Apr 092013
 

2013-03-25 14.01.41

Hassenden läuft der Hass nach, Liebenden kommt die Liebe entgegen. So spricht eine gezettelte Botschaft des Talmud auf der Wilhelmstraße.

Mit einem Lesezirkel hochbetagter, hochweiser Damen und Herren in der nämlichen Wilhelmstraße besprach ich Theodor Fontanes unsterbliches (es wird uns alle überleben!) Gedicht „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“. Gemeinsam kramend, suchend stöbernd in den Herzkammern des Gedächtnisses, gelang es uns, einen Großteil des Gedichts wiederherzustellen, das früher jedes Berliner Schulkind kannte.

Merkwürdig, ja fast anstößig  ward mir beim Rezitieren folgende Strophe, und in ihr insbesondere die fettgedruckten Zeile:

So klagten die Kinder. Das war nicht recht –
Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht;
Der neue freilich, der knausert und spart,
Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.
Aber der alte, vorahnend schon
Und voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn,
Der wußte genau, was damals er tat,
Als um eine Birn‘ ins Grab er bat,
Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus
Ein Birnbaumsprößling sproßt heraus.

Voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn – eine starke, harte, grob treffende Zeile!

Die Literatur, aber mehr noch die gesamte politische Debatte ist ja heute reich, überreich an Vorwurfsdiskursen der Jungen gegen die Alten. Hier bei Fontane erhebt einmal der Alte einen stillen Vorwurf gegen den Sohn. Könnte es sein, dass einmal, ein einziges Mal in der Weltgeschichte, die Väter bessere Menschen als die Söhne, die Mütter bessere Menschen als die Töchter sind? Ich hege diese Vermutung, ich bin davon überzeugt! Es können durchaus die Väter und Mütter mehr geleistet haben, mehr Bleibendes zum Wohl und Gedeihen der Nachkömmlinge hinterlassen als umgekehrt die Söhne und Töchter schaffen!

Insbesondere die 68er Generation brüstet sich in Teilen bis heute damit, erstmals das Versagen, Verdrängen und Vergessen der Vätergeneration in den Jahren 1933-1945 aufgedeckt zu haben.

Voll Mißtraun gegen den eigenen Vater – das könnte das Motto eines Christoph Meckel, eines Günter Seuren, eines Günter Grass, eines Bernward Vesper, einer Gudrun Ensslin, einer Ulrike Meinhof  und tausender anderer Kämpfer der 68er Generation sein! Diese Geisteshaltung prägt heute große Teile der meinungsprägenden Redaktionen und Feuilletons. All diese Söhne und Töchter bezogen ihre unerschütterliche Überzeugung der eigenen moralischen Überlegenheit aus dem wiederholten, ritualisierten, gemeinschaftlich vollzogenen Prozess gegen die eigenen Eltern – einer Art ständig wiederholten symbolischen Hinrichtung der Mörder.

Die ab 1949 vollbrachte Aufbauleistung der Bundesrepublik Deutschland wurde und wird nicht gewürdigt. Sie wird verleugnet. Bis zum heutigen Tag brüsten sich Vertreter der 68er Generation damit, sie hätten den „Muff der Adenauer-Jahre“ beseitigt. Ein großer, ein grotesker  Irrtum, wie ich finde! Die deutsche Literatur der Jahre 1946 bis 1965 bestätigt die satte, selbstverliebte, selbstzufriedene moralische Überlegenheitsgeste der Jüngeren, also der ab 1935 bis 1960 Geborenen, schlechterdings nicht. Die frühen, vielgelesenen  Erzählungen Heinrich Bölls, die 1952 bei der Eröffnung des Mahnmals Bergen-Belsen gehaltene Rede des Bundespräsidenten Theodor Heuss zeigen ebenso wie zahlreiche Reden von Bundeskanzler Adenauer eindeutig, dass – von den Spitzen der Literatur und der Politik ausgehend – ein klares Bewusstsein von deutscher Schuld und Schande zu erwachsen begann.

Die 68er-Generation fiel jäh hinter den schmerzhaften Prozess der Gewissenserforschung der Väter und Kriegsheimkehrer zurück, sie prahlte, drohte, johlte, sie fiel zwar nicht auf Hitler herein, aber sehr wohl auf Mao, Ho Tschi Minh, Lenin, Fidel Castro, Che Guevara, später Ghaddafi  – diese waren aber wie Hitler allesamt Diktatoren, an deren Händen reichlich Blut klebte. Und die 68er – etwa Rudi Dutschke, ebenso Teile der späteren Grünen wie etwa Joschka Fischer oder Hans-Christian Ströbele  – bejahten Gewalt als politisches Druckmittel. Hinhören, Einfühlen, Verzeihen, Gewaltverzicht kannten sie nicht. Sie glaubten nicht an die Liebe, nicht an die Erinnerung, nicht an die Versöhnung.

Mahler, Dutschke, Cohn-Bendit, Günter Grass und viele andere haben damals ein Scherbengericht veranstaltet, mit dessen letzten Hinterlassenschaften wir uns heute herumzuschlagen haben. Die völlige Delegitimation der demokratischen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, die die 68er-Bewegung versuchte, brachte jahrelang, bringt auch heute noch ein erhebliches Potenzial an Gewaltbereitschaft hervor. „Wehrt euch“. Unser Bild zeigt einen gezettelten Anschlag auf der Ohlauer Straße/Reichenberger Straße, Kreuzberg, aufgenommen heute, direkt vor der besetzten Grundschule, einem der neu entstandenen rechtsfreien Räume.

2013-04-09 17.46.13

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Rassismus ist als Gesinnungsverbrechen weit schlimmer als Faschismus! Ein Rätsel

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Apr 082013
 

„Rassismus tötet!“ „Rassismus schadet bereits in geringsten Mengen!“ „Rassismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!“ „Der Autor N.N. ist doch bloß ein Rassist, und ich hasse alle Rassisten!“ „Kein Fußbreit für Rassisten!“

Derartige Äußerungen stimmen nachdenklich. Keinem Zweifel darf unterliegen, dass Rassismus, also die Einteilung der Menschen in biologisch begründete höher- oder tieferstehende Rassen, auf den entschiedensten Widerstand aller aufrechten Demokraten und Menschheitsfreunde stoßen muss. Viele Rechtsordnungen sehen rassistische Motivation als straferschwerend bei der Verurteilung von Straftaten an.

Aber bereits rassistische Äußerungen als solche sind in einigen Ländern strafbewehrt. Der italienische Fußballspieler Paolo di Canio etwa sagte mit Unschuldsmiene zu seiner Verteidigung, nachdem er wieder einmal durch Zeigen des Grußes mit ausgestreckter Hand höchst unangenehm aufgefallen war: „Ich bin Faschist, aber kein Rassist.“ Damit stellte er klar eine Rangordnung her: Der Vorwurf des Rassismus wiegt für ihn weit schwerer als die Selbstbezeichung des Faschisten. Die italienische Repubblica spießt den Fall di Canio auf und führt noch an: „In England kann der Vorwurf des Rassismus nicht nur zur Disqualifikation auf dem Fußballplatz, sondern geradewegs ins Gefängnis führen.

Repubblica vom 15.05.2012 im Original:
„Il Mail ricorda che Di Canio fu punito e multato dalla federcalcio italiana per avere fatto ripetutamente il saluto a mano tesa ai tifosi della Lazio quando giocava a Roma. Il giornale sottolinea che, in passato, Di Canio disse: „Io sono fascista, non razzista“. In Inghilterra l’accusa di razzismo può portare non solo alle squalifiche in campo calcistico, ma dritto in prigione.“

via Di Canio, accuse di razzismo La FA apre un’inchiesta – Repubblica.it.

Um so wichtiger ist es, Rassismus zu erkennen, zu benennen und ihn zurückzudrängen! Rassisten dürfen keinen Platz im Fußball und in der Öffentlichkeit erhalten, in England werden sie mit Fug und Recht gleich ins Gefängnis geworfen.

Wie erkennt man nun aber Rassismus? Teste dich selbst! Wie ist folgende Aussage zu bewerten:

„Schon heute vermehren sich unkultivierte Rassen und zurückgebliebene Schichten der Bevölkerung stärker als hochkultivierte.“

Hier wird mir wohl jeder zustimmen: Das ist eine eindeutig rassistische Aussage. Schlimmer geht’s fast nimmer. Es ist geradezu Rassismus pur, der hier vertreten wird. Denn der Verfasser unterteilt die Menschen in „Rassen“, die er anschließend in „unkultivierte“ und „hochkultivierte“ einteilt. Ferner werden unbewusste Ängste vor Überwältigung und „Überfremdung“ der „hochkultivierten Rassen“ durch die „zurückgebliebenen“ „Rassen“ und Schichten der Bevölkerung geschürt. Jeder wird hier zustimmen: Von dieser Aussage hin zur rassistischen Hetze ist es nur ein kleiner Schritt.

Ist also der Urheber solcher Äußerungen ein Rassist? Ja – oder doch nicht?

Ehe wir zu einem Urteil gelangen, empfiehlt es sich, den zitierten Rassisten den Gesamtzusammenhang herstellen zu lassen, indem wir das ganze Textstück des rassistischen Autors widergeben, aus dem die rassistischen Äußerungen stammen:

„Seit unvordenklichen Zeiten zieht sich über die Menschheit der Prozeß der Kulturentwicklung hin. (Ich weiß, andere heißen ihn lieber: Civilisation). Diesem Prozeß verdanken wir das beste, was wir geworden sind, und ein gut Teil von dem, woran wir leiden. Seine Anlässe und Anfänge sind dunkel, sein Ausgang ungewiß, einige seiner Charaktere leicht ersichtlich. Vielleicht führt er zum Erlöschen der Menschenart, denn er beeinträchtigt die Sexualfunktion in mehr als einer Weise, und schon heute vermehren sich unkultivierte Rassen und zurückgebliebene Schichten der Bevölkerung stärker als hochkultivierte. Vielleicht ist dieser Prozeß mit der Domestikation gewisser Tierarten vergleichbar; ohne Zweifel bringt er körperliche Veränderungen mit sich; man hat sich noch nicht mit der Vorstellung vertraut gemacht, daß die Kulturentwicklung ein solcher organischer Prozeß sei.“

Würde der Verfasser dieser rassistischen Äußerung auch nur einen Tag frei in England herumlaufen dürfen, wenn er seinen Fuß auf die Insel setzte? Zweifel sind angebracht. Nur die Tatsache, dass er seine rassistischen Äußerungen bereits vor einigen Jahren in seiner Mutter- und Arbeitssprache Deutsch zum Druck gegeben hat, würde ihn zunächst vor Verhaftung, Anklage und Gefängnisstrafe schützen. Denn zunächst müsste das Gericht die skandalösen Äußerungen des deutschsprachigen Autors ins Englische übersetzen lassen.

Quizfrage für alle: Wie lautet der Name des zitierten rassistischen Autors, der heute in England sofort bei der Einreise verhaftet und dann verurteilt würde, während in Deutschland immer noch bis zum heutigen Tage ein Literaturpreis nach ihm benannt ist:

a) Sigmund Freud
b) Georg Büchner
c) Heinrich von Kleist
d) Ernst Moritz Arndt
e) August Graf von Platen

Bitte fleißig diskutieren! Die Auflösung des kleinen Rätsels folgt am Donnerstag!

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„Wir brauchen Solidarität mit allen Menschen gleichermaßen! Eine sozial gerechte Gesellschaft!“ Der Einwurf Montesquieus

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Apr 072013
 

2013-03-24 10.55.08

Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter aus dem Lukasevangelium galt noch bis vor wenigen Jahrzehnten als Gemeinbesitz aller europäischen Völker. In den ehemals sozialistischen Staaten und in weiten Teilen der Berliner Jugend, bei einem Großteil der Berliner Kinder ist hingegen das Gleichnis vom barmherzigen Samariter heute gänzlich unbekannt, wie ich mich immer wieder überzeugen kann. Die mir bekannten Ethik-Lehrbücher für den staatlichen Schulunterricht verlieren über die Gleichnisreden Jesu kein Wort mehr. Im Berliner Deutschunterricht wird offenkundig fast nichts mehr behandelt, was noch die Prägekraft der antiken Gleichnisreden widerspiegeln könnte. Es herrscht eine allgemeine Allergie gegenüber dem gleichnishaften Reden und gegenüber nahezu allen Formen der bildhaften, emotional durchtränkten Erzählweisen der Religionen und überhaupt des alten Europa – vor allem eine Aversion gegenüber dem Christentum, weniger gegenüber dem Judentum, weniger gegenüber dem Islam.

Unbefragt hingenommen werden dagegen die mannigfachen Ersatzformen des Religiösen (Fankult, I-Phone-Manie, Autowahn, Computerwahn, Politikgläubigkeit).

So versiegt der jahrtausendalte Brunnen.

In der deutschen Rechtsordnung ist „unterlassene Hilfeleistung“ gleichwohl eine Straftat. Das Verhalten des Priesters und des Leviten, von dem Jesus bei Lukas 10, 31-32 erzählt, wäre nach unserem Recht ohne jeden Zweifel strafbar – unabhängig davon, ob der Beschuldigte etwas von der Pflicht zur Hilfeleistung erfahren hat oder nicht. Die Pflicht zur Hilfeleistung etwa bei Straßenverkehrsunfällen gilt nach § 323c StGB in unserer Rechtsordnung unabhängig davon, ob jemand irgendwann etwas vom barmherzigen Samariter gehört hat oder nicht.

Eine, vielleicht die wichtigste prägende Erzählung zur Verkündung dieser Pflicht zur Hilfeleistung dürfte in der Tat in den ehemals christlich geprägten Ländern Europas das Lukasevangelium bereitgestellt haben.

Über eben diese sittliche Pflicht zur Hilfe für andere Menschen dachte der französische Philosoph Montesquieu etwa in folgenden rationalen Grundlinien nach:

Der vollkommen tugendhafte Mensch – meint Montesquieu –  würde allen Menschen gleichermaßen zu Hilfe eilen. Er wäre der barmherzige Samariter überall und jederzeit – ein wandelnder Tugendbolzen, Vorbild wahrhaft universaler Solidarität. Er würde keine Freundschaften mehr brauchen und auch keine Freundschaften pflegen. Denn jede persönliche Bindung liefe Gefahr, die universale Tugendhaftigkeit des Vorbildes zu beeinträchtigen.

Das Gebot der Solidarität übersetzt sich im idealen Menschen des Philosophen in einen Menschen, der keine gewachsenen Bindungen mehr anerkennt, da ihm diese als Einschränkung seiner auf alle Menschen gleichermaßen sich erstreckenden Beistandspflicht erschienen. Diese Pflicht zur ersten Hilfe ergebe sich vielmehr aus rational nachvollziehbaren, letztlich philosophischen  Gründen. Denn eine gute Gesellschaft sei eine Gesellschaft, in der einander möglichst viele, und idealerweise alle Menschen durch gleichmäßige Verpflichtungen der Solidarität verbunden seien. Die vollkommen soziale und vollkommen gerechte  Gesellschaft wäre also im Sinne Montesquieus ein Verband absolut gleichmäßig verbundener Menschen.

Mit Fug und Recht kann man behaupten, dass die Versuche einer absolut gerechten, einer sozialistischen Gesellschaft auf diesem Bestreben beruhten, alle Menschen gleichermaßen zur uneingeschränkten Solidarität mit allen Menschen zu bewegen – unangesehen der Herkunft, unangesehen eventuell bestehender Bindungen an Familie, Heimat, Tradition, Freundschaft und Geschichte.

Montesquieu hält diese Versuche gleichwohl für der menschlichen Natur zuwiderlaufend. Denn zu uns gehöre es gerade, es mache uns gerade als Menschen aus, dass wir vielfach abhängig seien, dass wir Freundschaft, Liebe, Partnerschaft mit stets einzelnen Menschen suchten.

Mir scheint in der Tat das Gleichnis vom barmherzigen Samariter seine Kraft gerade hier in der Zurückweisung des Universalitätsanspruchs der philosophischen Tugendlehren zu entfalten. Denn der Samariter entscheidet sich nicht aufgrund einer philosophischen oder theologischen Weisung für die Hilfe, sondern weil er „Mitgefühl, Mitleiden, Erbarmen“ empfindet, also „eleos“, wie es auf Griechisch heißt. Sein Antrieb ist eben nicht ein weltumspannendes „pathetisches“ Solidaritätsdiktat, sondern ein menschenergreifendes, „empathisches“ Mit-Empfinden. Religion kann diese Fähigkeit zum Mitempfinden, zum Miterleiden behutsam stärken, anregen und verankern. Sie kann dem schwachen, dem verletzten und armen Menschen Mitempfinden im Herzen des anderen schaffen.

Aus dieser Herzensbildung mag dann später – im Erwachsenenalter – auch die Einsicht in die Pflicht zur gesetzlich gebotenen Hilfeleistung erwachsen.

Montesquieu im Original:

Je crois, cependant, qu’il est vrai que, si les hommes étoient parfaitement vertueux, ils n’auroient point d’amis.

Nous ne pouvons nous attacher à tous nos concitoyens. Nous en choisissons un petit nombre, auquel nous nous bornons. Nous passons une espèce de contrat pour notre utilité commune, qui n’est qu’un retranchement de celui que nous avons passé avec la société entière, et semble même, en un certain sens, lui être préjudiciable.

En effet, un homme véritablement vertueux devroit être porté à seçourir l’homme le plus inconnu comme son ami propre ; il a, dans son cœur, un engagement qui n’a besoin d’être confirmé par des paroles, des serments, ni des témoignages extérieurs, et le borner à un certain nombre d’amis, c’est détourner son cœur de tous les autres hommes ; c’est le séparer du tronc et l’attacher aux branches.

Quellenangabe:

S. 421 in folgendem Werk:

Titre Pensées et Fragments inédits de Montesquieu
Volume I
Auteur Montesquieu
Éditeur Le baron Gaston de Montesquieu
Maison d’édition Imprimerie de G. Gounouilhou
Lieu d’édition Bordeaux
Année d’édition 1899

via Page:Montesquieu – Pensées et Fragments inédits, t1, 1899.djvu/421 – Wikisource.

Bild: Samariterbrunnen im ev. Johannesstift Berlin-Spandau
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Mach das und du wirst leben

 Hebraica, Jesus Christus, Novum Testamentum graece  Kommentare deaktiviert für Mach das und du wirst leben
Apr 062013
 

2013-03-24 11.23.59

„Mach das und du wirst leben.“ τοῦτο ποίει καὶ ζήσῃ. So steht im Lukasevangelium Kapitel 10, 28.

Wir erinnern uns: Die Anfrage des Schriftkundigen richtete sich darauf, wie er Anteil am ewigen Leben erlangen könnte.  Statt einer Auskunft fragt Jesus zurück:

Ἐν τῷ νόμῳ τί γέγραπται; πῶς ἀναγινώσκεις;

„Was steht in der Weisung geschrieben? Wie liest du?“ Gemeint ist in dieser persönlich zugespitzten Frage: „Wie liest du persönlich die Torah? Was zählt für dich persönlich?“ Der Schriftgelehrte gibt seine Antwort: das Gebot der Gottesliebe und das Gebot der Nächstenliebe stehen für ihn als direkt gefragte Person ganz oben. So steht es auch vorher bereits in der Bibel bis zum heutigen Tag, 5. Buch Mose (Deuteronomium) 6,5 mit dem Gebot der Gottesliebe und 3. Buch Mose (Levitikus) 19,18,  mit dem Gebot der Nächstenliebe.

„Du hast richtig geantwortet. Mach das und du wirst leben.“

Das kann bedeuten: Tu es einfach, tue das, was du aus deiner Wahl heraus für das Gebotene hältst. Tue das, woran du glaubst, und alles andere, wonach du strebst, wird folgen. Wieder so eine unerhört knappe, geradezu atemberaubend theoriefreie Antwort, die uns heute wohl ebenso fassungslos zurücklässt wie damals die ersten Hörer, die uns aber weiterhin beflügeln kann. Gefordert sind also nicht weitere Worte, sondern Handlungen.  Nicht Bekenntnisse, kein gescheites Reden, sondern Handeln aus der Einsicht in das, was geboten ist.

Das Gebot der Nächstenliebe wird hier in dieser Begegnung nicht vom Meister auferlegt, vielmehr soll der Fragende durch Besinnung auf das, was für ihn zählt, das Wesentliche selbst herausfinden und dann danach handeln.

Mach das und du wirst leben.

Bild: Eine Brücke über einen winterlichen Bach in Spandaus Eiskeller

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Gekappte oder verfaulte Wurzelwerke?

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Apr 042013
 

2013-03-06 07.34.02

Gebt acht, dass euch nicht eine stürzende Bildsäule erschlage„, so hörten wir es bis vor wenigen Jahrzehnten, als das alte Europa sich noch einmal an den griechischen und römischen Wurzelwerken neu aufzurichten suchte.  Die griechisch-römische Antike meint es weder gut noch schlecht mit uns. Wir selbst müssen uns den Weg zu den Wurzelwerken bahnen.

„Gebt acht, dass euch nicht ein stürzender Baum erschlage!„, muss wohl der Warnspruch heutigentags in Kreuzberg lauten. Ein Baum, dessen Wurzelwerk zur Hälfte beschädigt ist, kann nicht stehen bleiben! Die Natur als solche meint es weder gut noch schlecht mit uns Menschen, sie sucht sich ihren Weg. Dies erfuhren wir voller Schrecken an unserer Straßenkreuzung. Eine Linde zertrümmerte das Dach eines wartenden Autos, zwei Frauen wurden schwer verletzt.

Mit einem türkischen Nachbarn besprach ich die Ursache. „Das Wurzelwerk wurde durch Bauarbeiten gekappt. Es war zur Hälfte abgestorben!“, zitierte ich aus der Presse. „Nein, du irrst! Ein Gasleck ist die Ursache. Am Wurzelwerk des Baumes führte eine undichte Gasleitung. So verfaulte das Wurzelwerk, der Baum stürzte und erschlug zwei Autos“, widersprach er mir. Er oder ich – wer hat recht? S’ist eine Glaubensfrage. Ich weiß es nicht. Ich bin auch nicht zuständig dafür.

Wer ist schuld an dem Unglück? Offenbar der Mensch. Er hat das Wurzelwerk durch Achtlosigkeit, durch einen künstlichen Eingriff in die Natur beschädigt. Der Mensch hat die Natur, hier verkörpert in einer Linde, nicht gehegt und gepflegt. Und so lebt die Natur nicht, wie der Dichter es will,

geduldig und häuslich,
pflegend und wieder gepflegt mit dem fleißigen Menschen zusammen 

sondern setzt sich schonungslos durch. Die Natur kümmert sich nicht um den Menschen und schon gar nicht um die Autos der Menschen, wenn er sich nicht um sie kümmert. Die Natur meint es mit dem Menschen weder gut noch schlecht. Die Natur ist weder gut noch böse, sie kennt auch weder gut noch böse.

Freilich, Bäume stürzen in freier Natur alle Tage um. Schädlinge setzen den Bäumen zu, Dürre kann sie verdursten lassen, Sturm und Gewitter können Bäume entwurzeln und umstürzen lassen, auch Menschen erschlagen lassen.

Diesen Naturkräften sah sich der frühe Mensch nahezu schonungslos ausgeliefert. Und so begann er irgendwann, diesen Naturkräften – den Bäumen, den Winden, den Wassern – eine übermächtige Kraft zuzusprechen. Er sah die Natur bewohnt von großen, mächtigen Wesen. Er nannte die Wesen Götter, er sah im Übermächtigen seine Götter am Werk. Ein Stein, ein Baum, eine Eiche, eine Linde, ein Tier, ein Insekt, ein Skarabäus, eine Katze  – alles konnte in der Phantasie der frühen Menschen zu etwas Göttlichem gemacht werden. Diesen Göttern sprach der Mensch seine Eigenschaften zu.

Stürzte eine Eiche um und erschlug einen Menschen, so sagte er: „Der Gott in der Eiche hat sich gerächt. Wotan hat sich gerächt. Dieser Mensch hat etwas gegen Wotan getan, dafür ist der Mensch erschlagen worden.“

„Die Natur rächt sich.“ Diesen Satz, der das mythische Bewusstsein der frühen Menschen widerspiegelt,  kann man noch heutigentags immer wieder hören, bis hinein in politische Debatten und Zeitgespräche zum Umwelt- und Klimaschutz.

Bild: Das von der stürzenden Linde zertrümmerte Auto in der Großbeerenstraße

 

 Posted by at 22:42