Das Problem liegt a) in der Besatzung b) im Westen

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Dez 212010
 

Sehr gutes, aufschlussreiches Interview mit Syriens Präsident  in der BILD! Worin liegen die Probleme des Nahen Ostens begründet?

Die Antwort des Präsidenten erfolgt mit wünschenswerter Deutlichkeit und Eindeutigkeit:

a) „In der Besatzung“ – jahrhundertelange Besatzung! Erst durch den Westen, dann durch Israel. Spannend zu sehen, dass weder die Herrschaft der Mameluken über Syrien noch die jahrhundertelange Herrschaft der Osmanen über Syrien (ab 1516) als Besatzung gilt. Die Besatzer – das ist immer nur der „Westen“. Alles Übel rührt von daher. Das ist heute felsenfeste Überzeugung in großen Teilen der arabischen Welt. Der Präsident sagt wörtlich:

 „Die Ursache aller Konflikte hier ist Besatzung: erst durch die Briten, dann durch die Franzosen, jetzt durch die Israelis. Das führt zu Verzweiflung, die wiederum zu Extremismus führt. Das ist der Grund, warum wir keinen Frieden finden.“

b)  „Im Westen„. Das Problem liegt immer und einzig im Westen.

BILD: Sie sind seit zehn Jahren der Präsident Syriens. Wie sehen Sie das Image Ihres Landes in der Welt?

Präsident Assad: Meinen Sie den Westen oder die Welt? Ich frage das, weil das Problem im Westen liegt, nicht in der gesamten Welt. Das Problem mit dem Westen ist, dass man sich dort für die gesamte Welt hält und dabei den Rest der Welt einfach vergisst. Der Westen kann nicht immer weiter seiner Strauß-Politik folgen, einfach den Kopf in den Sand stecken und dabei nicht sehen wollen, was im Rest der Welt vor sich geht. Syriens Image in der Welt ist sehr gut.

Ich empfehle dieses Interview wirklich der genauen Lektüre! Es ist ein überragendes Beispiel für rhetorisches Geschick.

Wenn ich mit Syrern oder Ägyptern oder Türken hier in Berlin spreche und sie frage: „Worin liegt das Problem? Wer ist schuld?“ werden die meisten  antworten:

Das Problem liegt an der deutschen Gesellschaft. Das Problem liegt in der deutschen Schule. Das Problem liegt an Sarrazin: er hat alle Integration kaputtgemacht. Das Problem liegt an der Bundesregierung. Das Problem liegt im Rassismus der Deutschen. Die Deutschen sind ausländerfeindlich. Das Problem liegt in der Islamfeindschaft. Das Problem liegt an den Zionisten (jawohl, auch das hört man hier in Kreuzberg). Das Problem liegt darin, dass der deutsche Staat uns nicht genug Geld gibt zur Integration und um Deutsch zu lernen. Der Staat tut nichts für uns.

Diese Melodien kann man wirklich auf allen Ebenen hören – im Deutschen Bundestag ebenso wie in Kreuzberger Kneipen.

Mein Problem mit solchen Argumenten ist: Es wird stets die Schuld an den Schwierigkeiten auf andere abgewälzt. Nie wird gefragt: Was haben wir versäumt?

Beispiel: Eine viel zu hohe Zahl, vielleicht die Mehrheit unserer jungen Deutschtürken lernt weder genug Deutsch noch genug Türkisch, um einen anspruchsvollen Beruf zu erlernen. Das ist nun mal derzeit leider noch so, da mag man drum herumreden wie man will. Warum? Antwort: „Wir sind Opfer des Schulsystems. In diesem Schulsystem können wir weder Deutsch noch Türkisch lernen. Die deutsche Schule ist schuld.“ Hab ich selbst wörtlich so gehört!

Diese beiden Strategien –

1) Suche die Schuld stets bei anderen!

2) Erkläre dich zum Opfer der anderen!

sind absolut fundamental in dem Reden sowohl über den Nah-Ost-Konflikt wie auch im Reden über die Integration in Deutschland!

Wobei man durchaus auch beides zusammenführen kann! „Ich kann mich nicht in Deutschland integrieren, weil Israel unser Land besetzt hat!“

Diese Fundamentalstrategien muss man durchschauen. Sonst kommen wir nicht weiter.

Syriens Präsident Baschar al-Assad im BILD-Interview: Warum findet der Nahe Osten keinen Frieden? – Politik – Bild.de

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Nov 032010
 

So herrschte eine meiner zahlreichen politischen Gesprächspartnerinnen mich an, als ich mal wieder über „zeitgenössische“ Dichter wie Andreas Gryphius oder Franz Kafka daherschwadronierte.

„Das heißt aber Gwoguw!“, ermahnte sie mich mütterlich.

Breslau, Grünberg, Glogau, Prag – das sind alles Namen, die mir in dieser Form geläufig sind, ich kenne Menschen, die aus jenen Städten stammen, dort geboren sind, kenne Dichter, Schriftsteller und andere Persönlichkeiten mehr.

Andreas Gryphius etwa ist ein deutscher Dichter aus Glogau, der teils deutsch, teils lateinisch publizierte. Genauso war Franz Kafka ein Prager Schriftsteller jüdischer Herkunft, der sich eindeutig und ausdrücklich zum – wie er das bezeichnete – „Deutschtum“ bekannte und ausschließlich auf Deutsch publizierte; er gehörte nach eigenem Bekunden zur deutschen Minderheit in Prag, besuchte die deutschen Schulen depr Minderheit, besuchte den deutschen Zweig der Prager Universität.

Habt ihr ein Problem damit, wenn ich das feststelle?

Wenn ich Deutsch rede, sage ich Glogau, wenn ich aber Polnisch radebreche, sage ich Głogów.

Habt ihr ein Problem damit? Natürlich mir ist schon klar, was die polnische Wikipedia ausführt: „Niemiecka nazwa Glogau w odniesieniu do współczesnego miasta stopniowo wychodzi z użytku w języku niemieckim na rzecz nazwy polskiej.“ Das sollte aber kein Hindernis sein daran zu erinnern, dass es bis zu den Vertreibungen der Jahre 1945-1947 sowohl im heutigen Polen als auch in der heutigen tschechischen Republik bedeutende, seit Jahrhunderten dort ansässige deutsche Gemeinden und geschlossene deutsche Siedlungsgebiete gab.

Diese deutschen Gemeinden und Volksgruppen verloren dann nach dem 2. Weltkrieg über Nacht alle staatsbürgerlichen Rechte, die Staatsbürgerschaft wurde ihnen kollektiv aberkannt, der Besitz wurde eingezogen, das Aufenthaltsrecht wurde aberkannt, mehrere Millionen Menschen wurden vertrieben, viele wurden ermordet.

Die Tschechoslowakei etwa entledigte sich gewaltsam innerhalb weniger Wochen eines Drittels ihrer eigenen Bevölkerung. Nach Umfang wäre das so, als würde man allen Nordrhein-Westfalen sagen: „Ihr gehört ab heute nicht mehr zu Deutschland. Denn ihr seid nur Nordrhein-Westfalen. Ihr seid keine Staatsbürger mehr.“

Etwa ein Drittel der tschechoslowakischen Staatsbürger wurde nur aufgrund ethnischer Merkmale vertrieben. Die Vertreibungen wurden teils vorher, teils nachträglich für rechtens erklärt, alle 1945-1947 an Deutschen begangenen Verbrechen wurden durch die bis heute gültigen Benesch-Dekrete für straffrei erklärt.  Und so ist es bis heute geblieben.

Die scharfe Ablehnung deutscher Ortsnamen durch die Deutschen ist Bestandteil jener kollektiven Amnesie, mit der man das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen dem Orkus anheimfallen lassen will.

Da mach ich nicht mit. Nein, ich nehme weiterhin für mich in Anspruch, die bösen Namen Glogau, Breslau und Stettin in den Mund zu nehmen. Tut – mir – leid. Bardzo mi przykro!

Dabei bin ja ganz brav: Wenn ich Englisch rede oder Polnisch radebreche, verwende ich die politisch korrekten Bezeichnungen Głogów, Wrocław, Szczecin. Und zwar in einer nahezu perfekten Aussprache, wie mir meine polnischen Freunde gerne bestätigen werden.

 Posted by at 13:05

Terrorisme d’Etat 

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Sep 142010
 

„Stets sendet ein Staat eine Botschaft an einen anderen.“ Dazu greift er oft zu Drohungen, manchmal auch zu den Mitteln der bewaffneten Gewalt.

Diese Einsicht von Guy Debord, die Olivier Assayas zitiert, kommt mir sehr zupass beim Nachdenken über den europäischen Bürgerkrieg der Jahre 1914-1945.

Wir werden diese Serie von Kriegen und Vertreibungen erst verstehen, wenn wir sie als kommunikatives Geschehen begreifen, als einen Austausch von Botschaften zwischen einer Fülle an Staaten!

Polen, Deutschland, Russland, sie alle griffen in den Jahren 1919-1938 wiederholt zu den Mitteln des staatlichen Terrors.

Bis zum heutigen Tag ist das Geschehen nicht aufgearbeitet – sonst dürfte es den Zypern-Konflikt nicht geben, sonst dürfte es den derzeitigen Konflikt zwischen Ungarn und Slowakei nicht geben! Diese Konflikte wurzeln in den Kriegen der Jahre 1914-1945.

Le Figaro – Cinéma : Olivier Assayas : «Carlos, c’est Frankenstein» 
Pour lui, il n’y a de terrorisme que le terrorisme d’État. C’est toujours un État qui envoie un message à un autre.

 Posted by at 23:34

„Bekennen Sie sich zu uns!“

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Sep 142010
 

Von den etwa 3 Millionen Türken, die dauerhaft in Deutschland wohnen, hat etwa ein Viertel bis ein Drittel die deutsche Staatsbürgerschaft. Die anderen sind türkische Staatsbürger. Der türkische Staat kann zu Recht beanspruchen, für sie und in ihrem Namen als „Auslandstürken“ zu sprechen.

Wer unter diesen Auslandstürken bezeichnet sich als Deutscher? Eine offene Frage!

Eines ist sicher: Wir haben in der Bundesrepublik mittlerweile eine klar erkennbare türkische Volksgruppe, eine wachsende türkische Volksgruppe, die in jeder Hinsicht mit der deutschen Volksgruppe in der damaligen Tschechoslowakei (ab 1919-1946) verglichen werden kann.

Es gibt auch Unterschiede: Die Deutschen besaßen wider Willen die tschechoslowakische, nicht die österreichische oder deutsche Staatsbürgerschaft. Sie waren seit Jahrhunderten autochthon, also nicht zugewandert. Und sie lebten in nahezu geschlossenen Siedlungsgebieten. Sie fühlten sich als Fremde in diesem tschechisch dominierten Staat.

Als Volksgruppe oder nationale Minderheit bezeichnet man eine Gruppe von Menschen innerhalb eines Staates, die durch gemeinsame Nationalität, gemeinsame Sprache, oft auch durch gemeinsame Religion und weitgehend abgeschlossene verwandtschaftliche Beziehungen miteinander verbunden sind.

Dies galt für die Deutschen in der Tschechoslowakei, es gilt heute für die Mehrheit der Türken in Deutschland. Für die Mehrheit der Türken in Deutschland gilt: Sie haben nicht die deutsche, sondern die türkische Staatsbürgerschaft, sie sprechen fast nur Türkisch als Alltags- und Umgangssprache, sie haben eine gemeinsame Religion, sie sind verwandtschaftlich und familiär fast ausschließlich innerhalb ihrer Volksgruppe integriert.

Diese Trends nehmen zu, nicht ab.

Was folgt daraus? Eine offene Frage!  Aber diese Fakten gilt es erst einmal zur Kenntnis zu nehmen, ehe man die nächste Runde der Integrationsdebatte einläutet.

All die Statistiken geben einiges her, aber viel wichtiger ist natürlich das alltägliche Empfinden. Mit wem rede ich? Neben wem sitzen meine Kinder auf der Schulbank? Wen lade ich nachhause ein? Woher suche und hole ich die Ehepartner für meine Kinder?

Wichtiger als Statistiken sind die Fragen: Was will ich? Will ich auch als Türke richtig gutes Deutsch lernen? Sehe ich dieses Land, in dem ich lebe, als Heimat an? Will ich den beruflichen Erfolg in meinem neuen oder meinem alten Heimatland – oder will ich ausschließlich innerhalb meiner Volksgruppe verbleiben?

Nun, ich meine, alle diejenigen, die sich selbst als zu ihrer deutschen Heimat zugehörig bezeichnen, die sich klar zu diesem Land bekennen, die hier leben wollen, die sind zweifellos in vollem Umfang Deutsche.

Deswegen begrüße ich die klaren Worte von Fatih Akin, Feridun Zaimoglu, Aylin Selcuk, Lamya Kaddor und anderen aus ganzen Herzen. Zu lesen heute auf S. 5 der Süddeutschen Zeitung.

Ich meine: Diese klaren Worte, dieses klare Bekenntnis zu Deutschland ist repräsentativ auch für ein Viertel bis ein Drittel der in Deutschland lebenden Türken. Dieser Anteil soll steigen!

Ich würde gerne darauf hinwirken, dass alle, die dauerhaft hier wohnen und leben, sich als in vollem Sinne zu diesem Land zugehörig bezeichen. Sie „sollten es wollen“. Wir sind aber sehr weit entfernt davon.

Man könnte hier die Bitte der 15 mutigen Deutschen, die einen Brief an den Bundespräsidenten geschrieben haben, aufgreifen und all diesen Unentschiedenen zurufen:

„Bekennen Sie sich zu uns!“

Sie gehören zu uns.

Ausländer: Wie die Türken das Deutsche wieder verlernten – Nachrichten Politik – Deutschland – WELT ONLINE

 Posted by at 11:04

Deutschland bleibt unsere Heimat

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Sep 142010
 

„Bekennen Sie sich zu uns!“ Mit diesen Worten wenden sich einige Deutsche an den Bundespräsidenten Christian Wulff. In einem offenen Brief bekennen sich umgekehrt diese 15 Deutschen zu ihrem Heimatland – zu dem Land, in dem sie geboren wurden und aufgewachsen sind. Darüber berichtet die Süddeutsche Zeitung heute auf S. 5.

Dass diese jungen Deutschen, diese „neuen Deutschen“ nun, 65 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg und nach den Vertreibungen der Deutschen aus ihrer angestammten Heimat nahezu wortgleich die Formulierungen der älteren Heimatvertriebenen aufnehmen, stimmt nachdenklich.

Ich meine: Dieses klare Bekenntnis zur Heimat, dieses klare Bekenntnis zum Staat Bundesrepublik Deutschland ist vorbildlich.

Gäbe es doch nur mehr solche vorbildlichen Deutschen wie Aylin Selcuk, Feridun Zaimoglu, Shermin Langhoff, Lamya Kaddor und Fatih Akin!

Die nationalen und demokratischen Untertöne, das klare Bekenntnis zu Werten und Worten wie Heimat, Familie, Staatspräsident sollte uns lauwarme „alte Deutsche“ jedoch nicht erschrecken.  Man soll und darf Deutsche wie Aylin Selcuk, Feridun Zaimoglu, Shermin Langhoff, Lamya Kaddor und Fatih Akin nicht in die rechte Ecke stellen oder ihnen die kalte Schulter weisen, nur weil sie ein klares Bekenntnis zu ihrem Heimatland ablegen.

Deutschland ist unsere gemeinsame Heimat!  Willkommen bei uns zuhause!

„Dieses Land ist unsere Heimat. Wir werden dieses Land nicht aufgeben.“ « Die neuen Deutschen

 Posted by at 10:13
Mrz 052010
 

04032010006.jpg Unser gestern aufgenommenes Bild zeigt einen Fluss, eine Brücke, einen Turm. Leben ist Aufbruch. Leben ist ein „Über-den-Fluss-Gehen“. Leben ist ständiger Wandel! Wo kein Wandel stattfindet, zieht Muff und Schimmel ein.

Die Sozialwohnungen an der Schöneberger Straße in Kreuzberg sind der späte Musterfall eines Berliner Sozialghettos, vergleichbar der bundesweit bekannten, klassischen Schöneberger Pallassiedlung. Auch wenn’s bei uns in Kreuzberg-West viel hübscher und IBA-würdiger zugeht. Das ergeben meine Gespräche mit Nachbarn, Freunden, Bekannten immer wieder. Hier haben sich extrem abgeschlossene Milieus gebildet, aus denen ein Ausstieg oder Aufstieg kaum möglich ist.

Eine komplette Umstrukturierung der Mieterschaft ist das Beste, was diesen Menschen selbst, diesem Fanny-Hensel-Kiez und seinen Bewohnerinnen und Bewohnern geschen kann. Manche sollten wegziehen, manche sollten zuziehen, vorzugsweise selbstverdienende Menschen ohne Arabisch-, aber mit guten Deutschkenntnissen. Das hat nichts mit „Vertreibung“ zu tun. Das Wort Vertreibung ist in diesem Zusammenhang grotesker Unfug. Jeder, der die Zuzugsgeschichte der Menschen im Fanny-Hensel-Quartier kennt, wird beim Wort „Vertreibung“ nur den Kopf schütteln können.

Alle sollten dann dahin ziehen, wo für sie etwas Neues erkennbar ist. Durch eigene Arbeit, durch eigene Anstrengungen sollen sich die Menschen etwas aufbauen. In welcher Gegend? In Berlin? In Beirut, in Düsseldorf? In welchem Land? Das sollen sie selbst entscheiden! Da, wo sie sich am wohlsten fühlen, da, wo sie durch eigene Anstrengungen etwas beisteuern können zum Glück ihrer Kinder, zu ihrem eigenen Glück.

Natürlich: Wieder drücken allerlei selbsternannte Interessenvertreter die Tränendrüsen, sprechen von sozialer Kälte, von „Unsozialem Wohnungsbau“. So ein Artikel in der Jungen Welt vom 01.03.2010. So auch der Artikel auf S. 8 im neuesten MieterMagazin des Berliner Mietervereins, dessen Mitglied ich bin.

Die Berichte der Journalisten zeugen wieder und wieder von einer gewissen Unbekanntschaft mit der Lage vor Ort. Ich kann mir das nur so erklären, dass sie keine direkten Kontakte zu Betroffenen aufgebaut haben, etwa weil die Journalisten keine Arabischkenntnisse haben und deshalb nicht an die richtigen Informationen herankommen.

Hier ergeht nun mein Ruf an die Stadtentwicklungssenatorin: Frau Junge-Reyer, bleiben Sie hart! Sie tun durch Härte den vermeintlich „vertriebenen“ Menschen etwas Gutes.

01.03.2010: Seht, wo ihr bleibt (Tageszeitung junge Welt)
Zwar lassen die von der Koalition 2007 verabschiedeten »Verwaltungsvorschriften über die Gewährung von Mietausgleich und Umzugskostenhilfe für vom Wegfall der Anschlußförderung betroffene Mieter im Sozialen Wohnungsbau« so etwas zu. Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) lehnt die Unterstützung mit Verweis auf den »entspannten Wohnungsmarkt« jedoch kategorisch ab. Lediglich Umzugshilfen in Ausnahmefällen kämen nach Einzelfallprüfung in Betracht. Der Berliner Mieterverein sieht angesichts der Rechtslage für die überwiegend sozial schwachen Familien keine Alternative zum Auszug.

 Posted by at 12:52
Dez 272009
 

Mein Großvater Robert Hampel war ein Bauer in dem Dorf Klein-Herlitz in Schlesien. Er hatte 8 Kinder. Alle Kinder mussten recht bald im Hof und auf den Feldern mithelfen. Man hatte ein Auskommen, da alle mit anpackten. Hungern musste niemand, aber reich waren sie auch nicht. Einige der 8 Kinder durften sogar das Gymnasium in der Kreisstadt Troppau besuchen. Mein Opa las gerne abends in einem Buch. Oft schlief er dabei ein. Im Jahr 1946 wurde der Familie die Staatsbürgerschaft mit einem Federstrich aberkannt, der Besitz wurde ersatzlos zugunsten des tschechischen Staates eingezogen. Mein Vater trug nach dem Krieg ein „N“ für „Nemec“ auf der Jacke aufgenäht. Die Familie musste das Land verlassen.

Im Westen angekommen, fing man wieder bei Null an. Man unterstützte sich gegenseitig, so gut es ging. Wenn eine Tante erkennbar nicht für sich selbst sorgen konnte, wurde sie mitgezogen. Mehrere Verwandte in der riesigen Sippe wurden einfach „mitgefüttert“.

Mit dem Lastenausgleichsgesetz leistete die Bundesrepublik Deutschland eine willkommene Starthilfe.

Vier dieser 8 besitzlosen Bauernkinder wurden nach dem Krieg Lehrer, zwei wurden Universitätsprofessoren. Die anderen wurden Unternehmerinnen und haben ihr Glück in anderen Ländern gemacht.

Von der üppigen Grundsicherung des Staates, wie sie heute den Familien angedeiht, konnten meine Vorfahren nur träumen. Sie hatten über weite Strecken hin ganz sicher ein geringeres Einkommen, einen geringeren Besitz als die heutige durchschnittliche Hartz-IV-Familie.  Aber gerade deshalb strengten sie sich an.

Was sagt mir das heute, am Fest der Heiligen Familie? Die Familie ist die Keimzelle der Gesellschaft. In der Familie übernehmen und erlernen wir Verantwortung für uns selbst, für andere, für den Staat.

Die Familie trägt die Hauptlast der sozialen Sicherung. Nicht der Staat, wie es heute leider immer wieder behauptet wird.

Zwar wissen Finanzexperten längst, dass unsere staatlichen Sicherungssysteme die Grenzen der Belastbarkeit überschritten haben. Aber niemand traut sich, die Familien stärker heranzuziehen und dies auch deutlich, unerschrocken und klar auszusprechen. Niemand? Nun ja, die katholische Kirche tut es schon noch. Aber bereits die vermeintliche C-Partei (im Klartext: die CDU) tut es nicht mehr. Es könnte Wählerstimmen kosten.

Man schüttet lieber Geld ohne Ende in die Sozialarbeiterisierung der Gesellschaft. Man schüttet Geld in die Hände dieser Familien, die doch alle nebenher noch ein gutes Zubrot verdienen. Letzter genialer Einfall: das Betreuungsgeld unserer bekanntlich im Geld schwimmenden Bundesregierung.

Der Staat zieht sich weiterhin durch üppige Sozialleistungen einen satten, vergnügten, bewegungsunfähigen Sozialadel heran. Irgendwann erwartet der Staat auch – wie heißt es? „Gegenleistungen“. So drückte sich Bürgermeister Wowereit in einem seiner butterweichen Interviews kürzlich aus (Tagesspiegel, 25.12.2009). Zitat:

Wowereit sagte, er befürworte das Prinzip, fördern und fordern. „Wenn wir den Familien Hilfen geben, dann muss es auch eine Gegenleistung geben.“ Er habe allerdings Schwierigkeiten mit Vorstößen Buschkowskys, wie etwa Kinder aus bildungs- und leistungsfernen Zuwandererfamilien gegen den Willen ihrer Eltern zu erziehen. „Wir wollen die Mithilfe der Familien. Wenn das in einzelnen Fällen nicht klappt, dann muss man die Kinder aus den Familien herausnehmen. Denn sonst gibt es nur Konflikte, die nicht produktiv sind.“

„Lernt ein bisschen Deutsch!“ Pustekuchen!  Der Zug ist abgefahren.

Das gilt vor allem für Berlin.  Aber niemand packt die Familien an. Niemand nimmt sich die Väter und Mütter zur Brust. „Ihr Väter, kümmert euch um eure Kinder und schüchtert sie nicht ein!“ So das Evangelium heute.

Man wimmert stets: „Ach .. sie sind ja alle soo – wie lautet das Wort? – ÜBERFORDERT und BENACHTEILIGT!“

Und die Söhne dieser benachteiligten und überforderten Familien machen mit ihren BMWs und Mercedes die Straßen Neuköllns und Kreuzbergs unsicher, scheuchen uns Radler nach Gutdünken vor sich her.

Das kann so nicht weitergehen.  Hier muss man andere Saiten aufziehen.

 Posted by at 15:04
Okt 102009
 

„Höher als jede Wand wächst das Misstrauen.“ Mit diesen einfachen, wie ein Birkenbäumchen gerade gewachsenen Worten beschreibt Herta Müller in ihrem Roman Atemwende die klirrende Luft in einem Lager für die Deportierten. Die Worte fallen mir ein, als ich heute in der Süddeutschen Zeitung auf S. 10 lese, der tschechische Präsident Klaus wolle die Unterschrift unter den EU-Reformvertrag verweigern, wenn der rechtliche Fortbestand der Benesch-Dekrete nicht ausdrücklich bekräftigt werde.

 EU-Reformvertrag – Prager Sonderwünsche – Politik – sueddeutsche.de
Einem Bericht der polnischen Zeitung Rzeczpospolita zufolge will Klaus Garantien gegen mögliche deutsche Eigentumsansprüche im ehemaligen Sudetenland. Nach dem Zweiten Weltkrieg war auf Grundlage der sogenannten Benes-Dekrete die deutschsprachige Minderheit in der damaligen Tschechoslowakei ohne Entschädigung vertrieben und enteignet worden. Tschechien hält bis heute an den umstrittenen Benes-Dekreten fest und lehnt die Rückgabe von Eigentum ab.

Welches Urteil fällt Daniel Jonah Goldhagen über die Vertreibung der Deutschen und Ungarn aus Polen und der Tschechoslowakei nach dem 2. Weltkrieg? Es lohnt sich, seine Stellungnahme genau zu lesen! Sie findet sich auf den Seiten 222-223 seines Buches über Völkermord.  Er bezeichnet die Deportationen der Deutschen ausdrücklich als „verbrecherische eliminatorische Akte“, die auch durch das subjektive Gefühl, es sei hier Vergeltung geübt worden, nicht zu rechtfertigen  seien. „In der Hauptsache Polen aus den von ihrem Staat annektierten Teilen des deutschen Ostens und Tschechen führten eine gründliche und manchmal mörderische Vertreibung von rund zehn Millionen Deutschen durch, steckten Hunderttausende zeitweilig in Lager und brachten Zehntausende um. Der unbändige Hass auf die Volksdeutschen führte zu einem der seltenen Fälle, dass ein demokratischer Staat, die Tschechoslowakei, im eigenen Land eine umfassende tödliche Eliminierungspolitik durchführte.“

Durch die Benesch-Dekrete der Tschechoslowakei wurde in Friedenszeiten plötzlich ein Drittel der Bevölkerung des eigenen Staates aller Rechte verlustig erklärt. Ihnen wurde die Staatsangehörigkeit aberkannt, sie galten als vogelfrei, sie trugen das „N“ auf ihre Jacken genäht. Ihr gesamter Besitz fiel entschädigungslos dem Staat anheim. Die Deutschen und die Ungarn sowie auch diejenigen Juden, die als Deutsche gezählt wurden, verloren alle Eigentums- und Aufenthaltsrechte. Alle Verbrechen, die an ihnen nach dem Krieg begangen worden waren, wurden straffrei gestellt, für die zahlreichen Massaker und Morde ist kein Tscheche belangt worden.

Ich  meine: Die EU darf sich nicht darauf einlassen, derartige willkürliche, allen Grundsätzen der Menschenrechte zuwiderlaufende Dekrete anzuerkennen. Hier darf man sich nicht durch den Präsidenten Klaus unter Druck setzen lassen!

„Wir waren alle in keinem Krieg, aber für die Russen waren wir als Deutsche schuld an Hitlers Verbrechen.“  So schreibt Herta Müller über die gleichfalls deportierten Rumäniendeutschen.

So könnte man auch auch sagen: Der Krieg hatte Böhmen verschont, in ganz Böhmen fand während des 2. Weltkriegs keine Schlacht statt, aber nach dem Krieg waren alle Deutschen in der Tschechoslowakei an allem Bösen schuld, das die nationalsozialistischen Mörder weltweit verübt hatten. Auf diese Logik darf man sich nicht einlassen!

Es gilt, durch gemeinsame Erinnerung, durch gemeinsame Aufarbeitung der tschechisch-deutschen Geschichte die Mauern des Misstrauens zu überwinden. Ich habe schon mehrfach behauptet, die Zukunft der EU stehe auf tönernen Füßen, solange die gemeinsame Vergangenheit nicht einvernehmlich aufgeklärt wird. Das gilt für Slowaken und Ungarn, für Kroaten und Italiener, für Türken und Griechen, es gilt aber ebenso auch für Tschechen und Deutsche. Denn Geschichte ist nicht wie Zement, Geschichte ist nicht ein feiner Staubnebel, der alles umhüllt und zudeckt.

Alles, was geschehen ist, tragen wir mit uns.  Es ist eingeschrieben in die Gedächtnisse, es wartet darauf, erzählt zu werden. Wie es mit leuchtendem Mut und salzigen Augen Herta Müller getan hat.

Herta Müller: Atemschaukel. Roman. Carl Hanser Verlag, München 2009, hier: S. 38 und S. 44

Daniel Jonah Goldhagen: Schlimmer als Krieg. Wie Völkermord entsteht und wie er zu verhindern ist. Aus dem Englischen von Hainer Kober und Ingo Angres. Siedler Verlag, München 2009, hier: S. 222-223

 Posted by at 23:15

Verschafft uns Recht! Der Ruf Goldhagens

 Das Böse, Vergangenheitsunterschlagung, Vertreibungen  Kommentare deaktiviert für Verschafft uns Recht! Der Ruf Goldhagens
Okt 082009
 

08102009001.jpgAm selben Tag, als alle anderen den Namen Herta Müller zum ersten Mal zur Kenntnis nehmen, lese ich das zweite große Buch von Daniel Jonah Goldhagen. Was verbindet Müller und Goldhagen? Vielleicht dieses: Müller wie Goldhagen forschen in den Gängen und Schächten des Vergessens des Leidens. Sie fördern Schlacken des Entsetzens zutage.

Goldhagen breitet einen Teppich des Schreckens aus: über mehrere Jahrhunderte, über alle Kontinente hinweg. Wichtig: Er bricht das Schweigen über die Verbrechen der kommunistischen Regime. Wer weiß denn bei uns, dass in Polen und der Sowjetischen Besatzungszone einige Konzentrationslager der Deutschen einfach weiterbetrieben wurden, wie Goldhagen auf S. 129 berichtet, von polnischen, deutschen und russischen Kommunisten? Hunderttausende wurden in den KZs eingesperrt, Zehntausende starben an den elenden Lagerbedingungen. Auschwitz, Lamsdorf, Jaworzno, Oranienburg, Buchenwald – alle diese und noch weitere Lager wurden 1945 nach dem Abzug der Nationalsozialisten wieder befüllt. Echte und vermeintliche Gegner der neuen Machthaber, Bürgerliche, Konterrevolutionäre, sie alle wurden zusammengetrieben. Das millionenfache Unrecht der Vertreibungen – auch der Vertreibungen der Deutschen aus dem Osten Europas – benennt Goldhagen klar und eindeutig (S. 222).  Er lässt den wohl an die Hundert Millionen Opfern der Völkermorde Gerechtigkeit widerfahren – soweit man von „Gerechtigkeit“ sprechen kann.

Natürlich unterlaufen ihm auch Fehler. So behauptet er etwa fälschlich, im GULAG habe es im Gegensatz zu den deutschen KZs ein Kulturleben mit Orchestern usw. gegeben (S. 435). Das ist falsch. Auch in einigen deutschen KZs gab es Orchester, sogar Damenbands, es wurde komponiert, es wurde unter erbärmlichsten Bedingungen immer noch gefeiert, musiziert und rezitiert, und zwar von Häftlingen, die einem qualvollen Tod entgegengingen. Der vorgeblich weniger verbrecherische Charakter der Sowjetherrschaft lässt sich also nicht damit begründen, im GULAG habe es noch ein Kulturleben gegeben.

Und die Auslöschung der polnischen Intelligenz schreibt Goldhagen zu Unrecht nur den Deutschen zu. Polen wurde 1939 zerrissen zwischen Nazideutschland und Sowjetrussland. Beide Mächte haben die polnische Intelligenz brutalst in Massenmorden ausgemerzt. Das Wort Katyn ist dafür nur ein Symbol. Goldhagen hätte es erwähnen müssen.

Richtig ärgerlich werden seine summarischen Zusammenstellungen, etwa auf S. 519: Dort beschreibt er die gegenwärtige politische Situation in der Europäischen Union (EU) mit folgenden Worten: „Nationalsozialismus und Faschismus vorbei, vollkommen demokratisch und politisch integriert.“ 20 Jahre nach der Hinrichtung Ceaușescus ist es starker Tobak, wenn das millionenfache Unrecht, das über Europa gekommen ist, ausschließlich dem Faschismus und Nationalsozialismus zugeschrieben wird. Hier hätte unbedingt auch der reale Sozialismus erwähnt werden müssen, der heutige EU-Länder wie Rumänien, Ungarn, Bulgarien, DDR, Polen, Lettland, Litauen mit eiserner Faust regierte.

Als wichtigen Massenmörder lässt Goldhagen leider Karl den Großen unerwähnt. Wenn schon, denn schon. Es stünde uns in Europa gut an, die Völkermorde und Vertreibungen dieses Pater Europae klar beim Namen zu nennen und den Aachener Karls-Preis umzubenennen, den ja sogar unsere Bundeskanzlerin schon ohne mit der Wimper zu zucken empfangen hat.

Aber immerhin bringt Goldhagen den GULAG, belegt anhand von Zahlen und Dokumenten den verbrecherischen Charakter des riesigen verzweigten Lagersystems in der UdSSR. Er erzählt die riesigen Hungersnöte der Ukraine in den 30er Jahren. Er zeichnet nach, wie die Bolschewisten von Anfang an auf Terror, Massenmord und Konzentrationslager setzten (S. 51). Von der Aura des Kommunismus als weltbefreiender Macht bleibt nichts, gar nichts mehr übrig.

„Massenmörderischen kommunistischen Regimen, die sich urprünglich auf arme und verbitterte Proletarier und Bauern stützten, ist es in bemerkenswerter Weise gelungen, durch die Indoktrination der Jugend ganze Generationen  von wahren Gläubigen heranzuziehen, die sich bereitwillig für die Verwirklichung eliminatorischer Programme einsetzten“ (S. 225).

Die Blutspur des Genozids zieht sich durch die Jahrhunderte, sie färbt sich besonders rot im 20.  Jahrhundert. Und die staatlich verordneten und gedeckten Massenmorde gehen weiter bis zum heutigen Tage!

Das Buch ist ein großer Wurf. Goldhagen schont niemanden: nicht die Hutus, nicht die Belgier, nicht die Deutschen, die Türken, nicht die US-Amerikaner, nicht die Kommunisten, nicht die Franzosen, nicht die autoritären Regime Südamerikas  … sie alle haben Massenmorde und Völkermorde begangen, die weiterhin weitgehend verschwiegen oder beschönigt werden (wohl mit Ausnahme der deutschen Verbrechen). So die bitteren Vorwürfe Goldhagens. Der Völkermord, besser die Vökermorde, allen voran der Holocaust, haben verheerender gewütet als die Kriege.

Dieser Nachweis gelingt Goldhagen meines Erachtens mit großer Überzeugungskraft. Dies ist das Hauptverdienst des Buches, uns dafür die Augen zu öffnen, auch wenn die Begriffe Massenmord, Völkermord, Terror, Krieg bei Goldhagen teilweise unscharf formuliert sind und ineinander verfließen.

Und vor allem unterbeitet er Vorschläge, wie staatlicher Massenmord zu verhindern sein könnte: etwa durch ein Kopfgeld auf Politiker und Regierungsmitglieder, die den Massenmord anordnen oder decken. Hier wird das Buch zu dem, was es eigentlich ist: ein flammender Aufruf, mehr Gerechtigkeit, mehr Frieden herzustellen. „Verschaffe mir Recht“ – dieser biblische Spruch der ewig Gemarterten kam mir in den Sinn, als ich das Buch erschüttert zur Seite legte.

Daniel Jonah Goldhagen: Schlimmer als Krieg. Wie Völkermord entsteht und wie er zu verhindern ist. Aus dem Englischen von Hainer Kober und Ingo Angres. Siedler Verlag, München 2009

 Posted by at 21:59
Aug 222009
 

Nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft kriechen jetzt bleich und übernächtigt all die Fragen nach der geschichtlichen Wahrheit ans Licht, die seit 1948, also seit der Machtergreifung kommunistischer Parteien in den Ländern der östlichen Hälfte Europas, gewaltsam unter dem Deckel gehalten wurden. In einem endlosen Gewürge von Manipulationen, Umdeutungen und Beschönigungen hatten die parteiamtlichen Historiker die unschönen Wahrheiten der eigenen Nationalgeschichte unter den Teppich gefegt. Dazu gehört auch die Beteiligung nicht-deutscher Verbände, offizieller Regierungen, ja ganzer Staaten an dem verbrecherischen Regime des Nationalsozialismus im besetzten Europa. Nur so lässt sich etwa folgende, geradezu bizarr anmutende Meldung verstehen, wonach ein EU-Staat dem Staatsoberhaupt eines anderen EU-Staates die Einreise verbietet:

Einreiseverbot: Ungarns Präsident bläst Slowakei-Besuch ab – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Politik
Mit klaren Worten hat die slowakische Regierung dem ungarischen Präsidenten Laszlo Solyom an einer Reise in die Slowakei gehindert. Ein Verstoß verletzte internationales Recht und zeige einen „Mangel an Respekt“, sagte der slowakische Ministerpräsident Robert Fico.

Bizarr ist diese Meldung, weil hinter dem Einreiseverbot die unaufgearbeitete Geschichte der beiden Staaten Ungarn und Slowakei in den 30er und 40er Jahren steht. Kaum jemand weiß, dass die beiden Staaten Ungarn und die Slowakei treue Verbündete Deutschlands waren, dass sie den Deutschen Waffenhilfe leisteten. Die Schreckensherrschaft der Deutschen wäre ohne ein riesiges Heer an nicht-deutschen Helfern, Waffenbrüdern, Kollaborateuren und Vollstreckern nicht möglich gewesen. Und daneben gab es auch ganze Länder – Italien, Slowakei, Ungarn, das besetzte Frankreich – die mit ihren Regierungen, also als Land,  insgesamt auf Seiten Deutschlands standen, Truppen stellten, an Verfolgungsmaßnahmen aktiv beteiligt waren. Wer weiß heute noch, dass Hunderttausende italienischer Soldaten am Überfall auf die Sowjetunion beteiligt waren, bis vor Stalingrad vorrückten?

Was hört man aus Italien, Ungarn, der Slowakei über diese Beteiligung? Praktisch nichts. Dazu meine ich sagen zu können: Diese Länder haben es erfolgreich und wider die historischen Belege vermocht, sich ausschließlich als Opfer Deutschlands darzustellen. Sie haben nicht ernsthaft begonnen, ihre eigene Verstrickung in die Terrorherrschaft der Deutschen aufzuarbeiten. Kaum jemand kennt überhaupt noch die Namen der Tiso, Horthy, Pétain, Badoglio. Die verbündeten oder kollaborierenden Länder Italien, Slowakei, Rumänien, Ungarn, Frankreich haben sowohl unter dem Kommunismus als auch in der Demokratie ihre eigene nationale Geschichte weitgehend reingewaschen.

Selbstverständlich diente dies auch als Rechtfertigung für die Vertreibung von etwa 12 Millionen Deutschen, aber auch von Hunderttausenden Ungarn nach dem 2. Weltkrieg. Die Botschaft war klar: „Wir waren nicht dabei! Das waren alles die anderen!“

Eine groteske Veranstaltung! Und derartige Grotesken werden mühsam gehegt und gepäppelt, ehe es zum nächsten Knall kommt, wie an dem gespannten Verhältnis zwischen Ungarn und der Slowakei regelmäßig zu bestaunen.

Ungarn hat sich 1989 offiziell bei der damaligen Noch-Tschechoslowakei dafür entschuldigt, dass ungarische Truppen an der Niederschlagung des Prager Frühlings beteiligt waren. Die heutige Slowakei hat derartiges gegenüber Ungarn nicht vermocht, da sie eine Kontinuität zu der deutschlandfreundlichen Tiso-Regierung ab 1940 nicht herstellen will. Die Vertreibung der Ungarn aus dem Gebiet der Tschechoslowakei wird weiterhin verschwiegen.

Ungarn hat offiziell seine historische Schuld an der Vertreibung der Deutschen, aber auch auch an der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 anerkannt. Dennoch gehen die endlosen Streitereien zwischen der Slowakei und Ungarn weiter. Im Zentrum stehen dabei vordergründig Rechte der ungarischen Minderheit in der Slowakei – und ungelöste Fragen der Vergangenheit.

Letztlich wurzeln die ständigen slowakisch-ungarischen Reibereien in der dunklen europäischen Vergangeheit. In diese gilt es Licht zu werfen. Wenn die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten weiterhin so saumselig und zögerlich sich mit Halbwahrheiten zufriedengeben, kann das gemeinsame Haus Europa nicht gelingen.

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Systeme auf der Anklagebank

 1968, Georgien, Vertreibungen, Verwöhnt, Was ist europäisch?  Kommentare deaktiviert für Systeme auf der Anklagebank
Mai 182009
 

Dieses Bild zeigt den den hier schreibenden Blogger beim Lesen der Mainpost vom 24. November 1945. Auf der Domstraße gerate ich ins Plaudern mit den Betreibern des Straßencafés, spreche sie türkisch an. „Woher in der Türkei kommen Sie?“ „Wir sind Kurden!“ „Aha!“ Ich denke: Aber Türkisch sprechen sie doch alle, auch die vielen Nicht-Türken in der Türkei. Das Kurdische wurde ja über Jahrzehnte hinweg verboten und verdammt. Gut aber, dass in der Türkei allmählich kurdische Sender, kurdische Veröffentlichungen zugelassen werden! Deutschland mit seiner seit 40 Jahren erscheinenden Hürriyet gilt mittlerweile sogar als Vorbild für gelingende Minderheitenpresse.

Einen halben Sonntag verbrachte ich nach einem beruflichen Einsatz schlendernd, bummelnd, plaudernd in Würzburg. In der Residenz schließe ich mich einer deutschsprachigen Führung an, die gerade die Fresken des Gian Battista Tiepolo betrachtet. „Sehen Sie dort – das ist der Kontinent Asien. Asien wurde als Mutter der Kultur, als Wiege der Zivilisation und der christlichen Religion verehrt: deshalb sehen Sie die Gesetzestafeln des Mose, Sie sehen die erste Schrift der Menschheit, wofür man damals das Georgische hielt. Und Sie sehen die Schädelstätte Golgatha. All das verband man damals mit Asien.“ Ich vernahm’s – und staunte, dass ein Gedanke, den ich erst vor zwei Tagen erneut in diesem Blog ausgeführt hatte, mir nun großmächtig in den riesig ausgespannten Deckengemälden eines deutschen Fürstbischofs entgegentritt. Ich ziehe daraus den Schluss: Bis ins 18. Jahrhundert hinein herrschte offenbar Konsens, dass die Kulturgeschichte von Ost nach West geht. Ex oriente lux, der Weltgeist schreitet vom Aufgang zum Untergang der Sonne: die wichtigsten Errungenschaften der höheren Bildung – die Weinrebe, die Schrift, die Poesie und ebenso auch die drei morgenländischen Religionen Judentum, Christentum und Islam – sie sind alle Gewächse Asias. Offenbar wurde dieses Wissen erst im Zeitalter des Kolonialismus endgültig verdrängt. Heute wähnen etwa die meisten Europäer, die Werte des Christentums seien ursprünglich europäische Werte – was für ein Irrtum!

Eine fragende, lehrende, ergebnisoffene Demokratie brachten die USA ab 1945 nach Bayern! Can Capitalism Survive? Ein General lud 1948 ein und machte sich Gedanken darüber, ob der Kapitalismus noch eine Chance habe! Sehenswerte Ausstellung  über Wiederaufbau und Wirtschaftswunder in der Würzburger Residenz. Anhand von Schautafeln, Dingen des Gebrauchs, anhand nachgestellter Szenen gelingt es, sich in die Nachkriegszeit hineinzuversetzen. Wir, die Jahrgänge ab etwa 1955,  haben ein schlüsselfertiges Land zum Geschenk erhalten, unsere Mütter und Väter rappelten sich nach gigantischen Verirrungen und Verbrechen aus Staub, Schutt und Asche auf. Ihnen gelang eine bewundernswerte Leistung. Unser Land steht heute dank ihres Zupackens besser da denn je, ganze Generationen von Kindern (darunter auch die meine) in der Bundesrepublik Deutschland haben seit 1949 bis heute keinerlei schlimme Sorgen und Nöte erlebt: keinen Hunger, keine Obdachlosigkeit, keine Zerstörungen, keine Massenmorde, keine rassische oder politische Verfolgung, keinen Krieg.

Es gab für mich und meinesgleichen keinen ernsthaften Grund, sich gegen diese neu entstandene Bundesrepublik aufzulehnen. Ich habe manchmal daran gelitten, dass der Generation der Mütter und Väter offenbar fast alles gelungen war: den Krieg hatten sie als Kinder oder Jugendliche erlebt, sie waren hineingerissen und verführt worden, und danach schafften sie den Neuanfang. Wir Kinder bekamen alles schlüsselfertig vorgesetzt. Damals trafen 12 Millionen Heimatlose und Vertriebene mittellos ein, und nach und nach fanden alle ein Unterkommen und sogar Wohlstand. „Die Integration von 12 Millionen Vertriebenen war eine große Leistung, die leider viel zu wenig gewürdigt wird“, hörte ich in den 80er Jahren als Kind meinen Vater, der selbst vertrieben worden war, oft sagen. Ich lauschte auch den gegnerischen Stimmen, die immer wieder die dunklen Machenschaften der deutschen Rüstungslobby mit den diktorischen Regimen in Südamerika und Südafrika oder die heuchlerische Sexualmoral der Kirchen geißelten. Wer hatte nun recht? War Deutschland ein durch und durch böses Land, wie es die Studenten der 68er-Bewegung zu behaupten schienen? Als halbwüchsiges Kind war ich hin- und hergerissen. Ein ganzes System – die BRD – saß wieder einmal auf der Anklagebank!

Erstaunlich bleibt, dass gerade unter diesen Umständen – als dies keinen Mut erforderte – eine so rabiat-radikale Opposition entstand, wie es sie eigentlich unterm Nationalsozialismus hätte geben müssen, aber eben damals nicht gab!

Heute muss ich sagen: Mein Vater hatte weitgehend recht in seinen Einschätzungen. Und Rudi Dutschke, an den in herrlich-augenzwinkernder Ironie sogar eine Straße in meinem Heimatbezirk erinnert, wozu nun ebenfalls keinerlei mehr Mut gehört, der hatte eben weitgehend unrecht in seinen Einschätzungen der Lage, ja, wenn man heute, im 40-jährigen Abstand die Schriften des SDS oder der K-Gruppen oder der RAF noch einmal liest, dann wird man sich fragen müssen: Woher diese Verblendung, dieser rabiate Dünkel, diese unglaubliche, hochgefährliche Verbarrikadierung in Welterklärungskäfigen? Glaubten die Menschen wirklich daran? Worum ging es da? Ich meine heute: Es ging eigentlich gar nicht um Politik, sondern um eine hochsymbolische Ablösung der Söhne von den Vätern. Die Politik war nur ein Spielfeld, ein Tummelplatz für nicht bewältigte intergenerationelle Schuldverstrickungen. Die Söhne setzten ein System, und das heißt ihre Väter, auf die Anklagebank.

Und wir? Unsere Gesellschaft, wir heute Erwachsenen haben es bisher nicht einmal geschafft, etwa 3 Millionen Türken so zu integrieren, dass wir wissen, dass sie wissen, woran wir sind. Dabei herrschen heute unvergleichlich bessere, materiell unvergleichlich reichere Ausgangsbedingungen als damals in der Nachkriegszeit. Es gäbe eigentlich genug Geld, um die Bildungsmisere in Berlin etwa rasch zu beenden.  Ich glaube, die Integration der zugewanderten Gruppen, die Schaffung eines neuen, gemeinsamen Selbstbildes, das ist die große Aufgabe, die vor uns liegt. Ich halte sie für nicht einmal halb so groß und halb so schwierig wie die Integration der 12 Millionen Vertriebenen nach dem Krieg, für nicht einmal halb so schwierig und nicht einmal halb  so groß wie den Wiederaufbau eines verwüsteten Landes.

Selbst hier stehen wir „Söhne und Töchter“ gegenüber den „Vätern und Müttern“ nicht so gut da: damals, in den 60-er Jahren, suchten die Studentenführer händeringend und steinewerfend nach irgendwelchen, an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfen, und heute können die Väter, die jetzt schon längst Großväter sind oder gestorben sind, auf uns sehen und sagen: „Na, nun macht mal! Zeigt es uns! Messt eure Leistungen an dem, was wir damals geleistet haben!“

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Mai 182009
 

 Yussuf – so heißt ein Mitschüler meines Sohnes. In Yussuf benannte sich auch Cat Stevens nach seinem Übertritt zum Islam um. Würdet ihr glauben, dass dieser Yussuf kein anderer ist als der Joseph aus dem 1. Buch Mose, das Juden wie Christen gemein ist?

Diesem Joseph oder Yussuf begegnete ich gestern beim Spazierengehen in Würzburg. Ihr seht ihn dort oben. Es war ein herrlich leichter, hingezauberter Abend. Die alte Mainbrücke zu überschreiten, den Blick der ruhig vertäuten Kähne zu genießen und ein paar Worte unter Freunden zu wechseln, das war für mich gestern ein schöner Augenblick.

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So wie Navid Kermani oder Necla Kelek uns einen neuen Blick auf das Kreuz lehren können, so vermag es Goethe, die Eigenart des Islam genauso hervortreten zu lassen wie auch sein Strenges und Hartes. Ähnlich wie Kermani gelingt es ihm, in Anziehung und Abstoßung des Eigene und das Fremde geradezu sinnlich spürbar werden zulassen.

Goethe schreibt in seinen Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des West-östlichen Divans in dem Mahomet benannten Kapitel:

Nähere Bestimmung des Gebotenen und Verbotenen, fabelhafte Geschichten jüdischer und christlicher Religion, Amplificationen aller Art, gränzenlose Tautologien und Wiederholungen  bilden den Körper dieses heiligen Buches, das uns, so oft wir auch daran gehen, immer von Neuem anwidert, dann aber anzieht, in Erstaunen setzt und am Ende Verehrung abnöthigt.

Eine der wenigen im echten Sinne erzählenden Suren ist die Sure 12. Sie ist ganz dem Josef (ungarisch: Joschka, arabisch: Yusuf, bairisch: Sepp) gewidmet. Goethe rühmt an der koranischen Umarbeitung der biblischen Josefsgeschichte, sie sei bewundernswürdig.  Die Überlieferungen des Alten Testaments beruhen – so Goethe – „auf einem unbedingten Glauben an Gott, einem unwandelbaren Gehorsam und also gleichfalls auf einem Islam“.

So wie Kermanis Bildmeditationen das beste sind, was ich seit einigen Monaten über das Christentum gelesen habe, so stellen Goethes Meditationen über Mahomet das beste dar, was ich seit vielen Wochen aus der Feder eines Nicht-Muslims über den Islam gelesen habe. Ohne flache Multi-Kulti-Versöhnlichkeit gelingt es Goethe, sich in Lebenswelt und Schriftsinn des Koran hineinzuversetzen, sich in ihn einzufühlen, ohne die eigene, abendländische Denkart preiszugeben.

Der Goethe des West-östlichen Divans ist DER große Anreger für uns in der Bundesrepublik Deutschland am Beginn des 21. Jahrhunderts. Er muss gleichberechtigt an die Seite des bekannteren Goethe gestellt werden, der den Faust geschrieben hat!

Schließen wir diese kurze Abendandacht mit einem Zitat aus der 12. Sure, Vers 92-93. Sie kann uns zeigen, wie innig verschwistert Judentum, Christentum und Islam sind und bleiben. Denn alle drei Religionen erzählen in immer neuen Abwandlungen das spannungsreiche Thema der Entfremdung zwischen Vätern und Söhnen, zwischen Bruder und Bruder. Ob Cat „Yussuf“ Stevens, ob Josef „Joschka“ Fischer sich immer bewusst waren, welche Kraft in ihrem Namen lag? Ihrem hebräischen Namen, der bedeutet: ER fügt hinzu? Denn nachdem Josef von seinen Brüdern verraten und verkauft worden war und der Vater aus Gram und Kummer das Augenlicht verloren hat, führt er zuletzt die große Versöhnung herbei, indem er sein Hemd weggibt und hinzufügt und dabei seinen Brüdern sagt:

„Keine Schelte soll heute über euch kommen. Gott vergibt euch, Er ist ja der Barmherzigste der Barmherzigen. Nehmt dieses mein Hemd mit und legt es auf das Gesicht meines Vaters, dann wird er wieder sehen können.“

Das heißt: Die Versöhnung geht vom Sohn aus, nicht vom Vater. Heißt sie deshalb Ver-söhnung, also Wiederherstellung des Sohn-Seins? Etymologisch nicht, denn das Wort stammt von Sühne ab. Aber in einem tieferen Sinne stimmt dieses Brückenbild. Joseph oder Yussuf – sie stehen im Bilde gesprochen „auf der Brücke“, sie sind die großen Hinzufüger, die großen Schenkenden.

Versöhnung geht in der Josefsgeschichte von dem aus, dem Unrecht angetan wurde, nicht von den Tätern des Unrechts. Und die Versöhnung macht im vollen Umfang „sehend“.

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Quellen:

Goethes Sämmtliche Werke. Vollständige Ausgabe in zehn Bänden. Mit Einleitungen von Karl Goedeke. Erster Band. Stuttgart. Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1885,  S. 555-557

Der Koran. Übersetzung von Adel Theodor Khoury. Unter Mitwirkung von Muhammad Salim Abdullah. Mit einem Geleitwort von Inamullah Khan. Gütersloher Verlagshaus, 4. Auflage, Gütersloh 2007, S. 185

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„Wir bleiben widerborstig“, oder: Wider den linksgebürsteten Konformismus

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Apr 292009
 

„Wir bleiben widerborstig“, mit diesen Worten zitierten wir Jürgen Trittin vor wenigen Tagen. Dank der Oppositionsrolle, die die Grünen derzeit im Bundestag innehaben, wäre alles andere fast schon ein Wunder. Ganz anders natürlich, wenn die Grünen an die Macht gelangen – wie zum Beispiel bei uns im friedlichen Kreuzberg. Hier müssen die Grünen Verantwortung tragen, müssen Entscheidungen rechtfertigen, müssen die Staatsmacht sein und repräsentieren – und da fällt es schon schwerer, widerborstig zu bleiben.

Ganz schnell vertauschen sich dann die Rollen! Angepasst, stromlinienfärmig glatt und ununterscheidbar und widerstandslos-willig werden am 1. Mai wieder etliche Tausendschaften schwarzgekleideter, glattgebürsteter Konformisten durch die Kreuzberger Oranienstraße ziehen. Das beweist keinen Mut, das imponiert mir nicht, vor allem, wenn man den Schutz der Masse benutzt, um sich an anderer Leute Eigentum zu vergreifen.

Was mir imponiert, sind Menschen, die auf der Straße gegen Gewalt eintreten, und zwar auch dann, wenn sie als Minderheit kenntlich sind, wie etwa die Friedrichshain-Kreuzberger CDU mit ihrem geplanten Stand. Das beweist Mut. Das ist echte Widerborstigkeit gegen den dummdreisten Hauptstrom!

Lest selbst ein paar der Drohungen, mit denen die glorreichen Führer der Linkskonformisten sich brüsten:

Berliner Zeitung von heute: Markus Bernhardt vom „Antikapitalistischen Block“, der zum Bündnis gehört, aber auch an der DGB-Demo teilnehmen will: „Wir wollen explizit die sozialen Unruhen und unser mögliches tun.“ Er drohte der CDU, die beim Myfest in der Oranienstraße einen Infostand aufbauen will. „Wir sind sehr besorgt um die Sicherheit der CDU. Deshalb ist es besser, wenn sie auf ihren Stand verzichtet.“ „Das zeigt das fehlende Demokratieverständnis dieser Leute“, sagt der CDU-Abgeordnete Kurt Wansner. „Wir werden dort aber stehen.“

Tagesspiegel von heute: Dass die Anwesenheit der Polizei insgesamt unerwünscht ist, formulierte Jonas Schiesser von der Gruppe Arab ganz schlicht: „Die Bullen sollen sonst wo bleiben.“ Auch die Anwesenheit von Glietsch sei eine Provokation, ihm wurde empfohlen, sich nicht blicken zu lassen. Dass die CDU sich beim Myfest mit einem Stand präsentieren wolle, fassen die Linksradikalen als „reine Provokation“ auf. „Die CDU weiß, dass sie in Kreuzberg unerwünscht ist“, sagte Schiesser. Für die Sicherheit des CDU-Standes könne man „nicht garantieren“.

Es ist schon auffallend zu sehen, wie sehr sich die Formulierungen gleichen! Kleine Sprachübung gefällig? Hier kommt sie: Bilden Sie Sätze mit dem Wort „… unerwünscht!“ Beispiel: „Schwarze sind hier nicht erwünscht.“ Na bitte, da kommt es heraus! Denken Sie an Berlin 1933, denken Sie an Amsterdam 1940, denken Sie an Kapstadt 1985! Zu Tage tritt in solchen Sprüchen immer eine Apartheid-Gesinnung, eine bis ins Brutale gesteigerte Einteilung der Menschen in Gut und Böse – und zwar stets begründet auf irgendeinem rassischen, politischen oder ethnischen Merkmal.

Gut auch, dass im Tagesspiegel sich wenigstens einige gegen die unerträgliche Anmaßung der Veranstalter zur Wehr setzen, wenn auch leider nur anonym. Toll fände ich, wenn alle anderen demokratischen, wenn auch die weniger widerborstigen Parteien sich schützend vor die CDU stellten. Werden sie es tun, werden sie mutig, werden sie widerborstig genug sein? Oder werden sie sich glattbürsten lassen? Werden sie einknicken?

Lest hier stellvertretend einen Beitrag eines Tagesspiegel-Lesers namens Einauge:

CDU plant Infostand in Kreuzberg
Provokation und Gewalt
Ich sehe mich selbst als Linker und finde die CDU unwählbar und die Berliner CDU im Speziellen auch noch in hohem Maße peinlich und unfähig. Selbstverständlich ist der Stand der CDU eine Provokation, auch wenn die Herren was anderes behaupten mögen. Aber in einer Demokratie muss man Provokationen ertragen können, sofern sie nicht beleidigend und ausserdem gewaltlos erfolgen.

Man sollte Gewalttätern nicht die öffentlichen Räume überlassen, weder linken noch rechten noch andersabartigen Gewalttätern. Insofern würde ich mich ob der Drohung gegen die Sicherheit des CDU-Standes fast schon dazustellen. Präsenz gegen Gewalt.

Womit wir bei den Argumenten für ein Wegbleiben von diesen Demos wären: Den Gewalttätern hier den linken wird jedesmal der Schutz durch die Masse gewährt aus dem heraus sie – ach wie mutig – anderer Leute Eigentum und Gesundheit gefährden können. Und dann wird wieder der Polizei die Schuld gegeben, wenn sie die Leute aus der Menge rausziehen wollen. JEDES MAL

Die Eskalation geht in Berlin schon seit Jahren nicht mehr von der Polizei aus. Es wäre schön wenn man die Gewalt in den eigenen Reihen nicht noch durch derart haltlose Aussagen, wie jener von Herrn Bernhardt anfeuert.

 Posted by at 18:06