Apr 252011
 

„Lassen Sie uns in den kommenden Monaten gemeinsam mit vielen anderen Menschen für die fundamentalen Werte unserer Partei, für Freiheit und Verantwortung arbeiten.“

So schrieb ich vor wenigen Tagen in meinem Osterbrief an die Mitglieder des kleinen Ortsverbandes der kleinen Kreuzberger Splitterpartei, dem ich seit wenigen Wochen als schwacher Vorsitzender diene. Sind dies hohltönende, phrasenhafte, abgedroschene, muffige Worte?

Freiheit und Verantwortung – das halte ich in der Tat für ein äußerst wichtiges Pärchen! Oder sagen wir: ein jederzeit vom Streit bedrohtes Ehepaar, – wobei beide allerdings unlösbar aufeinander angewiesen sind. Freiheit und Verantwortung – klingt das muffig? Ich meine: nicht unbedingt. Und zwar dann nicht, wenn man die beiden Werte nicht auf andere abschiebt, sondern bei sich selbst anfängt und dann sofort beim Nächsten besten oder auch beim Nächsten, der ja immer der Beste ist, weitermacht.

Die beiden Werte fasse ich also personal und nicht struktural. Ich setze beim Menschen an, nicht bei der großen Politik. Ich setze ganz unten bei der Person an, nicht ganz oben bei der Institution. Und am allerwenigsten setze ich beim Staat an. Der Staat kommt erst zum Schluss. Zuerst kommt die Person und ihre Beziehung zu anderen Personen: die Familie, dann die Gemeinschaft in mancherlei Gestalt, dann die Gesellschaft in mancherlei Gestalt, und zuletzt kommt der Staat. Bei Schwierigkeiten ist stets zunächst der einzelne gefordert, dann die Familie, dann die Gemeinde in mancherlei Gestalt, und zuletzt der Staat. Der Einzelne, die Familie, die Gemeinde, die Gesellschaft, der Staat – diese Größen treten in mancherlei spannungsvolle Wechselbeziehung. Sie mögen auch in offenen Konflikt geraten. Dann gilt es zu vermitteln, zu schlichten, zu versöhnen. Dabei muss das eine vom anderen her gedacht werden. Die einzelne, also das Kind, wird ohne die Hilfe der Familie oder ersatzweise bzw. ergänzend der sorgenden Gemeinschaft nicht überleben, geschweige denn erwachsen werden. Die Familie wird ohne den stützenden Rahmen der höherstufigen Institutionen unrettbar im Überlebenskampf verstrickt sein.

Entscheidend bleibt für mich: Der Staat ist nichts Erstes. Das Erste, der Grundanker ist die Freiheit und die Verantwortung der Person. Diesen Grundanker-Werten dient der Staat. Kindererziehung bedeutet nichts anderes, als die Kinder nach und nach so weit zu führen, dass sie schrittweise mündig werden und ohne dauernde fremde Hilfe, vor allem ohne dauernde staatliche Hilfe dieses Paar der Werte nachleben können.

Ich versuche das Pärchen mal weniger muffig auszudrücken, es sozusagen auf eine Versöhnungsformel zu bringen:

Ich traue dir. Du traust mir. Vertraue dir selbst. Vertraue dem anderen Menschen. Sorge für einen anderen Menschen oder für deine nächsten Mitmenschen, das wird auch deinem Leben einen Sinn geben. Befreie dich und andere aus der falschen Abhängigkeit vom Staat. Sei frei. Kümmere dich. Ich trau es dir zu!

Weit besser, weit überzeugender, weit weniger muffig als ich drückt es Claudia Keller soeben im Tagesspiegel aus:

Ostern: Das Fest der Freiheit – Glaube und Unglaube – Kultur – Tagesspiegel
Freiheit bedeutet nicht nur, Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen, sondern auch Verantwortung für die anderen. Jesus und seine Jünger wollten Freiheit nicht wie die Herodes’ dieser Welt, um ihr eigenes Leben oder das ihrer Clique angenehmer zu machen, sondern auch das der anderen. Martin Luther hat die Spannung zwischen Freiheit und Verantwortung so formuliert: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan.“ Das kann ganz schön einsam machen. Denn wer will schon diese Anstrengungen auf sich nehmen?

Bild: Blick auf den Marktplatz in Wittenberg, aufgenommen im September 2010

 Posted by at 08:57

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