Apr 172009
 

07042009.jpg Wer hat’s zuerst gesagt? Mohammed oder Moses? Die überwältigende Mehrheit der Moslems würde heute zweifellos dem Gelehrten Ali ibn Ismail al-Ashari (874-955) folgen, wonach Gottes Wort seit jeher bestand und besteht: nicht geschaffen, sondern offenbart. In seiner Gänze offenbart in arabischer Sprache erstmals und letztmals durch Gabriel dem Propheten Muhammad. In Teilen bereits vorher angedeutet den früheren Erwählten wie etwa Moses oder Jesus.

Unser Eindruck, das der Koran im wesentlichen eine Umformung und Fortführung der beiden vorhergehenden Offenbarungsreligionen Judentum und Christentum ist, widerspricht diesem Selbstverständnis nicht: Für den asharitischen Islam sprach Gott in Andeutungen bereits vor Mohammed. Diese Andeutungen, diesen Vorschein der vollen Wahrheit bezieht Mohammed auf sich selbst. Er sieht sich als den Vollender. Selbst in dieser Denkbewegung übernimmt Mohammed eine entscheidende Grundfigur christlichen Denkens. Denn auch der Jesus des Johannesevangeliums behauptet von sich, dass alle bisherige Offenbarung auf ihn zulaufe, und zwar von jeher. „Ihr befragt die Schriften [gemeint ist: die Tora], da euch dünket, in ihnen ewiges Leben zu haben; auch und gerade diese Schriften [die Tora] sind es, die über mich Zeugnis ablegen.“ (Johannes 5,39. Eigene Übersetzung dieses Bloggers). In der Selbsterhöhung zum alles entscheidenden Dreh- und Angelpunkt der Offenbarung gleichen sich der johanneische Jesus und der asharitische Mohamed wie ein jüngerer Bruder dem älteren.

Übrigens verschafft mir dieses Blog selbst oft Erlebnisse, wonach ich mich fragen muss: Wer hat’s zuerst gesagt? So erhob ich, betrübt durch die harten Anklagen unserer Migrantenverbände, am 03.03.2009 meine Stimme und rief aus:

Oh ihr meine lieben Türken, fragt nicht immer: “Was kann der deutsche Staat noch alles für uns arme benachteiligte Migrantinnen und Migranten tun, damit wir endlich in Deutschland glücklich werden?”

Fragt doch mal: “Was können wir für uns tun, damit wir endlich – nach drei oder vier Generationen – in diesem Land ankommen und glücklich werden?”

Und heute entdecke ich, dass Necla Kelek eine ganz ähnliche Frage formuliert hat – und zwar wohl vor mir:

„Was tut jeder einzelne Migrant für sich und die Familien für sich und für die Gesellschaft überhaupt, um hier anzukommen?“

Ihr könnt das Video ansehen:

YouTube – Politik direkt | Necla Kelek – Engagierte Kämpferin gegen Islamismus

Habe ich also bei ihr abgekupfert? Der Streit darüber wäre müßig. Nein, wir sind durch konkrete Erfahrungen – sie als Deutsche und Türkin, ich als Russenbräutigam und polyglotter Deutscher, dessen Sohn in eine Klasse mit fast ausschließlich türkisch-deutschen und arabisch-deutschen Kindern geht  – zu ganz ähnlichen Schlussfolgerungen gelangt. Schlussfolgerungen, die wir beide als Frage an die Türken gerichtet haben.

Morgen kommt ja Necla Kelek zum tazkongress 2009 – sie wird ab 14.00 Uhr mit Tariq Ramadan, dem berühmten Verfechter eines aufgeklärten, europäischen Islam, diskutieren. Ich erwarte mir ein Fest des Denkens und Streitens! So nach taz-art eben. Ich werde hingehen und in diesem Blog live vom taz-Kongress berichten. Meine Hoffnung ist, dass sich diesmal auch endlich die Berliner Moslems beteiligen und zu Wort melden – anders als bei unserem allerersten Beitrag, der überhaupt den Anstoß zu diesem Blog gab. Wenn morgen sich außer Ramadan und Kelek wieder kein Berliner Moslem, kein Berliner Türke an der Diskussion beteiligt, dann werde ich zweifeln, ob solche Diskussionen etwas bewirken, oder nicht doch im luftleeren Diskurs-Raum tänzeln und tazzeln. So recht nach taz-Art eben.

Meine Leitfrage beim Zuhören wird morgen sein: Wird sich durch all das Tazzen und Tanzen die Lage der Klassenkameraden meines Sohnes – Zakaria, Israa, Beyza-Gül, Oguzhan, Fahad, Rojhat, Baris, Furkan – auch nur um einen Deut ändern? Wird es ihnen helfen, in diesem ihrem Deutschland glücklich zu werden? Diesen Kindern fühle ich mich verpflichtet. Und wenn morgen niemand für diese Kinder ein Wort einlegt, dann werde ich das tun.

Unser Bild zeigt den Volkspark Hasenheide in Berlin-Neukölln.. Dort gibt es jederzeit Dinge zu kaufen, die man beim Krämer nebenan nicht bekommt.

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Apr 172009
 

Der Prophet Muhammad war zutiefst eingetaucht in die Welt der jüdisch-christlichen Überlieferung. Über weite Strecken ist der Koran eine Auseinandersetzung mit den Juden und den Christen, deren Überlieferung Muhammad so genau kannte. Achmed A. W. Khammas hatte uns am 08.11.2007 in diesem Blog die Augen für diese Kontinuität zwischen Christentum und Islam geöffnet, indem er fragte: „War Mohammed Christ?“

Immer wieder entdecke ich beim Studium des Korans Aussagen, Sätze, Bilder, die mir bekannt vorkommen. Woher kannte Mohammed diese Bilder? Was war sein Hintergrund? Gestern zitierten wir Sure 22, Vers 11. „Wenn ihn eine Versuchung trifft, kehrt er seinen Blick ab.“ Heute lese ich einen ähnlichen Satz in der jüdischen Torah. Gott spricht zu Kain. Gott weiß nicht alles, aber er kann das Gesicht des Kain lesen – da gärt etwas in Kains Gesicht. Kain wendet den Blick ab, senkt ihn. Es ist das Gesicht dessen, der mit sich nicht im reinen ist. Gott spricht zu Kain, 1. Buch Mose, Kapitel 4, Vers: „Ist es nicht so: Wenn es dir gut geht, trägst den Blick hoch, und wenn du nicht gut handelst, dann lauert Fehltritt und nach dir ist sein Verlangen.“

Kaum ein anderer Satz hat mich in den letzten Tagen mehr beschäftigt als eben dieser. Ich halte diesen Dialog zwischen Gott und Kain für einen der schönsten überhaupt. Warum? Er zeigt etwas Grundlegendes: Kain, unser aller Vorfahr, ist weder völlig gut noch völlig böse. Er ist jederzeit hineingestellt in diese Entscheidung. Der Gott, der ihm begegnet, ist weder allmächtig noch allwissend. Es ist ein sprechender, ein suchender Gott. Wie der Gott des Korans auch, so lässt der Gott der jüdischen Bibel den Menschen in diese Freiheit hineingestellt. Der Mensch ist weder absolut gut noch absolut böse.

In genau diesem Sinne erklärte Yehuda Bacon, dessen Familie von den Nazis in Auschwitz umgebracht worden war, im Frankfurter Auschwitz-Prozess: „Niemand ist absolut böse, jeder hat einen Funken Menschlichkeit in sich. Jeder Mensch muss vorsichtig sein, denn jeder kann in seinem Leben in die Hölle abrutschen. Der Abgrund ist eine Gefahr für uns alle.“ Ich las dies in einem sehr profunden Artikel über die „Banalität des Bösen“ von Sebastian Beck in der Süddeutschen Zeitung vom 11./12./13.04.2009.

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Apr 152009
 

13042009.jpg Erneut zitieren wir heute aus dem Koran. Heute aus Sure 22, Vers 11. An diesen Vers musste ich gestern nacht denken. Ich fuhr auf dem Rad die Stresemannstraße nachhause. Es war ein herrlicher lauer Sommerabend, ein letztes Spätlicht hielt sich noch in den Straßen. Plötzlich zuckte ich zusammen – mein Lenker schlug aus, ich zitterte. Dann erst merkte ich: Aus einem knapp an mir vorbeifahrenden Auto hatte mich ein Mann angebrüllt: HU! Sehr laut, völlig unvorbereitet, so plötzlich, dass ich erst erschrak und zusammenzuckte, fast stürzte, und dann erst bemerkte: aus dem offenen Fenster eines vorbeifahrenden Kleinwagens heraus lehnte ein junger Mann, lachte über mein Erschrecken.

Ich fing mich, stürzte nicht. Dann erwachte in mir stechend, heiß und unbeugsam der Wunsch nach Vergeltung. „Na, dich knöpf ich mir vor!“ Mein Wunsch nach Vergeltung verlieh mir Kraft, an der nächsten Ampel, vor der SPD-Parteizentrale hatte ich das Auto eingeholt.  Ich klingelte laut, rief zornig: „Hey, ihr da! Was sollte das da sein!“ Der Beifahrer kurbelte das Seitenfenster herunter: „Bitte, wie können wir Ihnen helfen?“ „Was hast du mich eben angebrüllt, ich wäre fast umgefallen!“, rief ich.

„Das war ich nicht!“, sagte der junge Mann und wandte sein Gesicht in die andere Richtung. „Aber ich erkenne dich, ich erkenne euer Auto wieder“, erwiderte ich. „Warum habt ihr das gemacht? Ich möchte wissen, was in euch vorgeht!“ „Wir waren das nicht, Sie müssen sich täuschen!“, erhielt ich als Antwort.

Und schon begannen in mir die Zweifel aufzusteigen. Hatte ich mich getäuscht? Vielleicht waren sie es doch nicht? Ich fasste einen Plan: „So, dann fahren Sie mal rechts ran – Papiere bitte, Fahrzeugschein und Führerschein!“ Und die List wirkte.

„Natürlich, wir waren es“, sagte jetzt der Fahrer. Er schaltete die Warnblinkanlage an und stieg aus: „Hey, mein Kumpel hat Stoff genommen, der ist high, der weiß nicht, was er sagt. Klar, er war es. Ich entschuldige mich für meinen Freund. Ich lebe schon seit 28 Jahren hier in Berlin, ich bin Deutschtürke. Ich bin mit einer Deutschen verheiratet. Ich will keinen Ärger mit der Polizei.“

Der Typ war mir sympathisch. Mein Zorn war schon verraucht. Ich verzieh ihm, wir verabschiedeten uns – als Freunde, wir gaben uns die Hand, und ich bin sicher, wir würden uns bei einem Wiedersehen gut verstehen. Dass er sich im Namen seines Freundes, der gerade auf auf Rauschgift war, entschuldigte, hat mich beeindruckt. Allerdings wird der Brüller, der mich fast zum Stürzen gebracht hätte, dadurch in seinem Handeln eher bestärkt werden. Denn er weiß: Es findet sich immer einer, der die Haftung übernimmt. Man kommt immer davon.

Was sage ich im Nachhinein dazu?

Ich habe immer wieder mit jungen Männern gesprochen, die was ausgefressen haben, mit den Steineschmeißern, mit Rauschgiftsüchtigen, mit den Jungs, die etwa ins Prinzenbad über den Zaun einsteigen. Was mir immer wieder auffällt: Sie wenden das Gesicht ab, sobald man sie anspricht, wie es im Koran so schön heißt. Wenn man sie fragt: „Warum machst du das? Mach das nicht!“, dann kommen immer Antworten wie: „Ich war das nicht“, oder: „Wir müssen das machen, wir haben kein Geld“. Jede persönliche Verantwortung wird abgeleugnet, es wird irgendeine Lüge aufgetischt, der Blick wandert in andere Richtungen. Sie verweigern letztlich die Antwort. Als Einzelpersonen kriegt man die Jungs so kaum zu fassen. Sie verweigern jede persönliche Verantwortlichkeit, verstecken sich im Wir. Sie werden nie sagen: „Ja, das habe ich gemacht.“

Ich halte diese Grundhaltung für verheerend. So werden diese jungen Leute nie lernen, zu sich zu stehen. Ein gesundes Selbstbewusstsein kann so nicht entstehen.

Was hören diese jungen Männer in der Schule, in den Familien? Etwa, dass sie arme Migrantenkinder sind, denen die böse, hartherzige Mehrheitsgesellschaft keine Chancen einräumt?

Sind sie arm? Nein, solange man mit einem Auto ziellos durch die Gegend kurvt, harmlose Radfahrer erschreckt und Rauschgift konsumiert, ist man nicht arm. Sind sie Migranten? Nein, sie sind hier in Berlin geboren und aufgewachsen, es sind unsere Kinder, es ist unsere nächste Generation. Sie sprechen einwandfreies Kreuzberger Türkdeutsch als Erstsprache.

Ist die deutsche Mehrheitsgesellschaft böse? Nein, denn diese Kinder aus türkischen und arabischen Familien sind bereits die Mehrheit in unseren Kreuzberger Regelschulen. Diese Jugendlichen sind nicht böse. Sie sind nur vollkommen verwöhnt und verhätschelt, orientierungslos, alleingelassen. Die deutschen Familien wenden ebenfalls das Gesicht ab, ziehen weg.

Die jungen Türken und Araber der dritten und vierten Generation  sind das Gegenstück zu einer anderen Gruppe deutscher Jugendlicher, die derzeit wieder verstärkt Autos anzünden, Läden einschmeißen, Steine schmeißen, Polizisten angreifen, Menschen zu vertreiben suchen. Die deutschen sogenannten autonomen Jugendlichen einerseits und die türkisch-arabischen sogenannten muslimischen Jugendlichen andererseits halten sich streng voneinander getrennt, sie haben nichts miteinander zu tun. Sie leben die Spaltung, auf die die deutsche Gesellschaft zuschreitet, bereits vor. Aber sie verbindet doch eine gemeinsame Grunderfahrung: „Mach, was du willst, hier in Berlin kannst du dir alles erlauben – aber lass dich nicht erwischen.

Und wenn sie dich erwischen, leugne alles ab.“

Über diese Haltung sagt der Koran in Sure 22, Vers 11:

Und unter den Menschen gibt es manch einen, der Gott nur beiläufig dient. Wenn ihn etwas Gutes trifft, fühlt er sich wohl dabei. Und wenn ihn eine Versuchung trifft, macht er kehrt auf seinem Gesicht. Er verliert das Diesseits und das Jenseits. Das ist der offenkundige Verlust.

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Apr 152009
 

Immer wieder beklagen sich Bürger und Politiker über die „schamlose Mitnahmementalität“ vieler Bankiers und  Topmanager, die trotz von ihnen zu verantwortender Milliardenverluste dann eben doch ohne mit der Wimper zu zucken die ihnen „vertraglich zustehenden“ Abfindungen und Vergütungen einfordern, ehe sie die Flatter machen und das Unternehmen sich selbst und dem Konkursverwalter  überlassen.  Sie behaupten, und viele reden ihnen dies nach: Ihr Noch-Arbeitgeber, den sie an die Wand gefahren haben, „schulde“ ihnen die „vertragliche Leistung“.

Da kommt mir beim kursorischen Lesen des BGB aber doch ein Zweifel! Lest selbst:

BGB – Einzelnorm
§ 242 Leistung nach Treu und Glauben
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Ich bin zwar kein Jurist, aber mir scheint, der Grundsatz von „Treu und Glauben“ sowie die „Verkehrssitte“ sind bisher viel zu wenig berücksichtigt worden!

Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Mein Fitness-Studio ist seit drei Wochen geschlossen. Es will Probleme mit dem Vermieter haben. Der Vermieter der Räumlichkeiten ist zahlungsunfähig, deshalb liefern die Wasserbetriebe kein Wasser. Der Betrieb des Fitness-Studios ruht auf unbestimmte Zeit. Ich habe die Leibesübungen aus dem Studio hinaus ins Freie – etwa in das Spreewaldbad oder den Tiergarten – verlagert.

Schulde ich dem Studio weiterhin den vertraglich vereinbarten Mitgliedsbeitrag, bzw. kann ich anteilsmäßig die Herausgabe des im voraus gezahlten Jahresbeitrags verlangen? Meine Antwort: „Nach Treu und Glauben“ schulde ich nicht. Mein Vertragspartner leistet nicht, also schulde ich ihm auch die Gegenleistung nicht. Ich werde die Rückzahlung des Mitgliedsbeitrags für die versäumte Zeit verlangen.

Ich rege die Juristen unter meinen Lesern an, über die folgende Frage nachzudenken: Schuldet der Arbeitgeber seinen leitenden Angestellten die Abfindungen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch in solchen Fällen, in denen nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte dies nicht erwartet werden kann, etwa bei fahrlässig herbeigeführten Verlusten oder Insolvenz des Unternehmens?

Wie sagte der Meister zu Hans im Glück doch: „Wie dein Dienst war, so sei auch dein Lohn.“

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Es geht auch anders: Freie Bahn für Fußgänger

 Bergmannstraße  Kommentare deaktiviert für Es geht auch anders: Freie Bahn für Fußgänger
Apr 152009
 

Vielsprechend klingt ein Konzept, über das heute die Berliner Zeitung berichtet. Lest es euch durch: Es kostet viel weniger als Shared Space, es führt zu einer Gleichberechtigung zwischen Verkehrsteilnehmern. Allerdings müssten auch die Radfahrer sich an die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h halten. Ob wir das schaffen?

Freie Bahn für Fußgänger – Berliner Zeitung
Autos dürfen nicht schneller als Tempo 20 fahren, dagegen haben Fußgänger überall den Vortritt. Sie dürfen jederzeit und an allen Stellen die Fahrbahn überqueren. So geht es in den mehr als 300 Begegnungszonen zu, die es inzwischen in der Schweiz gibt. Was sich in dem Nachbarland bewährt hat, könnte auch in Berlin funktionieren, heißt es im Senat. Nach seinem Willen sollen Berliner Nebenstraßen ebenfalls zu Begegnungszonen werden – zunächst versuchsweise. „Wir werden die Bezirke nun bitten, uns Straßen zu nennen, die für Modellprojekte geeignet wären“, sagte Heribert Guggenthaler aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Ein Kandidat könnte die Bergmannstraße in Kreuzberg sein.

Der Senat will Berlin fußgängerfreundlicher machen. Schließlich wird hier rund ein Viertel aller Wege per Pedes zurückgelegt, in Innenstadtbereichen sogar mehr als die Hälfte. Begegnungszonen könnten dazu beitragen, Nebenstraßen, auf denen besonders viel flaniert wird, sicherer und noch attraktiver zu machen, so Guggenthaler. „Mehr Rücksichtnahme ist das Ziel“, sagte der Referatsleiter für die Gestaltung von Straßen und Plätzen. Die Bergmannstraße, die sich in Kreuzberg als Kiez-Boulevard etabliert hat, wäre ein gutes Versuchsgebiet.

Wo in der Schweiz das entsprechende blau-weiß-rote Verkehrszeichen steht, dürfen Fußgänger die gesamte Verkehrsfläche benutzen – inklusive der Fahrbahn. „Sie sind gegenüber den Fahrzeugführern vortrittberechtigt, dürfen die Fahrzeuge aber nicht unnötig behindern“, heißt es in der „Signalisationsordnung“ des Nachbarlandes. Alle Fahrzeuge dürfen nicht schneller als 20 Kilometer in der Stunde fahren. Parken ist möglich – aber nur dort, wo Verkehrszeichen oder Markierungen dies ausdrücklich erlauben. Das gilt auch für Fahrräder.

Größere Straßenumbauten sind nicht erforderlich. „Die Bordsteine bleiben, die Bereiche für Fußgänger und Fahrzeuge sind weiterhin voneinander getrennt“, so der Planer. Dadurch sind Begegnungszonen billiger als „Shared-Space-Bereiche“, wie sie in den Niederlanden und im niedersächsischen Bohmte zu finden sind. Denn in „gemeinschaftlich genutzten Räumen“ (so eine Übersetzung) gibt es keine Bordsteine mehr, stattdessen eine Verkehrsfläche für alle. Auch Ampeln, Verkehrsschilder und Markierungen passen nicht zu diesem Konzept. Der Senat sieht es nicht nur wegen der Kosten skeptisch, sondern auch deshalb, weil Parkplätze nach der reinen Lehre in solchen Bereichen nicht vorgesehen sind. Damit drohten „Akzeptanzprobleme“. In Großstädten könnten Begegnungszonen also „unter Umständen die bessere Lösung sein“.

Deshalb lehnt der Senat auch den Vorschlag ab, die Tauentzienstraße in der City-West als „Shared Space“ zu gestalten. Sicher müssten in diesem Fall die parkenden Autos verschwinden, sagte die Bürgermeisterin von Charlottenburg-Wilmersdorf, Monika Thiemen (SPD). Dafür würde die Straße für Einkaufsbummler und Spaziergänger attraktiver. „Wir sollten hier mutig denken“, bekräftigte Thiemen gestern. Doch wenn „Shared Space“ dort nicht möglich ist, könnte die Tauentzienstraße auch eine Begegnungzone à la Schweiz werden.

 Posted by at 14:59

Shared Space setzt einen Mentalitätswandel voraus

 ADFC, Fahrrad  Kommentare deaktiviert für Shared Space setzt einen Mentalitätswandel voraus
Apr 152009
 

Seit Januar 2008 verfolgen wir in diesem Blog das Konzept von Shared Space. Seit einigen Monaten wird es auch in Berlin breiter diskutiert. Überrascht war ich, in der aktuellen Radzeit die folgende, eher skeptische Einschätzung des Verkehrswissenschaftlers und Soziologen Andreas Knie von der TU Berlin zu lesen:

Sybil Henning-Wagener: Ist das Konzept vom Shared
Space, das Hans Monderman immerhin
schon vor 30 Jahren in die Welt gesetzt
hat, die Verkehrsutopie, die diese neue Urbanität
befördern könnte?
Andreas Knie: Shared Space ist unter anderem ein Versuch,
die alte funktionale Trennung ein Stück
weit aufzuheben. Doch darf man nicht vergessen:
Die praktizierten Formen der „Verkehrsfluss“-
Idee sind bis heute auch sehr leistungsfähig.
Mit Shared Space würde man diese Codierung
des Straßenraumes, diese rechtlich
verbindliche Regelungsform, wieder zurückschrauben.
Shared Space bedeutet, alles, was
festgelegt ist und ohne Nachdenken befolgt
wird, wieder verhandelbar zu machen. Man
fährt natürlich dann ganz anders. Der Autofahrer
oder die Autofahrerin müssen alle Sinne anstrengen,
um sich fortzubewegen. Andererseits
besteht Konsens darüber, dass die Vorgänge im
Verkehr zu 95 Prozent und mehr Routine sind.
In modernen hochdifferenzierten Großstädten
denken Sie über Ihre verkehrliche Aktivität
nicht nach. Shared Space ist sicher ein Beitrag
zu mehr Sicherheit, ein Beitrag zu einer vollkommen
neuen Verkehrskultur und einer Entschleunigung
der Städte, ich halte ihn aber, gemessen
an der eigentlichen Aufgabe der Städte,
schnelle Teilhabe zu organisieren, für keinen
funktionstauglichen Entwurf. Demokratie heißt
immer Teilhabe, das heißt auch immer: schnelle
Ortsveränderung, Beweglichkeit.

RadZeit-2-2009-72dpi.pdf (application/pdf-Objekt)

Umgekehrt wird nunmehr laut einem Bericht in der Morgenpost vom 14.04.2009 in Charlottenburg diskutiert, bei der Neugestaltung des Tauentzien-Platzes erstmals in Berlin Shared Space Wirklichkeit werden zu lassen:

Berlins Einkaufsmeile Nummer eins – die Tauentzienstraße – sorgt für Streit. Jetzt hat sich Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen (SPD) eingeschaltet. Sie schlägt vor, bei der ohnehin geplanten Umgestaltung der rund 600 Meter langen Shopping-Meile mutig etwas ganz Neues zu probieren: Alle Verkehrsteilnehmer sollen sich gleichberechtigt den öffentlichen Straßenraum teilen – ohne Bordsteine, Schilder oder Ampeln. Bekannt geworden ist das Konzept unter dem Namen „Shared Space“ (geteilter Raum). Vor rund zwei Jahren wurde das niedersächsische Bohmte (13.300 Einwohner) als „erste deutsche Stadt ohne Schilder“ berühmt.

Mein eigener Standpunkt:  Zu Beginn war ich hochbegeistert von dem Konzept. Ich warb eifrig bei meinen Mitstreitern, etwa in der Fahrradlobby, für Vorarbeiten und genauere Befassung. Mittlerweile ist mein Eifer schwächer geworden, weil die Idee offenbar nicht so recht zündet. Persönlich wäre ich schon froh, wenn wir mit den vorhandenen Regeln zu einem auskömmlichen Miteinander kämen. Doch so weit sind wir noch nicht. Ich wünsche mir einen Mentalitätswandel im Straßenverkehr. Ob er durch das neuartige Konzept von Shared Space kommt? Ich hege Zweifel. Denn unser Verkehrsverhalten hängt wesentlich von unserer Einstellung ab. Tugenden wie Rücksicht, Aufmerksamkeit, Regeltreue sind noch nicht weit genug verbreitet. Shared Space setzt den mündigen, den erwachsenen Verkehrsteilnehmer voraus, den wir in zu geringen Zahlen haben.

Umgekehrt würde sich die Lage sofort verbessern, wenn mehr Menschen sich rücksichtsvoll, regeltreu und aufmerksam verhielten.

Ganz ohne Kosten, auch ohne Shared Space.

 Posted by at 14:46

Radfahrer – bitte erwachsen werden!

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Apr 142009
 

„Hey Mann, niemand in unserem Alter hält sich als Radfahrer an Verkehrsregeln!“, „die Regeln sind nicht für uns gemacht“, diese und ähnliche  Sätze höre ich immer wieder. Aber auch diesen: „Papa, warum soll man sich eigentlich an Regeln halten?“

Ich meine: Wer am Verkehr teilnimmt, muss sich den Verkehrsregeln unterwerfen. Ein Fahrrad ist kein Spielzeug, kein Spaßgerät, sondern ein Verkehrsmittel wie etwa ein BVG-Bus, ein VW Touareg oder ein Daihatsu Cuore auch.

Dass die Polizei über die Nichtbeachtung der Regeln schimpft, versteh ich. Ich tue es auch.

Verkehrskontrollen – Berliner Polizei schimpft über Radfahrer – Berlin – Berliner Morgenpost
Im sonnigen Frühling schwärmen die Radfahrer in Massen aus, aber bei der Polizei geben viele Berliner auf zwei Rädern kein gutes Bild ab. Nach intensiven Kontrollen beklagen sich die Beamten ungewohnt deutlich darüber, dass viele Radler „die Kontrollen für überzogen hielten und sehr häufig jegliche Einsicht vermissen ließen“.

 Posted by at 23:19

Der Stärkere gibt nach: Rücksicht, Respekt, Regeltreue beim Radverkehr

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Apr 142009
 

Gleich zwei gute Artikel  zum Thema Fahrrad entdecke ich heute auf S. 33 in der Süddeutschen Zeitung – Auszüge daraus darf ich euch nicht vorenthalten. Ich lasse sie unkommentiert, da die Aussagen wohlfundiert sind und aus meiner Sicht keiner Klarstellung bedürfen. Bitte mehr davon – nicht oft findet man als Fahrradaktivist Artikel, die wirklich den neuesten Stand wiedergeben!

Zum Beginn der Fahrradsaison – Der Stärkere gibt nach – Zweirad – sueddeutsche.de
Endlich – die Sonne scheint, die Temperaturen steigen, der Frühling ist da. Und damit sind auch wieder viel mehr Radfahrer auf deutschen Straßen – auf dem Weg zur Arbeit, schnell ums Eck zum Einkaufen oder gut gelaunt unterwegs ins Wochenende. Eine Fortbewegung, die allen und allem dient, denn: Das Fahrrad – laut Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) gibt es in Deutschland rund 68 Millionen – fördert nicht nur die persönliche Gesundheit, sondern ist auch kostengünstig und mangels jeglicher CO2-Emissionen absolut umweltfreundlich. […]

„Die schwersten Verletzungen, oft auch mit tödlichen Folgen, erleiden Radfahrer am Kopf“, beklagt Welf Stankowitz, Fahrradexperte beim Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR). Deshalb sei „der Helm Lebensretter Nummer eins für Radfahrer“ – so wie der Sicherheitsgurt für Autofahrer. […]

Radfahrer, ohne Pufferzone, sind gerade bei Kollisionen mit Autos massiv im Nachteil. Die aktuelle Forschungsarbeit „Unfallrisiko und Regelakzeptanz von Fahrradfahrern“ hat deshalb untersucht, wo es im Straßenverkehr zu besonders kritischen Situationen zwischen Radlern und Autofahrern kommt. Die repräsentative Studie, die in Kürze veröffentlicht wird und der Süddeutschen Zeitung bereits in Auszügen vorliegt, haben die Planungsgemeinschaft Verkehr (PGV) in Hannover und das Institut Wohnen und Umwelt (IWU) in Darmstadt im Auftrag der BASt erstellt.

Ausgewertet wurden rund 800 Unfälle; zudem wurden in zehn deutschen Städten mehr als 800 Radfahrer befragt und über mehrere Stunden täglich etwa 39.000 Radfahrer beobachtet. Zwei Situationen sind besonders gefährlich, so Studienleiter Dankmar Alrutz von der PGV: „Gibt es auf jeder Straßenseite einen Radweg, sind Radler oft auf der falschen Seite unterwegs und werden von Autofahrern übersehen. Aber auch beim klassischen Rechtsabbiegen achten viele Autofahrer zu wenig auf von hinten kommende Räder.“ […]

Denn die Wahl des richtigen und damit sichersten Weges führt immer wieder zu Diskussionen zwischen Bikern und Planern in Städten und Gemeinden. Radwege sind von der Straße getrennt und auf einem Niveau mit dem Bürgersteig; Rad- und Schutzstreifen dagegen verlaufen auf der Fahrbahn und sind von der Autospur nur durch eine Linie getrennt.Radweg und Radstreifen sind meist mit dem runden blauen Verkehrsschild gekennzeichnet – und damit benutzungspflichtig. Etwa 70 Prozent der Radwege in Deutschland sind so gekennzeichnet. „Diese Vorschrift ist nicht sinnvoll, denn oft sind die Wege zu schmal, haben Schlaglöcher, Baumwurzeln ragen heraus“, weiß Cibulski.[…]

Zu riskanten Begegnungen kommt es aber nicht nur wegen der mangelnden Rücksicht, sondern auch wegen Unkenntnis und Missverständnissen – zum Beispiel bei der Frage, nach welcher Ampel sich Radfahrer richten müssen. Eine Änderung der Straßenverkehrsordnung (StVO), die Anfang des Monats vom Bundesrat beschlossen wurde und am 1. September in Kraft tritt, schafft mehr Klarheit. Danach gelten für Radfahrer grundsätzlich Auto- und nicht Fußgängerampeln. „Damit wurde endlich anerkannt, dass Radfahrer keine Fußgänger sind“, freut man sich beim ADFC.

Doch auch Radfahrer selbst bringen sich immer wieder in Gefahr. „Die meisten kennen die Verkehrsregel sehr gut“, erläutert Alrutz ein Ergebnis der Studie. Aber: Etwa 60 Prozent der Befragten haben kein Problem damit, auf einem Radweg gegen die vorgeschriebene Richtung zu fahren, auf dem Bürgersteig zu radeln oder eine nicht für Radler freigegebene Einbahnstraße zu nutzen. Und 45 Prozent der Befragten geben zu, „mal bei Rot über die Ampel zu fahren“. Kaum nachzuvollziehen, denn: Wechseln dieselben Radler die Rolle, setzen sich also ins Auto, stellt keiner von ihnen das Stopplicht in Frage. In diesem viel praktizierten Rollenwechsel sieht Welf Stankowitz vom DVR aber auch eine große Chance für mehr Sicherheit: „Es ist wichtig, dass sich beide Gruppen besser verstehen, sich entsprechend verhalten und Rücksicht nehmen.“

Der wachsende Radverkehr müsse ernster genommen werden. Dazu gehöre auch, dass beim Bau von Radwegen die jeweils sinnvollste Lösung gewählt werde, die allen Verkehrsteilnehmern die größtmögliche Sicherheit biete. „Wer hier spart, gefährdet Leben“, so Alrutz. Aber auch ungewöhnliche Überlegungen könnten dem Rad zu einem positiveren Image und zu noch größerer Verbreitung verhelfen. Statt 2500 Euro Abwrackprämie schlägt der ADFC „250 Euro staatliche Förderung beim Kauf eines neuen Fahrrades“ vor.

 Posted by at 13:15

Festgemauert in der Erden ist sie: die migrantische Mentalität

 Männlichkeit, Migration, Vergangenheitsunterschlagung, Vertreibungen  Kommentare deaktiviert für Festgemauert in der Erden ist sie: die migrantische Mentalität
Apr 142009
 

Gestern schlugen wir Theaterarbeit vor, um die türkischen, die arabischen Jungmänner aus ihrem selbstgewählten Mentalitätsghetto, das festgemauert in der Erden ist, herauszustoßen.  Wir wählten dazu ein deutsches Werk, das in der Ferne liegt: Schillers Räuber. Kräftig schimpfen und fluchen in einem eigens arrangierten Umfeld – das wird helfen. Fast denselben Ansatz verfolgen auch die Schwulen- und Lesbenverbände in  ihrer Arbeit mit den türkischen und arabischen jungen Deutschen. Allerdings wählen sie nicht einen fremdartigen Text der deutschen Literatur, sondern sie nehmen unverändert die Ghettomentalität als Material her.

Ich selbst bin übrigens ebenfalls ein Migrantenkind, allerdings nur der zweiten Generation, nicht der dritten und vierten wie die meisten Kinder hier in Kreuzberg. Mein Vater hat es mir erzählt: Mitten im Frieden, es war 1946,  kehrte er aus amerikanischer Gefangenschaft in den Staat zurück, als dessen Staatsbürger er geboren und aufgewachsen war. Aber dieser Staat  hatte nach Kriegsende beschlossen, dass ein Drittel der eigenen Bevölkerung von heute auf morgen nicht mehr dazugehörte. Sie mussten raus. Und alles, was sie hatten, das gehörte ihnen auch nicht mehr. „Volkseigentum“, stand am Hoftor des Bauernhofes, in dem mein Vater gelebt hatte. In tschechischer Sprache. „Národní majetek“. Hatten sie alles verloren? Nein! 20 kg durften sie mitnehmen. Also, mit 20 kg kamen die Migranten, darunter mein Vater, in den Jahren 1945-1946 zu Millionen nach Deutschland. Sie bekamen eine Starthilfe vom Staat und ab dann mussten sie sich selber eine neue Existenz erarbeiten.

Mach ich jetzt ein großes Gedöns daraus? Verlange ich, dass die Bundesrepublik mir und meinesgleichen eine Sonderstellung zuerkennt, weil ich ein Migrantenkind bin? Nein, mein Vater hat sich  assimiliert, er hat die bäuerliche Existenzweise aufgegeben, hat in den USA und Deutschland studiert. Und genau dieser Weg steht allen „Migranten“-Kindern heute ebenfalls offen.

Allerdings sind sie im Nachteil: Der Staat schenkt ihnen zu viel. Sie fahren Autos, haben leichten Zugang zu Drogen, zu schnellem Sex, zu I-Pods und Netbooks. Ein herrliches Leben für das männliche Jungvolk! Es gibt für sie keinen Zwang zur Veränderung. Sie haben ja alles, um ein gottgefälliges Leben zu führen. Materielle Not haben sie in Kreuzberg oder Neukölln nie kennengelernt.

Der Tagesspiegel berichtet heute über das herrliche Theaterspielen, wo man so richtig die Sau rauslassen darf:

„Wie, du bist schwul?“
Die Kinder hören interessiert zu. Blond ist hier nur einer, ein paar Mädchen tragen Kopftuch. Sie stammen alle aus Einwandererfamilien mit Eltern aus dem Libanon, der Türkei, Bosnien und dem Irak. Der Sonderunterricht macht deutlich: Über Sexualität wird bei den meisten zu Hause nicht offen geredet. Über Schwule und Lesben schon gar nicht, das Thema ist tabu oder kommt höchstens als Sünde vor. Wohl deshalb quillt die „Fragebox“ der Trainer über, ein Pappkarton mit Schlitz, in den Zettel mit Fragen eingeworfen werden können. […]

Am Anfang genieren sich die Siebtklässler noch, doch bald tauen sie auf, und es hagelt Schimpfwörter: „Schwuchtel“, „Transe“, „Homo“, „Tunte“ – die Kreuzberger Schüler rufen alle Beleidigungen für Schwule und Lesben durcheinander, die sie kennen. Schließlich haben die drei Besucher danach gefragt. Das Lieblingsschimpfwort der 29 Schüler der Carl- von-Ossietzky-Schule sei derzeit „schwules Opfer“, sagt ihr Lehrer.

 Posted by at 12:30
Apr 132009
 

Vorgestern nannten wir, gestützt auf unsere Gespräche mit türkischen, arabischen und deutschen Jugendlichen, diese Generation eine Generation der verlorenen Söhne. „Ich ficke deine Mutter“, „hey du Schlampe“, „du Opfer“, „du Jude“ und ähnliches sind einige jener häufigen Kraftausdrücke und Flüche, wie sie mittlerweile an deutschen Schulen, in deutschen Schwimmbädern gang und gäbe sind. Ich habe sie selbst oft gehört. Ungelöste Nöte mit der eigenen Sexualität, traditionelle Judenfeindschaft, Verachtung für die Schwachen, eine Verachtung der als allzu freizügig empfundenen westlichen Gesellschaften, eine Verachtung des eigenen Selbst, panische Angst vor Homosexualität,   – dies und vieles mehr drücken sich darin aus. An der Wurzel scheint eine völlige Orientierungslosigkeit, eine nüchterne Einsicht in die eigene Chancenlosigkeit zu stehen, ein hilfloses Suchen nach Halt, nach einem wie immer gearteten männlichen Vorbild, – und vor allem möchte man der Dominanz der Mütter und Schwestern entkommen.

Die deutsche Schule reagiert darauf offenkundig nicht oder nur ungenügend. Sie ist überfordert. Die Politik schaut ohnmächtig zu. Welches kulturelle Angebot können wir den türkischen und arabischen, den deutschen Jungmännern machen? Gibt es in der deutschen Kultur ein Werk, das diesen muslimisch geprägten Jugendlichen eine Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Selbstbild ermöglicht? Ich sage: Ja! Ich schlage dazu vor ein Werk eines heute weitgehend in Vergessenheit geratenen Autors, den aber noch die Generation meiner Tanten (die nur die Volksschule besucht hatten), auswendig kannte. Er gehörte früher einmal zu den Dichtern, die die Deutschen kannten und liebten.

Heute kennen die Deutschen ihre Dichter nicht mehr, lesen sie nicht mehr an der Schule, lernen sie nicht im Kindergarten kennen, und folglich können sie auch nicht wissen, was sie zu verlieren drohen. Man vertreibt sich die Zeit mit Einheitsbrei, mit Fernsehsülze und Dudelmusik. Im Deutschunterricht wird heute offenbar nichts Wesentliches aus der Vergangenheit mehr gelesen. Folglich wird den türkischen und arabischen Jungdeutschen auch kein brauchbares Identifikationsangebot gemacht.

In Friedrich Schillers Drama „Die Räuber“ können türkisch-deutsche und arabisch-deutsche Jugendliche eine taugliche Folie finden, in denen sie ihre eigenen Nöte wie in einem fernen Spiegel erkennen.

Zunächst einmal: In dem Stück wird kräftig und ausdauernd geflucht und geschimpft, es sind pubertäre Ergießungen, die den Kreuzberger Jungdeutschen im Prinzenbad sicherlich das Wasser reichen können. Und es wird geplündert und gebrandschatzt, dass die linksautonomen Brandstifter, die reihenweise Autos in Friedrichshain-Kreuzberg anzünden, ihre helle Freude hätten! Eine ganze böhmische Stadt wird durch die Räuber in Schutt und Asche gelegt – da können selbst unsere Jungs aus dem schwarzen Block nicht mithalten. Was den Schillerschen Räubern, den Jugendgangs aus Neukölln und dem schwarzen Block der Kreuzberger deutschen Linksautonomen gemeinsam ist: Jede individuelle Verantwortung wird abgelehnt, man versteckt sich im Dunklen, im schwarzen Block, im türkisch-arabischen Gruppen-Ich, das jede Selbstbefreiung verhindert. Man steht nicht zu dem, was man tut, sondern schiebt die Schuld auf andere.

Die Frauen werden  regelmäßig als Hure oder Metze bezeichnet – dies entspräche dem Ausdruck Schlampe im heutigen Neuköllner Männerbewusstsein. Der Räuberhaufen rühmt sich auch mit besonderer Inbrunst, wie er ein Frauenkloster überfällt, plündert und die Nonnen dann einer Massenvergewaltigung unterwirft. Grausamkeiten, wie sie viel später in deutschen KZs an der Tagesordnung waren, werden in Schillers Stück bereits vorweggenommen. So erzählt das Gang-Mitglied Schufterle, wie er ein Kleinkind in den Feuertod stürzt:

Armes Tierchen, sagt ich, du verfrierst ja hier, und warfs in die Flamme.

In der Gestalt des Banditen Spiegelberg wiederum haben wir das Zerrbild eines Juden vor uns, wie ihn die düsterste Phantasie eines rabiaten Berliner Antisemiten auf einer Al-Quds-Demo nicht besser ersinnen könnte.

Meisterhaft schildert Schiller sodann die Selbstrechtfertigung des Karl Moor: Seine Verbrechen rechtfertigt Moor damit, dass die Herrschenden, also die Gerichtsherren, die Fürsten, die Pfaffen erbarmungslos das Volk ausplünderten und bis aufs Blut aussaugten! Das ist leidenschaftlich erregte Kapitalismuskritik,  wie sie „im Buche steht“. Karl Moor sagt:

„Mein Handwerk ist Wiedervergeltung – Rache ist mein Gewerbe.“

Exakt dieses Grundmuster werden wir dann ab 1977 im deutschen Herbst wiederfinden. Die RAF – etwa Andreas Baader, Ulrike Meinhof und alle die anderen – hing bekanntlich ebenfalls dem pathologischen Wahn an, sich an der herrschenden Klasse rächen zu müssen für all das, was die herrschende Klasse dem Volk angetan hatte – auch in den Jahren 1933-1945. Was für eine Verblendung, was für eine Wiederkehr des Gleichen macht Schiller hier sichtbar!

Ein erster Titel, den Schiller für sein erstes Drama wählte, lautete übrigens: „Der verlorene Sohn oder die umgeschmolzenen Räuber“. Welches Stück könnte besser auf unsere verlorenen Söhne passen!

Ich nehme an, dass dieses Stück von Friedrich Schiller an Berliner Schulen ebensowenig gelesen wird wie die Gedichte Hölderlins oder Bismarcks Lebenserinnerungen, ebensowenig wie das Kommunistische Manifest, der Koran, der Talmud oder das Neue Testament. Kein Kleist, kein Sigmund Freud, kein Goethe. Kein Nazim Hikmet. Keine Hadith.

Dabei bieten Schillers Räuber ein ideales Laboratorium der unfertigen, mit sich selbst mühsam ins Reine kommenden Männlichkeit. Würden Hauptschüler sich damit auseinandersetzen – etwa indem sie dieses Stück selbst erarbeiten und dann auf die Bühne bringen – sie hätten die riesige Chance, einen vergessenen Schatz der deutschen Kultur dem Vergessen zu entreißen. Und zugleich würden sie in einer Art Probehandeln die eigenen, zutiefst destruktiven Impulse beherrschen und umwandeln lernen. Sie könnten sich selbst gewissermaßen – wie im urspünglichen Titel angedeutet – „umschmelzen“.

Sie würden durch die praktische Theaterarbeit endlich auch eine gute, akzentfreie deutsche Aussprache lernen. Denn selbst das bringen die Berliner Schulen unseren Kindern nicht bei. Ich höre bei den arabischen und türkischen Jungdeutschen viel Nuscheln, Durch-die-Zähne-Sprechen, Stottern, Stammeln, Lallen.

Ich bin überzeugt: Durch die intensive Befassung mit Friedrich Schillers „Die Räuber“ könnte ein Beitrag zu dem geleistet werden, was Necla Kelek die „Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes“ nennt.

Die Boote liegen zur Abfahrt bereit.

Um mehr zu erfahren: Besucht das Prinzenbad und das Spreewaldbad in Kreuzberg! Sprecht mit den Jungs, hört ihnen zu!

Lest mehr dazu in: Friedrich Schiller: Sämtliche Werke. Erster Band. Gedichte. Dramen I. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 8., durchgesehene Auflage, Darmstadt 1987, darin: Die Räuber. S. 481-638

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Können Autos Demenzkranke pflegen?

 Geld  Kommentare deaktiviert für Können Autos Demenzkranke pflegen?
Apr 122009
 

kolberg_bootshafen2009004.jpg Als einziges Land hat meines Wissens Japan in sein Konjunkturpaket auch einen gewichtigen Anteil für den Ausbau der Pflege für Alte und Kranke vorgesehen. Dies berichtete das ZDF gestern im Heute-Journal. Das finde ich sehr gut. In Deutschland hingegen hat man die Konjunkturpakte offen an den Bedürfnissen der Alten und der Pflegebedürftigen vorbei geplant. Denen ist es egal, ob die Pflegerin in einem 9 Jahre alten VW Polo oder einem nagelneuen Daihatsu Cuore anrollt.

Entscheidend ist: Viele Familien stecken ihre gesamten Ersparnisse, verführt durch die Abwrackprämie, in einen teuren neuen Wagen. Für Notfälle, etwa plötzlich eintretende Pflegebedürftigkeit, aber auch für demenzkranke Angehörige bleibt dann nichts mehr übrig. Auf etwa 5 oder sogar 6,5 Miliarden Euro wird der Umfang des staatlichen Ausgabevolumens für die Abwrackprämie nunmehr beziffert. Legen wir einen Durchschnittspreis von verbleibend 13.000 für ein neues Auto zugrunde, dann ergibt sich: Der Staat veranlasst die privaten Haushalte dazu, kurzfristig etwa 26.000.000.000 (in Worten: 26 Milliarden) Euro für ein neues Auto auszugeben. Für ein Auto, das zum jetzigen Zeitpunkt nicht angeschafft worden wäre. Dieses Geld fehlt der Volkswirtschaft für andere Zwecke, etwa für die Pflege und Betreuung von Kranken und Alten.

„Was hältst du eigentlich vom Weiterbau der A 100?“ So wurde ich in letzten Tagen mehrfach gefragt.

Meine Antwort: Autobahnen sind wichtige Verbindungsadern zwischen Städten. Der Güter- und der Personenverkehr sind auf funktionierende, schnelle Straßen und leistungsfähige Bahnverbindungen angewiesen. Städte sind gekennzeichnet durch ein kompliziertes System an Relationen zwischen vielen einzelnen Punkten. Städte sind polyzentrisch enstanden – ihre Struktur widerspricht dem Prinzip Autobahn.

Ich habe mich seit jeher gegen den Weiterbau der Stadtautobahn ausgesprochen. Denn ich trete seit vielen Jahren für einen Wandel in der Verkehrspolitik ein. Wir brauchen nachhaltige Mobilitätskonzepte, geprägt vom vernünftigen, intermodalen Miteinander. Autobahnen innerhalb von  Städten verstärken die vorherrschende Bevorzugung des PKW.

Und jetzt bin ich noch stärker gegen den Autobahnbau innerhalb der Stadt. Vor allem aus folgenden zusätzlichen Gründen:

In der jetzigen Wirtschaftskrise hat Deutschland bereits exzessiv in den Autoverkehr investiert. Aus ordnungspolitischen Gründen gilt es nun, mindestens dieselbe Summe zusätzlich zu den früher geplanten Ausgaben – also etwa etwa 5-7 Milliarden Euro – in die Förderung der nachhaltigen Verkehrsträger Bahnen, ÖPNV und Fahrrad zu investieren.

Die 2,3 km Autobahn mit Kosten von etwa 420 Millionen Euro würde ganz überwiegend durch den Bund finanziert – die vorherrschende „Mitnahmementalität“ des Bundeslandes Berlins würde dadurch noch einmal zusätzlich bestärkt.

Etwa zwei Drittel aller Autofahrten sind privat veranlasst. Etwa 50% der innerstädtischen Fahrten betragen weniger als 6 km. Hier gilt es anzusetzen.  Wir brauchen innerhalb der Städte eine massive Verlagerung des Verkehrs weg vom PKW hin zu Fahrrad, Bussen und Bahnen. Sobald dieses Verlagerung eingetreten ist, erledigen sich die Staus und Umweltprobleme der Anwohner von selbst.

Aber andererseits gilt: Die Messe ist gelesen. Politik heißt immer: Mehrheiten für realistische Ziele suchen.

Zwar mahnen durchaus einzelne Stimmen aus dem christdemokratischen Bereich wie etwa der Bundespräsident Köhler, wir müssten sparsamer und bescheidener leben. Und das heißt selbstverständlich: Wir sollen weniger Auto fahren. Die Bundeskanzlerin wiederum regt an, alle Staaten müssten sich langfristig auf die gleichen CO2-Verschmutzungsrechte pro Einwohner weltweit einigen – also etwa 4 Tonnen/Jahr. Und das lässt sich selbstverständlich nur erreichen, wenn wir unseren Lebensstil ändern und weniger Auto fahren, weniger Autobahnen bauen.

Hier in Berlin stemmen sich aber nur die Grünen gegen den Weiterbau der Autobahn. Für einen Stopp des fragwürdigen Projekts sehe ich deshalb keine politischen Mehrheiten. Wie soll man so gegen Rot-Rot ankommen?

So lasst uns denn lieber die frohen Nachrichten feiern, etwa diese:

Für die Radler läuft es rund
Mehr Radfahrer brauchen mehr Platz – und den bekommen sie in Berlin jetzt auch. Die Verkehrsverwaltung will auf lange Sicht sogar an allen 1500 Kilometern Hauptstraße Radspuren oder Radwege anlegen. Dies hat Heribert Guggenthaler, beim Senat zuständig für die Radplanung, angekündigt. Es gibt noch einiges zu tun: Bisher sind 950 Kilometer fahrradfreundlich ausgestattet. In diesem Jahr werden unter anderem in Schlüterstraße und Reichsstraße Charlottenburg, Müllerstraße Wedding, Annenstraße und Chausseestraße Mitte, Kniprode- und Greifswalder Straße Prenzlauer Berg sowie Streitstraße Spandau besondere Spuren auf der Fahrbahn markiert – was weit billiger ist, als Radwege auf dem Gehweg zu pflastern. Drei Millionen Euro stehen dafür pro Jahr zur Verfügung.

Unser Foto zeigt den Bootshafen im Flecken Kolberg im Märkischen Dahme-Seengebiet. Aufgenommen heute.

 Posted by at 22:34
Apr 122009
 

„Ich war nicht dabei.“ So umschrieb ich am 23.02.2009 eine Erfahrung, die wir wohl alle schon gemacht haben: Wichtige Ereignisse haben sich abgespielt, ohne dass wir ihnen beiwohnten. Wir kommen zu spät. Wir sind auf das angewiesen, was andere berichten. So ging es mir bei der deutschen Wiedervereinigung, so geht es mir bei Krieg und Vertreibung.

Und so ging es auch dem Thomas Didymus, von dem das Johannes-Evangelium berichtet. Er hat ein wesentliches Ereignis nicht miterlebt, das die anderen ihm voraushaben: Sie haben einen Menschen wiedergesehen, der bereits für alle sichtbar gestorben war. „Glaub ich nicht. Will ich erst mal sehen und anfassen!“ So zweifelt Thomas. Sehen und Anfassen, das sind in der Tat die ursprünglichen Arten, mit denen wir als Kinder die Welt buchstäblich „begreifen“ und „durchschauen“.

Aber Thomas erhält eine Chance. Wie war das doch? Ich schlage, wie so oft, meinen Nestle-Aland auf, eine Rekonstruktion des griechischen Urtextes des Neuen Testaments. Denn ich möchte diese Urschriften in mein geliebtes Deutsch sozusagen herübertragen.

Ich lese: Der Mensch, den er wieder sieht,  der sagt zu Thomas:

και μη γινου απιστος αλλα πιστος

Was heißt das? „Werde nicht unvertraut, sondern vertraut“, so können wir in einer Rohfassung aus dem griechischen Original übersetzen.

Was fällt auf? Der wiederkehrende Mensch spricht  einen Einzelnen an, er richtet sich im Du an den Zweifler. Er sagt nicht: „Sei!“, sondern „werde!“. Er vertraut also in die Veränderbarkeit des Angeredeten. Er nimmt den Zweifel des Thomas ernst. Er sieht: Thomas hat kein Vertrauen. Denn Thomas war nicht dabei.

Pistós, dieses griechische Wort bedeutet vielerlei – nämlich all das, was den auszeichnet, der die Haltung der Pistis hat: Pístis, das ist Vertrauen, Verlässlichkeit, Glauben, Zutrauen, Berechenbarkeit. Wichtig ist: pistós bedeutet im Griechischen sowohl „einer, dem vertraut wird“ wie auch „einer, der vertraut“. Es gibt im Mittelhochdeutschen ein Wort, das einen ähnlichen Doppelsinn des aktiv-passiven Vertrauens entfaltet, nämlich: triuwe, von dem unser neuhochdeutsches treu herstammt.

Jesus sagt nicht: Vertraue mir! Er verlangt keine Unterwerfung. Er sagt, und dabei bringt er sich als Person aus Fleisch und Blut gar nicht ins Spiel: Werde ein Mensch des Vertrauens! Als wollte er sagen: Wenn du nicht glauben kannst, dass ich es wirklich bin, dann übernimm diese Grundhaltung des Vertrauens, der Zuversicht. Dein Zweifel sei dir unbenommen. Du darfst zweifeln.

Aber werde einer, der vertraut und dem vertraut wird.

Und somit ist das Werk vollbracht. Ich gelange aufgrund einer genauen Befragung des griechischen Urtextes zu folgender Übersetzung des letzten Halbsatzes von Kapitel 20, Vers 27 aus dem Evangelium nach Johannes:

“ … und werde nicht einer, der nicht vertraut und dem nicht vertraut wird, sondern einer, der vertraut und dem vertraut wird.“

In freier Umformulierung ergibt sich für mich am heutigen Ostertag die folgende Botschaft:

Werde kein Sämann des Misstrauens, sondern werde ein Heger des Vertrauens!

Gestern schrieben wir über die verlorenen Söhne in Kreuzbergs Schwimmbädern, im Spreewaldbad und im Prinzenbad: Ihnen traut niemand etwas zu, und deshalb haben sie kein Selbstvertrauen. Ich wünsche ihnen und uns allen – bei allen Zweifeln, die immer mitschwingen dürfen – genau diese Grundhaltung des Vertrauens und der Zuversicht, der wir uns soeben angenähert haben.

 Posted by at 10:46
Apr 112009
 

Als hart arbeitender Mann versäume ich keine Gelegenheit, mit den Menschen auf der Straße, im Schwimmbad, im Supermarkt ins Gespräch zu kommen. Das erfrischt mich, gibt mir Einblick in das, was die Leute fühlen – und ich finde es spannender als die allerneueste Operninszenierung, wo ich ich mich eher fragen muss: Und was hat sich der Regisseur gedacht?

Heute sprach ich wieder einmal mit arabischen und türkischen Jugendlichen, Jungs im Alter von 12 oder 14 Jahren. Ort: das Freigelände am Hallenbad am Spreewaldplatz, Kreuzberg, Wiener Straße. Als treuer Lehrling Friedrich Jahns, der ja nahebei in der Hasenheide seine ersten Veranstaltungen abhielt,  ertüchtigte ich mich mit einigen gezielten Übungen – dem üblichen Programm.  Dabei kamen sie auf mich zu: „Was machen Sie da?“ Ich antwortete: „Ich mache Gymnastik, damit ich gesund bleibe.“ „Was denn? Können wir das auch machen?“ „Ja, zum Beispiel die Kniebeuge!“ Dann erklärte ich, wie man die Kniebeuge richtig ausführt. Darin habe ich mir durch jahrelange Besuche in Kursen solide Grundkenntnisse angeeignet: Füße etwa hüftbreit, nahezu parallel! Darauf achten, dass das Gewicht des Körpers nicht nach vorne kippt! Zur Schonung der Knie sollen die Knie etwa auf Höhe der Ferse verbleiben – nicht nach vorne kippen!“

Dies erklärte ich den Jungs und führte es vor. Sie versuchten es nachzumachen – ich merkte, noch nie hatte ihnen jemand diese simple Übung erklärt, die nun wirklich zum eisernen Bestand der Sportpädagogik und der Fitness-Studios weltweit gehört. Die Jungs waren beeindruckt!

„Und können Sie auch Kopfstand?“, fragten sie. „Ja, passt mal auf!“ Und ich machte einen Kopfstand. Sie waren begeistert, einer versuchte gleich darauf einen Handstand, es klappte nicht.

Mein Eindruck von den türkischen und arabischen männlichen Jugendlichen hier in Kreuzberg bestätigte sich: Sie haben es nicht gelernt sich zu bewegen. Die meisten haben offenbar nie an einem Sportunterricht teilgenommen. Sehr viele haben Übergewicht, neigen zur Fettleibigkeit, viele Jungs haben im Alter von 12 oder 14 Jahren nahezu weiblich wirkende Brüste entwickelt. Andere wirken abgemagert, schlaksig.

„Haben Sie eine Zigarette?“, fragen mich die Jungs. „Nein!“, sage ich. „Ach so, Sie sind Nichtraucher!“ „Ja, raucht ihr?“, frage ich die etwa 12-Jährigen. Klar, das tun sie.

Wo sind die Väter? Ich sehe diese Jugendlichen immer allein herumhängen! Aus den Gesprächen erfahre ich: Ihnen fehlt jede väterliche Instanz. In der Schule haben sie fast nur mit Frauen zu tun. Zuhause kümmern die Mütter und die Schwestern sich hingebungsvoll um ihre Paschas. Es fehlt ihnen an nichts.

Die Vorstellungswelt der pubertierenden Jungs scheint fast nur um eines zu kreisen: Sex, Ficken, und zur Abwechslung: Pornographie. „Isch fick deine Mutter …“ Wie oft habe ich das schon gehört! Heute fragte mich ein Junge im Spreewaldbad nach meinem Kopfstand: „Kannst du Fotzenarschfick?“ Er meinte offenbar: Wer so gut Kopfstand kann, der kann sicher auch Fotzenarschfick. Ich war sprachlos – konnte nicht wahrheitsgemäß mit Nein! antworten, denn der Junge war auch gleich wieder weg. Mit derartigen Kraftausdrücken beweisen die Jungs ihre Coolness. Sie beweisen, dass sie sich auskennen. Was würde der Prophet dazu sagen?

Arabisch, Türkisch, Deutsch – in diesen Sprachen spielt sich das Leben der männlichen Jugendlichen ab, sie wechseln in Minutenschnelle hin und her – ohne auch nur eine dieser Sprachen einigermaßen zu beherrschen. Auf keinen Fall ist Deutsch ihre Zweitsprache, sie sprechen akzentfreies Türkdeutsch wie alle.

Unsere türkischen und arabischen Jungs hier in Kreuzberg sind eine Generation verlorener Söhne. Die Mütter, die Schwestern, die Schule und der Staat verwöhnen sie nach Herzenslust mit Zuwendung, mit Betüttelung, mit Geld. Ihr Ziel ist es: „Ich möchte Hartz IV werden!“ Wer Hartz IV erhält, hat es geschafft. Er braucht nicht zu arbeiten. Nein, ein echter Effendi, ein echter Bey, ein echter Pascha arbeitet nicht – er lässt arbeiten. Diesen Jugendlichen wird nichts abverlangt, es werden ihnen keine Grenzen gezogen. Es wird ihnen nichts zugemutet und nichts zugetraut.

Dabei dürsten sie eigentlich nach Anleitung, sie brauchen das Väterliche, die Autorität. Beides fehlt in ihrem Leben fast völlig. Sie sind keineswegs böse, verstockt oder unwillig. Sie könnten viel aus sich machen. Aber da ist niemand, der an sie glaubt und ihnen Ziele setzt.

Die deutsche Gesellschaft schaut weg, kümmert sich nicht um die Zehntausenden von völlig peilungslosen Jugendlichen. Ab und zu gellt ein Aufschrei über die hohe Kriminalitätsrate der Jugendlichen „mit Migrationshintergund“ durch die Medien. Und dann beruhigt man sich, zieht zur Gewissensberuhigung weg aus Mitte, Kreuzberg und Neukölln. Ich sage euch: Das wird uns alles noch mal auf die Füße fallen, wenn wir nicht ab sofort gegensteuern.

Die linksautonome Szene Kreuzbergs – eine weitere Kategorie von verlorenen Söhnen – suhlt sich in „Freiräumen“ und plappert in den eigenen peilungslosen Parolen herum. Was mit den jungen Leuten ringsum geschieht, die hier aufwachsen, kümmert sie nicht. Die deutschen Eltern, die sich für besser halten, verlassen fluchtartig den Bezirk. 43% Prozent weniger Kinder im Alter von 0-6 Jahren innerhalb von drei Jahren sprechen eine deutliche Sprache!  Es sind mehrere abgeschottete Parallelwelten, die beziehungslos nebeneinander her existieren. Dank viel Staatsknete und üppiger Sozialleistungen ist uns das Ganze noch nicht um die Ohren geflogen. Zumal weder Türkei noch Libanon auch nur annähernd ein so bequemes, lockeres Leben als Sozial-Effendi oder Sozial-Bey bieten können.

Wie ist darauf zu reagieren?  Ich schlage folgendes vor:

1) Sofortige Abschaffung des Begriffes „mit Migrationshintergrund“. Diese türkischen und arabischen Jugendlichen sind hier geboren, sind hier aufgewachsen. Sie gehören zu uns. Es sind deutsche Jugendliche. Es sind keine Migranten. Es sind deutsche Bürger mit Pflichten und Rechten. Ihnen dürfen keine Privilegien geschenkt werden.

2) Gezielte, harte, propagandistische, massierte Mentalitätsbeeinflussung der Eltern und der Kinder. So wie es in den arabischen Ländern und der Türkei längst üblich ist. „Die Türkei – ist unser großes Vaterland!“ So heißt es dort. „Deutschland – ist deine Heimat“, so muss es bei uns heißen.

Mit einfachen Botschaften, wie etwa:

„Lasst eure Kinder vom ersten Tag an Deutsch lernen! Deutsch ist die Erstsprache. Ihr lebt in Deutschland. Wenn ihr es schafft, bringt ihnen auch noch eine Zweitsprache bei.“

„Väter – kümmert euch um eure Söhne! Abis – kümmert euch um eure jüngeren Brüder! Überlasst sie nicht sich selbst! Sprecht über Sex mit ihnen. Sprecht über Pornographie mit ihnen. Eure Söhne denken viel daran!“

„Auch DU hältst die Küche sauber, Memet!“

„Macht Sinnvolles, erzählt, lest deutsche Bücher, singt deutsche Lieder, lernt etwas, treibt regelmäßig Sport, fahrt Fahrrad statt tiefergelegten BMW. Schaut euch die deutsche Sendung mit der Maus an!“

„Ihr seid verantwortlich für euer Leben. Macht was draus. Arbeitet dran!“

„Schaltet das türkische und das arabische Fernsehen für 23 Stunden am Tag völlig aus.“

3) Streichung des arabischen und türkischen Satellitenfernsehens von der Liste der erstattungsfähigen Aufwendungen der Sozialhilfe.

Die deutschen Behörden, die Deutschen überhaupt scheinen noch nicht ganz mitzukriegen, was eigentlich abgeht. In unserer Schule wird tatsächlich „Deutsch als Zweitsprache“ offiziell in der Stundentafel geführt!

Deutlicher kann man nicht kapitulieren – so bringt man den armen „Migranten“ eines bei: „Eure Erstsprache ist Türkisch, ist Arabisch – um Deutsch kümmert sich der Staat.“

Und die gestern aufgenommene Hinweistafeln im Kreuzberger Spreewaldbad zeigen es ebenfalls deutlich: Erstsprache im Bad ist Türkisch, Zweitsprache ist Deutsch. Und was ist mit den Arabern? Haben die nicht auch ein Recht auf Erstsprache Arabisch?

Ferner: Ist es nicht eine strafbare Beleidigung des Türkentums, wenn man den Kreuzberger Türken nach 40 Jahren immer noch nicht zutraut, dass sie einfache deutsche Sätze lesen können? Ämter, Behörden, Schwimmbäder – für wie dumm haltet ihr meine Türken eigentlich? Muss ich euch drohen mit einer Anzeige wegen „Beleidigung des Türkentums“?

Bisher haben wir bei der Integration der Türken und Araber versagt. Dieses Versagen werden wir uns nicht mehr lange leisten können. Denn:

Jedes Jahr wandern etwa 200.000 bis etwa 250.000 Menschen nach Deutschland zu. Sie – und nur sie – sind unsere Migranten. Ihnen muss für etwa 1 Jahr Hilfe zur Integration gewährt werden.

Alle anderen, also die, die schon seit 30 oder 40 Jahren hier leben, die müssen endlich aus dem Nest gestoßen werden, müssen rauskrabbeln aus der verwöhnenden Hülle von familiärer Bemutterung und sozialstaatlich-erstickender Fürsorge. Ihnen gegenüber ist Strenge und Härte angesagt. Das sind keine Migranten mehr, das sind Bürger wie wir alle.

 Posted by at 19:22