Zeichen der Aussöhnung setzen!

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Jan 262012
 

Vor 20 Jahren erfuhr ich zum ersten Mal von dem Massenmord, den Massenvertreibungen der Armenier während der Osmanenherrschaft in den Jahren ab 1915. Freunde schenkten mir damals im italienischen Bari zum Geburstag Franz Werfels Roman „Die vierzig Tage des Musa Dagh“, den ich allerdings nie von der ersten zur letzten Seite las, weil er mir zu viele Grausamkeiten enthält.

Später sah ich den Film Aghet, traf ich immer wieder französische und amerikanische Armenier, die mir persönliche Schicksale erzählten. Hier ist wirklich ein Volk unter brutalsten Bedingungen zum großen Teil ausgelöscht worden.

In der Türkei wurden durch das Denkmal des bekannten Mit-Kreuzbergers Mehmet Aksoy bei Kars kraftvolle Zeichen der Versöhnung zwischen den ehemals verfeindeten Völkern ausgesendet. Wir sind und bleiben halt doch die Guten, wir Kreuzberger!

Gute Initiative,  dass jetzt viele Dokumente zum Völkermord an den Armeniern online gestellt worden sind! Die Forschung ist noch keineswegs abgeschlossen. Gut, dass auch in Deutschland mittlerweile die deutsche Mitwisserschaft (Mittäterschaft?) offen angesprochen wird! Wann folgen Österreich und Bulgarien nach? Sie waren doch ebenfalls Verbündete der Osmanen, ihnen lag nichts daran, die gegen die Armenier begangenen Greueltaten zu verhindern. 

Dennoch bin ich – ebenso wie seinerzeit Hrant Dink, der vor seiner Ermordung sagte, er werde als erster in Paris gegen das Gesetz demonstrieren –  gegen das strafrechtlich bewehrte Genozidleugnungsverbotsgesetz, wie es jetzt in Frankreich verabschiedet worden ist. Ich halte das Gesetz für nicht zielführend. Meinungen kann man nicht bestrafen! Dann könnte man auch die GULAG-Leugnung unter Strafe stellen, dann kann man ja gleich auch die Holodomor- oder Katyn-Leugnung, die Leugnung der französischen Kolonialgreuel in Algerien  strafrechtlich verbieten.

Das Äußern einer Meinung unter Strafe zu stellen, halte ich stets für falsch. Ich bin da ein geschworener Anhänger des US-amerikanischen Free-Speech-Act, und ich bleibe ein Anhänger Galileo Galileis.

Also: Wir brauchen noch mehr Forschung, mehr Dokumentation, mehr internationale Kooperation zwischen Armenien, Türkei, Österreich, Bulgarien, Deutschland, mehr Aufklärung im Schulunterricht, sowohl in der Türkei selbst wie auch in Deutschland, wo fast ideale Bedingungen zur Aufarbeitung des Massenmords bestehen. Die Schulbücher Brandenburgs setzten da ebenfalls wie Mehmet Aksoy ein wichtiges Zeichen.

http://www.armenocide.de/

La loi sur le génocide divise les intellectuels turcs – LeMonde.fr

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Park am Gleisdreieck – die große Versöhnung

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Sep 022011
 

Seit 29 Jahren kenne und besuche ich immer wieder das Gelände am Gleisdreieck. Ursprünglich noch als Autobahn geplant, fiel das verkrautete riesige Areal in einen Misch- und Dämmerzustand. Ölige schwere Erde stieg in die Nüstern. Verschattete Schuppen träumten mit gähnenden Fensterlöchern vor sich hin. Kleinjungenhaft strolchten wir über die 14 Brücken über die Yorckstraßen. An der Hornstraße wohnte ich ab 1983.

Heute konnte ich es nicht erwarten, den neu freigegebenen Park zu besichtigen. Ach was, besichtigen! Ich nahm ihn mit Dutzenden andern in Besitz, erahnte die Weite, ließ mich dahintreiben, dahinziehen, von Busch zu Busch. O roh behauene Bänke, o sandig getönte Wege, o Gleise, die stumpf im Kraut enden, o Rosenduft zwischen letzten Terpentinaromen.

Eine grandiose Anlage, die zu erschließen mir pures Glück bereitet hat. Ein begeisterndes, begehbares Geschenk, das Bürgerwille und großzügige Zahlungen der Investoren ermöglicht haben. Eine überwältigende Versöhnung von Naturschutz und Politik, von Mensch und Technik, von Land und Stadt!

Park am Gleisdreieck 02 09 2011 – YouTube

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„Schuld kann vergeben werden“ (2)

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Aug 112011
 

„Sprecht euch aus, reicht euch die Hand, verzeiht einander, arkadaşlar!“, riet vorgestern das arme Kreuzberger Blog den beiden Mitbürgern Oguzhan und Özcan. Genau das haben sie jetzt gemacht. Lest im Leitmedium des Versöhnungsdialogs, in Springers BZ:

Curry-Zoff: Frieden im Berliner Currywurst-Streit – B.Z. Berlin – Özcan Mutlu,Imbiss,Currywurst,Beleidung,Körperverletzung
Nach dem Streit am Imbiss reichten sich Verkäufer Oguzhan K. und Grünen-Politiker Özcan Mutlu die Hand.

Vorbildlich ist zweifellos Oguzhans Erklärung: „Genau wie Herr Mutlu meine religiöse Überzeugung und mein Fasten akzeptiert, akzeptiere auch ich seine Einstellung, im Ramadan Currywurst zu essen. Ich bin auch nicht der Vorzeige-Moslem.“

Was bleibt vom Currywurststreit? Nun, der Streit zwischen Oguzhan und Özcan ist höchst symptomatisch. In manchen arabischen und türkischen Gemeinden Berlins hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten ein starker Assimilationsdruck aufgebaut: „Verhalte dich wie ein richtiger Türke! Kleide dich wie eine anständige Muslima! Zieh dich anständig an! So wie du angezogen bist, läuft nur eine SCHLAMPE herum! Werdet endlich ehrbare  Türken, anständige Muslime! Haltet euch an unsere Vorschriften!“

Für die vielen Berliner Schulen mit muslimischer Schülermehrheit stellt sich weiterhin das Thema „Umgang mit den nichtmuslimischen Minderheiten“. Die deutschen Nichtmuslime haben sich daran gewöhnt, an vielen Berliner Schulen hoffnungslos in der Minderzahl zu sein. Ich meine: Die nichtmuslimischen Minderheiten an den Berliner muslimisch dominierten Schulen müssen die Möglichkeit bekommen, das zu essen, was sie wollen, und zwar ohne ständig angemacht, verspottet und ausgegrenzt zu werden. Der Schulbetrieb im Ramadan leidet an vielen Berliner Schulen häufig an den zu streng ausgelegten Ramadan-Vorschriften: Viele muslimische Kinder essen und trinken tagsüber nichts, sind übermüdet und können auch deswegen dem Unterricht nicht folgen. Darüber sollte man mal öffentlich reden. Das tut aber öffentlich fast niemand. Der Abgeordnete Mutlu sollte damit anfangen. Wenn dieses Thema – nämlich das Thema muslimische Intoleranz gegenüber Currywurstessern, Juden, Deutschen, Homosexuellen, emanzipierten Frauen  – weiterhin so peinlichst wie bisher vermieden wird, wird der ganze hochtrabende Diskurs über Integration nicht weiterkommen.

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„„Schuld kann vergeben werden“

 Joseph und seine Brüder, Koran, Religionen, Versöhnung  Kommentare deaktiviert für „„Schuld kann vergeben werden“
Aug 092011
 

„Reicht euch doch die Hand, sprecht euch aus, arkadaşlar“, – denn Versöhnung ist möglich, auch zwischen einem deutschen Aleviten und einem strenggläubigen Currywurstverkäufer. So dachte ich gestern.

Schuld kann vergeben werden, das ist eine wichtige Erfahrung für Männer. Versöhnung – ein großes Thema! Der biblische Joseph und auch der Yussuf des Koran stehen für diesen großen, das ganze Leben umfassenden Versöhnungszusammenhang. Darauf wies gestern auch Margot Käßmann in der BZ auf S. 16 hin – in genau jener Ausgabe, die den argen Zwist zwischen Oguzhan und Özcan, den Brüdern aus türkischem Stamm, berichtet hat.

 B.Z. Gesprach: „Schuld kann vergeben werden“ – B.Z. Berlin – Kultur, Margot Käßmann, Josefsgeschichte
Das ist „Gnade“: zurückblicken, etwas sehr ungerecht finden und am Ende ist es doch gut, Teil deiner Lebensgeschichte. Und Schuld kann vergeben werden, das ist eine wichtige Erfahrung für ein Kind.

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Mai 252011
 

„Immer sind die anderen schuld.“ Dies ist das Ergebnis unserer langjährigen philosophisch-politischen Betrachtungen.

Ich habe noch von keiner der 5 großen Berliner Parteien das Anerkenntnis gehört:  „OK Jungs. Wir geben es zu. Wir waren dabei. Wir haben mitgemacht und haben kräftig davon profitiert.“

In meinen kühnsten Entwürfen hab ich mir mal gewünscht, dass eine Partei oder alle Parteien den Mut fänden, etwa folgendes zu erklären:

Mitschuld an Schulden eingestehen – um Vertrauen werben!

Wir vertrauen dem Menschen und wir bitten um das Vertrauen der Menschen. 

Wir bekennen uns darum als Berliner Partei XYZ ausdrücklich und feierlich zu unserer wesentlichen Mitschuld an dem heutigen Zustand des Landeshaushaltes.  Denn auch die Berliner Landesregierungen und die Bezirksregierungen mit [setze deinen Parteinamen ein!] XYZ-Beteiligung haben die bekannten, seit 1989 absehbaren Fehlsteuerungen nicht verhindert, sondern waren ein tragender Teil davon. Allzu leichtfertig sind wir mit öffentlichem Geld umgegangen. Wir haben staatliche Mittel im Übermaß verteilt und zu viele ungedeckte Sicherheiten und Bürgschaften auf die Zukunft ausgeschrieben. Wir erklären hiermit entschlossen unseren Abschied vom alten Muster der staatsverquickten Verteilungspolitik, wie sie sich in beiden Hälften der Stadt Berlin auf so unverantwortliche Weise seit dem Mauerbau am 13. August 1961 über Jahrzehnte hinweg herausgebildet hat.

Die alte Verteilungspolitik, die bekannte Günstlingswirtschaft, der bürgerverhätschelnde Staatssozialismus, an dem die Stadt heute noch leidet, ist nicht mehr der Weg der Berliner Partei XYZ.

Stattdessen werden wir die Bürger ermutigen, ihr Schicksal im Geist der großartigen friedlichen Revolution von 1989 in die eigene Hand zu nehmen. Wir wollen, dass die Menschen für ihr Wohlergehen selber arbeiten statt weiterhin wie gewohnt die Segnungen und Vergünstigungen des bemutternden Staates einzufordern. Wir setzen unser Vertrauen nicht vorrangig in die Regelungsmechanismen des Staates, sondern in die Kreativität, den Fleiß und die Tatkraft der Menschen.

Die Bürger sollen sich ihre Stadt vom verwöhnend-ohnmächtigen und deshalb bis zur Halskrause verschuldeten Staat zurückholen. Leistung, Gemeinsinn, Redlichkeit, die persönliche Verantwortung des Einzelmenschen und der Familien, der Respekt voreinander, die Fürsorge der Menschen füreinander, die jüdische, christliche, muslimische und atheistisch-humanistische Nächstenliebe, die Einhaltung der Regeln des zivilen Zusammenlebens: zu diesen Tugenden und Grundwerten bekennen wir uns hiermit als die XYZ-Partei Berlins. Aus diesen grundlegenden Elementen wird die lebendige, die starke Bürgergesellschaft unserer gemeinsamen, zu unserem Glück nicht mehr geteilten Stadt zusammenwachsen.  

Daran glauben wir. Dafür arbeiten wir. Dafür treten wir im Dienst des Gemeinwohls an. An diesen Werten wollen wir gemessen werden.

Ob wohl irgendeine Partei in Berlin sich finden wird, die ein derartiges Bekenntnis ablegt? Mich würde es sehr freuen! Die Berliner würde es auch freuen!

Und diese Partei – die es leider nicht zu geben scheint – würde auf einen Satz 7-8% zulegen. Sie würde mit Sicherheit in die nächste Stadtregierung gelangen.

Also – Berliner Parteien! Gebt euch einen Ruck! Warum nicht einmal eigene Schuld an Schulden eingestehen, wenn’s der Machterweiterung dient?

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Apr 252011
 

„Lassen Sie uns in den kommenden Monaten gemeinsam mit vielen anderen Menschen für die fundamentalen Werte unserer Partei, für Freiheit und Verantwortung arbeiten.“

So schrieb ich vor wenigen Tagen in meinem Osterbrief an die Mitglieder des kleinen Ortsverbandes der kleinen Kreuzberger Splitterpartei, dem ich seit wenigen Wochen als schwacher Vorsitzender diene. Sind dies hohltönende, phrasenhafte, abgedroschene, muffige Worte?

Freiheit und Verantwortung – das halte ich in der Tat für ein äußerst wichtiges Pärchen! Oder sagen wir: ein jederzeit vom Streit bedrohtes Ehepaar, – wobei beide allerdings unlösbar aufeinander angewiesen sind. Freiheit und Verantwortung – klingt das muffig? Ich meine: nicht unbedingt. Und zwar dann nicht, wenn man die beiden Werte nicht auf andere abschiebt, sondern bei sich selbst anfängt und dann sofort beim Nächsten besten oder auch beim Nächsten, der ja immer der Beste ist, weitermacht.

Die beiden Werte fasse ich also personal und nicht struktural. Ich setze beim Menschen an, nicht bei der großen Politik. Ich setze ganz unten bei der Person an, nicht ganz oben bei der Institution. Und am allerwenigsten setze ich beim Staat an. Der Staat kommt erst zum Schluss. Zuerst kommt die Person und ihre Beziehung zu anderen Personen: die Familie, dann die Gemeinschaft in mancherlei Gestalt, dann die Gesellschaft in mancherlei Gestalt, und zuletzt kommt der Staat. Bei Schwierigkeiten ist stets zunächst der einzelne gefordert, dann die Familie, dann die Gemeinde in mancherlei Gestalt, und zuletzt der Staat. Der Einzelne, die Familie, die Gemeinde, die Gesellschaft, der Staat – diese Größen treten in mancherlei spannungsvolle Wechselbeziehung. Sie mögen auch in offenen Konflikt geraten. Dann gilt es zu vermitteln, zu schlichten, zu versöhnen. Dabei muss das eine vom anderen her gedacht werden. Die einzelne, also das Kind, wird ohne die Hilfe der Familie oder ersatzweise bzw. ergänzend der sorgenden Gemeinschaft nicht überleben, geschweige denn erwachsen werden. Die Familie wird ohne den stützenden Rahmen der höherstufigen Institutionen unrettbar im Überlebenskampf verstrickt sein.

Entscheidend bleibt für mich: Der Staat ist nichts Erstes. Das Erste, der Grundanker ist die Freiheit und die Verantwortung der Person. Diesen Grundanker-Werten dient der Staat. Kindererziehung bedeutet nichts anderes, als die Kinder nach und nach so weit zu führen, dass sie schrittweise mündig werden und ohne dauernde fremde Hilfe, vor allem ohne dauernde staatliche Hilfe dieses Paar der Werte nachleben können.

Ich versuche das Pärchen mal weniger muffig auszudrücken, es sozusagen auf eine Versöhnungsformel zu bringen:

Ich traue dir. Du traust mir. Vertraue dir selbst. Vertraue dem anderen Menschen. Sorge für einen anderen Menschen oder für deine nächsten Mitmenschen, das wird auch deinem Leben einen Sinn geben. Befreie dich und andere aus der falschen Abhängigkeit vom Staat. Sei frei. Kümmere dich. Ich trau es dir zu!

Weit besser, weit überzeugender, weit weniger muffig als ich drückt es Claudia Keller soeben im Tagesspiegel aus:

Ostern: Das Fest der Freiheit – Glaube und Unglaube – Kultur – Tagesspiegel
Freiheit bedeutet nicht nur, Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen, sondern auch Verantwortung für die anderen. Jesus und seine Jünger wollten Freiheit nicht wie die Herodes’ dieser Welt, um ihr eigenes Leben oder das ihrer Clique angenehmer zu machen, sondern auch das der anderen. Martin Luther hat die Spannung zwischen Freiheit und Verantwortung so formuliert: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan.“ Das kann ganz schön einsam machen. Denn wer will schon diese Anstrengungen auf sich nehmen?

Bild: Blick auf den Marktplatz in Wittenberg, aufgenommen im September 2010

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Darf man stolz darauf sein, ein US-Amerikaner zu sein?

 Das Böse, Deutschstunde, Person, Selbsthaß, Tugend, Vergangenheitsbewältigung, Versöhnung, Vorbildlichkeit  Kommentare deaktiviert für Darf man stolz darauf sein, ein US-Amerikaner zu sein?
Jan 272011
 

Merkwürdig: genau derselbe Mann, der sich 1946 in Köln zu Gefühlen tiefster Scham bekannte, spricht wenige Sätze weiter davon, jetzt wieder stolz zu sein:

„Aber jetzt, jetzt bin ich wieder stolz darauf, ein Deutscher zu sein. Ich bin so stolz darauf, wie ich es nie zuvor, auch nicht vor 1933 und nicht vor 1914 gewesen bin. Ich bin stolz auf den Starkmut, mit dem das deutsche Volk sein Schicksal erträgt, stolz darauf, wie jeder einzelne duldet und nicht verzweifelt, wie er versucht, nicht unterzugehen, sich und die Seinigen aus diesem Elend hinüberzuretten in eine bessere Zukunft.“

Die Scham des Mannes in Köln bezog sich auf das Vergangene. Scham befällt den Menschen angesichts des Bösen, dessen Zeuge er wird, angesichts des Bösen, das er nicht verhindern kann oder des Bösen, das er selbst getan hat.

Stolz ist demgegenüber das Bewusstsein der eigenen Fähigkeiten. Stolz kann sich aus der Erinnerung an das Gute nähren, das auch gewesen ist. Stolz in diesem guten Sinne kann eine enorm beflügelnde, zum Guten anstiftende Macht sein.  Stolz im guten Sinne kann sich aus Scham speisen, kann Zeichen der Einsicht in Verfehlungen, kann Zeichen der Umkehr sein. Bewusstsein des Guten, das in der Geschichte auch gewesen ist, halte ich für unverzichtbar. Wenn man die eigene Vorgeschichte nur unter dem Vorzeichen des Bösen sieht, wird man keine Kraft zur Bewältigung der Zukunft haben.

Die Vorfahren der heutigen US-Amerikaner haben Millionen Menschen der ersten Nationen vertrieben, bekämpft, umgebracht. Im Deutschen nennen wir diese Millionen Vertriebenen, Bekämpften, Umgebrachten, diese Menschen der ersten Nationen weiterhin Indianer.

Kein US-Amerikaner, der bei Sinnen ist, leugnet das Böse, das geschehen ist, leugnet das blutige Morden. Aber das Volk der Vereinigten Staaten von Amerika als ganzes ist nicht verstrickt und befangen in diesen Gefühlen der Scham ob all des Unrechts, das den Indianern, den Sklaven, den Schwarzen angetan worden ist. Die USA haben sich ihre Zuversicht, ihren Willen die Zukunft zu gestalten, bewahrt. Deshalb sind sie so erfolgreich.

Die allermeisten US-Amerikaner sind stolz darauf,  Amerikaner zu sein. Ich habe dies immer wieder verspürt bei meinen Reisen. Dieser Nationalstolz ist weit entfernt davon, die Schrecken der Vergangenheit zu leugnen. Er bezieht seine Kraft aus dem Zutrauen in die eigene Gestaltungsmacht. Dieser Stolz ist nichts anderes als das Bekenntnis zur eigenen Verantwortung – in exakt dem Sinne, den Konrad Adenauer 1946 ausdrückte.

Der Präsident der USA hat es gestern im Rückblick auf seine Ansprache zur Lage der Nation unvergleichlich knapp und treffend so ausgedrückt:

„Tonight I addressed the American people on the future we face together. Though at times it may seem uncertain, it is a future that is ours to decide, ours to define, and ours to win.
 Posted by at 13:23
Nov 142010
 

Einen hübschen Herbstblumenstrauß an Leserbriefen zum Thema Radverkehr bringt der heutige Tagesspiegel auf S. 16. Der Artikel von Stefan Jacobs war auch wirklich gut (dieses Blog kommentierte). Hier noch das Zitat des Sonntags:

Verkehrsplaner bringen Radler in Gefahr – Meinung – Tagesspiegel
Eine ausschließlich am Konflikt „schuldige“ Gruppe im Straßenverkehr gibt es nicht. Hilfreich ist es da allemal, wenn versucht wird, den Blick dafür zu öffnen, dass zu einem gedeihlichen Miteinander im Straßenverkehr eben alle Gruppen einschl. der Verkehrsplaner ihren Beitrag leisten müssen.

Joachim Ziegler, Berlin-Marienfelde

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Nov 012010
 

Schlimme Sache – gestorben, weil ein unachtsamer falschparkender Autofahrer die Autotür öffnete. Mein Beileid!

Ich muss sagen, dass ich in den all den 40 Jahren glücklichen Radfahrerlebens nur einen Unfall hatte: Ich prallte gegen eine sich plötzlich öffnende Autotür, direkt vor der SPD-Bundeszentrale in der Wilhelmstraße in Kreuzberg, stürzte, rappelte mich aber sofort wieder auf, und zufällig kam kein Auto hinter mir drein gefahren.-

Kreuzbergs Wilhelmstraße – das ist eines der berüchtigten Nadelöhre, wo Radfahrer und Autofahrer durch eine völlig falsche Verkehrsführung neben den parkenden Autos eng aneinander gepresst werden! Mitten in Kreuzberg! Direkt vor der Bundeszentrale der SPD!

Dann bekam ich noch Beschimpfungen der Autofahrerin: „Sie müssen aber auch aufpassen!“ Aber es war nur der Schock der Autofahrerin. Ihr war klar, dass sie Schuld gehabt hätte, wenn ich überfahren worden wäre. Wir besprachen die Sache sofort vor Ort, versöhnten uns, umarmten uns zum Abschied, und ich radelte unverletzt weiter.

Seither halte ich stets einen mindestens 1 Meter großen Sicherheitsabstand an parkenden Autos.

Ich meine: SPD-Bundeszentrale, Kreuzberger Bezirksgrüne und  alle, die Verantwortung tragen, sollten derartige Nadelöhre wie an der Wilhelmstraße entschärfen.

Derzeit wird dort gebaut. Mal kucken.

Radfahrer ist gestorben – Märkische Allgemeine – Nachrichten für das Land Brandenburg

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Ist fast jedes zweite Berliner Kind arm?

 Armut, Familie, Kinder, Liebe, Versöhnung  Kommentare deaktiviert für Ist fast jedes zweite Berliner Kind arm?
Sep 152010
 

Aufsuchende Hilfe, Betreuung und Einführung in die elementaren Fertigkeiten der Kindererziehung und der Hauswirtschaft, persönliche Ansprache für jedes Kind, Sachhilfe statt direkter Zahlungen an die Eltern – das sind die Forderungen des Kinderschutzpräsidenten Heinz Hilgers. Bravo, Heinz Hilgers!

Das sind ebenfalls exakt die Forderungen, die Thilo Sarrazin im lesenswerten Bildungskapitel seines Buches erhebt. Bravo, Thilo Sarrazin! Heinz Hilgers und Thilo Sarrazin hauen in dieselbe Kerbe. Also vertragt euch und haut euch nicht. Seid brav.

Übrigens: Die Kinder sind nicht materiell arm, das ist blanker Unsinn. Es fehlt ihnen nicht an Geld, sondern an Erziehung, Zuwendung, Liebe. Ich weiß das, denn ich lebe mitten im sozialen Brennpunkt. Ich kenne doch meine Familien.

„Ich war noch nie am Kreuzberg.“ So klingt es bei uns. So erzählte es uns ein Kind, das wir einmal zu einem Spaziergang auf diesen zweithöchsten Berg der herrlichen Berliner Bergwelt einluden. Der Kreuzberg ist zu Fuß 1 km entfernt. Dafür braucht man weder Geld noch Bergsteigerausrüstung, um den Kreuzberg zu besteigen.

Wir haben amtlich eine der höchsten „Armutsquoten“ in Kreuzberg, selbst hier in Berlin. Und dennoch ist es nie und nimmer der Mangel an Geld, der diesen Kindern zusetzt! Die Eltern haben alle eine herausragend gute elektronische Ausstattung. Kinder brauchen keine Handys, sie brauchen Zahnbürsten.

Auch in der Zurückweisung des ewigen Geredes von „materieller Armut“  stimme ich Sarrazin zu. Wer von Kinderarmut redet, der sollte einmal nach Rumänien, Russland oder Elfenbeinküste fahren.

Es gibt keine nennenswerte Kinderarmut in Deutschland. Das Wort Kinderarmut ist irreführend und zweideutig. Wir haben zu wenige Kinder. In diesem Sinne herrscht Kinderarmut in Deutschland.

Bericht des Kinderschutzbunds: Fast jedes zweite Berliner Kind ist arm – Berlin – Tagesspiegel
„Jedes Kind braucht eine Chance und deshalb finde ich das Krisenszenario des Herrn Sarrazin verwerflich“, sagt der Kinderschutzbund-Präsident Heinz Hilgers. Als Bürgermeister von Dormagen zeigte er, dass man „die Eigenkräfte der Menschen wecken kann“, wie er es ausdrückt. Das „Dormagener Modell“ ist heute Inbegriff für eine erfolgreiche vorbeugende Betreuung oder besser gesagt: einer Begrüßung und Begleitung von Familien in Brennpunkten. Es funktioniert so: Jedes Kind wird nach der Geburt vom Bezirkssozialdienst besucht, ein „wertschätzenden“ Brief des Bürgermeisters wird überreicht und kleine Werbegeschenken mit Hintersinn: eine Babyzahnbürste etwa.

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Sep 092010
 

Dieser alte Choral aus der Matthäuspassion kam mir jüngst in der Lutherstadt Wittenberg in den Sinn, und ich sang ihn laut im Hotelzimmer Nr. 122 des Luther-Hotels vor mich hin.

Jetzt fällt er mir erneut ein. Denn: Radfahrer und Autofahrer stehen wie bekannt in der Fahrradstadt Berlin auf einem gespannten Fuße miteinander. Darüber berichtet unser Berliner Tagblättchen heute:

Radfahren : Krieg an der Kreuzung – Berlin – Tagesspiegel
In Berlin ist die Stimmung zwischen Autofahrern und Radfahrern oft angespannt. Häufig geben sie sich gegenseitig die Schuld für Zusammenstöße.

Was meine ich dazu? Nun, ich verleugne nicht die Schuld, die wir Radfahrer auf uns laden, wenn wir Fußgänger auf dem Gehweg bedrängen, wenn wir bei Rot über die Ampeln brettern und ein fürchterliches Vorbild für die ABC-Schützen abgeben, wenn wir Fußgänger beim Verlassen des Hauses, beim unbeabsichtigten Betreten des Radweges gefährden, wenn wir kreuz und quer aus allen Richtungen vom Fußweg auf die Fahrbahn geschossen kommen und somit die Autofahrer zur Verzweiflung treiben.

Dabei muss ich aber heute ein gutes Wort für die Autofahrer einlegen: Viele Autofahrer halten ausreichenden Sicherheitsabstand, wenn sie mich überholen! Danke, Autofahrer!  Sie wissen: Wenn man mit 30 cm Abstand einen Radfahrer überholt, gefährdet man ihn. Jede unbeabsichtigte  Wendung, jeder Schlenker mit dem Lenker kann Tod und Verletzung bringen, wenn die Autofahrer den Sicherheitsabstand nicht einhalten. Danke, ihr vielen rücksichtsvollen Autofahrer all!

Diese Autofahrer all lassen mir die Vorfahrt, wenn sie rechts abbiegen und ich geradeaus fahre. Diese Autofahrer all drehen sich um, schauen durch den berühmten „Schulterblick“, ob ein vorfahrtberechtigter Radfahrer kommt. Die Autofahrer all wissen: Viele schwere Verletzungen, viele tödliche Unfälle entstehen dadurch, dass Radfahrer von rechtsabbiegenden PKWs und LKWs überfahren werden. Danke, ihr Autofahrer all!

Dank und Lob an die Radfahrer, die bei Rot anhalten, die den Kindern ein Vorbild sind. Danke und Lob an die Radfahrer, die sich an die Regeln halten! Die vorschriftsmäßige Beleuchtung haben! Ruhm und Preis euch allen!

Danke, danke, danke an alle Radfahrer und Autofahrer, die sich an die Verkehrsregeln halten.

Dank und Preis an all die Autofahrer und die Radfahrer, die
rücksichtsvoll,
um-sichtig,
vor-sichtig,
nach-sichtig,
vorausschauend fahren!

DAMIT IHR GUT FAHRT!

 Posted by at 10:20

„Ich verleugne nicht die Schuld“

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Sep 052010
 

03092010002.jpg Große geistliche Einkehr hielt ich am heutigen Sonntag bei einer Reise in Sachsen. Zufällig gelangte ich nach Köthen und Wittenberg. Köthen – wo Johann Sebastian Bach von 1717-1723 als Hofmusiker wirkte und unter anderem die sechs Sonaten und Partiten für Violine solo komponierte, die mich schon ein halbes Leben lang begleiten.

Ein herrlicher Halbsatz aus einem Choral der Matthäuspassion fiel mir ein und ich sang ihn: „Ich verleugne nicht die Schuld!“

Im vorigen Eintrag untersuchten wir die mannigfachen Mechanismen, mit denen wir Menschen eigenes Versagen auf andere zu überwälzen versuchen. Es gelingt im Kleinen wie im Großen wunderbar, in der Familie ebenso wie in der Politik, bei Sophokles ebenso wie bei bei unseren deutschen Politikern oder Kreuzberger Jugendlichen, deren Eltern  aus Libanon und Palästina nach Berlin gekommen sind.

Schuldabwälzung auf andere halte ich für einen universalen Mechanismus der Selbstrechtfertigung.

„Ich verleugne nicht die Schuld!“, dieser Satz beeindruckt mich. Allein dadurch, dass man eigene Verfehlungen zugibt, hat man schon den ersten Schritt zur Umkehr, zur Besserung getan. Allerdings meinen die Christen, dass das Schuldeingeständnis beim Ich beginnen muss.

Das Schuldbekenntnis erfolgt freiwillig, wenngleich ritualisiert. So steht es etwa am Beginn des Gottesdienstes.

„Ich verleugne nicht die Schuld.“ Was für ein herrlicher Satz! Was für eine unsterbliche, herzbewegende Musik, die Bach geschaffen hat!

Bild: Unterwegs zum Bach-Denkmal in Köthen und zu seinem mutmaßlichen Wohnhaus.

 Posted by at 21:24
Sep 022010
 

Asli Sevindim, Bilkay Önay, Aygül Özkan, Lamya Kaddor, Hilal Sezgin – allen diesen klugen, erfolgreichen gebildeten deutschen Frauen, diesen „neuen Deutschen“ höre ich gerne auf Kongressen und bei Vorträgen, im Fernsehen und im Radio zu. Jedesmal denke ich dann: Warum sind sie so selten? Warum sind sie selten wie Goldstaub? So selten wie ein Mesut Özil und ein Sami Khedira, die ihr Heimatland obendrein Richtung Spanien verlassen haben? So selten wie ein Hamed Abdel-Samad?

Warum sind die türkischen und arabischen Mütter, denen ich seit vielen Jahren in Kita und Schule begegne, so ganz anders als diese Stars der bunten Medienwelt?

Warum kann ich mich immer noch nicht mit ihnen, den vielen Kreuzberger Müttern  unterhalten? Schuldgefühle steigen in mir auf: Warum habe ich immer noch nicht genug Türkisch gelernt, obwohl diese türkischen und arabischen Mütter doch längst die Mehrheit hier an Kreuzbergs Grundschulen  bilden? Warum gelingt es mir nicht, mich in die türkisch-arabische Elternmehrheit zu integrieren? Verzweiflung ob meiner Unfähigkeit zur sprachlichen und sozialen Integration packt mich dann.

Ach, gäbe es doch in Kreuzberg mehr Frauen, mehr Mütter wie diese oben genannten Stars!

Sehr gut finde ich, dass Sarrazin in seinem Buch erfolgreiche Beispiel gelungener Integration  bringt, etwa den ersten türkischen Feuerwehrmann Berlins, Ceyhun Heptaygun (S. 307) oder den Geschäftsführer des Berliner Bildungswerks in Kreuzberg, Nihat Sorgec (S. 325)!

Ach, gäbe es doch tausende Deutsche wie Ceyhun Heptaygun, tausende Deutsche wie Nihat Sorgec, tausende deutsche Frauen wie Lamya Kaddor, tausende deutsche Frauen wie Asli Sevindim. Sie würden Sarrazin endlich Lügen strafen.

Deutschland würde mir noch besser gefallen.

TV-Kritik: Sarrazin bei „Hart aber fair“ – TV-Moderatorin Sevindim: „Sie rechnen mich permanent raus“ – Medien – sueddeutsche.de
Die Fernsehmoderatorin Asli Sevindim, vorgestellt als Muster geglückter Integration, hielt Sarrazin entgegen, er biete „keine einzige Lösung“ an, „definitiv rassistisch“ und beleidigend seien dessen Auffassungen von der vererbten Bildung. Getreu seinem altpreußischen Lebensmotto – „ich renne nie weg, ich schlage keine Haken“ – beharrte Sarrazin: Alle menschlichen Eigenschaften hätten auch eine Erbkomponente, „das ist weltweiter Stand der Intelligenzforschung“.

Fortan setzte ein ums andere Mal Sevindim ihre Familiengeschichte den Migrationsstatistiken entgegen. „Sie rechnen mich permanent raus“, sagte sie schließlich zum Herrn ganz links außen, müde und enttäuscht ob ihrer eintönig gewordenen Einwände.

 Posted by at 13:26