Νυνί δε μένει πίστις, έλπίς, αγάπη

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Jan 192016
 

Gente malvagia:
Woher hast du’s genommen?
Wie konnt es zu Dir kommen?
Wie aus dem Leseplunder
erwarbst du diesen Zunder?
Plagiator, Kopist!
Das wuchs doch nicht auf eignem Mist!

Näherhin zitiertest du mehr oder minder verändert aus 1 Korinther 13! Meintest du, ich würde dir nicht auf die Schliche kommen?

Wandrer:
Ei was nicht gar! Es war mir nicht bewusst! Ich nahm es —

Aus ungemeßner Ferne
Im Ozean der Sterne,
Mich hatt ich nicht verloren,
Ich war wie neu geboren!

Höre selbst:

Paulus:

Ἐὰν ταῖς γλώσσαις τῶν ἀνθρώπων λαλῶ καὶ τῶν ἀγγέλων
ἀγάπην δὲ μὴ ἔχω, γέγονα χαλκὸς ἠχῶν ἢ κύμβαλον ἀλαλάζον
καὶ ἐὰν ἔχω προφητείαν καὶ εἰδῶ τὰ μυστήρια πάντα καὶ πᾶσαν τὴν γνῶσιν
καὶ ἐὰν ἔχω πᾶσαν τὴν πίστιν ὥστε ὄρη μεθιστάναι
ἀγάπην δὲ μὴ ἔχω, οὐθέν εἰμι.

Wandrer:
Zu deuten ist 1 Kor 13,1-13 als ein in griechischer Sprache verfasstes Gedicht, ein Hymnus, der sich in eine bunte Tonfülle aus den Psalmen und Gedichten griechischer und hebräischer Sprache einreiht, die ihm vorausgehen.

Paulus:
κἂν ψωμίσω πάντα τὰ ὑπάρχοντά μου
καὶ ἐὰν παραδῶ τὸ σῶμά μου ἵνα καυχήσωμαι
ἀγάπην δὲ μὴ ἔχω οὐδὲν ὠφελοῦμαι

Wandrer:
Das heute gepflegte nüchtern-prosaische Vortragen dieser Poesie in mehr oder minder tragfähigen Verdeutschungen vermag nur einen sehr matten Eindruck von der Klang- und Tonfülle des griechischen Originals zu bieten.

1 Kor 13,1-13 ist zweifellos ein griechisch komponiertes Gedicht, das zum gesungenen, zum kantillierenden Vortrag gedacht ist. Wie darf man sich das vorstellen? Wie klingt das? Wie würde das klingen?

Paulus:
Ἡ ἀγάπη μακροθυμεῖ, χρηστεύεται ἡ ἀγάπη οὐ ζηλοῖ, οὐ περπερεύεται, οὐ φυσιοῦται,
οὐκ ἀσχημονεῖ, οὐ ζητεῖ τὰ ἑαυτῆς, οὐ παροξύνεται, οὐ λογίζεται τὸ κακόν,
οὐ χαίρει ἐπὶ τῇ ἀδικίᾳ, συγχαίρει δὲ τῇ ἀληθείᾳ·
πάντα στέγει, πάντα πιστεύει, πάντα ἐλπίζει, πάντα ὑπομένει.

Wandrer:
Das singend-sprechende, sprechend-singende Vortragen der Psalmen durch den Kantor im jüdischen Gottesdienst, das singende Vorbeten, das betende Vorsingen des Evangeliums durch den Kantor im ostkirchlichen Ritus – diese beiden Arten des Vortrags vermögen mir zumindest immer wieder eine echte Ahnung davon zu bieten, wie Paulus von Tarsos, dem ich mich tief verbunden weiß, gebetet und gesungen hat.

Ἡ ἀγάπη οὐδέποτε πίπτει· εἴτε δὲ προφητεῖαι, καταργηθήσονται· εἴτε γλῶσσαι, παύσονται· εἴτε γνῶσις, καταργηθήσεται.
ἐκ μέρους γὰρ γινώσκομεν καὶ ἐκ μέρους προφητεύομεν·
ὅταν δὲ ἔλθῃ τὸ τέλειον, τὸ ἐκ μέρους καταργηθήσεται.

Wandrer:
Die griechischen Urschriften des Neuen Testaments sind für mich fließende Quellen des Gottesdiensts auch in der lateinisch geprägten abendländischen Christenheit (also in der römisch-katholischen Teilkirche und in der lutherisch geprägten Teilkirche), sie sind die fortzeugende, leider heute durch eine bisweilen zu enge „Brunnenfassung“ teilweise verstopfte Quelle unseres Glaubens.

Paulus:
βλέπομεν γὰρ ἄρτι δι’ ἐσόπτρου ἐν αἰνίγματι
τότε δὲ πρόσωπον πρὸς πρόσωπον
ἄρτι γινώσκω ἐκ μέρους, τότε δὲ ἐπιγνώσομαι καθὼς καὶ ἐπεγνώσθην.
Νυνὶ δὲ μένει πίστις, ἐλπίς, ἀγάπη, τὰ τρία ταῦτα
μείζων δὲ τούτων ἡ ἀγάπη

 Posted by at 00:47

Giovanni Battista, il grande semaforo della modernità

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Jan 102016
 

Johannes IMG-20160110-WA0015 (1)

Avete il novo e ‚l vecchio Testamento
e ‚l pastor de la Chiesa che vi guida
questo vi basti a vostro salvamento

Ihr habt den neuen und den alten Bund
Und auch den Hirten der Gemeinde, der euch leitet
Bescheidet euch damit, so werdet ihr gesund

Soweit die Stimme Beatrices in der Wiedergabe durch Dante (Div. Com., Par. V 76-78), durch uns übersetzt ins Deutsche. Anlaß für eine kleine abendliche Disputation!

Ego:
Aber liebe Beatrice, erlaube eine Frage: „Haben“ wir wirklich ein für allemal das Alte und das Neue Testament?

Beatrice:
Überlege selbst! Ist das so? Kann es einen endgültigen Besitz der Schriften geben? Ich bezweifle dies ebenfalls!

Ego:
Kleine, unmerkliche Rückungen, Umdeutungen, Anverwandlungen! Das ermöglicht mir das tastende Nachlesen des hebräischen und des griechischen Wortlautes der Schriften des alten und neuen Bundes!

Beatrice:
Du tust gut daran! Umdenken, Nach-Denken, Voraus-Denken, das ist der Kern der Johanneischen Botschaft, o Freund! Der Täufer ist nicht selbst das Licht, er ist nicht selbst die Bedeutung, er weist nur hin auf die Bedeutung, er ist ein Träger des Zeichens – ein Sema-Phor!

Ego:
Er ist also … ein Semaforo, wie die Italiener heutigentags sagen! Nennen wir doch deinen Johannes einfach Giovanni Semaforo!

Beatrice:
Du machst mich lachen! „Semaforo“ – das heißt doch Ampel, die „Lichtzeichen-Anlage“ der StVO in deiner geliebten deutschen Sprache?

Ego:
Richtig, Beatrice, ich sehe, du interessierst dich für unsere Lebenswirklichkeit im 21. Jahrhundert!

Beatrice:
Sehr wohl! Hast du auch der heutigen Lesung im Gottesdienst zugehört? Hier stand Johannes im Mittelpunkt, der Schutzpatron meiner geliebten Vaterstadt Florenz, die meinen Dante so schnöde zum Tode verurteilt hat und sich heute seiner rühmt, als hätte es nie ein tiefes Zerwürfnis gegeben!

Ego:
Wenn’s dem eigenen Heil und dem Stadtsäckel dient … O ja, ich hörte sehr genau hin, Beatrice! Und ich staunte lange über die Zusendung einer Darstellung aus dem Metropolitan Museum of Art in New York, die mich heute ebenfalls erreichte! Sie zeigt Johannes, wie er das lebendige Zeichen der Gnade Gottes auf den Schultern trägt!

Beatrice:
Er ist – der Hinweisgeber, der Zeichenträger… er ist nicht selbst das Licht …

 Posted by at 23:33

Was hat der Mutmacher gesagt: „In verità“, oder „wahrhaftig“ oder „for truly“? Zu Mt. 18,3

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Okt 312015
 

Martin Walser schreibt heute in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf S. 18: „Nur Jesus beginnt seine Sätze mit Wahrlich.

Ist das wahr? Hat Jesus seine Sätze echt mit „Wahrlich“ begonnen? Sprach er echt so gut deutsch? Ich schlage die von Walser zitierte Stelle im Evangelium nach Matthäus 18,3 in verschiedenen Fassungen des Neuen Testaments auf und finde folgende Wörter, die Jesus in echt gesagt haben soll, wobei ich hier jeweils in Klammern Ort und Jahr der Erscheinung des Buches beifüge: „In verità“ (Roma 1974), „warlich“ (Wittenberg 1545), „Amen“ (Freiburg 1980), „Wahrhaftig“ (Gütersloh 2006), „Truly“ (Stonehill Green 1971), ἀμὴν (Stuttgart 2012).

7 unterschiedliche Worte, die Jesus gesagt haben soll! Ja was denn nun? Wer hat nun recht? Wer sagt uns denn endgültig die volle Wahrheit über Jesus Christus? Martin Walser am 31.10.2015, Martin Luther im Jahr 1517, Holger Strutwolf im Jahr 2012, die Conferenza Episcopale Italiana im Jahr 1974, die Katholische Bibelanstalt im Jahr 1980, The Bible Societies im Jahr 1971, das Projekt Bibel in gerechter Sprache im Jahre 2006?

Eine Entscheidung muss gefällt werden! Und ich entscheide … als guter Demokrat … mit der Mehrheit! Gewinner sind: Stuttgart 2012 und Freiburg 1980! Also „Amen“ bzw. „ἀμὴν“. Hurra! Diese beiden Wörter – so glaube ich – hat Jesus ausgesprochen.

Meine sachliche Begründung dafür lautet: Da Jesus (trotz rudimentärer Kenntnisse des Lateinischen und Griechischen, die wir annehmen dürfen) meist in Aramäisch gepredigt und sicher auf Hebräisch aus den Schriften zitiert hat, dürfte er wohl auch die aramäische bzw. hebräische Bekräftigungsformel Amen verwendet haben. Offen muss bleiben, wie er dieses Amen genau ausgesprochen hat; aber dass Jesus genau diese Formel „Amen“ verwendet hat, glaube ich fest.

Amen (auch „aman“, „amin“ lautend) ist eine Formel, mit der damals ein festes Vertrauen, eine persönliche Gewissheit ausgedrückt, besser „gesetzt“ oder auch „eingesetzt“ wurde. Durch Amen, eine mündliche Bestätigungsformel, wurde eine sprachliche gegebene Gewissheit bekräftigt. Jesus verwendet Amen stets, bevor er seine höchst persönliche Lehre, also die „Lehre Jesu Christi“, wie wir heute sagen dürfen, in Wahrheit in der Ich-Form verkündet. „Ich sage euch…“ folgt dann, „Ego de… “ auf griechisch, … und dann folgt stets eine ganz bestimmte, durch das Ich Jesu bekräftigte Behauptung. Jesus verkündet also die Wahrheit im Lichte des Ich.

Amen, zu deutsch also „so sei es“, „so ist es“, „so will ich es“, ist also Wahrheit im Lichte des Ich!

O ihr Lehrlinge Jesu Christi, o ihr deutschen Martins und Friedrichs, tilgt nun einige Buchstaben nach und nach weg! Schrumpft sie auf das Mindestmaß! Magert die sieben Übersetzungen des griechisch verfassten neuen Testaments auf Gerippe und Knochen ab! Entschlagt euch für einen Augenblick eurer Kenntnisse aus Theologie, Kirchen- und Literaturgeschichte! Vergesst ein winziges Nu lang die gesamte Kirchengeschichte! Seid oder werdet wie er!

Dann, Martin, Friedrich bzw. Fritz (darf ich dich so nennen?), Hans, Hermann, Hinz und Kunz, Lehrling Jesu Christi, nimm diese abgemagerte Fassung herab vom Kreuz deines philologisch-theologischen Seziertisches. Gib dem komplett abgemagerten Jesus, diesem überragenden, großartigen Muthmacher, dem Mutmacher und Bekräftiger Raum in dir. Und dann hast du auch die beste Übersetzung des hebräischen Amen, das es dich drängt – wie sagtest du doch? – „in dein geliebtes Deutsch zu übertragen“.

WAHR (heit im) L (ichte des) ICH

Amen, warlich (Martin Luther), wahrlich (Martin Walser).

Die beiden Martins haben recht. Das „Wahrlich/warlich“ der beiden Martins ist die Übersetzung, die Inhalt und Botschaft des hebräischen bzw. aramäischen oder auch jesuanischen Amen am besten wahrt und bewahrt.

Beleg:
Martin Walser: Der Muthmacher. FAZ, 31.10.2015, S. 18

Bild:
Kreuzabnahme. Ein tiefes Relief, tief tief verborgen im Teutoburger Wald, 11 km Fußmarsch vom Hermannsdenkmal bei Detmold entfernt. Eigenes Smartphone-Foto des Bloggers vom 25.10.2015
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 Posted by at 10:58
Okt 132015
 

„Je weiter du weggehst, desto weiblicher wird Jesus.“ Navid Kermani, der dies schreibt, hat etwas in Worte gefasst, was mich insbesondere an den Zeichnungen Sandro Botticellis immer wieder berührt und berückt: das Weiche, das Gelinde, Fließende seiner Liniengebung, besonders gut fassbar in seinen Zeichnungen zu Dantes Göttlicher Komödie, die ja ab übermorgen wieder im Berliner Kupferstichkabinett meinen ungläubig staunenden Augen geboten werden. Ich freue mich schon darauf. Wiedersehen macht Freude.

Es ergeht mir schließlich bei Botticellis Gemälden, mehr aber noch in Botticellis Zeichnungen so, dass jeder strenge, richtende, urteilende, verurteilende Blick geschmeidiger wird, man könnte sagen: das strenge Auge löst sich, es fühlt sich mild und weich. Man glaubt an diesen affetto, an diese unwillkürlich anrührende Gefühlsregung. Ich glaube, ein Lächeln zu sehen, ein Tränen des Auges, hinter dessen Schlieren alles Grobkantige ins Schwingen gebracht wird. Dante beschreibt das hier Angedeutete so (Paradiso VI, 121-123):

Quindi addolcisce la viva giustizia
in noi l’affetto sì, che non si puote
torcer già mai ad alcuna nequizia.

Selbst noch in Botticellis Kreuztragung, in der Pinakothek von Kermani alleine vierzig, fünfzig Minuten lang ungläubig bestaunt, verliert der härteste, der letzte Gang, der Weg des Kreuzes viel von seiner Härte, von seiner eklatanten, schreienden Ungerechtigkeit, seiner krassen nequizia! Er wird zum Tanz der herannahenden Befreiung.

Und so fand ich soeben auch nach einigem Nachdenken (40, 50 Minuten lang) die richtige Übersetzung für Jesu Wort (Matthäus 11,30):

ὁ γὰρ ζυγός μου χρηστὸς καὶ τὸ φορτίον μου ἐλαφρόν ἐστιν

Denn mein Joch ist wohltuend und meine Last ist geschmeidig.

Hinweise:
Der Botticelli-Coup. Schätze der Sammlung Hamilton im Kupferstichkabinett. Eröffnung der Ausstellung am Donnerstag, 15.10.2015, 19 Uhr (Eintritt zur Eröffnung frei). Kupferstichkabinett. Ausstellung. Staatliche Museen zu Berlin, Kulturforum, Matthäikirchplatz, 16.10.2015 bis 24.01.2016, Di-Fr 10-18 Uhr, Sa-So 11-18 Uhr

Sandro Botticelli: Kreuztragung. Tempera auf Leinwand. Pinacothèque de Paris.

Zu diesem Bild:
Navid Kermani: „Schönheit“ in: ders., „Ungläubiges Staunen“. Über das Christentum. C.H. Beck Verlag, München 2015, S. 44-49

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 Posted by at 15:58
Sep 292015
 

Ein paar Gedanken mögen sich hier anschließen, wie sie mir im Nachklang des Abends in der Katholischen Akademie vom letzten Donnerstag einfallen:

1. Die Sprachlichkeit der Leib-Rede, die Leiblichkeit des gesprochenen Wortes wurde im Vorbeigehen belichtet. Begriffe wie Vergleich, Metapher, Symbol, Sakrament tauchten immer wieder auf.

2. Welche Bedeutung hat das Glauben für die Ein-Leib-Metapher? Die Metapher verlangt als solche keinen Glauben, sondern ein Verstehen. Metaphern sind Stilmittel der Rede, mit denen der Sprechende eine Wirkung erreichen will. „So wie der Körper viele Organe hat, so hat auch das Gemeinwesen viele Organe, deren jedes seine ihm zugewiesene Funktion hat. Der Magen kann nicht sagen: Ich mache nicht mehr mit. Er muss seinen Dienst als Magen verrichten, damit es allen Organen gut geht.“  So überzeugte, oder besser: „überredete“ Menenius Agrippa im Jahr 494 v. Chr. die unzufriedenen Plebejer.  Sie kehrten in die Stadt Rom zurück. Er verwendete die Metapher – „ein gutes Gemeinwesen ist wie ein einziger Leib“ – dieses eine Mal als Mittel im Dienste der Überzeugungsarbeit. Er setzte damit aber kein wiederholbares sinnstiftendes Zeichen, er stiftete kein Sakrament und keinen Ritus.

3. „Das ist mein Leib“ (Mt 26,26), diese Worte sind nicht als Metapher zu verstehen und auch nicht als Symbol. Sie sind vielmehr ein „Zeichen höherer Art“, das durch eine sprachlich verfasste Tathandlung „gesetzt“ wird; der übliche Ausdruck für ein derartiges gesetztes oder „eingesetztes“, „gestiftetes“ Zeichen höherer Art, das im Vollzug des Ritus wiederholbar wird, lautet Sakrament.

4. Sakramente sind im Gegensatz zu Metaphern wiederholbare, stets an den sprachlichen Vollzug gebundene Handlungen, die über die Metapher hinausweisen. Sakramente, „geheiligte Tathandlungen“ also, sind nicht bloß metaphorisch zu verstehen, sondern reichen jenseits der Metapher hinaus. Ihr Reich ist gewissermaßen „nicht nur von dieser Welt“.  Sie sind – sofern man sie glaubt und in ihnen lebt – eine Wirklichkeit jenseits der sprachlich abbildbaren Wirklichkeit, also eine „nur“ geglaubte, „nur“ gelebte Wirklichkeit.

5. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein hat wie Pasolini diesen Schritt über die Grenzen der metaphorischen Rede hinaus versucht, aber – im Gegensatz zum Künstler – vorerst nicht vollzogen. Wenn er einerseits schreibt: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“ und dann weiterschreitet: „Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische„, dann entzog sich ihm, als er den Tractatus logico-philosophicus verfasste, noch der Sinn für den Vollzugscharakter des Sprachhandelns, also das „Performative“, wie man modischerweise heute sagt.

6. L’umanità di Cristo è spinta da una tale forza interiore, da una tale irriducibile sete di sapere e di verificare il sapere, senza timore per nessuno scandalo e nessuna contraddizione, che per essa la metafora «divina» è ai limiti della metaforicità, fino a essere idealmente una realtà.

Von den „Grenzen des Metaphorischen“ schreibt Pasolini am 12. Mai 1963 an Alfredo Bini.  Ein großes Zeugnis einer großen Liebe: „… amando così svisceratamente il Cristo di Matteo…“ Irgendwann wird seine Stunde kommen. Wann? Wir wissen es nicht.

Quellen:

Ludwig Wittgenstein: Tracatatus Logico-Philosophicus, o.O., o.J., Sätze 5.6, 6.522
http://tractatus-online.appspot.com/Tractatus/jonathan/D.html

Brief Pier Paolo Pasolinis an Alfredo Bini vom 12. Mai 1963, zitiert nach: Gianni Borgna u.a. (Hrsg.): Pasolini Roma. Verlag Skira, Roma 2014 [Ausstellungskatalog], Seite 167

 

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πολλὰ ὄντα ἕν ἐστιν σῶμα; Ein Leib aus vielen Gliedern? (1)

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Sep 252015
 

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Gestern besuchte ich in der Katholischen Akademie in Berlin die Podiumsdiskussion:

Kirche. Leib. Körper. Organismus
Zur Kritik einer Metapher
Die Einladung sei im Wortlaut wiedergegeben: „Religiöse oder politische Körper geben Antworten auf die Frage nach Identität und Gemeinschaft. Das wird anschaulich bei Barack Obama und Johannes Paul II, beim Leviathan und bei dem Bild der Kirche als Leib Christi. Das demokratische Denken begegnet diesen kollektiven Einheitsbildungen seit jeher kritisch: sind diese körperlich vorgestellten Gemeinschaften nicht zu sakral, zu exklusiv, zu männlich und letztlich zu integralistisch? Die Sehnsucht nach leiblich imaginierten Gemeinschaften ist trotz dieser Kritik nicht verschwunden. Im Gespräch von Theologie, Kulturwissenschaft und Soziologie geht der Abend der Bedeutung der religiösen und politischen Körper nach und fragt, wie sich die Rede von der Kirche als Leib Christi heute verstehen lässt.“

Es diskutierten gestern abend Prof. Dr. Matthias Reményi, Juniorprofessor für Systematische Theologie, Prof. Dr. Heinz Bude, Makrosoziologie (Kassel), Prof. Dr. Thomas Macho, Kulturgeschichte (Berlin) und Dr. Aurica Nutt, Katholische Theologie (Köln). Es moderierte Joachim Hake.

Das Thema fand ich aufregend, elektrisierend im Blick auf die neuesten Entwicklungen auf der Welt und im eigenen Ich-Du-Verhältnis. Ich musste da einfach hin. Zur Vorbereitung betrachtete ich mir noch einmal zwei Stellen im Neuen Testament, meinem langjährigen, griechisch verfassten Leib-und-Magen-Buch. Ich empfinde sie als besonders sprechend, nämlich erstens die Ein-Leib-Rede im ersten Korintherbrief (12,12):

Καθάπερ γὰρ τὸ σῶμα ἕν ἐστιν καὶ μέλη πολλὰ ἔχει, πάντα δὲ τὰ μέλη τοῦ σώματος πολλὰ ὄντα ἕν ἐστιν σῶμα, οὕτως καὶ ὁ Χριστός.

Also zu Deutsch ungefähr: „So wie nämlich der Leib Einer ist und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes – so viele sie sind – Ein Leib sind, so auch der Christus.“

Und zweitens die Abendmahlsrede, wie sie sich mit leichten Abwandlungen in den drei Evangelien von Matthäus, Markus und Lukas findet, hier sei zitiert Mt 26,26 in der Nestle-Ausgabe:

Ἐσθιόντων δὲ αὐτῶν λαβὼν ὁ Ἰησοῦς ἄρτον καὶ εὐλογήσας ἔκλασεν καὶ δοὺς τοῖς μαθηταῖς εἶπεν· λάβετε φάγετε, τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου.

Zu Deutsch ungefähr: „Während sie aßen, nahm Jesus das Brot, und nachdem er gesegnet, gebrochen und den Schülern gegeben hatte, sagte er: Langt zu, esst, das ist mein Leib.“

Ich war neugierig wie nur je ein Schüler sein kann: In welchem Verhältnis würden sich diese beiden, von mir vorab bereits als zentral, ja als Dreh- und Angelpunkt empfundenen Stellen in den Gesprächen der Gelehrten wiederfinden?

 

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Μὴ καὶ ὑμεῖς θέλετε ὑπάγειν; „Wollt ihr auch weggehen?“

 Johannesevangelium, Novum Testamentum graece, Was ist europäisch?  Kommentare deaktiviert für Μὴ καὶ ὑμεῖς θέλετε ὑπάγειν; „Wollt ihr auch weggehen?“
Aug 262015
 

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„Wollt ihr auch weggehen“ – in Zeiten der Griechenlandkrise übersetzen wir diese Frage selbstverständlich ins Griechische!

Denn die Europäische Union gehört ja zu Europa, sie, die EU ist ein Teil Europas. Und Europa ist – sofern wir es nicht einfach als Landmasse, als mehr oder minder unerhebliches Anhängsel Asiens betrachten – zwar sehr wohl ohne die englische, russische, lettische oder deutsche Sprache, aber nicht ohne die griechische Sprache denkbar: schon die Bezeichnung Europa ist griechischen Ursprungs, es gab eine Art Europa, ehe es eine Art EU gab. Und ehe es eine Art Europa gab, gab es schon eine Art Hellas.

„Wollt ihr auch weggehen?“, das lautet auf Griechisch:

„Μὴ καὶ ὑμεῖς θέλετε ὑπάγειν;“

„Hypago“, das griechische Verbum können wir hier ohne weiteres als „zurückziehen“ übersetzen, so wie etwa ein Kartenspieler seinen Einsatz zurückzieht oder ein Feldherr seine Truppen zurückzieht. Ich schlage also heute folgende Übersetzung des griechischen überlieferten Textes vor:  „Wollt ihr etwa auch zurückziehen?“ Wer so fragt, überlässt den gefragten Menschen selbstverständlich die Wahl. Niemand ist gezwungen dabeizubleiben oder auf den Wanderungen mitzugehen.

„Wollt ihr etwa auch zurückziehen?“ Da schwingt mit: „Ihr seid frei. Ihr könnt mitkommen, ihr könnt aber auch weggehen.“ Die Gemeinschaft mit Jesus entspringt keinerlei Art von Zwangsgebot. Von einer „immer engeren Union“ kann hier in unserem Beispieltext (es handelt sich um das Johannesevangelium, Kap. 6) keine Rede sein.

Die Frage Jesu Christi eröffnet hier wie an tausend anderen Stellen diesen Raum der Freiheit. Wer nicht mitkommen will, der kann jederzeit gehen. Selbst Simon Petrus, der große Theatermensch, der ja hier nicht und auch sonst nicht um ein großartiges, großspuriges  Vertrauensbekenntnis verlegen war, wird diese Freiheit des Weggehens drei Mal in Anspruch nehmen, ehe der Hahn kräht.

Wer nicht mitkommen will, wer das Vertrauen (griechisch pistis) verloren hat, der darf und kann jederzeit gehen. Ich meine sogar: Der soll gehen. Das Ausscheiden aus der Vertrauensgemeinschaft (griechisch: ekklesia) wird durch Jesus selbst nach dem Zeugnis des Johannes ohne Nachteil für Leib und Leben, ohne jede Strafandrohung freigestellt.

In allen wesentlichen Fragen widerspricht Jesus Christus also dem Leitbild einer immer „immer engeren Union“, wie sie etwa der Lissaboner Vertrag oder  die europäische Christdemokratie für die EU gebieterisch vorschreibt, einer Euro-Zwangsgemeinschaft, die sich gewissermaßen selbstläufig in immer stärkerer Vertiefung ergeben soll.

Jesus lädt stattdessen zur Nachfolge ein. Er will keine Unterwerfung unter ein Reglement, wahrscheinlich auch keinen Gehorsam. Den Gedanken der Unterwerfung  – la SOUMISSION, wie sie z. B. Michel Houellebecq erzählt  – lehnt er hier wie an tausend anderen Stellen radikal ab.

„Wollt ihr auch weggehen?“ Ich hörte diese Frage beim Besuch der Messe im Augsburger Dom am vergangenen Sonntag (siehe Bild). Sie hat mich lange beschäftigt.

Quelle:

Novum testamentum graece, ed. Strutwolf e.al., 28. Aufl. Stuttgart 2012, hier: Joh 6,67

 

 Posted by at 18:24
Jul 112015
 

Vita enim sine verbo incerta est et obscura, so sagt es Martin Luther aus tiefer Überzeugung und völlig zu Recht (WA 18, 655, 10).

Zu deutsch: „Ein Leben ohne das Wort ist ungewiß und dunkel.“

So dürfen wir heute sagen: „Ein Europa ohne Wort ist ungewiß und dunkel.“ Europa sine verbo incerta est et obscura.

Zu griechisch: Η Eυρώπη χωρίς το λόγο είναι αβέβαιο και σκοτεινό.

Das Licht, die Wahrheit Europas kommt nicht vom mythischen Geld und nicht vom märchenhaften Gold her, sondern vom Wort, – vom „Logos“ also, vom logischen Denken, Erkennen, Fühlen und Handeln.

„Scheitert der Euro, scheitert Europa.“ Diese Festnagelung der Europäischen Union, schlimmer noch diese Festnagelung Europas auf das Geld, auf den Euro, dieses monetaristisch-kapitalistische Euro-Evangelium war eine falsche Erlösungslehre, eine Irrlehre, ein trügerischer Mythos, der zu nichts Gutem geführt hat außer zu der Erkenntnis, dass nicht der blind geglaubte Mythos vom Euro, sondern nur der vernünftige Glaube an die gute, verbindendende, versöhnende Macht des Wortes den Frieden und die Eintracht stiften kann, die wir dringend brauchen.

Luther (WA 18, 655, 10) hier zitiert nach:
Joachim Ringleben, Das philosophische Evangelium. Theologische Auslegung des Johannesevangeliums im Horizont des Sprachdenkens. Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2014, S. 465 (Anm. 71)

 Posted by at 12:26

The devastating effects of BIG MONEY: It’s all Greek to the Europeans

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Mrz 102015
 

Ein heute weitgehend in Vergessenheit geratener syrischer Schriftsteller aus dem türkischen Ferienort Antakya mag wohl einen Hinweis über den richtigen Umgang mit Geld und Gut liefern. Von Beruf war er Arzt. Er schrieb nicht türkisch, sondern griechisch. Er legt im 16. Kapitel seiner früher viel gelesenen Lebensbeschreibung eine umfangreiche Abhandlung über Sinn und Unsinn des Schuldenmachens vor.

Entscheidend ist für den Verfasser – nennen wir ihn Lukas- , dass er dem Geld, also dem „Mammon“, wie er abschätzig sagt, keinen allzu hohen Rang zumisst.

Dennoch: Geld spielt eine riesige Rolle im gesamten Neuen Testament! Es ist die treibende Kraft hinter der Kreuzigung Jesu, es spaltet Gemeinschaften unheilbar.

In schroffem Gegensatz zur Europäischen Union und zu Europas Sozialdemokraten, und in denkbar schärfstem, in unüberbrückbar schroffem Gegensatz zu Europas „C“-Demokraten, die vor allem und fast ausschließlich im Geld das Bindeglied und das Unterpfand der Europäischen Gemeinschaft sehen, erblickt der mittlerweile ganz in den Hintergund gedrängte Jesus von Nazaret im großen Geld eher etwas potenziell Gemeinschaftsschädigendes. Und er hat damit recht. Der Mann hatte einen doch erstaunlich modernen Blick auf die Wirklichkeit. Ist Jesus doch irgendwie der bedeutendste Europäer? Man sollte manchmal noch an ihn denken.

Erstaunlich! Europas sogenannte „C-Demokraten“ setzen ihr ganzes Vertrauen in die einigende Kraft des Geldes; Europas C-Demokraten haben uns jahrelang eingeredet, dass wir dem Geld vertrauen sollen, dass jeder Zweifel am System Euro zu „Unfrieden“, „Krieg“ oder doch zu „Währungskrieg“ führen würde.

Was für ein abgrundtiefes Misstrauen in die menschliche Person offenbart sich in der Geldverhaftung der deutschen und der europäischen Christdemokraten! Jeder, der Zweifel am Euro-System anmeldete, wurde über Jahre hinweg verteufelt – oder als „Rechtspopulist“ stigmatisiert.

Wahnsinn des Eigendünkels, Wahnsinn der Geldgläubigkeit! Jetzt hat die EZB das Weisungsrecht gegenüber der Politik erreicht. Irre. Ein geistlicher Bankrott. Das glatte Gegenteil dessen, was das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland festgelegt hat. Und die C-Parteien haben das sehenden Auges zugelassen.

Was für ein grauenhafter Missbrauch des „C“ im Parteinamen! Jesus Christus, der einen deutlich realistischeren Blick aufs Geld als unsere führenden europäischen C-Politiker hat, erkennt den spaltenden, ja den verheerenden Einfluss von schlecht verwaltetem, von allzu sehr geliebtem Geld.

Geld, Big Money ist der Spaltpilz der Gemeinschaft, daran lässt Lukas nie einen Zweifel; man lese nur noch einmal die Geschichte von Hananias und Saphira in der Apostelgeschichte.

Und wenn einem schon das Geld ausgeht, sagt Jesus, dann sollte man es so ausgehen lassen, dass es menschliche Beziehungen nicht unrettbar zerstört.

Die vier Evangelien erzählen sehr viel vom Geld. Hergeschenktes Geld kann Gutes bewirken – zum Beispiel im Gleichnis vom Samariter. Uneinigkeit über das anvertraute Geld hingegen untergräbt zwischenmenschliche Beziehungen unrettbar, höhlt Vertrauen aus.

Zwei Einsichten treten immer wieder aus den vier Evangelien hervor: Geld ist sehr wichtig, aber nicht alles. Geld kann niemals gestörte menschliche Beziehungen kitten. Wer nicht einmal mit Geld vertrauenswürdig umgeht, dem wird auch kein Vertrauen entgegengebracht, wenn es um das Entscheidende, das „Wahre“ geht.

Lies auf Griechisch im Evangelium nach Lukas, Kapitel 16, Vers 9:

εἰ οὖν ἐν τῷ ἀδίκῳ μαμωνᾷ πιστοὶ οὐκ ἐγένεσθε, τὸ ἀληθινὸν τίς ὑμῖν πιστεύσει;

via Greek Bible.

 Posted by at 21:20

Aus ἐν ἀνθρώποις εὐδοκία wird в человеках благоволение. Zu Lk 2,14

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Aug 312014
 

Erlöserkirche 2014-08-10 09.17.55

слава в вышних Богу, и на земле мир, в человеках благоволение

„Ehre in den Höhen Gott, und  auf der Erde Frieden, in Menschen Wohlwollen“

So übersetzt die russisch-orthodoxe Kirche in ihren maßgeblichen Ausgaben Lukas 2,14.

Verblüffend ist, dass die östlich-orthodoxe Übersetzung von einer etwas anderen, durch die ältesten Textzeugen gut gestützten griechischen Urfassung ausgeht als die römisch-katholischen und die lutherischen Fassungen! In einer Ausgabe des Novum Testamentum Graece, ed. Nestle / Aland, 27. Aufl. 1999, lässt sich ohne Mühe aus den Varianten des  textkritischen Apparates der vollkommen hieb- und stichfeste griechische Text erstellen, von dem die Kirche des Kyrill und Method ausging:

Δόξα ἐν ὑψίστοις θεῷ, καὶ ἐπὶ γῆς εἰρήνη, ἐν ἀνθρώποις εὐδοκία

Die beiden  entscheidenden Unterschiede zu den westlichen Kirchen liegen hier darin, dass благоволение/εὐδοκία (eudokia) im Nominativ steht und dass die Präposition ἐν räumlich inklusiv als в als „in“ übersetzt ist. Nicht die Menschen des „Wohlwollens“ Gottes werden genannt; vielmehr äußern die himmlischen Heerscharen einen dreigliedrigen Wunsch, eine dreigliedrige Beschreibung:

Strahlender Glanz/Leuchten/Schein/Ehre/Ruhm [wird, ist oder sei] in den Höhen dem Gott
und auf Erde [wird, sei oder ist] Friede,
in Menschen [ist, sei oder werde] Wohlwollen/Wohlgefallen/gutes Genügen/Zufriedenheit

Hier haben wir als Notbehelf in eckigen Klammern mehrere Verben eingefügt, die in diesem verblosen Stil hinzugedacht werden können.

Die eudokia, der Zustand des innigen Behagens und Wohlgefühles, ist also nicht etwas, was von außen auf die Menschen herabregnet; vielmehr quillt sie von innen hervor; sie ist gewissermaßen ein Widerschein des Geschehens dort droben.

„In den Herzen wird’s warm
still schweigt Kummer und Harm“

– diese treuherzig-einfältigen Zeilen des Kinderliedes geben das in den Ostkirchen Gemeinte sehr gut wider. Noch weniger ist dieses innere Wohlbehagen eine Gnade, die die Menschen sich mühselig erarbeiten müssten. Die eudokia, das holde Bescheiden, wie Mörike einmal sagte, ist ein unverdientes Geschenk, das von innen in Menschen aufscheint und zum Zustand des Friedens mit den anderen und mit der Schöpfung führt.

Das Weihnachtsgeschehen kommt unvermittelt, plötzlich (exaiphnes, Lk 2,13) zugleich in der Höhe wie auch „in Menschen“ zum Vorschein. Die griechische Wortwurzel ist hier eindeutig – doxa und eudokia kommen von derselben etymologischen Wurzel doke her. Sie besagt „scheinend“, „leuchtend“.

Was folgt daraus? Viel. Bei einem meiner letzten Russland-Aufenthalte feierte ich einen strahlenden, von Klang und Gesang erfüllten Gottesdienst in der Moskauer Christus-Erlöserkirche über die volle Länge von mehr als 2 Stunden mit. Es war am 10. August 2014. Dort trat ich in eine stumme  Zwiesprache mit der ausgestellten Reliquie Johannes des Täufers. Dort vollführte ich mit anderen zusammen die rituelle Prostration des byzantinischen Ritus. Ich warf mich also zusammen mit anderen Feiernden vor dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, wie er sich in Jesus Christus gezeigt hat, ganzkörperlich und öffentlich auf den Boden nieder. Dort lauschte ich dem Evangelium in russischer Sprache und den Predigten des Patriarchen über die Angst als ständige Begleiterin im Schiffchen des Lebens. „Wir werden die Angst nicht los. Sie gehört dazu“, sagte er. Er sprach auch über den Wert des Betens. „Beten ist in unserer Gesellschaft aus der Mode gekommen. Wenige beten noch. Beten heißt durch Bitten etwas Herbei-Wünschen, was ohne dieses Wünschen vielleicht nicht eintreten würde.“

Mitten im August erblickte ich in dieser riesigen Hauptkathedrale der russisch-orthodoxen Kirche eine Weihnachtskrippe aufgebaut. Weihnachten wird also in der russisch-orthodoxen Kirche über das ganze Kirchenjahr hinweg in Erinnerung gehalten.

Die Christus-Erlöserkirche ist – dies sei nur nebenbei gesagt –  die Kirche, in der auch die russische Staatsmacht  neuerdings  so gern sich zum christlichen Glauben bekennt. Auch Präsident Putin lässt sich hier demonstrativ zu Weihnachten filmen, wie er in bescheidener, kindlicher Frömmigkeit ein Weihnachts-Kerzlein entzündet. Er bekennt sich damit öffentlich zum Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, wie er sich zu Weihnachten in der Person Jesu Christi ankündigt.

Der Weihnachtshymnus der himmlischen Heerscharen, wie ihn Lukas gestaltet, ist ein kraftvolles Alternativprogramm zum Einsatz der Waffen und Panzer, zur Überwachung und Beherrschung der Menschen, wie sie die Politiker, die Staatsmächte,  derzeit diskutieren und einzudämmen versuchen. Denn christlich angeleitete Politik möchte weg von dem Mehr-Haben-Wollen. Sie traut den niedrigen Menschen mehr als den Mächtigen, sie findet ihren Weg eher zu den Katen der Hirten als zu den Palästen und riesigen Datschen der Mächtigen. Die Geschichte  von Weihnachten spricht alle an – im Osten wie im Westen, die Christen wie die Nichtchristen, zu Weihnachten ebenso wie in den Hundstagen dieses Augusts, der in diesen Minuten so ungewiss zu Ende geht.

Aber sie macht auch klar, dass der Friede kein Automatismus ist. Er ist ein plötzliches Aufscheinen mehr als eine Verhandlungsmasse, er ist ein Sich-Bescheiden in das strahlend Beschiedene, in das, was da gerade in den Menschen geschieht.

via Russian Bible: Luk-2.

Bild: So bot sich uns die Christus-Erlöser-Kathedrale in Moskau dar, als wir gemeinsam zu Fuß  am 10.08.2014 zur Liturgie wanderten.

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Der überglückliche Kalkant Bachs in Eisenach

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Mai 022014
 

2014-05-01 17.26.47

Heut bin ich recht froh, sintemalen ich gestern mich in Eisenach bei unserem Martin LUTHER und unserem Johannes BACH gestärkt habe. Wer – Johannes Bach? Warum nicht Johann Sebastian Bach? Nun, ich betrachtete genau das Schülerverzeichnis der Eisenacher Lateinschule, die Johann Sebastian Bach ab dem Alter von 8 Jahren  besuchte. Der schulamtliche Name unseres Meisters aller Gattungen lautet dort – handschriftlich eingetragen-  nicht „Bach Johann Sebastian“ sondern „Bach Johannes“. 

Denkt Euch nur: Ich durfte am 1. Mai 2014 nachmittags um 17 Uhr im Bachhaus am Frauenplan zu Eisenach an diesem vielleicht von Bach selbst einmal traktierten oder vielleicht inspizierten Orgelpositiv des Jahres 1650 als tüchtiger Kalkant musizieren. Der Organist vertraute mir. Er glaubte mir auf mein gutes Wort hin, dass ich ein guter Kalkant sein werde! Das ist Glauben, ist Vertrauen: „Ja, du schaffst das schon! Kalkant – das kannst du!“, sagten die Augen des Organisten. 

Damit fängt alles an.

Ich strahlte: Ich ein Kalkant im Bachhaus am Frauenplan zu Eisenach! Herrlich, überherrlich! „Empfangt den heiligen Hauch!“, sagte es in mir – und das ist akkurat, was im Evangelio des Johannes 20, 22 steht! Es ist eine der Osterbotschaften Jesu. Das lateinische Spiritus bedeutet Hauch, griechisch Pneuma, hebräisch Ruach.

Omnis spiritus laudet te!

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Εἰρήνη ὑμῖν – Мир вам! Ist es Griechisch? Ist es Ukrainisch? Ist es Russisch?

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Apr 282014
 

Noch heute höre ich in Kreuzberg immer wieder den uralten, den ewig neuen Friedensgruß, der zugleich auch ein Alltagsgruß geworden ist: Мир вам, wie der Ukrainer sagt, oder auch Мир вам, wie der Russe sagt, oder auch  Salam aleikum, wie die Moslems im Späti am Kotti um die Ecke sagen, oder auch Scholem aleichem wie die Juden sagen, oder auch der Friede sei mit Euch, wie Jesus nach seiner Auferstehung nach dem Zeugnis des Johannes dreifach zu den Jüngern sagte.

Es ist erstaunlich, dass im Evangelium des Johannes Jesus nur an dieser Stelle die Jünger ausdrücklich mit diesem so alltäglichen, drei Mal wiederholten Friedensgruß anredet. Der Evangelist verknappt die Begrüßung Jesu an seine Jünger ins Dichteste, Alltäglichste. So wie er den Judas mit „Freund“ anredete, so redet er jetzt die Jünger mit „Der Friede sei mit euch“ an.

Im griechischen Neuen Testament lautet das bei Johannes so:

ἦλθεν ὁ Ἰησοῦς καὶ ἔστη εἰς τὸ μέσον, καὶ λέγει αὐτοῖς· Εἰρήνη ὑμῖν.

Auf Ukrainisch lautet das so:

увіходить Ісус, став посередині та й каже їм: «Мир вам!»

Auf Russisch lautet das in der eigenwilligen russisch-jüdischen Übersetzung des Neuen Testaments, die David Stern vorgelegt hat, so:

пришёл Йешуа, встал посередине и сказал: „Шалом алейхем!“

Dies zu begreifen ist gar nicht so schwer. Kann man Russisch, wird man das Neue Testament auch auf Ukrainisch lesen können. Kann man Ukrainisch, wird man das Neue Testament mit seiner Friedensbotschaft auch auf Russisch lesen und verstehen können.

 

http://kifa.kz/bible/stern/stern_yohanan_20.php

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Woher kommt das Böse in der Weltgeschichte?

 Das Böse, Freiheit, Jesus von Nazareth, Novum Testamentum graece  Kommentare deaktiviert für Woher kommt das Böse in der Weltgeschichte?
Okt 212013
 

Der erste Weltkrieg – oder vielmehr seine nachlaufende Deutung in vulgären Mythen, etwa in der Fritz-Fischer-These von „Deutschlands Griff zur Weltmacht“ – bedeutet im nachhinein betrachtet auch die Geburt des vulgärtheologischen Mythos von den Deutschen als dem „Trägervolk des Bösen“, von Deutschland als dem „Land, von dem aus alles Europäische, alle europäischen Werte zunichte gemacht werden sollten„, wie dies noch der deutsche Bundespräsident Gauck während seiner Europa-Rede am 22.02.2013 in Berlin in unübertroffener Knappheit ausführte.

In dieser Formulierung des Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland: „von Deutschland aus sollten alle europäischen Werte zunichte gemacht werden„, findet sich eine weitverbreitete Grundoperation der heute vorherrschenden vulgärtheologischen Geschichtsdeutung: das Böse, die Vernichtung aller guten Werte entspringt einem Kollektiv, einem Land, einem Volk! In den Augen sehr vieler heutiger Deutschen und auch einiger anderer Europäer sind die Deutschen auf alle Zeiten zu dem derartigen Trägervolk des schlechthin Bösen geworden, so wie dies im 19. Jahrhundert etwa in der Sicht eines Heinrich von Treitschke die Juden gewesen sein mochten. Treitschke schrieb: „Die Juden sind unser Unglück.“

Das Böse nistet gewissermaßen fest in einem hierdurch ausgezeichneten Volk. Man lese nur etwa beispielsweise noch einmal nach, an wie vielen Stellen etwa Daniel Jonah Goldhagen bei der Beschreibung schrecklicher Massenverbrechen „The Germans“ sagt, es wieder sagt, gleichsam allen Lesern mit metaphysischer Wucht einhämmert und noch einmal einhämmert: „The Germans‘ voluntaristic cruelty … the Germans‘ symbolic cruelty … the Germans kill and torture us for their sport …“  Man könnte diese Theorie des Bösen, diese Theorie der Wertezerstörung durch ein Volk oder ein Land, wie sie Joachim Gauck, Heinrich von  Treitschke oder Daniel Noah Goldhagen vertreten, die kollektivistische Theorie des Bösen nennen. Das Böse, die Wertevernichtung kommt aus der Mitte eines Volkes oder eines Landes. Ein bestimmtes Volk oder Land bringt das Böse in die Weltgeschichte. Es ist das Trägervolk des Bösen.

In schroffem Gegensatz zu dieser kollektiven Abstempelung eines Volkes, etwa der Juden (Treitschke) oder der Deutschen (Goldhagen) steht eine Aussage wie die des polnischen Philosophen Leszek Kołakowski: „Das Böse ist in uns“. Er meint: das Böse begleitet uns. Wir werden das Böse nicht los, indem wir es einem einzelnen Volk oder Land zuschreiben.

Das Böse kommt sozusagen aus dem Inneren heraus. Es ist in jedem von uns. Es „nistet“ gewissermaßen in der Mitte der Person. Wir werden das Böse in der Weltgeschichte weder durch die Europäische Union noch durch den Euro noch durch die Abstempelung von uns Deutschen als ewigem Trägervolk des schlechthin Bösen los.

Dem einzelnen Menschen steht als Person die Wahl zu, das Böse in sich zuzulassen oder es zu verwandeln in etwas Gutes. Ein früher vielfach verehrter, heute in Europa, vor allem in Deutschland jedoch weithin vergessener Zeuge für diese personalistische Sichtweise des Bösen sagt gemäß einem Schriftsteller, den wir einfach Markus aus Jerusalem nennen wollen:

„Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Verleumdung, Hochmut und Unvernunft.  All dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen gemein.“

Wer hat nun recht – der Kollektivist, der alles Böse einem Volk – ob nun den Juden oder den Deutschen – zuschreibt; oder der Vertreter einer personalistischen Sicht, der das Böse als jederzeit schlummernde Möglichkeit jedem einzelnen Menschen zuschreibt?

Im griechischen Original zitiert Markus den weithin vergessenen Menschen mit folgenden Worten:

21ἔσωθεν γὰρ ἐκ τῆς καρδίας τῶν ἀνθρώπων οἱ διαλογισμοὶ οἱ κακοὶ ἐκπορεύονται, πορνεῖαι, κλοπαί, φόνοι,

22μοιχεῖαι, πλεονεξίαι, πονηρίαι, δόλος, ἀσέλγεια, ὀφθαλμὸς πονηρός, βλασφημία, ὑπερηφανία, ἀφροσύνη·

23πάντα ταῦτα τὰ πονηρὰ ἔσωθεν ἐκπορεύεται καὶ κοινοῖ τὸν ἄνθρωπον

Quellen:

Joachim Gauck: Rede zu Perspektiven der europäischen Idee. Schloss Bellevue, 22.02.2013

Daniel Jonah Goldhagen: Hitler’s willing executioners. Ordinary Germans and the Holocaust. Little, Brown and Company, 1996, hier bsd. Buchumschlag und Seite 387

Leszek Kołakowski: Religia nie zginie. Dziennik, 21. März 2008

Christopher Clark: Murder in Sarajevo. In: The Sleepwalkers. How Europe went to War in 1914. Penguin Books, London 2012

Das Evangelium des Markus. Kapitel 7, Vers 21-23

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