Mrz 112010
 

abdel-samad_images.jpg Neben Armin Laschets „Aufsteigerrepublik“ halte ich Abdel-Samads „Abschied vom Himmel“ für die beiden besten Bücher zum Thema „Integration“, die der deutsche Buchmarkt im Jahr 2009 herausgebracht hat. Sie sind wie Zwillingsbrüder. Sie machen all die hochtrabende, begrifflich hochgerüstete akademische Migrations- und Integrationsforschung … nun … nicht komplett überflüssig, aber sie grundieren sie mit kräftigen, unauslöschlichen Pinselstrichen. Sie sind – Butter bei die Fische!

Was sagt Hamed Abdel-Samad zum Thema „Alltagsrassismus“? Antwort: Er verwendet  das Wort nicht.  Sehr wohl aber spricht er von Diskriminierung, der harmloseren Vorstufe zum Rassismus. Wir hören:

„Aber eines haben Türken und Araber in Deutschland gemein: Sie beschweren sich leidenschaftlich und fortwährend über ihre Diskriminierung, obwohl es meist gar nicht um Diskriminierung geht. Es handelt sich vielleicht um Gleichgültigkeit, Nichtbeachtung oder höchstens Kränkung, aber Diskriminierung ist eigentlich etwas anderes. Aber der Vorwurf der Diskriminierung dient oft als Ausrede für das Ausbleiben eigenen Erfolgs.“

Gleichgültigkeit, Nichtbeachtung oder Kränkung: Das erfahre ich, das erfahren wir Menschen immer wieder, z.B. wenn die Leute uns nicht kennen, wenn wir schlecht oder dürftig angezogen sind. Gehen Sie mal in abgerissenen Jeans und Turnschuhen in ein Standesamt! Und dann gehen Sie mit Anzug und Krawatte und gewienerten Schuhen in dasselbe Amt – na, bemerken Sie den Unterschied?

Aber: Das ist weder Rassismus noch Diskriminierung. Das ist menschlich. So sind wir Menschen.

Daneben gibt es zweifellos Fälle von Diskriminierung von Zuwanderern in Deutschland, das höre ich selbst immer wieder. Aber – es sind einzelne Fälle, es hat nicht System. „Sie sind aber kein Berliner, oder?“ – das höre ich selbst immer wieder hier in Kreuzberg. Warum bloß? Bin ich deswegen schon ein Diskriminierungsopfer? Unsinn!

Sich ständig als diskriminierte Minderheit (oder Mehrheit) auszugeben, hat wenig Sinn. Wir wären dann ja alle Diskriminierungsopfer, weil wir ständig aufgrund von rein äußerlichen Merkmalen wie etwa Kleidung oder Haartracht eingestuft und beurteilt werden!

Alle können sich durch Höflichkeit, durch Leistung, durch Respekt gegenseitig in ihrer Eigenart bestärken. Das brauchen wir. Nicht Jammerarie auf Jammerarie!

Hamed Abdel-Samad: Mein Abschied vom Himmel. Aus dem Leben eines Muslims in Deutschland. Fackelträger Verlag, Köln 2009, 312 Seiten. Zitat: S. 48

 Posted by at 13:02

  3 Responses to “Wir sind alle Diskriminierungsopfer!”

  1. Hallo Loewe, das ist toll, was Sie da schreiben. Ich glaube, Sie haben anhand dieser einen Lebensgeschichte von Z. die gesamte Lage sehr gut eingefangen. Danke! Diesen Ihren Beitrag werde ich gerne zitieren. Vorbildlich!

  2. Z würde sagen: Nicht nötig. Ich fühle mich wohl als deutsche Staatsbürgerin mit türkischer Identität, türkischer Herkunft. Ich schwimme in der FDGO wie der Fisch im Wasser. Ich fühle mich hier zu Hause. Eine „sorbische“ Regelung brauche ich nicht. Respektiere mich als Individuum so, wie ich bin, das reicht mir.

    Wir müssten nur unser Konzept davon, was ein Deutscher ist, etwas erweitern. Man kann eben auch als deutsche Staatsbürgerin, die perfekt Deutsch spricht, im Kopf noch auf türkisch rechnen, im Herzen Türkisch fühlen, gerne türkische Literatur lesen und türkische Soaps konsumieren, oder die Politik in der anderen Heimat mit blutendem Herzen verfolgen.

    Es geht ja doch um Integration, nicht Assimilation. Z weiß einfach, wer sie ist – und sie ist ein Mensch zweier Welten und balanciert das gekonnt aus. Ich beneide sie ein bisschen darum.

    Also: Auch ich würde nicht für eine türkische Volksgruppe in Deutschland plädieren. Aber man könnte ganz pragmatisch mit den Eigenschaften und Talenten umgehen, die unser Land mit der Anwesenheit der Migranten bereichern. Etwa mehr Türkisch im Gymnasium anbieten, u.a.

    Wenn Z sich nicht als Deutsche sieht, ist das kulturell gemeint – staatsbürgerlich sieht sie sich sehr wohl als Deutsche.

    Mein Eindruck ist, sie ist auch kulturell schon mehr eine Deutsche geworden, sie will das aber aus Ärger über die Vorurteile, denen sie ständig begegnet, nicht offen zugeben. Es ist Trotz. „Wenn ihr blöden Deutschen so fies über uns Türken redet, dann bin ich eine Türkin! Ich lass meine Leute nicht feige im Stich.“ Dabei stehen ihr die gelungene Integration und die für uns so wertvolle Kompetenz ins (orientalische) Gesicht geschrieben.

  3. Ich tu mich schwer mit solchen Betrachtungen.

    Ich habe 1987 eine Türkin geheiratet, Z., eine Frau, der man ansieht, dass sie „keine Deutsche“ ist. Nach kurzer Zeit hat sie perfekt Deutsch gesprochen, gut verdient. Sie trägt kein Kopftuch und zieht als emanzipierte Frau Deutschland der Türkei entschieden vor. Sie ist niemand, der zum Jammern neigt.

    Ich brauche hier nicht zu erzählen, was sie mir im Laufe der Jahre alles erzählt hat – persönlichen Erfahrungen und denen, die sie von ihren Verwandten, Freunden, Klienten gehört hat. Ich werde nie vergessen, wie mir ihr Vater einmal erzählt hat, wie sie ihn gerade wieder bei der Bahn (er war Eisenbahner) als „den Türken“ mobben. Er hat geweint dabei.

    Z. ist eine Frau, die dennoch Deutschland der Türkei vorzieht. Aber wenn sie läse, was Sie oder Abdel-Samad hier schreiben, würde sie sich ärgern:

    Erst auf den Fremden herumtrampeln – dann einen Verräter anheuern, der das bequem wegredet.

    Natürlich muss man die Kirche im Dorf lassen. Es könnte weitaus schlimmer sein. Es geht insgesamt einigermaßen zivil zu in Deutschland. Meine Ex-Frau würde Ihnen außerdem zugestehen, dass es in der Türkei härter zur Sache ginge im Vergleichsfall. Trotzdem: Das partielle Misslingen der Integration liegt eher an uns Deutschen als an jenen Migranten, denen die Integration nicht gelingt oder die die Integration verweigern. Ihre Umgebung hat ihnen allzu deutlich gemacht: Wir wollen euch nicht! Ihr gehört nicht zu uns!

    Ich habe auch bei Z. erlebt, wie Z. – gelegentlich – zu mir sagte: „Scheiß-Deutsche! Ich hasse sie!“ Es ist halt nicht so leicht, über Demütigungen hinwegzukommen.

    Z. gelingt es letztlich, weil sie beruflich und gesellschaftlich Erfolg hat, längst besser Deutsch spricht und schreibt als ihre deutschen Arbeitskollegen, dem deutschen Bürokratie-Dschungel, in dem sie sich beruflich bewegt, voll gewachsen ist – und weil sie das Gefühl hat, uns Deutsche zu durchschauen.

    Sie hat schon lange den deutschen Pass – aber sie weigert sich strikt, sich als Deutsche zu sehen. Sie ist eine Türkin! Grade erst recht!

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