Jul 202018
 

… pavet haec litusque ablata relictum
respicit et dextra cornum tenet, altera dorso
inposita est; tremulae sinuantur flamine vestes.

Rückwärtsgewandt, furchtsam schaut sie zurück, Europa, mit der rechten Hand hält sie das Horn des Stiers, die andere Hand liegt auf dem Rücken; vom Windhauch gebauscht flattern ihre Gewänder, – so, carissimi amici, beschreibt Ovid den heutigen Zustand Europas in lateinischer Sprache; und wie Europa den Stier nur mit einer Hand packt und furchtsam in die Vergangenheit starrt, so haben auch wir den Zustand Europas nur mit einer Hand gepackt –  der wirtschaftlichen Hand, der politischen Hand. Vielmehr: Europa, vielmehr: die Europäische Union  hat den ungebärdigen Stier nur mit einer Hand gepackt: der wirtschaftspolitischen Hand, der finanztechnischen Hand, der machtausübenden Hand.

„Wenn wirtschaftliche Gegebenheiten die Menschen auseinandertreiben und längst überwunden geglaubter Nationalismus neu erwacht, ist das Bekenntnis zum Dialog und zur Vielfalt des gemeinsamen Kulturraums wichtiger denn je. This is why the European idea, embodied in the legacy of Greek culture, will be a program focus at the Pierre Boulez Saal this season. Die europäische Idee, verkörpert durch das Erbe der griechischen Kultur, bildet deshalb einen Programmschwerpunkt im Pierre Boulez Saal.“ So schreibt es das in meinen Augen derzeit mit Abstand beste Buch zur europäischen Frage, welches auf meinem Schreibtisch aufgeschlagen ruht. Sein Titel:  „Pierre Boulez Saal. Die Spielzeit 2018/19“. Geschrieben und herausgegeben hat es PIERRE BOULEZ SAAL.

Pierre Boulez Saal – wie unterstellen einmal, es handle sich um einen Autor – lässt also den europäischen Kulturraum mit dem griechischen Erwachen Europas beginnen. Das gesamte spätere Geschehen im europäischen Kulturraum begreift Saal als Nachfolge, Verwandlung, Weitergabe und gleichsam als flatternden Saum der vom gewaltsamen Stier weitergetragenen Europa. Von Homer weht uns alle der Windhauch an, der die Gewänder der europäischen Kulturen flattern lässt! Homer inspiriert Vergil, Ovid, Horaz. Platon inspiriert Cicero, Seneca den Philosophen, Augustinus. Euripides inspiriert Seneca den Tragödiendichter. Vergil inspiriert Dante. Demosthenes und Isokrates wehen Cicero den Redenschreiber an. Ovid inspiriert diese kleine Betrachtung hier.

Der aus dem sorbischen Budyssin stammende Schriftsteller Simon Schaidenreisser ließ 1537 in Augsburg seine Homer-Übersetzung Odyssea mit einem herrlichen Holzschnitt erscheinen, der genau diesen Vorgang der aus Griechenland herwehenden Inspiration bildlich wiedergibt. Ein gewaltiger Luftzug geht aus dem Mund Homers hervor und bläst direkt in die offenen Münder Vergils, Ovids und Horaz‘ hinein, die gar nicht wissen, wie ihnen geschieht. Der Holzschnitt würde jedem Kupferstichkabinett dieser Erde zur Zierde gereichen, die Augsburger Staats- und Stadtbibliothek aber hat ihn!

Ist Europa also etwas im Kern Griechisches? Ich meine: in dem hier betrachteten kulturellen Sinne geht Europa als Idee eindeutig aus griechischem Dichten, Denken, Bilden und Handeln hervor. Alle kulturellen Erscheinungen von europäischem Rang, das symbolische Band, das unser heutiges Europa zusammenhält, aber auch Sache und Begriff der Demokratie, entspringen nachweisbar aus griechischer Quelle. Schon die Römer selbst haben das so gesehen. Soweit wir heute noch römische oder lateinische Texte der Antike lesen, sind diese eingestandenermaßen aus Übersetzung, Umformung und Anverwandlung griechischer Texte entstanden. Das gilt für Vergil, Ovid, Cicero, Seneca, Caesar – sie alle strebten der griechischen Leitkultur nach, ihr höchster Ehrgeiz war es, den griechischen Vorbildern gleichzukommen oder sie noch gar zu übertreffen. Und alle großen europäischen Kulturleistungen entspringen aus dem Nachstreben! So versuchte etwa James Joyce Homers Odyssee zu übertreffen. Tomasi di Lampedusa strebte James Joyce nach und schuf etwas Neues – oder etwas Altes.

In diesem Sinne kann man tatsächlich von einer gewissen Einheitlichkeit der europäischen Kultur sprechen – sie reicht von Lissabon am Atlantik bis Jekaterinburg am Ural, von Edinburgh am Firth of Forth bis nach Heraklion auf Kreta.

Und das Politische? Politisch geeint war der Kontinent nie – vielleicht  von 2 oder 3 Jahrhunderten des Imperium Romanum abgesehen.  Europa, es war von jeher ein Kontinent staatlicher Vielfalt, politischer, ökonomischer, militärischer Konkurrenz – flatternder Säume, zerzauster Gewänder.

Zuversicht kann Europa zweifellos daraus erwachsen, dass es sich der gemeinsamen Tragwerke des europäischen Kulturraumes wieder bewusst wird.

Und noch etwas ist wichtig: Die europäische Idee ist etwas Körperliches, etwas Leibhaftiges. Sie lässt sich anfassen, anschauen, anhören. Die etwa 600 Lieder Franz Schuberts, die 32 Klaviersonaten Beethovens, die der Pierre Boulez Saal als kompletten Zyklus aufführen lässt, verkörpern, so meine ich, auf geradezu idealtypische Weise ein derartiges Tragwerk der europäischen Vielfalt. Ich werde mir diese europäischen Lieder anhören und sie singen.

 

Zitate:

Ovid Metamorphosen,  Buch II, vv. 873-875

Pierre Boulez Saal: Demokratie und Europa. Der Nikos-Skalkottas-Schwerpunkt, in: Die Spielzeit 2018/19, Berlin 2018, S. 8-9

Der erwähnte Augsburger Holzschnitt findet sich in folgendem Buch:
Bernd Roeck: Der Morgen der Welt. Geschichte der Renaissance. C.H.Beck Verlag, 3. Auflage, München 2018, Abb. 44, S. 697

Bild: Europa auf dem Stier. Metallskulptur von Olivier Strebelle. Moskau, Europaplatz, entstanden 2002

 

 

 

 

 Posted by at 18:26

Vorsichtiges Staubwischen erlaubt: im Haberlandstraßenland

 Deutschstunde, Einstein, Latein, Naturwissenschaften, Philosophie, Schöneberg, Sprachenvielfalt  Kommentare deaktiviert für Vorsichtiges Staubwischen erlaubt: im Haberlandstraßenland
Jun 152018
 


Kurzes Innehalten auf dem Fahrrad heute beim Befahren der Bamberger Straße, beim Nachsummen einiger Wortgleichungen verschiedener Sprachen. Nachsinnen über einige Probleme der sprachanalytischen Philosophie.

Alfred Tarski sagt: „If the domain A is infinite, then a sentence S of the language L is correct in A if and only if S is deducible from T and the sentences saying that the number of elements of A is not any finite number.“ Tarskis Wahrheitsbegriff scheint also axiomatisch von einer Mehrheit von Sprachen auszugehen. Wir könnten nur dann von Wahrheit begrifflich sprechen, wenn wir von einer Mehrheit an Sprachen ausgingen? Und ohne Übersetzbarkeit bliebe jede Aussage über etwas Nichtsprachliches sinnlos?

Hmmm. Du hältst dein Fahrrädle an. Wolltest du hier in Schöneberg nicht noch jemandem einen Besuch abstatten, der nicht mehr hier wohnt? Wer war dies doch, hier um die Ecke in der Haberlandstraße 5, der heutigen Haberlandstraße 8? Was würde der ehemalige Bewohner wohl zu dem Wahrheitsbegriff Alfred Tarskis sagen?

Von September 1917 bis Dezember 1932 wohnte er hier. Vor hundert Jahren wäret ihr Bezirksnachbarn gewesen.

Eines ist sicher: Sein Deutsch ist eine der besten deutschen Sprachen, die du letzthin gelesen hast. Seine persönlichen Briefe, die du gerade liest, bersten von Heiterkeit, funkeln vor Ironie, bisweilen unflätig wie Mozarts Bäslebriefe, sie sind durchtränkt von unvordenklicher, unauslotbarer Schwermut. Sein wissenschaftliches Deutsch hingegen ist streng und trocken, dabei in Satzbau und Genauigkeit des Wortschatzes durchaus ebenbürtig dem Lateinischen eines Titus Livius, eines Marcus Tullius Cicero. Professorendeutsch im besten Sinne! Sowohl in seinen Briefen wie in seinen wissenschaftlichen Schriften ist der Vf. auch heute noch durchaus empfehlenswert. Lesenswert und hinreißend!

Ja, hier war es, und du kannst es dir vorstellen. Über das Turmzimmer in der Haberlandstraße kannst du lesen:

„Regale voller Bücher, Zeitschriften und Seperatdrucken, ein wenig erhöht auf einem Podest vor einem der beiden kleinen Fenster ein Schreibtisch und ein Stuhl, und an den Wänden Drucke von Isaac Newton und Michael Faraday. Dies war sein war sein Reich, wo nicht aufgeräumt werden durfte, sondern nur vorsichtiges Staubwischen erlaubt war. Hier hat er gearbeitet, die ihm genehmen Gäste empfangen, und hier residierte auch das Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik.“

Videoaufnahme: heute, Klock 12, Haberlandstraße 8, Schöneberg

Zitate:
zu Tarski:
https://plato.stanford.edu/entries/tarski-truth/

zur Haberlandstraße:
Albrecht Fölsing: Albert Einstein. Eine Biographie. Suhrkamp, 7. Auflage, Frankfurt 2017, S. 481

 Posted by at 16:32
Feb 052018
 

τὸν ἄρτον ἡμῶν τὸν ἐπιούσιον δὸς ἡμῖν σήμερον·

Diesen textkritisch gut gesicherten Vers 11 aus Kap. 6 des griechisch verfassten Matthäusevangeliums liest und übersetzt die russisch-orthodoxe Kirche heute so:

хлеб наш насущный дай нам на сей день

Also zu deutsch: Unser dringend nötiges Brot gib für diesen Tag. Was die morgenländischen Christen beten, das beten ähnlich auch die abendländischen Christen. Das Vaterunser weist in dem östlichen und dem westlichen Flügel der europäischen Christenheit an dieser Stelle keinen nennenswerten Unterschied auf. Ich erwähne dies ausdrücklich, weil die orthodoxe Übersetzung des Neuen Testaments gegenüber der westlichen Übersetzungstradition aus einem einfachen, unabweisbaren Grund höhere Dignität beanspruchen kann als die römische Tradition: Kyrill und Method übersetzten im Morgenland direkt aus dem Griechischen ins alte Slawische, während die etlichen bekannten volkssprachlichen Übersetzungen der Bibel im Abendland ab dem hohen Mittelalter bis knapp zu den Zeiten eines Melanchthon, Luther und Erasmus fast ausschließlich aus dem Lateinischen übersetzten, also aus zweiter Hand, aus der Übersetzung des griechischen Originals!

Eine kleine Recherche in alten Textzeugen, wie sie der Nestle-Aland noch in seiner vorletzten, der 27. Auflage zitiert, ergibt, dass die ältesten lateinischen Übersetzungen mit diesem nur hier vorkommenden griechischen Adjektiv ἐπιούσιος größte Schwierigkeiten hatten. Bezeugt sind in den ältesten Codices: cottidianus (täglich), supersubstantialis (Bedeutung nicht zweifelsfrei geklärt), perpetuus (andauernd), necessarius (nötig), veniens (kommend), crastinus (für den morgigen Tag). Es handelt sich um ein seltenes, wahrscheinlich in den vorhandenen griechischen Texten nur hier bezeugtes Wort, ein hapax legomenenon also. Selbst der Liddell-Scott-Jones, dieses mir seit meinem Gräzistik-Studium unerlässliche lexikalische Handwerkszeug, bringt es nur einmal, nämlich hier in dieser vierten Bitte des Vaterunsers.

Der Theologe und Philosoph Eckard Nordhofen vertritt neuerdings die These, diese herkömmliche Übersetzung der vierten Bitte des Vaterunsers sei irreführend. Wir zitieren ihn beispielhaft:

Üblicherweise wird diese vierte Bitte „Unser tägliches Brot gib uns heute“ so verstanden, dass es darum geht, immer genug zu essen zu haben. Eine gründliche philologische Untersuchung hat aber ergeben, dass diese Lesart, diplomatisch formuliert, „missverständlich“ ist.

Das Brot, von dem Jesus hier spricht, ist so besonders, dass er dafür einen außergewöhnlichen Ausdruck prägt und zwar mit einem Adjektiv, das es im Griechischen, der Sprache der Evangelien, nirgendwo sonst gibt. Man kann zeigen, dass auch im verlorenen aramäischen Urtext ein solcher Neologismus gestanden haben muss. Das Adjektiv ist einzigartig, aber nicht sinnlos. Der Kirchenvater Hieronymus hat es in der Vulgata, der lateinischen Fassung der Bibel, mit „supersubstantialis“ übersetzt. Ein „überwesentliches“ Brot also. Wenn man ohne Zungenbrecher vom „himmlischen Brot“ spricht, kommt man dem Ursprung nahe.

Quelle:
http://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/vaterunser-die-versuchung-ist-nicht-das-problem

Vgl. jetzt auch ganz besonders Nordhofens neues Buch: Corpora. Die anarchische Kraft des Monotheismus. Herder, Freiburg 2018; darin das Kapitel X: Die vierte Bitte: das neue Gottesmedium, S. 227-263

Eine 2011 geführte, sehr anregende Diskussion des Adjektivs supersubstantialis findet sich in folgendem Lateinforum:

http://www.latein.at/phpBB/viewtopic.php?f=20&t=33328

Hier werden Bezüge auf Aristoteles und sogar Platon angeführt, die die kühne These Nordhofens zu stützen scheinen.

Quelle:
Nestle-Aland: Novum testamentum graece, ed. vicesima septima, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 1999, Seite 13 [kritischer Apparat zu Mt 6,11]

Bild:
ein Blick in das Innere eines Flügels, aufgenommen am gestrigen Tag auf dem Flughafen Tempelhof

 Posted by at 22:15

Von Judas lernen (2)

 Europäische Galerie, Griechisches, Judas, Latein, Novum Testamentum graece  Kommentare deaktiviert für Von Judas lernen (2)
Dez 132017
 

Seit einigen Jahren habe ich mir angewöhnt, neben den geläufigen Übersetzungen der neutestamentlichen Schriften, etwa ins Lateinische oder Französische, stets auch die griechisch verfasste Urschrift zu bedenken. So auch bei dem Heilig-Blut-Altar des Tilman Riemenschneider, die der deutsche Schnitzer ab 1499 für die mittelfränkische Stadt Rothenburg fertigte. Das Retabel findet sich heute noch in der Stadtkirche St. Jakob. Ich sah es und bestaunte es in glühender Dankbarkeit im August dieses Jahres, zweifellos ein einsamer Höhepunkt meines Kunstjahres 2017!

Ich blickte forschend in die Gesichter Jesu und Judas hinein; da stellte sich wie von selbst jener griechische Satz ein, der sich mir unauslöschlich eingeprägt hat:

ὃ ποιεῖς ποίησον τάχιον. Was du tust, das sollst du schneller tun. So Jesus zu Judas bei Johannes 13,27. Ich hege keinen Zweifel: Um genau diesen Satz war es Tilman Riemenschneider zu tun!

Warum aber hat man hier vor allem an das vierte Evangelium zu denken? Nun, nur beim Evangelisten Johannes werden Jesus und Judas als gleichberechtigte Partner dargestellt, mehr noch: Jesus fordert Judas aktiv auf, den notwendigen Schritt zu tun, und zwar nicht zögernd, sondern rasch und entschlossen. Jesus führt also den Judas in die Versuchung hinein; im Gegensatz zu den anderen drei Evangelien taucht Jesus bei Johannes bewusst gleichzeitig mit Judas den Bissen ein. Er wählt Judas aus! Jesu Blick ist nicht böse, sondern verständnisvoll, wenn auch von herber Entschlossenheit geprägt. Nur zwischen Judas und Jesus herrscht in dieser Abendmahlsgruppe ein tiefes Einverständnis. Der Lieblingsjünger Johannes schläft hingegen; er scheint nicht alles mitzubekommen. Riemenschneiders Petrus denkt offenkundig als großartiger Theatermensch, der er war, schon an seine zukünftige Größe.

Nur Judas und Jesus stehen im Johannesevangelium zentral und mittig durch Worte und den gemeinsam eingetauchten Bissen verbunden im Bild! Nur Judas und Jesus sind bei Riemenschneider im Bilde!

Eine ungeheuerliche Leistung, die Tilman Riemenschneider hier vollbracht hat! Er wirft sich dem jahrhundertelangen Hauptstrom der Judas-Verdammung, der leichtfertigen Aburteilung über den „Verräter“ in den Weg! Amos Oz, der Israeli, Verfasser eines wichtigen Judas-Romans, hätte seine tiefe Freude an dieser Darstellung, dessen bin ich gewiss!

Zu den Schülern, die sich als Deutschlerner am damals noch bestehenden Goethe-Institut Rothenburg aufhielten, gehörte übrigens der aus Argentinien stammende Theologe Jorge Bergoglio; 1986 lernte er am Goethe-Institut Rothenburg Deutsch; wahrscheinlich dachte und betete er auch hier das eine andere Mal über den Sinn der Formel nach: Führe uns nicht in Versuchung.

Genau diese Bitte aus dem Vaterunser ist es, die Jesus hier bei Riemenschneider NICHT zu erfüllen bereit ist. Er führt vielmehr den Judas in die Versuchung hinein. Er schickt ihn in die Erprobung! Der Evangelist Johannes schildert es mit folgenden Worten:

26ἀποκρίνεται [ὁ] Ἰησοῦς· ἐκεῖνός ἐστιν ᾧ ἐγὼ βάψω τὸ ψωμίον καὶ δώσω αὐτῷ. βάψας οὖν τὸ ψωμίον [λαμβάνει καὶ] δίδωσιν Ἰούδᾳ Σίμωνος Ἰσκαριώτου. 27καὶ μετὰ τὸ ψωμίον τότε εἰσῆλθεν εἰς ἐκεῖνον ὁ σατανᾶς. λέγει οὖν αὐτῷ ὁ Ἰησοῦς· ὃ ποιεῖς ποίησον τάχιον.

 Posted by at 00:02

Боговоплощение – una parola da salvare

 Advent, Europäisches Lesebuch, Frohe Hirten, Griechisches, Latein, Russisches, Singen, Sprachenvielfalt, Weihnacht  Kommentare deaktiviert für Боговоплощение – una parola da salvare
Nov 182017
 

Parole da salvare – rettungsbedürftige Wörter, so hebt mein neuestes großes Zingarelli-Wörterbuch 2017 diejenigen Wörter hervor, die nach und nach verschwinden, nicht mehr gebraucht und endlich nicht mehr verstanden werden.

Боговоплощение (griechisch ενανθρώπηση, lateinisch incarnatio), zweifellos ein Wort, das im Herannahen des Weihnachtsfestes eine Betrachtung und wohl Rettung verdient! Ich entnehme es dem folgenden schmalen Bändchen:

Internationale Weihnachtslieder. Texte und Melodien. Herausgegeben von Sigrun Jantzen. Philipp Reclam jun. Stuttgart 2011, S. 80-81

Das feine gelbe Büchlein enthält Weihnachtslieder in rund 20 europäischen Sprachen, darunter auch eines in der meistgesprochenen europäischen Muttersprache, nämlich dem Russischen:

Эта ночь святая, эта ночь спасенья
Возвестила всему миру
Тайну Боговоплощенья.

Es wird ja immer wieder gefragt, welche Erzählung Europa zusammenhalten könnte, was also die europäische Leitkultur, wie dies Bassam Tibi nannte, ausmachen könnte. Der Euro, das Gold, die EZB, die Macht der Großreiche, der Krieg, also das Schwert, haben es ja wieder und wieder auseinandergetrieben. Ein gemeinsames europäisches Geschichtsbild, eine europäische gemeinsame Geschichtserzählung existiert nicht; sie wird wohl auch nie existieren, nicht einmal in den derzeit genau darüber so zerstrittenen Staaten der EU.

So möge es das Wort sein, das gesprochene, das gesungene Wort, welches die 47 Staaten Europas zusammenführt!  In allen europäischen Ländern wurde und wird Weihnachten gefeiert, in allen Ländern liegt dieser Weihnachtserzählung im wesentlichen dieselbe Geschichte zugrunde. Entnommen ist sie dem Lukusevangelium.   Die mehr als 40 europäischen Weihnachtslieder des Reclam-Bändchens in mehr als 20 europäischen  Sprachen lassen sich mühelos ineinander übersetzen. Sie weichen inhaltlich nicht voneinander ab.

Von der überwältigenden Schönheit des orthodoxen liturgischen Gesanges konnte ich immer wieder einen Eindruck bei meinen Reisen nach Russland gewinnen. Die altkirchliche Liturgie kennt nur den unbegleiteten Gesang ohne alle Instrumente. Denn nur in der menschlichen singenden Stimme meinte die Alte Kirche in das Klingen des Göttlichen hinaufzulangen.

Боговоплощение – das bedeutet die Einkörperung Gottes im Menschen, die Vermenschlichung Gottes. Gott greift Platz im Menschen. площадь heißt ja Platz! Gott nimmt Platz im Menschen, wird sterblich, wird schwach und hilfsbedürftig. Nicht die Macht, sondern die Ohnmacht ist es, in der Gott erscheint. Ein packender, zugleich niederschmetternder  Gedanke, höchst ungewohnt für antike Ohren, höchst ungewohnt für moderne Ohren.

Wo kann man dieses russische Lied hören?

Es genügt folgende drei Wörter in eine Internet-Suchmaschine einzugeben

Эта ночь святая

und man erhält als Video eine reiche Auswahl an Fassungen, aus der man die am meisten gefallende auswählen möge!

Hinweis:

Nicola Zingarelli
lo Zingarelli 2017
Vocabolario della lingua italiana
A cura di Mario Cannella, Beata Lazzarini
2016
Isbn: 9788808601476
Collana: I grandi dizionari
Note: 145 000 voci, oltre 380 000 significati, 115 definizioni d’autore

 

 

 Posted by at 20:25
Nov 072017
 

Bei meinen eigenen Reisen durch Italien, Russland, Großbritannien und Frankreich fällt mir immer wieder auf, wie unterschiedlich diese Länder Deutschland und die deutsche Geschichte im Vergleich zu uns Deutschen selbst wahrnehmen. Meine vielen Gespräche mit Russen, Italienern, Briten und Franzosen, aber auch das Lesen historischer Studien aus diesen Ländern lassen in meinen Augen nur einen Schluss zu:

Nirgendwo in Europa herrscht derzeit ein so negatives Deutschlandbild vor wie in der deutschen akademischen Historikerzunft. Während Italien, Frankreich, England und Russland sich sowohl ganz allgemein in der Gesellschaft wie auch bei den an den Universitäten lehrenden Neuzeithistorikern von einem hypermoralischen, rein negativen Deutschlandbild verabschiedet haben und die früher üblichen Schwarz-Weiß-Darstellungen rein deutscher, teuflischer Bestialität hinter sich gelassen haben, herrscht in der Zunft der deutschen Fachhistoriker ein stärker denn je düster gefärbtes Deutschlandbild vor. Deutsche Verbrechen, deutsche Schuld, deutsches Verhängnis, deutsche Vernichtungsfeldzüge geben nunmehr in den in Deutschland verfassten, meistverbreiteten Darstellungen der europäischen Geschichte den Grundton an. Das gilt heute – so meine ich –  für die meisten deutschen Historiker, die meisten deutschen Germanisten, die meisten deutschen Soziologen. Es gilt ferner auch mehrheitlich für den Deutschen Bundestag und die meisten deutschen Spitzenpolitiker, für die deutsche Klimapolitik, die in all ihrer Irrationalität kaum anders zu erklären ist denn als Ausblühung des hier beschriebenen düsteren schuldbedrückten Selbstverhältnisses.  Es gilt nicht zuletzt für die deutsche Gedächtniskultur allgemein, die sich bekanntlich vor allem als Erinnerung an deutsche Verbrechen sieht.

Jeder Gang durch die Hauptstadt Berlin oder durch eine gut bestückte europäische Bibliothek kann diese Analyse bestätigen. Man muss nur die Augen offen halten.

In lateinischer Sprache lässt sich mein Befund über das Deutschlandbild der meisten heutigen deutschen Historiker, Soziologen, Politologen und Germanisten so zusammenfassen: Germania omnis est indivisa unica origo mali. Deutschland insgesamt ist der Urquell des Bösen. Und wir fügen auf gut Deutsch hinzu:

So ist denn alles, was ihr Sünde, Böses nennt,
der Deutschen eigentlichstes Element.
Drum besser wär’s, es hätte Deutschland nie gegeben.

Aber trifft dieses in Deutschland vorherrschende Bild der deutschen Geschichte die Wirklichkeit? Oder entsteht es aus einer systematischen Verzerrung dessen, was geschehen ist?

Schwere Vorwürfe in genau diesem Sinne werden gegen die Zunft der Historiker im aktuellen SPIEGEL am Beispiel der im Ersten Weltkrieg begangenen deutschen Kriegsverbrechen  erhoben.

Der Kunsthistoriker Prof. Ulrich Keller spricht von der „Unterschlagung von Quellen“ in „verstörend häufigen Fällen“ sowie „systematischer Missachtung grundlegender akademischer Verfahrensregeln„. Gerd Krumeich, einer der anerkannten Spezialisten zur Erforschung des Ersten Weltkrieges, nehme diese Vorwürfe ernst, heißt es.

Denn man muss bedenken: Jeder Zweifel an der alleinigen deutschen Schuld an allen in Belgien begangenen Verbrechen wäre äußerst unbequem gewesen, weil dann eine Isolation „in der internationalen Scientific Community“ (sic!) gedroht hätte.

Spiegel-Autor Dr. Klaus Wiegrefe, seinerseits ein promovierter Zeithistoriker, schreibt: „Das klingt nach einem Schweigekartell unter Historikern„, und er äußert einen bohrenden Verdacht: „Es geht auch um die Glaubwürdigkeit der Branche, die zu lange scheinbare Gewissheiten nicht in Frage stellte.“

Ich hege die Vermutung: Dieses Schweigekartell gibt es wirklich; es herrscht tatsächlich in der deutschen Scientific Community vor, aber eben nur in der deutschen Scientific Community. Nur hier in Deutschland, nicht aber in den anderen europäischen Ländern, nicht einmal in Österreich oder in der Schweiz, gibt es derartig hartnäckig durchgehaltene Forschungs- und Erinnerungstabus, wie sie immer wieder in der öffentlich finanzierten deutschen Historikerbranche durchscheinen – oder buchstäblich handgranatenartig durchschlagen.

Mein Eindruck ist: In der deutschen Zeithistorikerindustrie lesen sie mehrheitlich nicht einmal mehr Herodot oder Thukydides, von Tacitus oder Friedrich Schiller ganz zu schweigen. Sie sind in einem hypermoralischen Sinn voreingenommen. Sie fällen heutigentags in ihrer Mehrheit ein gnadenloses Urteil über ihre Väter und ihre Großväter, ja über die gesamte Geschichte Deutschlands. Sie fallen damit hinter das Methodenbewusstsein eines Herodot, eines Thukydides, eines Friedrich Schiller zurück, die sich stets bemüht haben, bei den großen geschichtlichen Katastrophen beiden Seiten, oder eigentlich den vielen Seiten gerecht zu werden.

Unsere deutschen, allzu deutschen offiziösen Zeithistoriker  drücken ihren Forschungen stets den Stempel der moralischen, ja fast schon onto-theologischen Eindeutigkeit auf. Es fehlt mir bei den deutschen Zeithistorikern, Soziologen, Politologen und Germanisten – von Ausnahmen abgesehen – an den Zwischentönen, ich vermisse bei der Formierten Gesellschaft der deutschen Zeithistoriker, Politologen, Germanisten und deutschen Sozialwissenschaftler jedes Bewusstsein für das Changieren der Akteure zwischen Gut und Böse.  Ich vermisse ein Bewusstsein dafür, dass Gut und Böse nicht die einzigen Kategorien historischer Erkenntnis sein können.

Die anderen Länder, also insbesondere Italien, Frankreich, Russland und Großbritannien sind schon deutlich weiter. Sie haben das Schweigekartell gebrochen. Sie begnügen sich nicht damit, Deutschland stets und immer und vorrangig als Inkarnation des Bösen darzustellen. Dort, in den anderen Ländern, wird wirklich ernsthaft geforscht, sine ira et studio.

Klaus Wiegrefe: Furchtbare Reaktionen. Verschwiegen Historiker alliierte Kriegsverbrechen im Ersten Weltkrieg? Eine Studie wirft einen neuen Blick auf die deutschen Massaker in Belgien 1914. DER SPIEGEL 45/2017, 04.11.2017, S. 44-46
Ulrich Keller: Schuldfragen. Belgischer Untergrundkrieg und deutsche Vergeltung im August 1914. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2017

Bild:

Alltagsszene in Schöneberg 2017, jetzt und immerdar: „Orte des Schreckens, die wir nie vergessen dürfen“

 Posted by at 11:03

„Auffi gehts! Schaugst waida! Gehts aussi!“

 Angst, Deutschstunde, Freiheit, Freude, Latein  Kommentare deaktiviert für „Auffi gehts! Schaugst waida! Gehts aussi!“
Sep 192017
 

23. Mai 2017, Kreuth am Tegernsee, abends.

Gutes, lauschendes, tief einsaugendes Lauschen auf die Landleute beim Viehtrieb in Kreuth! Das ist ja genau die Sprache, die mir in die früheste Kindheit hineinschallte, meiner Mutter Sprache – Bairisch, ein Idiom, dessen ich mich bei meinen gelegentlichen Aufenthalten in meinem Herkunftsland gern auch selbst befleißige.

Vergessen wir nicht, wir sind hier am Tegernsee auf ältestem deutschem Kulturboden. Der älteste erhaltene deutsche Roman überhaupt, der berühmte Ruodlieb – ein lateinisch verfasstes Versepos – stammt aus dem Kloster Tegernsee! Er wurde gut 9 Jahrhunderte vor Thomas Manns Doktor Faustus verfasst, diesem Schicksalsroman, dessen letzte, dramatisch zugespitzte Szenen ebenfalls im oberbayrischen Voralpenland spielen.  Ja, die in Pfeiffering ausgemalten Schlussbilder, der gutmütige Dr. phil. Serenus Zeitblom  hätte sie auch hier ansiedeln können.

Bild: eine Kreuther Ziegenherde am 23. Mai 2017, wenige Momente nach dem Austrieb aus dem Stall. Unsicher taumelnd  tollen die Ziegen umher. Nach der Sicherheit des Stalls, wo ihnen Tag um Tag das Futter gereicht wurde, löst die Freiheit des Graslandes einen rauschartigen Tanz aus. Die Herde bleibt sicherheitshalber vorerst zusammen. Die Herde bietet Schutz angesichts des Neuen, das da kommen mag.

 Posted by at 09:43

Appetitus dedecoris, oder: Augustins Lust auf das Böse

 Augustinus, Das Böse, Latein  Kommentare deaktiviert für Appetitus dedecoris, oder: Augustins Lust auf das Böse
Jul 202017
 

Wie konnte es dazu kommen? Warum hast du das getan? Warum habe ich das getan? Diese Frage legtest du, Augustin, dir selbst vor, und du legst sie auch uns vor. Im zweiten Buch deiner Bekenntnisse erzählst du, wie du einmal im Alter von sechzehn Jahren mit anderen halbwüchsigen Jungs, cum nequissimis adulescentulis, in einen Nachbargarten einbrachest. Du hattest eigentlich keinen Hunger, du hättest jederzeit etwas anderes essen können, keinerlei Zwang trieb dich. Du hattest Lust auf das Verbotene. Das Böse war dein Ziel. Du wolltest das Böse um seiner selbst willen, nicht zur Erreichung eines Vorteiles. Die meisten Äpfel warfet ihr weg oder warfet sie den Schweinen vor die Schnauzen.

Für deine Ehrlichkeit kann ich dir gar nicht hoch genug danken, Augustinus. Ich glaube, du hast uns auch heute noch etwas zu sagen. Wir fragen uns oft, ich frage mich oft: warum? Sie – also zum Beispiel Rodolfo Graziani oder Émile Hennequin, Leo „Trotzki“ Dawidowitsch Bronstein oder Feliks Dzierżyński (um nur einige wenige der zahlreichen politischen Massenverbrecher des 20. Jahrhunderts zu nennen) – waren nicht gezwungen dies zu tun. Niemand gab ihnen den Befehl, Befehle zum Massenmord an unbeteiligten Zivilisten zu erteilen. Sie gaben gewissermaßen Aufträge zum Massenmord aus freien Stücken, ohne daraus einen persönlichen Vorteil zu ziehen. Es überkam sie nicht. Es war keine Tat der anderen. Sie haben ihre Verbrechen gewollt, geplant und ausgeführt.

Doch, sie haben es getan. Sie waren nicht gezwungen dies zu tun.

Augustin, du zeigst uns, dass der Wille zum Bösen auch offenkundig unmotiviert in uns aufsteigen kann. Das Böse ist in uns angelegt, es ist gewissermaßen in uns hineingelegt. Goethe sagt oder schreibt es irgendwo einmal, soweit ich mich erinnern kann: Ich spüre in mir die Anlage zu jedem Verbrechen.

In deinen Erinnerungen an deine kleineren und größeren Vergehen oder Verbrechen, zeigst du uns, Augustin, dass es häufig nicht des Anstoßes von außen bedarf, um das Böse zu tun. Der Anstoß, der Haß kommt scheinbar grundlos von innen. Und diese Grundlosigkeit, das ist die Erfahrung des Abgrundes: mein Herz war im tiefsten Abgrund, cor meum in imo abyssi, schreibst du.

So beschreibst du es in deinem eigenen feurig lodernden Latein – und ich zitiere dich ohne deine Erlaubnis:

Et ego furtum facere volui, et feci, nulla compulsus egestate, nisi penuria et fastidio iustitiae et sagina iniquitatis. nam id furatus sum, quod mihi abundabat et multa melius; nec ea re volebam frui, quam furto appetebam, sed ipso furto et peccato. arbor erat pirus in vicinia nostrae vineae, pomis onusta, nec forma nec sapore inlecebrosis. ad hanc excutiendam atque asportandam nequissimi adulescentuli perreximus nocte intempesta, quousque ludum de pestilentiae more in areis produxeramus, et abstulimus inde onera ingentia non ad nostras epulas, sed vel proicienda porcis, etiamsi aliquid inde comedimus, dum tamen fieret a nobis quod eo liberet, quo non liceret. Ecce cor meum, deus, ecce cor meum, quod miseratus es in imo abyssi. dicat tibi nunc ecce cor meum, quid ibi quaerebat, ut essem gratis malus et malitiae meae causa nulla esset nisi malitia. foeda erat, et amavi eam; amavi perire, amavi defectum meum, non illud, ad quod deficiebam, sed defectum meum ipsum amavi, turpis anima et dissiliens a firmamento tuo in exterminium, non dedecore aliquid, sed dedecus appetens.

S. Aurelii Augustini Confessiones, ed. Car. Herm. Buder, Lipsiae 1837, p. 24 [=Liber II, c. IV], litteris pinguibus ipse scripsi

 Posted by at 12:05

Was war früher anders?

 Authentizität, Europarat, Helmut Kohl, Latein, Tätervolk  Kommentare deaktiviert für Was war früher anders?
Jun 182017
 

Die lange Kohl-Nacht„, eine sechsstündige, sehenswerte Dokumentation aus Anlass des Todes von Helmut Kohl.

http://programm.ard.de/TV/Programm/Jetzt-im-TV/?sendung=28111137269121

Wir verneigen uns respektvoll vor dieser großen Persönlichkeit Helmut Kohl.

Das hindert uns aber nicht daran, dieses authentische, in alle Ausführlichkeit ausgebreitete Material mit wachem Sinn anzusehen. Und dies fällt auf, dies sind ersten Eindrücke, die täuschen mögen, die aber doch haften bleiben:

  1. Es wurde damals noch herzhaft vor laufenden Kameras geraucht, teils Pfeife wie von den Herren um Helmut Kohl, teils Zigarette wie von Günter Gaus und Helmut Schmidt.

2. Es wurden noch vor laufender Kamera ausführliche Fragen gestellt, so insbesondere durch den unvergessenen Günter Gaus. Die Menschen hatten mehr Zeit für langes, beharrliches Fragen und Antworten, Werken und Schaffen, langes beharrliches Arbeiten und Feiern, Singen und Tanzen, Spielen und Lernen. Es gab weniger Ablenkungen.

3. Es gab bei den Deutschen noch ein lebendiges Gefühl, ein Volk zu sein. Man litt öffentlich und privat an der Teilung Deutschlands durch Stacheldraht und Mauer, man betrauerte in Deutschland öffentlich auch die eigenen Opfer, die eigenen Toten, nicht nur die Opfer und die Toten der früheren Kriegsgegner. Man, oder besser gesagt Politiker wie Adenauer, Schumacher, Brandt, Genscher, Kohl und viele andere arbeiteten tatkräftig vor allem am Aufbau der Demokratie in Freiheit und Würde, an der Aussöhnung und der Freundschaft mit den früheren Feinden zweier Weltkriege.

4. Weniger Wert als heute wurde auf die unermüdliche Pflege, systematische Vertiefung, wissenschaftliche Untermauerung, Bekanntmachung und symbolische Weitergabe der Gefühle von deutscher Schuld, deutscher Schande und deutschen Verbrechen gelegt, mit denen unsere Schulkinder heute in Deutschland heranwachsen. Man lebte damals noch im Gefühl, es sei nicht alles schlecht in der deutschen Geschichte vor 1933 gewesen; man versuchte damals, die Jahre 1933 bis 1945 als zwölf verbrecherische Jahre, als großen Sündenfall und große Ausnahme und absoluten Tiefpunkt darzustellen und zu überwinden und setzte sie noch nicht wie heute als überzeitlich bannende, mythische, absolute Größe, in deren nächtlichem Schatten die Deutschen als Kainsvolk und als Tätervolk ewige Zeiten leben müssten.

5. In den 50er, 60er und 70er Jahren wurde noch vor laufenden Kameras die korrekte indirekte Rede verwendet! Diese sehe, so erklärten es uns damals unsere Deutschlehrer, grundsätzlich den früher Konjunktiv Präsens genannten, heute meist als Konjunktiv I der indirekten Rede bezeichneten Konjunktiv vor; dieser Konjunktiv Präsens, so erklärten sie uns damals, sei nur im Falle der Gleichheit von Konjunktiv I und Indikativ Präsens durch den Konjunktiv II, der früher meist als Konjunktiv Imperfekt bezeichnet worden sei, zu ersetzen.

6. Auch früher, in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik Deutschland, wurde geschimpft, auch früher wurde hart an der Grenze zur Beleidigung gestritten, aber alles geschah noch mit einer gewissen Mäßigung. Kritiker der herrschenden politischen Mehrheitsmeinung wurden nur ausnahmsweise als Feinde oder Verräter beschimpft und als Nazis verunglimpft.

7. Die gesprochenen Sätze waren damals, in den 50er und 60er Jahren länger, die damalige deutsche Sprache wirkt von heute aus gehört gepflegter. Der Historiker Dr. Helmut Kohl, der offenkundig noch richtig gutes Latein gelernt hatte, bildete in seinen frühen Interviews in den 60er Jahren aus dem Stegreif heraus lange, an den klassischen Vorbildern Demosthenes, Isokrates, Caesar und Cicero geschulte Perioden. Sie sind heute noch hörenswert!

Bild: Auch Kohls Leistung und Kohls Verdienst: Die Flagge des Europarates, d.h. die Flagge aller 47 europäischen Staaten flattert froh auf dem Deutschen Bundestag in Berlin, gleichberechtigt, auf derselben Höhe wie die Flaggen der Bundesrepublik Deutschland. Aufnahme vom 16. Juni 2017, nachmittags, am Todestag Helmut Kohls

 

 

 

 

 Posted by at 10:43
Mai 112017
 

Augustinus schreibt in seinen Confessiones, Buch VIII: […] quanto ardentius amabam illos de quibus audiebam  salubres affectus, quod se totos tibi sanandos dederunt, tanto  exsecrabilius me comparatum eis oderam, also zu deutsch: Je glühender ich jene [beiden Männer] liebte, über deren heilsame Gefühle ich erfuhrweil sie sich dir völlig zu ihrer eigenen Gesundung geschenkt hatten, desto verfluchter haßte ich mich, wenn ich mich mit ihnen verglich Odium sui, Selbsthaß! Lyndal Roper schreibt über den jungen Erfurter Augustinermönch Martin Luther: „Luther scheint geradezu in Schuldgefühlen geschwelgt zu haben, als könnte er, wenn er es zum Äußersten trieb, eine höhere Stufe des frommen Selbsthasses erleben, der ihn Gott so nahe wie möglich bringen würde.“ Martin Luther schreibt noch in seinen letzten Lebensjahren immer wieder in aller Offenheit von seinem Haß auf sich selbst, von dieser Selbstverwerfung, die ihn ins Äußerste, in den hellen Zorn hineintreibt, in die Verwerfung Gottes, ja in den Haß auf Gott führt: Hierfür ein besonders machtvolles Beispiel, entnommen der Vorrede zum ersten Bande der Gesamtausgaben seiner lateinischen Schriften, in Luthers hell loderndem, an den Afrikaner Augustinus erinnerndem Latein originalgetreu wiedergegeben (Hervorhebung durch uns): [21] Ego autem, qui me, utcunque irreprehensibilis monachus vivebam, sentirem [22] coram Deo esse peccatorem inquietissimae conscientiae, nec mea satisfactione [23] placatum confidere possem, non amabam, imo odiebam iustum et [24] punientem peccatores Deum, tacitaque si non blasphemia, certe ingenti murmuratione [25] indignabar Deo, dicens: quasi vero non satis sit, miseros peccatores [26] et aeternaliter perditos peccato originali omni genere calamitatis oppressos [27] esse per legem decalogi, nisi Deus per euangelium dolorem dolori adderet, [28] et etiam per euangelium nobis iustitiam et iram suam intentaret. Ein erschütterndes Dokument für den Selbst- und Gotteshaß Martin Luthers, auf das ich vorderhand in Erinnerung an Goethe nur mit einigen kunstlos hingeworfenen Knittelversen antworten kann:
Ich höre, Martin, wie’s dich umtreibt:
S’ist Lieb, s’ist Haß, die glühend dich umwinden:
Aus jenen fernsten Gründen,
Wo ganz zuletzt der Mensch nur noch sich selbst erkennt;
Und sich nicht mehr bei seinem eignen Namen nennt,
Bricht über dich ein ungeheures Flammenübermaß!
So viel an dir ist Selbsthaß, Menschenleid,
So viel in dir ist Gotteshaß! O Martin, Martin, hör die Frage:
Wie findet Gott zu dir, Wie findet Gott ein gnädig Ich,
Das ihm verzeiht, ihn aufnimmt, nährt und stärkt,
Und nicht in hellem Zorn auf seine Fehler merkt?
Lass dir verzeihen, lösche aus die Fackel, die in dein Herz gesenkt,
Des Vorwurfs grimme Pfeile zieh aus deiner Brust,
Blick um Dich – das Leben fließt mit Lust
Und wird dir weiter Tag um Tag geschenkt.
Laß Tag es werden. Nimm das Leben heiter, wie es ist.
Laß es gut sein, Martin. Steh auf und geh. …

Und siehe – es war gut, sehr gut war es.

Foto: So schön, so südlich, so heiter ist es heute im Natur-Park Schöneberger Südgelände. Belegstellen: Lyndal Roper: Der Mensch Martin Luther. Die Biographie. Aus dem Englischen von Holger Fock und Sabine Müller. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2016, S. 81 WA = D. Martin Luthers Werke: Kritische Gesamtausgabe, Weimar 1903 ff., hier WA Band 54, S. 185, zitiert nach: http://www.lutherdansk.dk/WA%2054/WA%2054%20-%20web.htm

 Posted by at 16:16
Nov 182016
 

img_20160812_153640

Ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος, καὶ ὁ λόγος ἦν πρὸς τὸν θεόν, καὶ θεὸς ἦν ὁ λόγος.

οὗτος ἦν ἐν ἀρχῇ πρὸς τὸν θεόν.

Für das Verständnis der erasmischen Formel „in principio erat sermo“ als Übersetzung des bekannten Ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος scheint mir der Ciceronianische Sprachgebrauch von sermo ganz entscheidend. Denn Cicero und in geringerem Umfang Caesar waren für die Humanisten wie etwa Erasmus die verbindliche Richtschnur des guten, vorbildlichen lateinischen Sprachgebrauchs. Sermo bezeichnet bei Cicero das lockere, fließende, sanfte, gewaltlose Gespräch oder Gerede, die natürliche Sprache, wie wir heute sagen würden.  Während die rhetorisch gebundene Rede, die kunstfertig gedrechselte Oratio, – ob bei Gericht, in der Volksversammlung, im Senat oder bei Feierlichkeiten – Leidenschaften aufstachelt, den Hörer zu beeinflussen und zu überwältigen sucht, pflegt der philosophische Sermo das gesellige Miteinander; der Sermo sucht den Austausch, nicht den Sieg; die Begegnung, nicht die Überwältigung; den Dialog, nicht den Monolog (unius oratoris lucutio); die Gemeinschaft im Wort, nicht die erzwungene Vereinigung in einem kollektiven Willen. Cicero schreibt beispielsweise in seinem Orator ad Brutum:

Mollis est enim oratio philosophorum et umbratilis nec sententiis nec verbis instructa popularibus nec vincta numeris, sed soluta liberius; nihil iratum habet, nihil invidum, nihil atrox, nihil miserabile, nihil astutum; casta, verecunda, virgo incorrupta quodam modo. Itaque sermo potius quam oratio dicitur. Quamquam enim omnis locutio oratio est, tamen unius oratoris locutio hoc proprio signata nomine est.

Der Sermo belässt also dem anderen seine Freiheit der Wahl; die Oratio will fesseln, beeinflussen, berücken und überzeugen – wobei jedes Mittel recht ist, bis hin zur Beschimpfung, zum Lobpreis, zur Hetze, zum flehentlichen Gestammel.

Die genannte Freiheit der Wahl spricht Cicero besonders dem philosophischen Gespräch zu, nicht der öffentlich aufgeschmückten Rede.

Erasmus spricht nun durch seinen Übersetzungsvorschlag für Joh 1 „In principio erat sermo“ diese Freiheit der Wahl auch dem schöpferischen Handeln Gottes zu; umgekehrt gewinnt der Satz im Johannesprolog dadurch einen neuartigen tiefen Sinn, dass auch dem Menschen diese Freiheit des Gesprächs zugesprochen wird. Erasmus, der Cicero kannte und verehrte, überträgt das zwanglose Sprechhandeln des philosophischen Gesprächs auf das Gespräch Gottes mit der Schöpfung, auf das Gespräch des Geschöpfes mit Gott, auf das Gespräch der Menschen untereinander.

Ein derartiger umfassender Freiheitsbegriff nun hebt Erasmus eindeutig von Luther ab. Luther hat die Freiheit in diesem großen, überragenden Sinne nicht erkannt und nicht anerkannt. Servum Arbitrium, lautet Luthers Formel dafür; das Liberum Arbitrium, die Freiheit der Willensentscheidung, schreibt sich dagegen Erasmus auf die Fahne. Das ist der erasmische Freiheitsglaube, der ihn von Luther, mit seiner absoluten, seiner schicksalhaften Abhängigkeit des Menschen vom Willen Gottes, meilenweit absetzt.

Aber noch weiter gehen wir: Erasmus verwirft mit seiner Formel „In principio erat sermo“ die Schicksalsabhängigkeit des Menschen. Aus der Schicksalsgemeinschaft wird eine Gesprächsgemeinschaft. Das göttliche Gespräch, aus dem die Welt hervorgeht, ist nicht schon zwar bei Gott als vielmehr zu Gott hin (πρὸς τὸν θεόν), und deshalb macht es frei. Es befreit von der Knechtschaft der Schuld. Es ebnet den himmelweiten Unterschied zwischen Gott und den Menschen ein. „Macht gerade alle Pfade“, dieser frühere, auf Christus verweisende Vers des Jesaias bedeutet: Es gibt eine Gesprächsbeziehung zwischen Gott und dem Menschen, und der Wege-Ebner zu Gott hin, das kann für den erasmischen Freiheitsglauben nur Jesus sein. In ihm und durch ihn und mit ihm ereignet sich diese Heraufkunft eines neuartigen Freiheitsdenkens, das es in dieser Radikalität vor dem Johannesevangelium nicht gegeben hat und hinter das seither immer wieder zurückgefallen wird.

Zitate:
Cicero, Orator ad M. Brutum, 64
Johannesevangelium, Novum testamentum graece, ed. Erasmiana, 1,1-13
Jesaias 40,3

Foto:

Ein Gespräch. Fresko in Schloß Runkelstein bei Bozen, Aufnahme vom 12.08.2016

 Posted by at 20:10
Feb 132016
 

Morgen ist der 14. Februar, der Gedenktag der beiden Slawenapostel Kyrill und Method, die zweifellos ebenso bedeutend sind wie der Bischof Valentin, der Bischof von Interamna, dem heutigen Terni in Umbrien, der neben Ambrosius von Mailand einer der Schutzpatrone der Imker (und neuerdings der Chocolatiers und Pralinenhersteller) ist, wovon gerade heute wieder zahlreiche Poster und Plakate kündeten.

Nun Kyrill und Method, beide aus dem griechischen Thessaloniki stammend! Sie sind gewissermaßen die Patrone der orthodoxen, der slawischen Spielart des Christentums. Kyrill schuf die glagolitische Schrift, aus der sich die heutige kyrillische Schrift ableitet.

Unter der „Griechischen“ Religion verstand man zu den Zeiten eines Grimmelshausen die orthodoxe Spielart des Christentums; hinwiederum die „Lateinische Religion“ wäre demnach die westliche Religion, das „Abendland“, das das Neue Testament in einer Ableitung, also in der lateinischen Übersetzung des griechischen Urtextes empfing.

Ein schöner Beleg für die beiden gleichberechtigten Lungenflügel Europas, von denen Papst Johannes Paul II. oft sprach! Die östliche Hälfte Europas empfing das Neue Testament aus dem Griechischen; die Slawenapostel Kyrill und Method formten das kyrillische Alphabet nach dem griechischen Alphabet und übersetzten aus der Weltsprache Griechisch ins damalige Slawische, das „Alt-Bulgarische“, oder auch „Altkirchenslawische“, wie es heute meist genannt wird.

Unter unseren europäischen und nahöstlichen Mitvölkern sind es beispielsweise die Bulgaren, die Russen, die Griechen, aber auch viele syrische Christen, die bis heute das orthodoxe Christentum mit seinen „autokephalen“, also von einer zentralen Amtskirche unabhängigen Patriarchen weitertragen. In gewisser Weise sind also die ostkirchlichen Patriarchate die Vorbilder der viel späteren lutherischen oder reformierten „Landeskirchen“.

Im Jahr 1054 kam es zu einem tiefen Bruch zwischen den beiden Lungenflügeln, der erfreulicherweise in diesen Tagen allmählich zusammenzuwachsen scheint. Es wurde aber auch Zeit. Ich habe selbst dem heutigen Patriarchen Kyrill im Jahre 2014 bei einer Messe in der Moskauer Erlöserkathedrale gelauscht und fand, dass jedes seiner Worte auch für einen abendländisch-lateinischen Christen völlig nachvollziehbar und glaubwürdig war. Die beiden gleichberechtigten Spielarten – die morgenländische und die abendländische – sind geeint in der Person Jesu Christi und im Geist und im Buchstaben der Bibel. Das ist das Wesentliche. Auch die Taufe erkennen sie gegenseitig an.

Grimmelshausen beschreibt im 5. Buch seines Simplicissimus sehr lebendig und amüsant, wie der Held auf seiner kriegerisch-abenteuerlichen Tour in Moskau aufgefordert wird, vom lateinischen Glauben zur griechischen Spielart der christlichen Religion überzutreten. Er widersteht, so sehr ihm aus Opportunitätsgründen der Konfessionswechsel auch zupaß gekommen wäre.

Hier der ganze Passus in der Fassung des Erstdruckes:

Nach dem wir nun sicher in der Statt Moscau ankommen / sahe ich gleich daß es gefehlt hatte / mein Obrister conferirte zwar täglich mit den Magnaten, aber viel mehr mit den Metropoliten als den Knesen / welches mir gar nicht Spanisch / aber viel zu pfäffisch vorkam; so mir auch allerhand Grillen und Nachdenckens erweckte / wiewol ich nicht ersinnen könte / nach was vor einem Zweck er zielte; endlich notificirt er mir / daß es nichts mehr mit dem Krieg wäre / und daß ihn sein Gewissen treibe die Griechische Religion anzunehmen; Sein treuhertziger Rath wäre / weil er mir ohne das nunmehr nicht helffen konte wie er versprochen / ich solte ihm nachfolgen; Deß Zaarn Mayestät hätte bereits gute Nachricht von meiner Person und guten Qualitäten / die würden gnädigst belieben / wofern ich mich accommodiren wolte / mich als einen Cavallier mit einem stattlichen Adelichen Gut und vielen Unterthanen zu begnädigen; Welches allergnädigste Anerbieten nicht außzuschlagen wäre / in deme einem jedwedern rathsamer wäre / an einem solchen grossen Monarchen mehr einen allergnädigsten Herrn / als einen ungeneigten Groß-Fürsten zu haben; Jch wurd hierüber gantz bestürtzt / und wuste nichts zu antworten / weil ich dem Obristen / wann ich ihn an einem andern Ort gehabt / die Antwort lieber im Gefühl als im Gehör zu verstehen geben hätte; muste aber meine Leyer anders stimmen / und mich nach dem jenigen Ort richten / darinn ich mich gleichsam wie ein Gefangner befande / weßwegen ich dann / ehe ich mich auff eine Antwort resolviren konte / so lang stillschwi>
|| [594]
ge: Endlich sagte ich zu ihm / ich wäre zwar der Meinung kommen / ihrer Zaarischen Mäyestät / als ein Soldat zu dienen / warzu er der Herr Obriste mich daselbst veranlaßt hätte / seyen nun Dieselbe meiner Kriegsdienste nicht bedörfftig / so könte ichs nicht ändern / viel weniger Derselben Schuld zumessen / daß ich Jhrentwegen einen so weiten Weg vergeblich gezogen / weil sie mich nicht zu Jhro zu kommen beschrieben / daß aber Dieselbe mir ein so hohe Zaarische Gnad allergnädigst widerfahren zu lassen geruheten / wäre mir mehr rühmlich aller Welt zu rühmen / als solche allerunterthänigst zu acceptiren und zu verdienen / weil ich mich meine Religion zu mutiren noch zur Zeit nicht entschliessen könne / wünschend / daß ich widerumb am Schwartzwald auff meinem Bauren-hof sässe / umb niemanden einiges Anligen noch Ungelegenheiten zu machen;

 Posted by at 21:12

Czy rosnąca liczba populistycznych rządów zagraża UE? Vom Gespenst des Populismus

 Antike, Autoritarismus, Europäische Union, Latein, Polen, Populismus, Verdummungen  Kommentare deaktiviert für Czy rosnąca liczba populistycznych rządów zagraża UE? Vom Gespenst des Populismus
Jan 082016
 

Czy rosnąca liczba populistycznych rządów zagraża UE – Bedroht die wachsende Zahl populistischer Regierungen die EU?

Die Antwort Günter Öttingers darauf ist eindeutig: ja! Ein Gespenst geht um in Europa: der Populismus. In seinen Augen ist der Populismus der europäischen Populationen das große Grundproblem der EU. Wir dürfen schließen: Gäbe es den Populismus nicht, wäre der Bestand der EU folglich gesichert.

Zum ersten Mal in der Geschichte der EU sieht der namhafte europäische Politiker, der EU-Kommissar Oettinger, die Drohung eines Auseinanderbrechens der Europäischen Union. Die Gefahr erwächst der EU eindeutig durch die wachsende Zahl an populistischen Regierungen. Erstaunlich bleibt, dass der Kommissar nicht den Hauch einer Selbstkritik, nicht den Schatten eines Umdenkens der EU-Elite zu erkennen gibt. Die Gefahr kommt – von ganz oben aus gesehen – einzig und allein von unten, der Populismus wird als die große, die entscheidende Bedrohung der EU gesehen.

Aber lest selbst, wie die polnische Gazeta wyborcza vor wenigen Tagen Günter Öttinger zitiert:

Oettinger dodał, że po raz pierwszy obawia się „dezintegracji Unii Europejskiej“, która może się rozpaść „pod naporem populizmów“.

„UE nauczyła się pokonywać kryzysy, ale liczba krajów, w których powstają rządy populistyczne lub niestabilne rośnie. Niepokoi mnie to i dostrzegam po raz pierwszy poważne zagrożenie rozpadu UE“ – podkreślił komisarz.

Cały tekst: http://wyborcza.pl/1,91446,19410955,oettinger-rosnaca-liczba-populistycznych-rzadow-zagraza-ue.html#ixzz3wfXGGoQK

Woher stammt der Begriff des Populismus?

Der Begriff des Populismus, so meine ich, dürfte in der politischen Theorie auf die politische Richtung der „Popularen“, die factio popularis zurückgehen, wie sie in den Spätzeiten der römischen Republik genannt wurde. Die beiden Brüder Tiberius Sempronius Gracchus und Gaius Sempronius Gracchus sind die ersten bedeutenden Vertreter dieser Politikauffassung. Sie vertraten ab 133 v. Chr. die plebs, das einfache Volk, verlangten Umverteilung des Bodens von den Mächtigen zu den Armen, verlangten neue Beschäftigungs- und Einkommensmöglichkeiten für Kleinbauern und Gewerbetreibende gegenüber den immer mächtiger werdenden Latifundienbesitzern, gegenüber den „Adligen“ und den „Rittern“ (ordo equestris), den beiden führenden Ständen des Senats.

Wir nennen diese mächtigere, die Oberschicht des Senates auch „Optimaten“, die selbsternannte Elite des Staates, in manchem vergleichbar der heutigen EU-Funktions-Elite.

Öttinger schlägt sich mit seiner Fundamentalkritik an den populistischen Regierungen der EU-Populationen eindeutig auf die Seite der Optimaten. Die populistischen Populationen mit ihren furchtbar populistischen Regierungen stören den Zusammenhalt. Sie, die Populären und Populisten, stören die Regierung, die Kommission der EU ja nur am Regieren.

Der Vorwurf des Populismus wird nunmehr von den Optimaten, den Edlen und Mächtigen des EU-Reiches, an jeder Ecke und bei jeder Wendung aus der Tasche gezogen. Jede sachliche Kritik an der herrschenden EU-Politik wird damit abgeklatscht und abgewatscht.

So einfach ist das alles. Die Welt ist eben so, wenn man sie von oben betrachtet!

 Posted by at 18:34