rechtspopulismus, Missachtung der Kultur – diese drei Merkmale scheinen Grundzüge unserer bundesdeutschen bornierten Häuslichkeit zu sein.
Zitat:
Robert Menasse: Die Hauptstadt. Suhrkamp Verlag, Berlin, 2. Aufl. 2017, S. 45-46
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