Apr 112009
 

iras_mozart_28112007.jpg Eine nette Nachbarin sprach mich auf dem Hof an: „Habe soeben von euch drei in der Berliner Zeitung gelesen!“ Da hätte sich der Pappmaché-Mozart aber gefreut, dass der Name seiner Mutter heute auf S. 15 in der Berliner Zeitung steht!  Und das Beste: Der Name der Puppenmacherin ist fast richtig abgedruckt. Oben seht ihr den kleinen Mozart, als er noch bei uns wohnte. Wir versäumen nicht, diese Ergänzung zu unserem Blog-Bericht vom 02.04.2009 hier ebenfalls einzurücken, wobei wir uns gestatten, den Namen der Mutter richtigzustellen:

Der „Schlüssel“ hat einen Namen : Textarchiv : Berliner Zeitung Archiv
Die Kita-Leiterin spricht von einem „Schüsselerlebnis“, das vor drei Jahren durch „eine resolute Opernsängerin aus Moskau“ hervorgerufen wurde. Falls ihr der Name entfallen sein sollte: Es handelt sich um Irina Potapenko, deren Sohn Wanja von 2005 bis 2008 die Kita am Kleistpark besuchte. Das Konzept zur Musikerziehung stammt von ihr. Sie gab nicht nur ein, sondern fünf Konzerte mit ihrem Mann Johannes Hampel, der sie auf der Geige begleitete. Beide studierten mit den Kindern auch Puppenspiele ein. Alle Requisiten fertigte sie unentgeltlich an, auch den erwähnten Mozart aus Pappmaché vor dem Büro der Leiterin.

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Schule. Überforscht. Deshalb: Ran an den Speck.

 Friedrichshain-Kreuzberg, Gute Grundschulen, Kinder, Leitkulturen, Opfer, Schulstreik, Tugend  Kommentare deaktiviert für Schule. Überforscht. Deshalb: Ran an den Speck.
Apr 102009
 

Immer wieder lerne ich neue Wörter in meiner Muttersprache. So insbesondere dann, wenn ich mich, eingedenk des herannahenden Osterfestes, der religiösen Überlieferung zuwende. In der Zeitschrift FUGE. Journal für Religion & Moderne, Band 4, 2009, lese ich auf S. 28 folgende Sätze:

Die Bibel ist das meist-erforschte Buch der Welt. Vielleicht ist es auch der „überforschteste“ Gegenstand der Welt.

Gut, so sei die Bibel ein Kandidat für den Titel „Am meisten überforschter Gegenstand“. Ich schlage aber einen anderen Kandidaten vor: die Schule.  Was uns zu meinen Erlebnissen vom vergangenen Montag bringt.

Der kommunalpolitische Arbeitskreis der CDU Friedrichshain-Kreuzberg hatte ins Rathaus Kreuzberg eingeladen. Als Redner konnte gewonnen werden Oberschulrat Gerhard Schmid, der in der Schulverwaltung für unseren Bezirk zuständig ist.

Eine kleine Nachforschung im Internet ergibt: Schmid stammt aus meiner Heimatstadt Augsburg, er war damals einer der Wortführer der linken Protestbewegung, er wurde in der Augsburger Allgemeinen neulich sogar als der „Augsburger Rudi Dutschke“ bezeichnet! Er war also einer jener Aufrührer, vor denen meine Eltern mich besorgt warnten! Wir zitieren aus der Augsburger Allgemeinen vom 22.04.2008:

Im Frühjahr 1968 ist Schmid ein bekanntes Gesicht in der überschaubar kleinen linken Szene in Augsburg. Er organisiert die Ostermärsche, hält Vorträge über die Arbeiterbewegung und engagiert sich im Kritischen Seminar, einer Art Volkshochschule für Freidenker. Ein Kurs diskutiert über „Sexualökonomie und Orgasmustheorie“, ein anderer über die „sozialökonomische Struktur Südvietnams“.

Schmid ist so etwas wie der Augsburger APO-Chef. Dazu hat ihn zwar nie jemand gewählt, doch irgendwie, sagt er, habe er „das Ganze zusammengehalten“. Die Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze und den Krieg in Vietnam, die Schulstreiks und Sitzblockaden, die quälend langen Debatten mit Jungsozialisten und Jungdemokraten. „Heuchler und kalte Krieger“ sind sie 1968 für ihn, den Unangepassten. Wenige Wochen nach dem Happening in der Sporthalle schließt die SPD Schmid wegen „groben Verstoßes gegen die Parteigrundsätze“ aus. Heute sagt er: „Wir waren völlig verblendet.“

Was ihn aber heute nicht daran hindert, in der Schulverwaltung als Vertreter der Staatsmacht zu agieren. So sieht also der Marsch durch die Institutionen aus. Die CDU lädt einen Rudi Dutschke zu sich ein – und er stößt auf waches Interesse. So muss es sein!

Was sagt nun die Forschung zum gegenwärtigen Zustand unserer Schulen? Laut Schmid besteht keinerlei Anlass zu einer Strukturdebatte. Es gebe laut neuesten Forschungsergebnissen keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen Schulform und Lernerfolg. Ein hochgradig gegliedertes Schulsystem könne ebensowohl sehr gut als auch weit unterdurchschnittlich abschneiden, wie ein Vergleich zwischen Bayern und Berlin lehre. Die gleiche Variationsbreite herrsche bei Einheitssystemen – hier fällt mir der überlegene Stand der Schulbildung in der früheren Sowjetunion im Vergleich zu den USA ein. Entscheidend sei, fuhr Schmid fort, die Qualität des Unterrichts, nicht die Schulstruktur.

Damit stellte sich Schmid sozusagen von Anfang an windschief zu den verschiedenen Konzepten der Berliner Parteien. Die Parteien bosseln eifrig an Schulreformen und  Strukturdebatten, an Test-Ergebnissen, und üben sich in Unkenrufen. Als Mitglied der Schulverwaltung sieht Schmid hingegen seine Aufgabe eher darin, Erfahrungen  aus dem Schulalltag in Empfehlungen umzumünzen. Die Fachleute aus der Bildungsverwaltung, zu denen Schmid gehört, bereiten sich jetzt bereits darauf vor, die zu erwartenden Vorgaben der Berliner Landespolitik möglichst sinnvoll umzusetzen. Ideologie und Parteienbindung spielt dabei keine Rolle mehr. Das finde ich höchst erfreulich, denn seit meiner eigenen Schulzeit sind die Bildungseinrichtungen ein hart umkämpftes Feld für Weltverbesserer und Abendlandsretter geworden. Diese Streiterei ist ihnen insgesamt nicht gut bekommen.

Ich habe nicht den Eindruck, dass der rot-rote Senat und die drei Oppositionsparteien mit ihren Gegenentwürfen tatsächlich das angesammelte Wissen aus den Schulämtern abrufen. Mein Eindruck bestätigte sich auch an diesem Abend.

Einigkeit schien zu herrschen: Alle Schulformen, alle Schüler müssen in dem gestärkt werden, worin sie gut sind – oder gut sein können. Praktische Begabungen sollen stärker zur Geltung kommen, etwa in dem neuen geplanten P-Zweig. Schmid berichtet anschaulich und überzeugend von Planungen, wonach in den P-Zweigen (den Nachfolgern der jetzigen Hauptschulen), Werkstätten eingerichtet werden sollen, in denen die jungen Leute mit ihrer eigenen Hände Arbeit Erfolg und sogar ein kleines Einkommen erzielen sollen.

Die gesamte zweite Hälfte des Abends und die Aussprache kreisten mehr um die Menschen, die in der Schule aufeinandertreffen. Welche Haltungen sind bei Schülern und Lehrern nötig, damit Schule gelingt? Welche Rolle spielen Fleiß, Konzentrationsfähigkeit, Sprachkenntnisse, Tugenden wie Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Pflichtgefühl, Höflichkeit?

Recht ketzerisch und spielverderberisch meldete ich mich zu Wort und wagte den Einwand: Wenn Fleiß, Konzentrationsfähigkeit, gute Sprachkenntnisse, Tugenden wie Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Pflichtgefühl, Höflichkeit zusammenkommen – könnten wir uns dann die gesamte Debatte über Schul- und Unterrichtsformen sparen? Brauchen wir nicht eine andere Grundhaltung? Brauchen wir nicht – mehr als alles andere – einen Mentalitätswandel? Sind die endlosen Berliner Diskussionen um die Bildungspolitik im Grunde Schaukämpfe, die vom eigentlichen Problem ablenken? Ich schlug vor, ganz massiv an die Eltern heranzutreten und sie mit gezielter Mentalitätsbeeinflussung zu einer lernfreundlichen Haltung umzuorientieren. Die Kinder brauchen eine Umgebung, die sie zum Lernen ermuntert. Dazu gehört eine Abrüstung beim exzessiven Medienkonsum, frühe und bevorzugte Befassung mit der deutschen Sprache, Aufbrechen des „Migranten-„Ghettos, Selbstbefreiung aus dem Gestrüpp der Vorurteile. Es regte sich – kein Widerspruch. Ich hege die Vermutung, dass ein Großteil der Versammlung dieser Ansicht zuneigte.

Beim Nachdenken über diesen hochgelungenen Abend fällt mir noch ein Bericht über Michelle Obama ein. Im Gespräch mit französischen und deutschen Schülern, das im ZDF wiedergegeben wurde, erklärte sie vor wenigen Tagen sinngemäß:

„Ich hab mir immer Mühe gegeben, etwas zu lernen. Viele schwarze Mitschüler  haben mich damals schief angekuckt und gesagt: Du redest ja wie eine Weiße! Das hab ich auf mich genommen. Ich war eine Streberin. Das war voll uncool. Ich wollte gut sein in der Schule.“

Und genau diese Haltung brauchen wir auch in Berlin. An der Art der Schule liegt es sicher nicht, wenn Bildungsgänge scheitern. Keiner ist Opfer seiner Herkunft – niemand ist durch seinen Migrationshintergrund daran gehindert, in der Schule und im Leben Erfolg zu haben. Jede und jeder kann es schaffen. Evet, we can.

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Apr 102009
 

„Die politische Klasse hat unser Wahlsystem in eigener Sache derart pervertiert, dass die Abgeordneten gar nicht mehr vom Volk gewählt werden, wie es das Grundgesetz verlangt. Wen die Parteien auf sichere Plätze setzen – und das ist oft die große Mehrheit der Abgeordneten -, der ist lange vor der Wahl praktisch schon „gewählt“, bloß eben nicht von den Bürgern“ (S. 42).

Mit diesen Worten zitierten wir am 02.07.2008 den Juristen Hans Herbert von Arnim. Bundespräsident Köhler hat in seiner Paulskirchenrede ebenfalls Änderungen im Wahlrecht gefordert. Thomas de Maizière wiederum sprach treffend von der „Feigheit“ der Politiker, nennt unser heutiges föderales System gerne ein System der organisierten Verantwortungslosigkeit. (Dieses Blog berichtete am 31.03.2009). Ihr seht: Die Meinungsfreiheit steht in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur auf dem Papier. Jede und jeder darf seine Kritik öffentlich aussprechen – auch jene, die selbst führend am Funktionieren des Systems beteiligt sind. Das ist schön!

Aber kaum jemand führt eine derart offene Sprache wie Peter Gauweiler: „Wir haben vor Feigheit gestunken„, wird er in Spiegel online zitiert. Mit diesem Diktum fasst er seine Beobachtungen über das Verhalten der Bundestagsabgeordneten, deren einer er selbst ist, zusammen.

Er habe den Eindruck, „dass Abgeordnete, die eigenständig über das eigene Land reden wollen, nicht mehr erwünscht sind“, so der Bundestagsabgeordnete.  „Was mich beunruhigt, ist, dass das Funktionieren im System so kritiklos hingenommen wird. Das gefährdet die Demokratie.“

„Das Funktionieren im System wird kritiklos hingenommen.“ Gauweiler beklagte insbesondere, dass die Fraktionsführung der Union bei wichtigen Themen, etwa der Abstimmung über die Erbschaftsteuerreform, massiv Druck auf Abweichler ausgeübt habe. „Da wurden bis zum Schluss Abgeordnete, die ihr abweichendes Votum bereits angekündigt hatten, in einer Weise geknetet und gedreht, dass es einem schlecht werden konnte.“

Duckmäusertum, Stromlinienförmigkeit, Bequemlichkeit – diese Haltungen seien vorherrschend. Eine Kontrollfunktion übe das Parlament nur unzureichend aus. Er schlägt deshalb – wie dieses Blog am 27.03.2009 – eine Stärkung der Direktkandidaturen vor, ja der bajuwarische Rebell möchte die Listenwahl ganz abschaffen.

Ich meine dazu: Wir brauchen dringend eine Rückbesinnung auf die klassische Gewaltenteilung. Das Parlament als Gesetzgeber, die Regierung als ausführende Gewalt, die Justiz als richtende Gewalt: das sind die „drei Gewalten“, die voneinander weitgehend unabhängig handlungsfähig sein müssen. Der deutsche Bundestag ist jedoch in der Tat über weite Strecken zu einem Akklamationsorgan, zu einer Mehrheitsbeschaffungsmaschine für die Regierung verkommen. Allein die Zahl der Gesetzesinitiativen des Bundestags ist in der laufenden Legislatur im freien Fall begriffen, alle wesentlichen Vorlagen kommen von der Regierung. Die Fraktionen haben fast keine Kraft, eigene Vorstellungen streitig durchzusetzen. Insofern gebe ich Kritikern wie Gauweiler, von Arnim oder de Maizière recht.

Mein Eindruck ist: Die Parteien sind insgesamt in der Bundesrepublik Deutschland viel zu mächtig geworden. Die verfassungsmäßige Gewalt der Legislative ist mittlerweile insgesamt viel zu schwach, weil sie mit der Regierung über die weit stärkeren Parteien verkoppelt ist.

Woran liegt das? Wie lässt es sich ändern?

Man stelle sich vor, jemand strebte in das Parlament, der genau dies zu seinem Programm erhöbe: Stärkung der drei voneinander unabhängigen Gewalten, Machteindämmung der Parteien, Ertüchtigung der Legislative, stärkere Kontrolle der Regierung durch das Parlament, insbesondere mit dem heiligen Recht jedes Parlaments, nämlich dem Budgetrecht! Würde so ein Kandidat Erfolg haben? Er müsste ja bei einer Partei anklopfen und sagen:

„Bitte stellt mich auf! Denn ich habe etwas Schönes vor: Ich möchte die Vormachtstellung der Parteien auf ihren grundgesetzlich vorgesehenen Mitwirkungscharakter einschränken! Ich möchte, dass die Abgeordneten – wie im Grundgesetz vorgesehen – ausschließlich den Interessen des Volkes und dem eigenen Gewissen verpflichtet sind, und ich werde deshalb in allen wesentlichen Fragen keine Anweisungen von euch  annehmen. Ich will dich, die Partei, und die anderen Parteien, zu guten, also zu schwächeren Parteien machen. Bitte stellt mich auf!“

Wie wird die Partei auf so etwas reagieren? Antwort: Sie wird es vermutlich gar nicht so weit kommen lassen. Ein solcher Kandidat wird es nicht einmal bis zum Anklopfen schaffen. Überall haben in den oberen Führungsgremien der Parteien die loyalen, altgedienten Parteisoldaten das Sagen. Die Hauptfrage lautet für die Parteien zumeist: Wie erringen wir mehr Macht für uns? Auf wen können wir uns dabei verlassen?

Fundamentalkritiker wie Peter Gauweiler, Thomas de Maizière, Horst Köhler oder Hans Herbert von Arnim mögen gut reden – aber stets im Nachhinein. Sie haben eine Fülle von Beobachtungen gesammelt und können es sich aus der errungenen Stellung heraus leisten, auch recht hart mit ihren Standesgenossen ins Gericht zu gehen. Hätten sie Ähnliches bereits zu Beginn ihrer Karriere vom Stapel gelassen, sie wären gar nicht erst so weit gekommen. Schade für das Ganze!

Wird Peter Gauweiler noch je einmal in ein Parlament kommen in diesem Leben? Ich bezweifle es. Würde ich eines Besseren belehrt – dann machte ich einen Luftsprung.

Trotzdem gut, dass es noch tapfere, aufrechte Menschen wie ihn gibt.

Ich selbst habe übrigens in diesem Blog etwas eingeführt, was euch merkwürdig anmuten mag: Ich nenne bei Politikern fast nie die Parteizugehörigkeit. Ist es euch aufgefallen? Denn jeder Politiker muss für das einstehen, was er sagt. Verantwortung ist immer persönlich.

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Kızım, şu oyuncaklarını bir aufräumen yapsana, oder: Ran an die Eltern!

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Apr 092009
 

Wir bekommen regelmäßig die Elternbriefe des Arbeitskreises Neue Erziehung e.V. (ANE) zugeschickt. Ich lese sie alle, diese vierseitig eng bedruckten klugen Anleitungen und Handreichungen. Die meisten Ratschläge sind nicht falsch, sie spiegeln den Konsens der Fachwelt wider.

Die Briefe erscheinen nicht nur in Deutsch, sondern auch in Türkisch. Denn obwohl die allermeisten Türken schon seit drei oder vier Generationen in Berlin leben, kommt man in der Landessprache Deutsch einfach nicht richtig an sie heran. So meinen es offenbar viele im Amt. So verhalten sich meine türkischen Miteltern. So sehen es viele in den Fachkreisen und verschicken die Briefe lieber gleich in Türkisch.

Den Türken wird es also nicht zugetraut und nicht zugemutet, innerhalb von 30 oder 40 Jahren die deutsche Sprache zu erlernen. Deshalb auch die Elternbriefe auf Türkisch. Die Bosnier, Russen, Vietnamesen, die erst seit kurzem in Berlin leben, werden offenbar nicht der Aufmerksamkeit wert erachtet. Die müssen schon selber schauen, wie sie zurechtkommen.

Was sagen die Elternbiefe zum Thema Zweisprachigkeit? Wir lesen:

Canan’ın iki dilli yetişeceği, hem Türkçe, hem Almanca öğreneceği konusunda Oktay’la baştan beri görüş birliği içindeydik. Evde yalnız Türkçe konuşarak önce doğru dürüst anadilini, sonra yuvada ve okulda Almanca öğrenmesine karar vermiştik.

Diese beiden vorbildlichen türkischen Eltern unterhalten sich also darüber, dass es zunächst einmal darauf ankomme, Canan (die beiden haben nur ein einziges Kind!) die türkische Muttersprache ordentlich beizubringen, in Kindergarten und Schule werde dann rechtzeitig noch Deutsch hinzukommen. Sogar der Vater kümmert sich um die Erziehung, toll, toll, toll! Im gesamten weiteren Brief wird vorgeschwärmt, wie toll es läuft, wie einfach und bereichernd es ist, zwei verschiedene Sprachen zu lernen. Aber bitte das Türkische pflegen, denn Deutsch kommt ja später von allein! Das besorgen Kindergarten und Schule wie von Zauberhand.

Erst einmal Türkisch, später dann irgendwie Deutsch!

Ich halte das für einen aberwitzigen Irrweg. Einen Irrweg, der, unterstützt von Ministerien, Ämtern und Wissenschaftlern, weiterhin kostenlos frei Haus geliefert wird – jährlich in Millionen Exemplaren.

Die Pädagogen unterstützen die Türken in ihrem Sonderstatus, indem sie sie nachdrücklich zur Zweitrangigkeit des Deutschen ermuntern.

Leute, Freunde, Fachleute, hört mich als alten Kreuzberger Vater und Schrumpfgermanen an: Es klappt einfach nicht. So geht das nicht. Durch den absoluten Vorrang des Türkischen als der eigentlichen Muttersprache zementiert ihr eure Kinder hier in Deutschland in einem Sonderstatus ein, der sie chancenlos macht.

Ich bin im Gegenteil der Meinung: Man muss die türkischen Eltern ermuntern, dass ihre Kinder vom ersten Lebenstag an gutes, sinnvolles Deutsch erlernen. Eine zweite Sprache – etwa die Muttersprache der Eltern – ist höchst wünschenswert, denn jede Sprache bereichert uns. Wie heißt es doch so schön auf Kreuzbergisch? Bir lisan, bir insan!

Jede und jeder kann es schaffen! Auch wenn es schwerfällt. Jeder kann es schaffen, um 7.30 Uhr aufzustehen. Jede und jeder, der seit der Geburt 6 Jahre in Deutschland lebt, kann so gut Deutsch lernen, dass es für einen sinnvollen Grundschulunterricht reicht. Das können wir erwarten, das müssen wir einfordern.

Wir brauchen klare, einfache Botschaften. Botschaften, die wiederholt werden müssen. Beispiel Fernsehen:  In vielen türkischen und arabischen Familien läuft ständig das türkische oder arabische Fernsehen. Wie sollen die Kinder da Ruhe finden, um ihre Spiele zu spielen? Um Hausaufgaben zu machen? Wie sollen die Kinder so hineinwachsen in ihr deutsches Sprachgefühl, wenn sie Tag und Nacht nur von vorgefertigten kommerziellen Programmen aus der alten „Heimat“ umspült werden? Die Fernsehberieselung führt auch zu Aufmerksamkeitsstörungen.

Nun könnte man fragen: Sollen wir in unserem multiethnischen Deutschland dem Modell der Vielvölkerstaaten Sowjetunion oder Türkei nacheifern? In der Republik Türkei wurde gleich nach der Gründung dieses multiethnischen Staates das Türkische mit brachialer Gewalt durchgesetzt, der öffentliche Gebrauch der Minderheitensprachen – etwa Kurdisch oder Armenisch –  wurde verboten und unter Strafe gestellt. Ähnlich verfuhr man in der UDSSR. Der weise und gute Staatsgründer, der verehrte Vater der Türken, Atatürk erkannte, dass eine gemeinsame Sprache und eine gemeinsame Schrift für den Zusammenhalt der Gesellschaft unerlässlich sind. Atatürk kümmerte sich höchstpersönlich um eine normierte, im ganzen Land verbindlich vorgeschriebene Einheitssprache und setzte diese mit allen juristischen und polizeilichen Mitteln durch.

Und ich hatte selbst vor wenigen Monaten Gelegenheit, den Aufsatz Stalins über die russische Grammatik aus dem Jahr 1940  in Händen zu halten. In der Türkei und in der UDSSR ist es gelungen, eine Landessprache überall gewaltsam, mit diktatorischen Mitteln durchzusetzen, sodass Benachteiligungen aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nach kurzer Zeit verschwunden waren.

Anders bei uns in Deutschland. Der deutsche Staat bestärkt die türkischen und arabischen Eltern immer noch in ihrem Sonderstatus als „Migranten.“ Ein grotesker, teurer, folgenschwerer Irrtum. So steigt die Zahl der Migrantenkinder trotz sehr geringer Zuwanderung ins Unermessliche, während meine deutschen Miteltern sich völlig verängstigt und hilflos in die Büsche schlagen. Das migrantenarme Pankow leidet an zu vielen deutschen Kindern der zuströmenden deutschen Migranten, so kann man heute in der Zeitung lesen. Unser kulturell so reiches Kreuzberg sucht sie mit der Lupe! Ich bin somit der letzte Teutone, der letzte Schrumpfgermane in der Kreuzberger Regelschule geworden.

Eine solche brutale Sprachdiktatur wie in der Türkei oder der früheren Sowjetunion hielte ich jedoch für grundfalsch. Im Gegenteil: Der deutsche Staat sollte alle Bürger weiterhin wie bisher ermuntern, neben dem Deutschen nach Möglichkeit noch eine oder mehrere andere Sprachen zu pflegen. Aber noch wichtiger ist es, die Eltern von Anfang dazu anzuhalten, den Kindern zuerst und mit Vorrang die Landessprache beizubringen. In Deutschland ist dies Deutsch, auch in den geschlossen sorbischen und den geschlossen türkisch-arabischen Siedlungsgebieten. In der Türkei ist es Türkisch – auch in den geschlossen kurdischen Gebieten.

Dabei sollte man ruhig zu plakativen Mitteln greifen. Ich erinnere mich an ein Plakat aus der DDR: Auch DU hältst die Küche sauber, Genosse!

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Hätte ich das doch damals in meiner Kindheit öfter gehört und gesehen – ich wäre ein ordentlicherer Mensch in der Küche geworden und meine Frau brauchte nicht so viel auf mich zu schimpfen. Dabei gebe ich niemandem die Schuld. Ich habe mich bisher nicht zu einem erzogen, der jederzeit die Küche sauber hält. Mein Bruder hat es geschafft, ich nicht. Aber ich arbeite daran.

Und so muss man den Türken Plakate vor die Nase setzen: „Auch dein Kind muss Deutsch lernen.“ So oder so ähnlich muss es klingen und singen.

Einfache Anweisungen sind nötig. Nicht lange Abhandlungen, sondern Propaganda, Plakate, Handzettel, oder auch Kartenspiele mit einprägsamen, einfachen Botschaften. Wie etwa:

„Erst Hausaufgaben – dann spielen!“

„Jeden Abend ein deutsches Buch vorlesen – und dein Kind kommt mit!“

„Lernt deutsche Kindergedichte, singt deutsche Kinderlieder!“

„Nicht mehr als 1 Stunde Fernsehen am Tag!“

„Gutes Deutsch ist der Schatz, den du deinem Kind schenken kannst.“

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Es ist Frühling – die Chancen für rücksichtsvolles Fahrradfahren steigen

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Apr 082009
 

Der Tagesspiegel veröffentlicht heute wieder einmal einen jener bitterbösen Kommentare über rücksichtslose Radler – es lohnt sich, den Artikel und  vor allem die Kommentare hierzu zu lesen. Die Kommentare belegen, wie schwer es fällt, sich in die Sichtweise des jeweils anderen hineinzuversetzen. Alle schimpfen auf die jeweils anderen, alle haben sie ja soo recht!

Immer wieder werde ich beim Fahrradfahren angesprochen: „Toll! Sie sind der erste Radfahrer, der bei Rot hält! Was ist los?“ Oder: „Toll, dass du das Rad durch den Hof schiebst – die anderen zischen immer durch, haben mich und meinen Hund schon zweimal angefahren!“

Aber: Ich sehe immer wieder vereinzelte Radler in Berlin, die bei Rot anhalten, die nicht auf Gehwegen radeln, die Rücksicht auf Fußgänger nehmen, die den Radweg nicht in der falschen Richtung benutzen. Diese Radfahrer müssen mehr werden. Es tut gut! Als Fahrradaktivist sehe ich Legitimationsprobleme, wenn zum Beispiel Fahrradstreifen, für die wir kämpfen, nicht angenommen werden, sondern weiterhin auf dem Gehweg in falscher Richtung gefahren wird.

Meinem Sohn muss ich wieder und wieder erklären: „Bei Rot hält man an. Man fährt als Erwachsener nicht auf dem Gehweg.“ Er sieht, dass eine sehr hohe Zahl der Radfahrer sich nicht an diese einfachsten Regeln hält.  Welches Bild erhält er von dieser Gesellschaft? Etwa dieses: MACH WAS DU WILLST, ABER LASS DICH NICHT ERWISCHEN!

2008 gab es in Berlin 7672 Radunfälle. Zwölf Radler starben, über 500 wurden schwer verletzt. Bei einem großen Teil dieser Unfälle hatten sich die Radfahrer durch grobe Regelverletzung selbst in Gefahr gebracht.

Ein jeder kehre vor seiner eigenen Tür! Obama macht es vor: Er ist einer der ganz wenigen, die unumwunden die eigenen Fehler  und auch die Fehler des eigenen Landes zugeben und daran arbeiten, dass diese nicht wieder vorkommen. Was er im großen vormacht, das sollte doch uns im kleinen auch gelingen, oder? Es nützt nichts, immer mit dem Finger auf die anderen zu zeigen. Dass ein großer Teil der Berliner Radfahrer sich nicht an die wichtigsten Verkehrsregeln hält, kann man jederzeit an irgendeiner Ampel, an irgendeinem Fahrradweg überprüfen.

Wir brauchen den Mentalitätswandel bei den Berliner Fahradfahrern. Change now!

Dann wird man auch nicht mehr so polemisch zugespitzte Artikel im Tagesspiegel lesen müssen.

Es ist Frühling – der Fahrradterror beginnt
Den meisten harm- und wehrlosen Fußgängern ist gewiss bewusst, dass auch der Fahrradterrorist mancherlei Anfeindungen ausgesetzt ist. Der Kollege aus dem zweiten Stock zum Beispiel, ein überzeugter Fahrradterrorist, zieht aus diesem Grund für den kommenden Sommer die Bewaffnung in Erwägung, um sich, solcherart aufgerüstet, der Attacken der Automobilterroristen zu erwehren. Im Grunde genommen will er sich ihrer nicht erwehren, er will sich an ihnen rächen. Ein niederes Motiv. Ein Motiv, das indes zeigt, dass auch in diesem Sommer keine Toleranz von niemandem zu erwarten ist. Der Autofahrer beansprucht sein Recht der Straße, der Fahrradfahrer und, in seiner teuflischsten Mutation, der Fahrradkurier, beharrt auf seinem Recht der Straße und auf seinem Recht des Trottoirs und auf seinem Recht der Fußgängerzone. Und der Fußgänger, der stille Flaneur? Was bleibt dem?

 Posted by at 13:32
Apr 082009
 

Die Stadt Mannheim folgt nun endlich den Anregungen, die der VCD Deutschland, der Staat Argentinien, und neben vielen anderen auch dieses Blog vorgeschlagen haben. (Dieses Blog berichtete am 27.02., 23.02. und 14.03.2009).  Ab 2. Mai gibt es eine Abwrackprämie für Käufer, die  bei einem Fahrrad-Fachhändler ein neues Radl kaufen. Der Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz (kein Grüner!) findet die richtigen Worte: Ziel der Aktion ist es, die zahlreichen Schrotträder von den Straßen zu kriegen, den Anteil des Radverkehrs zu erhöhen, das Fahrradgewerbe durch Konjunkturimpulse anzukurbeln und einen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz zu leisten. Soviel Gutes auf einen Streich! Kompliment, wir Berliner können da noch nicht mithalten! Allerdings haben wir auch reichlich Schrotträder überall verteilt stehen, wogegen die ADFC-Stadtteilgruppe Friedrichshain-Kreuzberg schriftlich beim Ordnungsamt vorstellig geworden ist. Insofern können wir doch mithalten.

Aber seht selbst:

Video – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten

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Apr 072009
 

Erneut hat Präsident Obama eine bewegende, seine Zuhörer begeisternde Rede gehalten, diesmal im türkischen Parlament. Ähnlich wie Angela Merkel in Deutschland, so ist Barack Obama weltweit all seinen Kommentatoren, Gegnern, aber auch seinen Unterstützern stets um ein bis zwei Gedankenzüge voraus. Obama versteht es meisterhaft, in seinen Reden das Richtige richtig zu sagen und das zu diesem Zeitpunkt Unstatthafte nicht zu sagen. Er hat zu recht ins Gedächtnis gerufen, dass die Türken seit mehreren Jahrhunderten Teil Europas sind, die europäische Geschichte mit beeinflusst haben, vor allem in all den Jahrhunderten, in denen weite Teile Südost-Europas unter ihrer Herrschaft standen, darunter Griechenland und der Balkan.

Völlig zu Recht hat er die Größe und Ehre der Türkei hervorgehoben, denn das wollen die Türken hören. Größe und Ehre kann man ohne Gefahr jedem Volk zusprechen. Es ist ein Akt der Höflichkeit und der politischen Klugheit, dies in dem Land zu tun, in dem man sich gerade aufhält. Obama hat ferner mehrfach unterstrichen, dass die Türkei eine Demokratie ist und auch bleiben soll. Man muss loben und preisen, was gut ist und gut sein soll – dann wird es auch so.

Völlig zu recht hat er es vermieden, die Massaker an den Armeniern 1915 erneut Völkermord zu nennen, wie er es oftmals in den USA getan hatte. In der Pressekonferenz danach hat er gesagt: „Meine Ansichten sind aktenkundig, meine Ansichten haben sich nicht geändert.“

Was hätte es gebracht, im türkischen Parlament diese Bezeichnung „genocide“ zu wiederholen? Es hätte all seine türkischen Zuhörer gegen ihn aufgebracht, sie hätten stumm Zeter und Mordio geschrien, ihre Mienen wären eisig geworden.  Allerdings hat er den armenisch-türkischen Konflikt in eine Reihe mit dem Völkermord der Kolonialisten an den Indianern in den USA gebracht, mit der Schande der Sklaverei und der Rassentrennung. Seine Botschaft war klar: „Jeder kehre vor seiner eigenen Tür. Auch wir Amerikaner haben schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen.“

Zum Thema EU-Beitritt ist ebenfalls zu sagen: Es liegt im strategischen Interesse der USA und der NATO, wenn der amerikanische Präsident den türkischen Beitritt zur EU unterstützt.  Auch hier hat der Präsident das Richtige gesagt, um die Herzen seiner Zuhörer für sich zu gewinnen.

Was meine ich selbst zu dem Thema? Nun, da ich ja hier in Kreuzberg unter Türken und Arabern lebe: Ich wünsche mir vor allem sehnlich, dass die Türken, die hier in Deutschland leben, unserem Staat, unserer Gesellschaft beitreten. Ihnen stehen alle Chancen offen. Aber sie nutzen sie nicht, sie haben es sich in ihrer großen Mehrheit in einer abgesonderten, staatlich alimentierten Privatexistenz behaglich eingerichtet. Sobald wir das geschafft haben, sobald die Türken in Deutschland und anderen europäischen Ländern sich am öffentlichen und politischen Leben beteiligen, wird sich auch eine realistische EU-Beitrittsperpektive der Türkei ergeben. Ich werde der erste sein, der sich später dann für einen EU-Beitritt einsetzen will. Ein EU-Beitritt müsste jedoch im Interesse sowohl der EU als auch der Türkei liegen. Zur Zeit kann ich mich nicht für einen EU-Beitritt der Türkei aussprechen.

Erst einmal müssen dafür die Deutsch-Türken, vor allem jene mit deutschem Pass, der Bundesrepublik Deutschland innerlich und äußerlich beitreten, müssen ihren Beitrag zum Gemeinwesen leisten wollen. Dazu müssen auch wir Deutsche etwas beisteuern, indem wir sagen: „Tretet uns bei! Wo seid ihr? Wir hören euch nicht.“

Wir brauchen hier einen echten Mentalitätswandel – mehr als Programme, mehr als Geld, mehr als Kongresse.

Ich verweise noch einmal auf den allerersten Beitrag in diesem Blog, wo ich erschüttert feststellen musste, dass bei einer öffentlichen Diskussion über den moslemischen Fundamentalismus kein einziger Moslem sich beteiligte – und das in einer Stadt, in der über 200.000 Moslems leben!

Link zur Rede und Ausschnitte:

 Barack Obama and Joe Biden: The Change We Need | Obama for America: President Obama in Turkey: „You cannot put out fire with flames“
Another issue that confronts all democracies as they move to the future is how we deal with the past. The United States is still working through some of our own darker periods in our history. Facing the Washington Monument that I spoke of is a memorial of Abraham Lincoln, the man who freed those who were enslaved even after Washington led our Revolution. Our country still struggles with the legacies of slavery and segregation, the past treatment of Native Americans.

Human endeavor is by its nature imperfect. History is often tragic, but unresolved, it can be a heavy weight. Each country must work through its past. And reckoning with the past can help us seize a better future. I know there’s strong views in this chamber about the terrible events of 1915. And while there’s been a good deal of commentary about my views, it’s really about how the Turkish and Armenian people deal with the past. And the best way forward for the Turkish and Armenian people is a process that works through the past in a way that is honest, open and constructive.

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Pro oder contra Reli? Wo bleiben eigentlich … die Muslime?

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Apr 062009
 

060420091.jpg 16012009.jpg Die „Amtliche Information zum Volksentscheid über die Einführung des Wahlpflichtbereichs Ethik/Religion“ liegt vor mir auf dem Schreibtisch. Gleich daneben liegt mein Exemplar des Korans, in dem ich regelmäßig lese, heute etwa die Sure 22.

In der Klasse meines Sohnes gibt es zwei Schüler christlichen Bekenntnisses, alle anderen stammen aus „moslemischen Ländern“, und ich gehe mit großer Gewissheit davon aus, dass sie Moslems sind. Zumal ja nach muslimischer Auffassung alle Menschen als Moslems geboren werden – es aber aus Sicht des Islam nur zum Teil auch wahrhaben wollen.

Ich studiere die Broschüre genau. Meinen Eindruck von der Broschüre formuliere ich in Anlehnung an Sure 22, 19: Das sind zwei Streitparteien, die miteinander über den rechten Weg zu einem guten Miteinander streiten. Beide Seiten können teils gute, teils unlogisch-windschiefe, teils verstiegen-abenteuerliche Argumente für ihre Sache ins Feld führen. Freiheit, Miteinander, Solidarität, gemeinsame Werte – beide Seiten berufen sich auf diese Begriffe. Dass aber Pro Reli behauptet, mit dem staatlichen Religionsunterricht fundamentale Freiheitsrechte zu verwirklichen – „Freiheit statt Scheuklappen“ – halte ich für eher abwegig! Denn keiner wird behaupten, dass die USA ein Hort der religiösen oder politischen Unfreiheit seien, nur weil dort jeglicher Religionsunterricht an staatlichen Schulen verboten ist.

Wie gespannt war ich zu erfahren, wie Pro Reli e.V. die Vertreter der Religion der Mehrheit in meiner Schule, nämlich die Moslems, einbeziehen würde! Am Umgang mit der muslimischen Schülermehrheit entscheidet sich für mich als Vater Sinn und Unsinn dieser Initiative. Denn die katholische und die evangelische Kirche, die jüdische Gemeinde, ja selbst der französische Staatspräsident werden bereits als Unterstützer von Pro Reli  in Anspruch genommen.

Wie enttäuscht bin ich, feststellen zu müssen, dass keine einzige muslimische Stimme in der Broschüre zu Wort kommt! Kein Moslem meldet sich, weder bei den Befürwortern noch bei den Gegnern des Gesetzentwurfes. Das heißt, die entscheidende Herausforderung  für unsere Stadtgesellschaft, nämlich die Einbindung der muslimischen Kindermehrheit in vielen Schulen, wird nicht angenommen. Ich weiß also nicht einmal im Ansatz, was die Schülermehrheit in der Klasse meines Sohnes unter staatlicher Aufsicht zu hören bekommen soll.

Verzeihung, mit Verlaub: Das ist mir alles zu kurz gesprungen.

Und was die gepriesene Freiheit zum Religionsunterricht angeht: Die jüdische Tora, die christliche Bibel, der Koran enthalten zahlreiche Aufrufe, in denen die Unterwerfung des Einzelnen unter ein verkündetes, göttliches Gesetz verlangt wird. Auch hierzu schweigen die Initiatoren sich aus. Wie soll man denn mit den Traditionen der Unfreiheit in den großen Religionen umgehen? Ich höre die Antwort: Schweigen!

Wie sehen uns die anderen? Schon beim Volksbegehren über den Flughafen Tempelhof hatten wir – unter dem Datum 26.04.2008 – in diesem Blog eine überregionale Presseschau angestellt und kamen zu dem Schluss: Die auswärtige Presse macht sich über uns Berliner lustig, nimmt uns einfach nicht ernst. Sobald über Berliner Landespolitik geschrieben wird, geraten die Auswärtigen in einen ironischen Tonfall, ob nun FAZ, Süddeutsche, ZEIT, Economist – so als wäre die Berliner Landespolitik nur ein leicht komischer Schaukampf um Dinge, die eigentlich nicht weltbewegend sind, bei denen man aber immerhin die wirklich drängenden Probleme der Stadt so herrlich vergessen kann.

Der britische Economist widmet der Auseinandersetzung um Pro Reli am 28. März 2009 auf S. 34 immerhin fast eine ganze Seite. Erneut verfällt er in einen leicht amüsierten Tonfall, man hört das Kopfschütteln über so viel Erbitterung in einem Kulturkampf der etwas anderen Art heraus:

The battle lines are not sharp. Stephan Frielinghaus, a Protestant pastor, supports ethics classes as a “space where different traditions can learn to live together”. Troubled by what he sees as Pro-Reli’s “demagogic campaign”, he has joined a pro-ethics movement. Berlin’s ruling coalition of Social Democrats and the Left Party is anti-Reli, but some Social Democrats are pro, including the foreign minister, Frank-Walter Steinmeier.

What everyone shares is an obsession with Muslims, who account for over half the students in parts of the city. The ethics course is partly meant to snuff out incipient violent radicalism. But it leaves many children learning the Koran from teachers who have little stake in German society. Better, says Pro-Reli, to bring it into school, where German-speaking teachers can impart Islam under the state’s watchful eye.

In der heutigen Süddeutschen Zeitung meldet sich auf S. 38 Hartmut von Hentig zu Wort.  Er fordert, die Schulen sollten sowohl Ethik/Philosophie als auch Wissen über Religion als wesentlichen Bestandteil der Unterweisung vermitteln. Unter dem Titel „Eine Wahlfreiheit, die in die Irre führt“ fordert er: „Religionsunterricht und Philosophie und deren Teildisziplin Ethik können nicht eines für das andere eintreten. Es muss sie beide geben, weshalb für Ethik und Religion verschiedene Unterrichtszeiten vorgesehen sein müssen.“  Abschließend bezeichnet er den „seltsam eifrigen Streit über den Religionsunterricht“ als „ziemlich unnötig“.

Was ist meine Meinung? Ich glaube zutiefst, dass die Religionen ein kulturelles Phänomen allerersten Ranges sind. Nimmt man Judentum und Christentum aus dem hinweg, was Europa ausmacht, so ist Europa nicht mehr Europa. Hat man die Texte der Bibel nicht verstanden, so hat man auch nicht verstanden, wie wir Europäer denken, fühlen und handeln.  So ist etwa eine Partei wie Die Linke, so ist die Glaubensgemeinschaft des Marxismus nicht denkbar ohne einen Rückgriff auf die biblischen Gebote der Solidarität mit den Schwachen und der Gleichheit. Die Partei Die Grünen/Bündnis 90 wiederum, mit ihrem durch und durch moralisch-sittlich geprägten Politikverständnis, wird erst begreifbar, wenn man die biblische Erzählung von der Welt als dem Menschen anvertraute Schöpfung kennt, wenn man den Bündnisgedanken ernst nimmt.

Umgekehrt scheint die CDU zu ihrem C im Parteinamen kein echtes Verhältnis mehr zu haben. Sie scheint das „C“ durch das „B“ ersetzt zu haben. „B“ wie Bürgerlich. Begrenzt. Wo sind die leidenschaftlichen Bemühungen um die christlichen Tugenden der Demut, der Bescheidenheit, der Armut im Geiste, der Nächstenliebe? Die christliche Bibel ist doch ein Buch, das von der ersten zur letzten Seite mit Migrationserfahrungen gespickt ist – warum entdeckt die CDU nicht diesen riesigen Schatz? Warum lässt sie ihn so achtlos links liegen? „Ehre und achte den Fremden, denn du bist selbst einer gewesen!“ So steht es schon bei Moses. Ich bin fest überzeugt: Das Christentum ist die Religion der Migranten schlechthin – beginnend von Jesus Christus, der ein jüdischer Wanderer war.

Solidarität mit den Schwachen, Gleichheit aller Bürger, Schutz der Umwelt – das alles sind Grundprinzipien der Politik, die erst durch die orientalischen Offenbarungsreligionen in die europäische Geschichte gelangt sind. Der griechisch-römischen Antike sind sie – so meine ich – vor Ankunft des Judentums und des Christentums fremd.

Darüber hinaus meine ich: Hat man den Koran nicht achtsam gelesen, wird man auch keine sinnvolle Politik in Afghanistan oder Pakistan machen können.

Mein Fazit: Es wäre wunderbar, wenn durch die Initiative Pro Reli ein echtes Gespräch über Religionen und Politik, vor allem über den deutschen Islam, über das Gemeinsame und Trennende, über Freiheit und Unfreiheit in Gang käme! Ich vermisse dieses ernsthafte Gespräch schmerzhaft bei der Auseinandersetzung um den Religionsunterricht.

Schließen wir doch unsere kleine Betrachtung mit Sure 22, Vers 19 ab – und nehmen wir diese Sure als Aufruf zum wechselseitigen Verstehen. Denn niemand – weder die Befürworter noch die Gegner der Gesetzesinitiative –  will der anderen Partei Gewänder aus Feuer anlegen, niemand schüttet gern heißes Wasser über seinen Nächsten aus. Wie stehen die Muslime Berlins dazu? Fragen über Fragen!

Das sind zwei Streitparteien, die miteinander über ihren Herrn streiten. Für diejenigen, die ungläubig sind, sind Gewänder aus Feuer zugeschnitten; über ihre Köpfe wird heißes Wasser gegossen.

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Unsere Chancen: Mischnutzung, Verdichtung, nachhaltige Verkehrslösungen

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Apr 052009
 

17072008001.jpg Städtische Verdichtung, eine Mischung von Wohnen und Arbeiten, eine Verkehrspolitik, die ganz auf nachhaltige Lösungen setzt: dies sind die großen Chancen, welche sich für städtische Ballungsräume bieten. Le Monde berichtet heute über die Ergebnisse einer Studie, die eindeutig besagt: Dicht besiedelte Innenstädte, in denen die Menschen keine weiten Wege mit dem Auto zurücklegen, entlassen 50% bis 80% weniger  Schadstoffe in die Umwelt als die großen, in die Landschaft hineinwuchernden Megastädte mit großem Flächenverbrauch. Öffentlicher Personennahverkehr mit der BVG, Fahrrad, Zu-Fuß-Gehen: darin liegen die Chancen auch für meinen Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Wir sind der am dichtesten besiedelte Bezirk Berlins – wir könnten Vorreiter beim Klimaschutz werden.

Ich persönlich lebe dies bereits: Ich bin vor Jahren aus dem beschaulichen Waidmannslust zurück in mein altes Kreuzberg gezogen, und ich erledige jetzt meinen gesamten beruflichen und privaten Alltag fast nur noch per Fahrrad und zu Fuß, obwohl ich noch ein Auto besitze. Das wäre dort draußen in Reinickendorf kaum so leicht gewesen. Ich habe eine bessere Lebensqualität als vorher. Das ist es, was Bundespräsident Köhler meinte, als er in seiner Berliner Rede sagte: Wir können durch mehr Bescheidenheit, mehr Sparsamkeit – etwa durch weniger Autofahren auf Kurzstrecken, weniger Flugreisen – eine bessere Lebensqualität erreichen. Wir zitieren wörtlich:

 Ja, unser Lebensstil wird berührt werden. Und, meine Damen und Herren: Unsere Lebensqualität kann steigen. Sparsamkeit soll ein Ausdruck von Anstand werden – nicht aus Pfennigfuchserei, sondern aus Achtsamkeit für unsere Mitmenschen und für die Welt, in der wir leben.

Unser Bild zeigt einen Radstreifen vor der Heilig-Kreuz-Kirche in Kreuzberg.

Les atouts des villes dans la lutte contre la pollution – Planète – Le Monde.fr
L’explication est connue, proclamée sur tous les tons par les professionnels de l’urbanisme : une ville compacte, mélangeant logements et activités et desservie par des transports en commun est moins polluante qu’un habitat individuel diffus fondé sur le règne automobile. La corrélation entre une faible densité urbaine et une quantité élevée de rejets de CO2 par habitant a été démontrée. L’éclairage et le chauffage des bâtiments génèrent un quart des émissions de gaz à effet de serre dans le monde et, selon les estimations de la Banque mondiale, les transports comptent pour un tiers des rejets dans les agglomérations.

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Politische Freiheit muss von den Menschen kommen

 Digital, Freiheit, Hölderlin, Obama  Kommentare deaktiviert für Politische Freiheit muss von den Menschen kommen
Apr 052009
 

Die taz brachte am 3. April ein aufschlussreiches Interview mit Mary C. Joyce, der Leiterin des Neue-Medien-Wahlkampfs von Barack Obama. Sie stellt fest: Das Internet ist im Wahlkampf ein Mittel zum Zweck. Die Inhalte müssen von woanders her kommen, nämlich von den Menschen. Die Menschen nutzen die neuen, billigen Medien, um sich von der Bevormundung durch die alten teuren Medien zu befreien.

Unser Bild zeigt Bäume im badischen Schwarzwald. Noch vorgestern joggte ich zur Entspannung unter ihnen hindurch, Foto-Handy natürlich „immer am Mann“. Ich hielt inne, um zu stretchen. Dann schoss ich das Bild. Dabei kamen mir Verse von Hölderlin in den Sinn, aus seinem Gedicht „Die Eichbäume“: „Aus den Gärten komm ich zu euch, ihr Söhne des Berges!“ Oder auch dieser: „Und ihr drängt euch fröhlich und frei, aus der kräftigen Wurzel, unter einander herauf“.

Hölderlin fasst seinen Begriff von Freiheit in Bilder von Bäumen. Und auch Mary C. Joyce greift auf Naturbilder zurück, wenn sie von politischer Freiheit spricht. Friedrich Hölderlin und Mary C. Joyce kommen überein:  Politische Freiheit muss wachsen, muss organisch sein, muss von unten kommen. Freiheit ist die kräftige Wurzel des politischen Engagements in der Demokratie. Sie ist der Fokus, den wir nicht verlieren dürfen.

Lest selber einen Abschnitt aus dem Interview mit der Graswurzel-Aktivistin, oder besser: der Baumwurzel-Aktivistin. Den Fettdruck habe ich selber gesetzt, um wichtige Aussagen hervorzuheben.

Obama-Beraterin über Onlinewahlkampf: „Geld und Macht trennen“ – taz.de
Sie schrieben über die Online-Kampagne „The internet is cool, but don´t loose your focus“. Soll heißen…?

Das Internet ist ein Instrument, kein Ziel an sich. Wir mussten uns auf konkrete Ziele konzentrieren: Neue Wähler zu gewinnen, Leute für den Straßenwahlkampf zu mobilisieren, Wahlkampfpartys zu organisieren. Das Internet war ein Mittel, um diese Ziele zu erreichen.

Wenn sie von digitalem politischen Engagement sprechen, wie unterscheidet sich das von „analogem“ Engagement?

Bei digitalem politischem Engagement dreht sich alles um große Zahlen bei niedrigen Kosten. Man kann ohne große Ausgaben eine internationale Kampagne führen, mit einem Blog, E-Mails und einer Facebookseite. Es ist die Möglichkeit, Geld und Macht zu trennen, was digitale Technologien so interessant macht.

Sie geben auch Workshops in Schwellenländern über digitales politisches Engagement.

Nach meiner Arbeit im Obama-Wahlkampfteam arbeite ich wieder für DigiActive.org, einer Nichtregierungsorganisation, die Graswurzel-Aktivisten in der ganzen Welt dabei hilft, digitale Technologie zu nutzen. Für DigiActive war ich zum Beispiel in Indien und Marokko, um Workshops zu geben. Unser Ziel ist es, dass Aktivisten in Ländern mit knappen Ressourcen Technologie effektiv für ihre Kampagnen nutzen können. In unseren Trainings vermitteln wir die effektivsten Anwendungen wie Blogs, digitale Videos, Mobiltelefone und soziale Netzwerke.

Öffnen solche digitalen Werkzeuge neue Wege für mehr Demokratisierung?

Das Problem mit dem Begriff „Demokratisierung“ ist, dass es sich so anhört, als sei politische Freiheit eine Art industrieller Prozess, dem ein Land unterzogen werden könne. Demokratie muss organisch sein, es muss von den Leuten kommen. Internet und Mobiltelefone sind insofern demokratisch, als dass sie einen breiten Zugang zu Massenkommunikation ermöglichen. Diese Mittel können für Graswurzel-Bewegungen genutzt werden. Außerdem können sie eine alternative Informationsquelle sein, die die Machthaber lieber zum Verstummen bringen würden. Auf diese Weise können Internet und Mobiltelefone ein Mehr an Demokratie bedeuten.

Um online aktiv zu sein, braucht man allerdings auch erstmal einen Computer, einen Internetanschluss und einen gewissen Bildungsstand…

Wer nicht lesen kann, dem nützt das Internet natürlich nichts. Das Internet kann ja nicht alle Probleme lösen. Aber es ist sinnvoll, sobald man lesen kann und genug Geld aufbringen kann, um sich den Besuch in einem Internetcafe zu leisten. Durchs das Internet können sich viele Menschen beteiligen, die vorher nicht politisch aktiv waren. Das Internet macht nicht jeden stärker, nur die, die auch angeschlossen sind und es nutzen.

 Posted by at 09:47
Apr 042009
 

turkei_in_kreuzberg_01042009.jpg Die Türken leben in ihrer eigenen Welt. Nein, dies ist kein Kommentar zum Nato-Gipfel, sondern ein Befund, den ich nach vielen Jahren Kreuzberg leider feststellen muss. Den Kreuzberger Deutschen ist es egal, was die Türken denken, tun, handeln, wie sie ihre Kinder erziehen, wie sie und ob sie Deutsch lernen. Die Kreuzberger Türken wiederum haben es sich behaglich eingerichtet in ihrer Klein-Türkei. Eine Notwendigkeit, gutes Deutsch zu erlernen, Kinder die angebotenen Chancen wahrnehmen zu lassen, sehen sie nicht. Lieber lassen sie über ihre Organisationen verkünden, sie würden von der Mehrheitsgesellschaft benachteiligt. Ein echtes Zusammenleben gibt es nicht. Man lebt nebeneinander her, teils in Gleichgültigkeit, teils in Ablehnung.

Wie im Kleinen, so funktioniert auch im Großen der Dialog nicht. Siehe Nato-Gipfel. Wie sollte er auch? Ich konstatiere allenthalben bei den Deutschen eine erschreckende Unkenntnis über türkische Geschichte, türkische Politik, türkische Kultur – oder soll ich sagen: kurdische, alevitische, jesidische, arabische, assyrische, tatarische usw. Geschichte und Kulturen? Denn die Türkei ist ein multiethnisches Land, die gewaltsame Türkisierung und erzwungene Assimilation konnte nicht verhindern, dass unter dem Firniß der einen großen Vaterlandsnation zahlreiche Sonderidentitäten bis zum heutigen Tage weiterbestehen. Gerade in diesen Tagen werden im Osten der Türkei riesige Massengräber entdeckt, in denen die paramilitärische JİTEM in den neunziger Jahren Hunderte, vielleicht Tausende von ihr ermordete unschuldige Zivilisten verscharrt hat.

Günstige Zahlen kann mein Heimatbezirk allerdings in der neuesten Berliner Sozialstatistik, dem sogenannten Sozialstrukturatlas, erwirtschaften: Wir haben uns um zwei Plätze nach vorne gekämpft, sind nicht mehr das Schlusslicht. Besonders erfreulich: Zusammen mit Pankow liegen wir im sogenannten Statusindex ganz vorne. Das heißt, der durchschnittliche Bildungsgrad ist hoch, und der Bezirk zieht mehr Menschen an, als aus ihm wegziehen. Das zeigt sich auch daran, dass man nicht mehr mitreden kann, wenn man nicht das Wort Gentrifizierung mindestens 5 Mal ohne Stocken in einem Satz unterbringt.

Auffallend aber, in höchstem Maße alarmierend ist der Rückgang der Kinder im Alter von 0-6 Jahren um 41 Prozent, der innerhalb von nur 3 Jahren eingetreten ist! Die Kinder ziehen mit ihren Familien weg. Der Bezirk bietet den Kindern offenbar keine Zukunft. Hier schlägt die dauernde Negativpropaganda über die Kreuzberger Grundschulen voll durch. Die deutschen Familien ziehen aus dem Ortsteil Kreuzberg weg oder melden sich zum Schein um. In der Klasse, die mein Sohn besucht, gibt es praktisch nur noch noch türkische und arabische Namen. Ich habe bisher weder einen deutschen Vater noch eine deutsche Mutter in dieser Klasse gesehen (mich selbst natürlich ausgenommen). Dabei wohnen wir noch in einem Umfeld, wo der Ausländeranteil sicherlich nicht über 30% liegt. Aber die deutschen Eltern tun alles, um nicht mit der türkischen Schülerpopulation in einen Topf geworfen zu werden.

Die Berliner Türken leben nunmehr dauerhaft in ihrer eigenen Welt. Das Motto könnte lauten: Türkei muss auch in Kreuzberg erkennbar sein!

Bei meinen Reisen durch die Türkei habe ich auf vielen Bergesgipfeln, auf noch dem kleinsten Eiland riesige türkische Flaggen gesehen, häufig auch Spruchbänder, die es über viele Kilometer hin verkündeten: „Die Türkei ist unser Vaterland!“ VATAN! „Überall, wo wir sind, ist Türkei“, in genau diesem Sinne hat sich auch der Staatspräsident Gül bei seinem Besuch in Köln geäußert.

Bezeichnend dafür ist das kleine Legoland, das ich vor wenigen Tagen in einer Kreuzberger Grundschule entdeckte: Groß und prächtig prangt die türkische Flagge neben zwei anderen, nicht näher erkennbaren Phantasieflaggen.

Die Deutschen interessieren sich nicht für die Parallelgesellschaft, die sich fest etabliert hat, sondern verschließen die Augen, ziehen lieber weg und geben viel Geld für Kongresse über Integration aus.

Das Bündnis Pro Reli ficht wacker für islamischen, christlichen und jüdischen  Religionsunterricht an staatlichen Schulen, ohne auch nur im mindesten islamische Lehrpläne, islamische Partnerverbände oder deutschsprachige Religionslehrer namhaft machen zu können. Haben alle, die da so vehement für Religionsunterricht streiten, den Islam wirklich kennengelernt? Haben sie den Koran gelesen?

Das niederschmetterndste Alarmzeichen für unseren Bezirk ist, dass die Kinderzahl wegbricht. Das heißt, der Bezirk wird für Familien unattraktiv, ja abstoßend. Der Bezirk verliert mit den Kindern seine Zukunft. Wer bleibt? Eine zunehmend gleichgeschaltete, gleichgekleidete, gleichdenkende, uniformierte Gesellschaft aus jungen und nicht mehr so jungen Erwachsenen, die ihren immer gleichen Parolen nachhängen, die in ihren immer gleichen „Freiräumen“ träumen und gegen Windmühlen kämpfen. Diese deutschen, kinderlosen, vom Staat oder den Eltern alimentierten Singles mit einer zum Tic verfestigten Trotzhaltung bestimmen zunehmend das Geschehen im Bezirk. Wer ihnen nicht passt, wie etwa der türkische Restaurantbetreiber Özkan Nas, wird verdrängt. Durch mafiaartige Einschüchterungsversuche werden die Menschen nach und nach vertrieben. Dann schmeißt man Buttersäure in Lokale, zündet Autos an (vgl. tip Nr. 08/2009, S. 19).

Unverbunden daneben her existiert eine türkisch-arabische Schicht, die sich immer stärker von der deutschsprachigen Gesellschaft abgekoppelt hat. Die Türken und Araber nehmen keinen Anteil am öffentlichen Leben des Bezirks. Die Kreisläufe der Kommunikation sind unterbrochen, Erstarrung macht sich breit.

Wie sieht es mit dem Kreislauf des Wirtschaftens aus? Der Bürgermeister Franz Schulz sagt:  „Der Kreislauf, dass Hauseigentümer mit dem Kauf und der Sanierung ihrer Häuser Profit machen können, muss unterbrochen werden“ (tip Nr. 08/2009, S. 8). Man lese diesen Satz zwei Mal! Mit Kauf und Sanierung von Häusern soll kein Profit gemacht werden – sondern, ja was? Verlust? Ein Nullsummenspiel? Ja, warum sollte dann überhaupt jemand sein Haus sanieren, wenn er damit nicht Geld verdienen kann?

Zu dem egoistischen Moralismus der Buttersäure-Werfer tritt also nun noch ein rabiater Dünkel gegen das Profitstreben. Mittelalterlichen Bußpredigern gleich, verwirft der Bürgermeister das Streben nach Gewinn, nach Besserung der Wohn- und Arbeitsverhältnisse. Alle sollen im Grunde von einer Art Subsistenzwirtschaft leben, z.B. von Hartz IV. Entwicklung wird abgelehnt. Das christliche Zinsverbot lässt grüßen, übermäßiger Gewinn galt bekanntlich als böse und wurde nur den Juden zugestanden. Es soll alles beim alten bleiben.

Lest selbst aus dem Bericht in der FAZ vom 3. April 2009, macht euch ein Bild. Vor allem: Versucht über den Tellerrand hinauszublicken, sprecht mit Kreuzberger Bürgern, den deutschen und den türkischen!

Aufstieg: Kreuzberg wird immer schicker – Hintergründe – Gesellschaft – FAZ.NET
Kreuzberg-Friedrichshain aber bildet eine eigene Kategorie: Die soziale Belastung ist hoch, aber insgesamt entwickelt sich der Bezirk günstig. Er hat die höchste Bevölkerungsdichte: Auf einem Hektar wohnen 217 Personen. Er gewann am stärksten an Bevölkerung: 12,6 Prozent zwischen 2002 und 2006. Seine Haushaltsgröße ist am kleinsten: 1,55 Personen (1,8 in Berlin). Er verlor viele Kinder (41 Prozent) unter sechs Jahren, hat aber anteilsmäßig die wenigsten Rentner und Pensionäre: 12,4 Prozent (22,5 in Berlin). Die Ausländerquote von Kreuzberg-Friedrichshain ist die zweithöchste Berlins: 23,23 Prozent. Der Bezirk hat die niedrigste Quote von abhängig Erwerbstätigen (59,7 Prozent, Berlin: 66,9), aber den höchsten Abiturientenanteil (45 Prozent). Die Arbeitslosenquote sank zwischen 2002 und 2006 um 6,4 Punkte. Das Pro-Kopf-Einkommen gehört zu den niedrigsten in Berlin: 825 Euro im Monat, nur in Mitte ist es niedriger – 800 Euro. In den Quartieren Wassertorplatz, Askanischer Platz, Mehring-, Oranien- und Moritzplatz leben die meisten Kinder in Hartz-IV-Haushalten, mehr als 70 Prozent. Die Lebenserwartung ist die niedrigste, 80,7 Jahre (statt 82) bei Frauen, 74,4 bei Männern (76,7 in Berlin).

So weit die Daten des Elends. Anders sieht es beim „Statusindex“ aus, der vor allem die Wanderungsbewegungen und die Schul- und Ausbildungsabschlüsse abbildet: Demnach sind die statushöchsten Bezirke Pankow und Kreuzberg-Friedrichshain. Letzterer gehört zu den vier Berliner Bezirken, in denen mehr als 70 Prozent der Bevölkerung in Gebieten mit überdurchschnittlich günstiger Sozialstruktur leben.

 Posted by at 21:47
Apr 042009
 

baden-baden03042009.jpg Nachdem wir schon vor einigen Tagen recht schroff die Abwrackprämie als „Kopf-aus-Motor-an“-Maßnahme gegeißelt hatten, langen nun – endlich! –  auch andere Kommentatoren heftiger zu. In der heutigen Welt heißt es etwa aus der Feder von Berthold Seewald:

Den ersten Prämientopf haben die Deutschen schon leer gekauft. Nun hebt der Streit an, unter welchen Bedingungen der nächste verteilt wird. Der Erfolg der Abwrackprämie in Deutschland ist Ausdruck eines unbegrenzten Anspruchsdenkens und zeigt, dass Eigenverantwortung längst einem Vulgärsozialismus geopfert wurde. […]
Mit ihrer Popularität weist die Abwrackprämie aber auch auf ein anderes Problem hin: das Vertrauen der Deutschen in einen Staat, der sich nicht im Schaffen von Rahmenbedingungen erschöpft, sondern in konkreten Leistungen. Deren Bogen spannt sich von den Sozialversicherungen Bismarckscher Prägung, die die meisten Zeitgenossen mit Staatsleistungen verwechseln, bis hin zu Geschenken, die zu Fetischen der Sozialstaatsdebatte geworden sind: Wohnbau Förderprämie, Pendlerpauschale, Kinder- oder Elterngeld, von Hartz IV ganz zu schweigen.

Und die FAZ entkräftet ein weiteres Argument für die Verschrottungsgprämie:

Automobile: Widerstand gegen die Abwrackprämie wächst – Autokrise – Wirtschaft – FAZ.NET
Die beiden CDU-Politiker widersprachen dem Argument, die Hilfe finanziere sich durch die mit dem Neuwagenkauf gezahlte Mehrwertsteuer von selbst. „Da bekanntlich jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann, handelt es sich bei der vermeintlichen Selbstfinanzierung durch Mehrwertsteuereinnahmen um eine Milchmädchenrechnung.“ Die zusätzlichen Ausgaben der privaten Haushalte für Neuwagen fielen an anderer Stelle weg – und damit auch die damit verbundenen Umsatzsteuern. „Der momentane Ansturm in den Autohäusern klingt nach erfolgreicher Konjunkturpolitik, ist bei Lichte betrachtet aber bloß ein teures Strohfeuer, das unseren Verstand nicht blenden sollte.“ Auch die ökologische Lenkungswirkung weist ihrer Einschätzung nach in die Irre. „Die klimapolitische Bilanz etwa beim Austausch alter Heizkessel oder stromfressender Kühlschränke dürfte größer sein. Wollen wir dafür als Nächstes ebenfalls Gutscheine verkaufen?“

Ich meine: Das vorherrschende Mitnahmedenken wird durch die Abwrackprämie bedient wie durch vieles andere auch.  Man nimmt vom Staat, was man kriegen kann, der Staat wiederum erwirbt sich Stillhalten und Nichteinmischung der solchermaßen „gestillten“ Bürger. Das ist verderblich. Denn es lähmt die Initiative. Die Abwrackprämie stellt darüber hinaus die Weichen in der Verkehrspolitik völlig falsch.

Wir brauchen den intermodalen Wettbewerb und den fairen, kostengerechten Ausgleich zwischen Schiene, Auto, Fahrrad, Zu-Fuß-Gehen, Öffentlichem Nahverkehr. Derartige grundlose Prämien verzerren den Wettbewerb zu Lasten der Umwelt, zu Lasten der Lebensqualität in den Städten, zu Lasten der Marktordnung. Also weg damit. Ähnliches wäre über die Opel-Beihilfeverlockungen zu sagen.

Unser Bild zeigt das weitgehend autofreie, beschauliche Baden-Baden am heutigen Tage.  Die Straßen gewinnen ohne Autoverkehr eine ganz neue Qualität!

 Posted by at 00:31
Apr 032009
 

  „Here, towards the end, the three players suddenly turn against the cellist. They condemn him, chasing him as a scapegoat. Haven’t you seen and heard that? Here, music is transformed into an archaic ritual. It is no longer a set-piece convention. It is utterly exciting, it goes right into your bone-marrow.“ Solcherlei Reden schwang ich am vergangenen Montag, als mich einige Mithörer ratlos befragten. Wir hörten ein weiteres Konzert des Artemis Quartetts. Rechts neben mir saß ein Österreicher, der drei Freunde aus Mauritius in den Kammermusiksaal der Philharmonie eingeladen hatte. Neben mir saß – eine Russin wie so oft.

„Na, mit dem Quartettsatz c-moll D 703 und dem Streichqartett a-moll Rosamunde sind Sie doch gut bedient und wie zuhause obendrein als Österreicher“, schmeichelte ich mich ein. „Freilich“, erwiderte mein netter Nachbar, „aber ich bin West-Österreicher. Mit dem ganzen Osten haben wir immer Schwierigkeiten gehabt. Das Völkergemisch ab Wien war für uns der Vorläufer des Balkans. Und der Schubert Franzl ist einer von denen.“ „Ja, was denn, habt auch ihr Österreicher die Ost-West-Spaltung noch nicht überwunden?“, frug ich listig zurück.

Wie auch immer: Alles war bestens vorbereitet. Das 4. Streichquartett und das 3. Streichquartett von Jörg Widmann überraschten die Zuhörer dann aber doch.

Das 4. Quartett beginnt mit Atemgeräuschen, die Bögen streichen über die Zargen, fahle Nicht-Musik gerinnt zu Klang, wird Musik. Großartig! Das Verfeinertste bricht sich selbst unvermittelt im Grob-Stofflichen. „Klang ohne Bezug auf anderes, etwa der bloße Ton einer Violin“, schreibt Kant in seiner Kritik der Urteilskraft, „darf nicht eigentlich schön geheißen werden, da ihm das hinzutretende Empfinden von Maß und Ordnung fehlt, welches ein Geschmacksurteil allererst möglich macht.“ So erinnere ich mich bei ihm gelesen zu haben.

Der bloße Ton einer Violin, einer Viola, eines Violoncells, eines Atems, eines Schreis, das ist es, woraus Jörg Widmann die üppig sprießenden Blumen seiner Kunst erwachsen lässt. Ich war hingerissen, die Männer aus Mauritius waren befremdet, die Russin neben mir war entzückt, der Österreicher enthielt sich salomonisch des Urteils und sagte: „Das ist Musik für Kenner“.

Widmann schafft es, in die Ausreiß-Versuche aus den letzten drei Jahrhunderten Musik den Ton des Neuen, des Uralten einzuflechten. Beim Zuhören musste ich an die Felsmalereien in Lascaux denken, steinzeitliche Jäger haben dort ihre Rituale des Versammelns, Hetzens, Stoßens und Tötens eingeritzt. So ist auch Widmanns 3. Streichquartett eine Art Einritzung in die Gehörnerven. Der Komponist sagt:

„Beim Betrachten der Partitur des 4. Streichquartetts ergibt sich der Eindruck eines dicht gedrängten Stückes. Die Informationsdichte einer jeden Stimme ist extrem hoch, da verschiedene Spieltechniken links und rechts gleichzeitig ausgeführt werden müssen und jeder Spieler zugleich noch eine ‚Atem-Partitur‘ auszuführen hat.“

Das bedeutet doch wohl: Der letzte Sinn der Musik erschließt sich erst beim Betrachten der Partitur und beim Betrachten der Musiker, wie sie das Ganze in Szene setzen. Es ist Musik auch für die Augen, wie es etwa im 16. Jahrhundert einige Madrigalkomponisten bezweckten. Widmann bettet die reiche Tradition des Streichquartetts in den Ursprung zurück: in Spiel, magisches Ritual, in den körperlich-geistlichen Vollzug.

Natalia Prishepenko und Gregor Sigl an der Violin, Friedemann Weigle an der Viola, Eckart Runge am Violoncell – sie boten uns erneut einen beeindruckenden Abend, wie schon am 28.01.2009,  worüber wir in diesem Blog berichteten.

Es hat sich ein Publikum um dieses Artemis Quartett gebildet, welches jeden Atemzug der vier neugierig, staunend, hingerissen aufsaugt. Die Reihe muss fortgesetzt werden. Die Jagd geht weiter!

 Posted by at 23:55