Okt 032020
 

[…] und um die grauen

Gewölke streifen röthliche Flammen dort,
Verkündende, sie wallen geräuschlos auf;
Wie Fluthen am Gestade, woogen
Höher und höher die Wandelbaren.

[…]

„Verkündende!“ Eine gehobene festliche Stimmung ergreift mich, als wir heute früh am Sitz des Bundestages vorbeiradeln. Hölderlins Verse aus seinem Gesang „Des Morgens“ kommen mir in den Sinn, ich deklamiere sie laut, sehr zum Erstaunen der kleinen Reisegruppe, mit der ich unterwegs nach Linum bin.

Was ich unter festlich meine, ist aber genau dies: eine unbestimmte, morgendliche Ahnung, die Öffnung des Zukünftigen, etwas, was sich begrifflich nicht fassen lässt, sehr wohl aber im Gesang, in der metrisch gebundenen, in der leuchtenden Sprache aufscheint, etwa in den Oden Friedrich Hölderlins, die nur im lauten Vortrag ihren eigentlichen Sinnkern enthüllen.

Öffnung des Morgens aus der Nacht heraus, Öffnung des Morgen aus dem Heute heraus, Öffnung der kommenden 30 Jahre aus dem, was vor 30 Jahren geschah!

Zuversicht, Schaffensfreude, Vorfreude auf Zukünftiges, das ist es, was ich mit dem heutigen Tag verbinde.

Und so – kam ich unter die Deutschen, unter die Deutschen von heute, die Deutschen des 3. Oktober 2020!

Bild:
Das Reichstagsgebäude, Sitz des Deutschen Bundestages, eines Verfassungsorgans der Bundesrepublik Deutschland. Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Ansicht vom 3. Oktober 2020, 08.03 Uhr

Nachweis des Hölderlin-Zitats:
Des Morgens. In: Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zeitlicher Folge, herausgegeben von D.E. Sattler. Bremer Ausgabe. Band VII: 1799. Homburg. Empedokles I/II. Aufsätze zur Iduna. Emilie vor ihrem Brauttag. Ovid. Pindar-Übertragung. Luchterhand Literaturverlag, München 2004, S. 195

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