Wie konnte es dazu kommen? Warum hast du das getan? Warum habe ich das getan? Diese Frage legtest du, Augustin, dir selbst vor, und du legst sie auch uns vor. Im zweiten Buch deiner Bekenntnisse erzählst du, wie du einmal im Alter von sechzehn Jahren mit anderen halbwüchsigen Jungs, cum nequissimis adulescentulis, in einen Nachbargarten einbrachest. Du hattest eigentlich keinen Hunger, du hättest jederzeit etwas anderes essen können, keinerlei Zwang trieb dich. Du hattest Lust auf das Verbotene. Das Böse war dein Ziel. Du wolltest das Böse um seiner selbst willen, nicht zur Erreichung eines Vorteiles. Die meisten Äpfel warfet ihr weg oder warfet sie den Schweinen vor die Schnauzen.
Für deine Ehrlichkeit kann ich dir gar nicht hoch genug danken, Augustinus. Ich glaube, du hast uns auch heute noch etwas zu sagen. Wir fragen uns oft, ich frage mich oft: warum? Sie – also zum Beispiel Rodolfo Graziani oder Émile Hennequin, Leo „Trotzki“ Dawidowitsch Bronstein oder Feliks Dzierżyński (um nur einige wenige der zahlreichen politischen Massenverbrecher des 20. Jahrhunderts zu nennen) – waren nicht gezwungen dies zu tun. Niemand gab ihnen den Befehl, Befehle zum Massenmord an unbeteiligten Zivilisten zu erteilen. Sie gaben gewissermaßen Aufträge zum Massenmord aus freien Stücken, ohne daraus einen persönlichen Vorteil zu ziehen. Es überkam sie nicht. Es war keine Tat der anderen. Sie haben ihre Verbrechen gewollt, geplant und ausgeführt.
Doch, sie haben es getan. Sie waren nicht gezwungen dies zu tun.
Augustin, du zeigst uns, dass der Wille zum Bösen auch offenkundig unmotiviert in uns aufsteigen kann. Das Böse ist in uns angelegt, es ist gewissermaßen in uns hineingelegt. Goethe sagt oder schreibt es irgendwo einmal, soweit ich mich erinnern kann: Ich spüre in mir die Anlage zu jedem Verbrechen.
In deinen Erinnerungen an deine kleineren und größeren Vergehen oder Verbrechen, zeigst du uns, Augustin, dass es häufig nicht des Anstoßes von außen bedarf, um das Böse zu tun. Der Anstoß, der Haß kommt scheinbar grundlos von innen. Und diese Grundlosigkeit, das ist die Erfahrung des Abgrundes: mein Herz war im tiefsten Abgrund, cor meum in imo abyssi, schreibst du.
So beschreibst du es in deinem eigenen feurig lodernden Latein – und ich zitiere dich ohne deine Erlaubnis:
Et ego furtum facere volui, et feci, nulla compulsus egestate, nisi penuria et fastidio iustitiae et sagina iniquitatis. nam id furatus sum, quod mihi abundabat et multa melius; nec ea re volebam frui, quam furto appetebam, sed ipso furto et peccato. arbor erat pirus in vicinia nostrae vineae, pomis onusta, nec forma nec sapore inlecebrosis. ad hanc excutiendam atque asportandam nequissimi adulescentuli perreximus nocte intempesta, quousque ludum de pestilentiae more in areis produxeramus, et abstulimus inde onera ingentia non ad nostras epulas, sed vel proicienda porcis, etiamsi aliquid inde comedimus, dum tamen fieret a nobis quod eo liberet, quo non liceret. Ecce cor meum, deus, ecce cor meum, quod miseratus es in imo abyssi. dicat tibi nunc ecce cor meum, quid ibi quaerebat, ut essem gratis malus et malitiae meae causa nulla esset nisi malitia. foeda erat, et amavi eam; amavi perire, amavi defectum meum, non illud, ad quod deficiebam, sed defectum meum ipsum amavi, turpis anima et dissiliens a firmamento tuo in exterminium, non dedecore aliquid, sed dedecus appetens.
S. Aurelii Augustini Confessiones, ed. Car. Herm. Buder, Lipsiae 1837, p. 24 [=Liber II, c. IV], litteris pinguibus ipse scripsi
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