Aug 182023
 

Sonntag, 30. Juli 2023. Auch heute gilt unser erster Blick nach dem Aufwachen wie stets dem Wetter. Nachdem es in der Nacht kräftig geregnet hat, überrascht uns in der Früh der Himmel mit immer neuen, spektakulären Wolkenfetzen, die über das Joch, diesen deutlich erlebbaren Kamm der gesamten Alpenkette hinweg getragen, geblasen, getrieben werden.

Nach dem Frühstück schreiten wir stracks und stark, froh und gut gestimmt auf den Landshuter Höhenweg, einen Abschnitt des Tiroler Höhenweges, der uns heute bis zur Landshuter Europahütte (2693 m) führen wird. Er führt beständig in sanftem Auf und Ab allmählich höher – das ist echtes Genusswandern!

Doch je höher wir kommen, desto unwirtlicher wird das Gelände. Das Wetter zieht sich zu, immer wieder fällt feuchtkalter Wind vom mächtigen Massiv der Urbanscharte, der Grawand, der Hohen Wand (3289 m) auf uns herab. Nicht immer ist der Weg sofort erkennbar, von der Europahütte haben wir noch keinen einzigen Dachschindel gesehen! Kein Strauch, kein Baum kann sich hier halten; nur wenige winzige Blümchen sind zu sehen. Wir sind oberhalb der üblichen Vegetation, im Hochgebirge, im Schrofengelände!

Doch nach einer weiteren Stunde erreichen wir die nebelverhangene Landshuter Europahütte, wo wir unser Nachtlager beziehen und uns Lage und Geschichte dieser wahrhaft europäischen Bergsteigerzuflucht (dieses rifugio, wie man auf Italienisch sagt) erzählen lassen.

Die Hütte liegt nämlich genau auf der heutigen Staatsgrenze zwischen Österreich und Italien und wird gemeinsam von der Sektion Landshut des DAV und der Sektion Sterzing des Italienischen Alpenvereins (CAI) betrieben.

Wir stärkten uns im Gastraum auf italienischem Territorium grenzüberschreitend bei Kaspressknödel und spaghetti al ragù bolognese, die aus dem benachbarten nordtiroler Küchenterritorium zollfrei dampfend über die Landesgrenze (die Küche und Gastraum trennt) auf den Tisch serviert wurden.

Nächstes Jahr wird dies so leicht nicht mehr möglich sein, denn die Hütte wird zu Sanierungsarbeiten vorübergehend ganz geschlossen: der Boden auf Südtiroler Seite senkt sich ab, wohl wegen des auftauenden Permafrostbodens – aber sicher auch deshalb, weil die gesamte Europahütte nicht auf einer tragenden Fundamentplatte errichtet worden ist.

Nun sind wir satt vom Essen, aber noch sind wir nicht satt vom Bergsteigen! Wir beschließen, ohne Rucksack den etwa 1-stündigen Aufstieg zum Kraxentrager, dem „Hausberg“ der Europahütte in Angriff zu nehmen. Mit 2998 m ist er fast ein Dreitausender. Den lassen wir uns nicht entgehen! Nach einiger Kraxelei und Emporklimmen an mit Stahlseilen gesicherten ausgesetzten Quergängen erreichen wir den Gipfel.

Vom Gipfel des Kraxentragers bietet sich ein wunderbarer Rundblick in die majestätisch-abweisende Hochgebirgswelt. Hier hält sich der Schnee an einigen Stellen über das ganze Jahr.

Mit fast 3000m über dem Meeresspiegel haben wir hier die höchste Stelle unserer gesamten Alpenüberquerung erreicht! Doch für ausgiebiges Feiern und Schulterklopfen bleibt keine Zeit, denn der Himmel bewölkt sich stärker und stärker.

Wir steigen zur Europahütte ab und erreichen bei nun wieder klarem Himmel unsere Zuflucht, dankbar und zufrieden. Rechts unten im Bild, das ist sie, die Landshuter Hütte!

Das Zimmer in der Europahütte bietet alles, was Bergsteiger brauchen, um tiefen, erquickenden Schlaf zu finden – nur die Hüttenschlafsäcke muss man wie überall selber mitbringen.

Mitten in der Nacht jagen die Winde den Himmel wieder frei, der Mond schaut in unendlicher Gelassenheit über die düstere Bergwelt – er lächelt strahlend und milde. Doch könnte es sich hier auch um eine Einbildung handeln, – in der dünnen Hochgebirgsluft laufen die Gedanken, wohin sie wollen.

 Posted by at 15:31

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