In der italienischen Wochenzeitschrift L’espresso vom 03.01.2008 äußert sich Zygmunt Bauman über Funktion und Erscheinungsformen der Angst in modernen Industriegesellschaften. Er sieht Angst funktional: Weshalb wird uns Angst eingeflößt und zu welchem Ende sollen wir sie empfinden? Als gefügige Objekte der Angst und der Ablehnung in der modernen Massengesellschaft erkennt er die Migranten, insbesondere die Zigeuner – den Ausdruck „Sinti und Roma“ verwirft er als bloße Begriffskosmetik. In Zeiten hemmungsloser Globalisierung, die gepaart sei mit einem immer schwächeren Staat, seien es einzig und allein künstlich geschaffene Bedrohungsszenarien, die noch den Zusammenhalt, das Funktionieren der fragmentierten Gesellschaften gewährleisten könnten. Dies gelte insbesondere auch für das Zusammenspiel zwischen Terroristen, Massenmedien und politischen Machteliten:
„I terroristi possono contare sulla collaborazione dei media, che riportano su scala globale le loro azioni locali; su potenti armate che in rappresaglia per queste azioni semineranno distruzione e odio, procurando ai terroristi schiere di nuove reclute; sui governi che vedono nelle azioni terroristiche (quelle riuscite e quelle fallite, o pianificate o solo pensate, o in sospetto di essere pensate) una chance per dimostrare di essere vigili ed efficaci e di ottenere l’applauso degli elettori.“
Bis hierhin vermag ich Baumann zu folgen. Nehmen wir als Beleg nur unsere Lage in Europa: Jedes Jahr sterben in der Europäischen Union etwa 50.000 Menschen bei Verkehrsunfällen, viele mehr tragen schwere und schwerste Behinderungen davon, während die Zahl der Terroropfer in Europa regelmäßig nur einen winzigen Bruchteil davon, der in vielen europäischen Ländern eine runde Null ist, ausmacht. Wer spricht in der öffentlichen politischen Debatte von diesem grotesken Missverhältnis? Wer tut etwas gegen den nicht erklärten „Krieg auf den Straßen“, wie es ein Beitrag von Eva Tenzer in der Zeitschrift Psychologie heute im Januar 2008 in polemischer Übertreibung titelt?
Ich widerspreche dem ursprünglich aus Posen stammenden Soziologen aber, wenn er am Schluss des Interviews einen Ausblick auf die Möglichkeit entwirft, uns von der Angst überhaupt zu befreien („la speranza di liberarci dalla paura“). Meint er damit ein Leben frei von Angst? Das halte ich für ausgeschlossen. Ich meine sogar, jeder – utopistische – Vorsatz, die Angst völlig aus dem menschlichen Dasein beseitigen zu wollen, würde einen neuen Teufelskreis von Repression und neuen Ängsten einläuten. Unser Ziel kann es nur sein, sinnvolle, realitätsgerechte Angst zu empfinden, irrationale Ängste zu durchkreuzen und denen in den Arm zu fallen, die aus geschürten Ängsten Kapital schlagen wollen.
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