Aug 262015
 

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„Wollt ihr auch weggehen“ – in Zeiten der Griechenlandkrise übersetzen wir diese Frage selbstverständlich ins Griechische!

Denn die Europäische Union gehört ja zu Europa, sie, die EU ist ein Teil Europas. Und Europa ist – sofern wir es nicht einfach als Landmasse, als mehr oder minder unerhebliches Anhängsel Asiens betrachten – zwar sehr wohl ohne die englische, russische, lettische oder deutsche Sprache, aber nicht ohne die griechische Sprache denkbar: schon die Bezeichnung Europa ist griechischen Ursprungs, es gab eine Art Europa, ehe es eine Art EU gab. Und ehe es eine Art Europa gab, gab es schon eine Art Hellas.

„Wollt ihr auch weggehen?“, das lautet auf Griechisch:

„Μὴ καὶ ὑμεῖς θέλετε ὑπάγειν;“

„Hypago“, das griechische Verbum können wir hier ohne weiteres als „zurückziehen“ übersetzen, so wie etwa ein Kartenspieler seinen Einsatz zurückzieht oder ein Feldherr seine Truppen zurückzieht. Ich schlage also heute folgende Übersetzung des griechischen überlieferten Textes vor:  „Wollt ihr etwa auch zurückziehen?“ Wer so fragt, überlässt den gefragten Menschen selbstverständlich die Wahl. Niemand ist gezwungen dabeizubleiben oder auf den Wanderungen mitzugehen.

„Wollt ihr etwa auch zurückziehen?“ Da schwingt mit: „Ihr seid frei. Ihr könnt mitkommen, ihr könnt aber auch weggehen.“ Die Gemeinschaft mit Jesus entspringt keinerlei Art von Zwangsgebot. Von einer „immer engeren Union“ kann hier in unserem Beispieltext (es handelt sich um das Johannesevangelium, Kap. 6) keine Rede sein.

Die Frage Jesu Christi eröffnet hier wie an tausend anderen Stellen diesen Raum der Freiheit. Wer nicht mitkommen will, der kann jederzeit gehen. Selbst Simon Petrus, der große Theatermensch, der ja hier nicht und auch sonst nicht um ein großartiges, großspuriges  Vertrauensbekenntnis verlegen war, wird diese Freiheit des Weggehens drei Mal in Anspruch nehmen, ehe der Hahn kräht.

Wer nicht mitkommen will, wer das Vertrauen (griechisch pistis) verloren hat, der darf und kann jederzeit gehen. Ich meine sogar: Der soll gehen. Das Ausscheiden aus der Vertrauensgemeinschaft (griechisch: ekklesia) wird durch Jesus selbst nach dem Zeugnis des Johannes ohne Nachteil für Leib und Leben, ohne jede Strafandrohung freigestellt.

In allen wesentlichen Fragen widerspricht Jesus Christus also dem Leitbild einer immer „immer engeren Union“, wie sie etwa der Lissaboner Vertrag oder  die europäische Christdemokratie für die EU gebieterisch vorschreibt, einer Euro-Zwangsgemeinschaft, die sich gewissermaßen selbstläufig in immer stärkerer Vertiefung ergeben soll.

Jesus lädt stattdessen zur Nachfolge ein. Er will keine Unterwerfung unter ein Reglement, wahrscheinlich auch keinen Gehorsam. Den Gedanken der Unterwerfung  – la SOUMISSION, wie sie z. B. Michel Houellebecq erzählt  – lehnt er hier wie an tausend anderen Stellen radikal ab.

„Wollt ihr auch weggehen?“ Ich hörte diese Frage beim Besuch der Messe im Augsburger Dom am vergangenen Sonntag (siehe Bild). Sie hat mich lange beschäftigt.

Quelle:

Novum testamentum graece, ed. Strutwolf e.al., 28. Aufl. Stuttgart 2012, hier: Joh 6,67

 

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