Apr. 092009
 

Wir bekommen regelmäßig die Elternbriefe des Arbeitskreises Neue Erziehung e.V. (ANE) zugeschickt. Ich lese sie alle, diese vierseitig eng bedruckten klugen Anleitungen und Handreichungen. Die meisten Ratschläge sind nicht falsch, sie spiegeln den Konsens der Fachwelt wider.

Die Briefe erscheinen nicht nur in Deutsch, sondern auch in Türkisch. Denn obwohl die allermeisten Türken schon seit drei oder vier Generationen in Berlin leben, kommt man in der Landessprache Deutsch einfach nicht richtig an sie heran. So meinen es offenbar viele im Amt. So verhalten sich meine türkischen Miteltern. So sehen es viele in den Fachkreisen und verschicken die Briefe lieber gleich in Türkisch.

Den Türken wird es also nicht zugetraut und nicht zugemutet, innerhalb von 30 oder 40 Jahren die deutsche Sprache zu erlernen. Deshalb auch die Elternbriefe auf Türkisch. Die Bosnier, Russen, Vietnamesen, die erst seit kurzem in Berlin leben, werden offenbar nicht der Aufmerksamkeit wert erachtet. Die müssen schon selber schauen, wie sie zurechtkommen.

Was sagen die Elternbiefe zum Thema Zweisprachigkeit? Wir lesen:

Canan’ın iki dilli yetişeceği, hem Türkçe, hem Almanca öğreneceği konusunda Oktay’la baştan beri görüş birliği içindeydik. Evde yalnız Türkçe konuşarak önce doğru dürüst anadilini, sonra yuvada ve okulda Almanca öğrenmesine karar vermiştik.

Diese beiden vorbildlichen türkischen Eltern unterhalten sich also darüber, dass es zunächst einmal darauf ankomme, Canan (die beiden haben nur ein einziges Kind!) die türkische Muttersprache ordentlich beizubringen, in Kindergarten und Schule werde dann rechtzeitig noch Deutsch hinzukommen. Sogar der Vater kümmert sich um die Erziehung, toll, toll, toll! Im gesamten weiteren Brief wird vorgeschwärmt, wie toll es läuft, wie einfach und bereichernd es ist, zwei verschiedene Sprachen zu lernen. Aber bitte das Türkische pflegen, denn Deutsch kommt ja später von allein! Das besorgen Kindergarten und Schule wie von Zauberhand.

Erst einmal Türkisch, später dann irgendwie Deutsch!

Ich halte das für einen aberwitzigen Irrweg. Einen Irrweg, der, unterstützt von Ministerien, Ämtern und Wissenschaftlern, weiterhin kostenlos frei Haus geliefert wird – jährlich in Millionen Exemplaren.

Die Pädagogen unterstützen die Türken in ihrem Sonderstatus, indem sie sie nachdrücklich zur Zweitrangigkeit des Deutschen ermuntern.

Leute, Freunde, Fachleute, hört mich als alten Kreuzberger Vater und Schrumpfgermanen an: Es klappt einfach nicht. So geht das nicht. Durch den absoluten Vorrang des Türkischen als der eigentlichen Muttersprache zementiert ihr eure Kinder hier in Deutschland in einem Sonderstatus ein, der sie chancenlos macht.

Ich bin im Gegenteil der Meinung: Man muss die türkischen Eltern ermuntern, dass ihre Kinder vom ersten Lebenstag an gutes, sinnvolles Deutsch erlernen. Eine zweite Sprache – etwa die Muttersprache der Eltern – ist höchst wünschenswert, denn jede Sprache bereichert uns. Wie heißt es doch so schön auf Kreuzbergisch? Bir lisan, bir insan!

Jede und jeder kann es schaffen! Auch wenn es schwerfällt. Jeder kann es schaffen, um 7.30 Uhr aufzustehen. Jede und jeder, der seit der Geburt 6 Jahre in Deutschland lebt, kann so gut Deutsch lernen, dass es für einen sinnvollen Grundschulunterricht reicht. Das können wir erwarten, das müssen wir einfordern.

Wir brauchen klare, einfache Botschaften. Botschaften, die wiederholt werden müssen. Beispiel Fernsehen:  In vielen türkischen und arabischen Familien läuft ständig das türkische oder arabische Fernsehen. Wie sollen die Kinder da Ruhe finden, um ihre Spiele zu spielen? Um Hausaufgaben zu machen? Wie sollen die Kinder so hineinwachsen in ihr deutsches Sprachgefühl, wenn sie Tag und Nacht nur von vorgefertigten kommerziellen Programmen aus der alten „Heimat“ umspült werden? Die Fernsehberieselung führt auch zu Aufmerksamkeitsstörungen.

Nun könnte man fragen: Sollen wir in unserem multiethnischen Deutschland dem Modell der Vielvölkerstaaten Sowjetunion oder Türkei nacheifern? In der Republik Türkei wurde gleich nach der Gründung dieses multiethnischen Staates das Türkische mit brachialer Gewalt durchgesetzt, der öffentliche Gebrauch der Minderheitensprachen – etwa Kurdisch oder Armenisch –  wurde verboten und unter Strafe gestellt. Ähnlich verfuhr man in der UDSSR. Der weise und gute Staatsgründer, der verehrte Vater der Türken, Atatürk erkannte, dass eine gemeinsame Sprache und eine gemeinsame Schrift für den Zusammenhalt der Gesellschaft unerlässlich sind. Atatürk kümmerte sich höchstpersönlich um eine normierte, im ganzen Land verbindlich vorgeschriebene Einheitssprache und setzte diese mit allen juristischen und polizeilichen Mitteln durch.

Und ich hatte selbst vor wenigen Monaten Gelegenheit, den Aufsatz Stalins über die russische Grammatik aus dem Jahr 1940  in Händen zu halten. In der Türkei und in der UDSSR ist es gelungen, eine Landessprache überall gewaltsam, mit diktatorischen Mitteln durchzusetzen, sodass Benachteiligungen aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nach kurzer Zeit verschwunden waren.

Anders bei uns in Deutschland. Der deutsche Staat bestärkt die türkischen und arabischen Eltern immer noch in ihrem Sonderstatus als „Migranten.“ Ein grotesker, teurer, folgenschwerer Irrtum. So steigt die Zahl der Migrantenkinder trotz sehr geringer Zuwanderung ins Unermessliche, während meine deutschen Miteltern sich völlig verängstigt und hilflos in die Büsche schlagen. Das migrantenarme Pankow leidet an zu vielen deutschen Kindern der zuströmenden deutschen Migranten, so kann man heute in der Zeitung lesen. Unser kulturell so reiches Kreuzberg sucht sie mit der Lupe! Ich bin somit der letzte Teutone, der letzte Schrumpfgermane in der Kreuzberger Regelschule geworden.

Eine solche brutale Sprachdiktatur wie in der Türkei oder der früheren Sowjetunion hielte ich jedoch für grundfalsch. Im Gegenteil: Der deutsche Staat sollte alle Bürger weiterhin wie bisher ermuntern, neben dem Deutschen nach Möglichkeit noch eine oder mehrere andere Sprachen zu pflegen. Aber noch wichtiger ist es, die Eltern von Anfang dazu anzuhalten, den Kindern zuerst und mit Vorrang die Landessprache beizubringen. In Deutschland ist dies Deutsch, auch in den geschlossen sorbischen und den geschlossen türkisch-arabischen Siedlungsgebieten. In der Türkei ist es Türkisch – auch in den geschlossen kurdischen Gebieten.

Dabei sollte man ruhig zu plakativen Mitteln greifen. Ich erinnere mich an ein Plakat aus der DDR: Auch DU hältst die Küche sauber, Genosse!

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Hätte ich das doch damals in meiner Kindheit öfter gehört und gesehen – ich wäre ein ordentlicherer Mensch in der Küche geworden und meine Frau brauchte nicht so viel auf mich zu schimpfen. Dabei gebe ich niemandem die Schuld. Ich habe mich bisher nicht zu einem erzogen, der jederzeit die Küche sauber hält. Mein Bruder hat es geschafft, ich nicht. Aber ich arbeite daran.

Und so muss man den Türken Plakate vor die Nase setzen: „Auch dein Kind muss Deutsch lernen.“ So oder so ähnlich muss es klingen und singen.

Einfache Anweisungen sind nötig. Nicht lange Abhandlungen, sondern Propaganda, Plakate, Handzettel, oder auch Kartenspiele mit einprägsamen, einfachen Botschaften. Wie etwa:

„Erst Hausaufgaben – dann spielen!“

„Jeden Abend ein deutsches Buch vorlesen – und dein Kind kommt mit!“

„Lernt deutsche Kindergedichte, singt deutsche Kinderlieder!“

„Nicht mehr als 1 Stunde Fernsehen am Tag!“

„Gutes Deutsch ist der Schatz, den du deinem Kind schenken kannst.“

 Posted by at 14:35

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