Bitte Streitigkeiten um das Kreuz tiefer hängen …

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Apr 262010
 

Wie so oft oder eigentlich fast immer, hege ich auch bei dem Aufruhr  um die Kreuze in öffentlichen Gebäuden des Landes Niedersachsen eine „vermittelnde“ Position. Die „Vermittlung“, das ist ja der eigentlich Kernbestand christlicher Botschaft. In vielen Quellen wird Jesus ausdrücklich „der Mittler“ genannt. Und immer wieder versucht die CDU mit mehr oder minder Geschick für sich in Anspruch zu nehmen, die „Partei der Mitte“ zu sein – wobei diese Mitte meist fälschlich als mathematische Mitte gemeint wird. „Übernehmen wir einfach das, was die meisten Menschen denken und wollen, und nennen es Mitte – das passt dann schon!“ Das ist natürlich Unsinn. Das kann nicht der Sinn des Ausdrucks „Mitte“ sein. Es wird vielleicht ausreichen, um die eine oder andere W(Qu)ahl zu gewinnen, kann aber niemals das Wesen der Christdemokratie erklären.

Einen „Kruzifix-Streit“ vermag ich in diesen Tagen nicht zu erkennen. Das Kruzifix, also die Darstellung des gekreuzigten Jesus von Nazaret, findet man eigentlich nirgendwo mehr in öffentlichen Gebäuden in Deutschland – außer vielleicht im Eichsfeld …

Anders sieht es mit dem Kreuz aus.

=> Özkan will Kruzifixe doch nicht mehr entfernen lassen <=
Die designierte niedersächsische Sozialministerin Aygül Özkan hat sich vor der CDU-Landtagsfraktion für ihre in einem Interview geäußerte Forderung, Kruzifixe aus den Klassenräumen öffentlicher Schulen zu entfernen, entschuldigt.

Allein schon die Tatsache, dass viele Kommentatoren die fundamentalen Unterschiede zwischen Kruzifix und Kreuz nicht mehr zu kennen scheinen, ist ein Beleg dafür, dass das Kreuz als Zeichen oft nicht mehr verstanden wird.

Aygül Özkans Forderung nach Entfernung der Kreuze aus öffentlichen Gebäuden bewerte ich persönlich als eher ungeschickt, als einen Patzer, wie sie jede und jeder, der nur wenige Jahre in der Politik unterwegs ist, nahezu unvermeidlich machen wird (mich selbst eingeschlossen). Aber man wird keine Neulinge, keine Quereinsteiger für die Politik gewinnen können, wenn man ihnen nicht reichlich Gelegenheit gibt, in das eine oder andere Fettnäpfchen zu treten.

Den besten Kommentar zu den Kommentaren zu Aygüls Forderungen hat Wulf Schönbohm geliefert. Er sagte sinngemäß: „Lasst euch doch endlich auf die bei uns lebenden Türken ein. Wenn ihr sie kennenlernt, werdet ihr vieles von euren negativen Reflexen abbauen.“ Hier ein Zitat aus dem Tagesspiegel:

Er selbst sei gegen Kreuzverbote per Gesetz oder Gericht, sagte er dem Tagesspiegel. Aber auch dies sei „zunächst eine Sachfrage“. Das harte Nein seiner Partei zu einem EU-Mitglied Türkei hält er allerdings seit langem für „absolut lächerlich“. Die Türkei sei in zehn Jahren AKP-Regierung ein völlig anderes Land geworden, aber die Union wolle dies nicht zur Kenntnis nehmen. „Das ist dieselbe Haltung wie ,Wir sind kein Einwanderungsland‘. Und ich nehme an, sie wird sich beim Thema Türkei ähnlich erledigen.“ Die Union müsse jetzt endlich Türkischstämmige in die Landtage und den Bundestag schicken. „Die könnten zum großen Teil unsere Wähler sein und wir verprellen sie durch unsere Vorbehalte und die Ablehnung des EU-Beitritts.“ Die Parteiführung müsse sich da engagieren: „All diese grässlichen Vorurteile würden abgebaut, wenn das einfache Parteimitglied die Leute mal aus nächster Nähe erleben würde.“

Und ich füge hinzu: Die Türken, die ich kenne, sind ausnahmslos warmherzige, freundliche, leicht zugängliche Menschen, denen wir natürlich oft in der Seele wehtun, wenn wir die ganze Batterie an Vorurteilen auf sie niederprasseln lassen.

An jene, die sich über Aygül Özkan aufregen statt sich über die Ernennung zu freuen, möchte ich sagen:

Wenn es euch so ernst ist mit dem Kreuz, dann legt Zeugnis ab für das Kreuz. Nicht mit öffentlichen Bekenntnissen, sondern mit Werken. Oftmals deutet das Festklammern an christlichen Symbolen im öffentlichen Raum auf eine Schwächung des Glaubens hin. Die Muslima Aygül Özkan hat es meines Erachtens in wenigen schlichten Worten vermocht, den Sinn christdemokratischer Politik besser zu erklären als ich dies seit Jahren aus der Mitte der „Partei der Mitte“ vernommen habe. Gerade mit ihren Worten über die Nächstenliebe, über den hohen Wert der Familie, über Verantwortung und Gemeinsinn hat sie mir aus der Seele gesprochen – und zwar besser, als dies die meisten Oberhirten und die berühmten Big Shots meist tun. Es wäre schön, wenn nun auch andere Christdemokraten dem Beispiel Özkans folgten und ebenfalls öffentlich bekennten, was für sie die treibenden Werte politischen Handelns sind.

Das Kreuz bezeichnet die ständige Anstrengung um das Vermitteln, um das Einholen der Gegensätze, um die Versöhnung. Für Juden, Christen, Muslime und Bekenntnislose ist das Kreuz gleichermaßen ein fruchtbarer Impulsgeber – so es denn richtig aufgefasst wird.

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Mrz 132010
 

„Er war verloren und ist wiedergefunden worden“, so heißt es in der alten, ewig jungen Geschichte vom verlorenen Sohn. „Jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern.“

Wenn ich es recht bedenke, müsste diese Geschichte heute ebenso sehr auch als die „Geschichte vom verlorenen Vater“ erzählt werden. Wieviele Söhne und Töchter berichten mir davon, dass sie ihren Vater nie so recht gekannt, nie so recht gefunden hätten. Es ist, als hätte sich die Gestalt des Vaters verflüchtigt und müsste erst mühsam wiedergefunden werden. Der Vater – muss wiederkommen.

Die schönste Fassung dieser Geschichte von der Wiederkehr des Vaters bietet in meinen Augen Giani Stuparich, ein 1891 in Triest geborener, Italienisch schreibender Autor. Erst vor wenigen Tagen las ich seine Erzählung  „Il ritorno del padre – Die Wiederkehr des Vaters“. Ich kenne keinen anderen Autor, dem es so gut gelänge, dem zuhause verlassenen Sohn wie auch dem in der Welt verlorenen Vater Mitgefühl und Gerechtigkeit widerfahren zu lassen!

Der Vater – das ist ein Hallodri und Kneipengänger, ein Herumtreiber – so stellen ihn die Verwandten dar. Der Sohn stellt ihn sich ganz anders vor. Er meint: „Die allermeisten Verurteilungen verwandelten sich in Lobpreisungen.“  Der Vater ist stark, verständnisvoll, erfolgreich, warmherzig. So soll er zumindest sein in den Phantasien des Sohnes.

Und dann beschreibt Stuparich genau, was bei einer tatsächlichen Begegnung in Vater und Sohn vorgeht. Dieses Hin- und Herschwanken, diese Furchtsamkeit, sich auf einen anderen Menschen einzulassen! In der Begegnung mit dem kleinen Sohn erfährt der Vater seine eigene Schwäche und Verletzlichkeit. Er wehrt sich dagegen. Er möchte einfach so gehen, obwohl der Sohn gerade davor große Angst hat.

Dann bleibt er doch. Mit dem Rauch einer Zigarette bläst der Vater zum Schluss dem Sohn buchstäblich den Ruch des großen Lebens ein – im ausgetauschten Atmen ergibt sich etwas, woran so viele Vater-Sohn-Geschichten ein Leben lang sich vergeblich abmühen: die Versöhnung. Angeleitet von diesem „zarten lebendigen Gewicht, das sich in seine Brust hinabließ wie ein Anker in die beruhigt schimmernden Fluten eines stillen Hafens“, oder im Original:

Negli occhi aperti del padre passavano le luci di nuovi sentimenti, che davano alla sua faccia un’espressione di dolorante bontà. Erano stati sotto, in fondo al suo cuore quei sentimenti, repressi e soffocati da altre passioni: ora tornavano a galla, richiamati da quel dolce e vivo peso, che scendeva dentro il suo petto come un’àncora nelle acque riposate e limpide d’un porto in calma.

Ich empfehle diese meisterhafte Erzählung allen Töchtern und Söhnen, die bisher auf die Heimkehr des Vaters vergeblich gewartet haben.

Leseempfehlung: Giani Stuparich, Il ritorno del padre e altri racconti. Con una nota di Arrigo Stara. Verlag Giulio Einaudi, Turin 1961 und 1989, hier S. 18

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Nov 222009
 

Ein echter Meister der falschen Fährten, ein brillanter Taktiker des Wahlkampfs und der Parteiarbeit war  – Konrad Adenauer. Mit der Bundesrepublik Deutschland brachte er mit anderen zusammen eins der größten Experimente auf den Weg! Die Verabschiedung des Grundgesetzes, die Saarfrage, die Wiederbewaffnung, die Westbindung – das alles waren gewaltige Vorhaben, die zum Teil gegen bestehende Mehrheiten, gegen den Rat der Fachleute, gegen Widerstände in der eigenen Partei durchgesetzt wurden! Dennoch wurde er 1957 bekannt mit dem treuherzigen Slogan: „Keine Experimente!“ Gemeint war natürlich: „Keine zusätzlichen Experimente mehr!“  Schlau, schlau!

Seine neugegründete Partei, die CDU, erreicht in den ersten Wahlen zum Deutschen Bundestag aus dem Stand heraus fast soviel Stimmen wie die Unionsparteien 2009 einsammeln konnten (1949: 31%, 2009: 33,8%). Die CDU ist DIE große Erfolgsgeschichte in der deutschen Parteienlandschaft. Dabei war sie ausdrücklich als Union gegründet worden, also als Bündnis verschiedener Kräfte, die sich zunächst von den „Altparteien“ absetzen wollten.

Ich lese immer wieder mit großem Gewinn in den Protokollen des CDU-Bundesvorstandes 1950-1953. Mann, was war die CDU doch damals für eine wagemutige, kluge, nach vorne denkende Partei! „Es musste alles neu gemacht werden“, unter dieses Motto stellen die Herausgeber die internen Besprechungsprotokolle. Die meisten wichtigen Themen, die wir heute noch besprechen, wurden dort schon erörtert: z. B. der Parteienüberdruss, die ständige Suche nach Mehrheiten, der Einfluss der neuen Medien auf den Wahlkampf (damals: der Lautsprecherwagen).

Daneben bieten diese zum großen Teil wörtlichen Protokolle eine Methodenlehre der Politik! Greifen wir aus gegebenem Anlass eine Frage heraus: Wie soll sich eine Partei „im Feindesland“ verhalten? Was kann sie tun, wenn sie erkennbar eine Mehrheit der Bevölkerung gegen sich hat? Die junge CDU stand tatsächlich mitunter in dieser Position, und zwar beispielsweise im Saarland! Das Saarland wollte unter seinem beliebten Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann weg von Deutschland, erlangte sogar für 2 Jahre die staatliche Selbständigkeit. Die CDU blieb außen vor, trat vor 1953 gar nicht an. Adenauer sagte am 26. Januar 1953 etwa folgendes: „Die Leute an der Saar wollen uns nicht … Es ist doch tatsächlich so. Die Leute haben ein vergnügtes Leben; sie haben keine Evakuierten, sie haben keinen Lastenausgleich, und es geht ihnen gut.“ Wieso hätten die Saarländer für Deutschland stimmen sollen? „Vaterlandsverräter“ scholl ihnen entgegen!

Was sagt Adenauer dazu? Er hielt solches Geschimpfe für einen schweren Fehler! „Ich komme zu der Auffassung, Herr Kaiser, daß es ein schwerer Fehler von uns gewesen ist – ich weiß, Herr Altmeier wird anderer Aufassung sein -, daß wir von Anfang an die Leute diffamiert haben, die sich losgetrennt und dem Saarregime zugestimmt haben.“ Adenauer fährt fort, damit habe man das Tischtuch zerschnitten. Man habe den Saarländern die Rückkehr nicht erleichtert. „Nun wollen wir nicht das Tischtuch zwischen uns zerschneiden, sondern sehen, wie wir die Sache allmählich wieder in Ordnung bringen. Das wäre höchstwahrscheinlich viel klüger gewesen, als die Leute einfach zu diffamieren, die – und das kann kein Mensch bestreiten – die Mehrheit dort sind.“

Wir halten fest: Adenauer besaß die Größe, eigene Fehler offen einzugestehen und daraus für die Zukunft zu lernen. Er erkannte, dass Mehrheiten nicht mit der Brechstange, nicht mit Schimpfen zu holen sind. Er sah ein, dass das trotzige  Beharren auf dem eigenen Standpunkt – sofern er eine Minderheitenposition darstellt – eher die Wähler noch stärker gegen die Partei aufbringt. Schließlich erkannte er den Zeitfaktor an: „Das Übrige müssen wir der Entwicklung an der Saar überlassen.“

Das genaue Lesen einiger Seiten aus den Protokollen vermag sicherlich dem einen oder anderen Politiker in der Ratlosigkeit des heutigen Politikbetriebes Anregungen zu verschaffen. Die 50er Jahre waren eine Zeit äußerster Wagnisse, nur dank der fundamental richtigen Einsichten und der überlegenen Strategien von Politikern wie etwa Adenauer oder Kurt Schumacher konnte diese großartige Aufbauleistung gelingen.

Quelle: Adenauer: „Es mußte alles neu gemacht werden.“ Die Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1950-1953. Bearbeitet von Günter Buchstab. Klett Cotta Verlag, Stuttgart 1986, hier: S. 412-413

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Vergeben und Annehmen

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Okt 282009
 

Vergebt einander und nehmet einander an!

Dahin wird jede gesunde Beziehung der Kinder zu den Eltern gelangen. Erst dann werden die Kinder frei. Erst dann finden die Eltern Frieden.

Bei den alten 68ern fehlt mir sehr oft diese Fähigkeit.

Die Söhne dünken sich meist schlauer als die Väter. Das gilt auch in der Politik. Wir oft wurde über den alten Bundeskanzler aus der Pfalz gelästert.

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Okt 102009
 

„Höher als jede Wand wächst das Misstrauen.“ Mit diesen einfachen, wie ein Birkenbäumchen gerade gewachsenen Worten beschreibt Herta Müller in ihrem Roman Atemwende die klirrende Luft in einem Lager für die Deportierten. Die Worte fallen mir ein, als ich heute in der Süddeutschen Zeitung auf S. 10 lese, der tschechische Präsident Klaus wolle die Unterschrift unter den EU-Reformvertrag verweigern, wenn der rechtliche Fortbestand der Benesch-Dekrete nicht ausdrücklich bekräftigt werde.

 EU-Reformvertrag – Prager Sonderwünsche – Politik – sueddeutsche.de
Einem Bericht der polnischen Zeitung Rzeczpospolita zufolge will Klaus Garantien gegen mögliche deutsche Eigentumsansprüche im ehemaligen Sudetenland. Nach dem Zweiten Weltkrieg war auf Grundlage der sogenannten Benes-Dekrete die deutschsprachige Minderheit in der damaligen Tschechoslowakei ohne Entschädigung vertrieben und enteignet worden. Tschechien hält bis heute an den umstrittenen Benes-Dekreten fest und lehnt die Rückgabe von Eigentum ab.

Welches Urteil fällt Daniel Jonah Goldhagen über die Vertreibung der Deutschen und Ungarn aus Polen und der Tschechoslowakei nach dem 2. Weltkrieg? Es lohnt sich, seine Stellungnahme genau zu lesen! Sie findet sich auf den Seiten 222-223 seines Buches über Völkermord.  Er bezeichnet die Deportationen der Deutschen ausdrücklich als „verbrecherische eliminatorische Akte“, die auch durch das subjektive Gefühl, es sei hier Vergeltung geübt worden, nicht zu rechtfertigen  seien. „In der Hauptsache Polen aus den von ihrem Staat annektierten Teilen des deutschen Ostens und Tschechen führten eine gründliche und manchmal mörderische Vertreibung von rund zehn Millionen Deutschen durch, steckten Hunderttausende zeitweilig in Lager und brachten Zehntausende um. Der unbändige Hass auf die Volksdeutschen führte zu einem der seltenen Fälle, dass ein demokratischer Staat, die Tschechoslowakei, im eigenen Land eine umfassende tödliche Eliminierungspolitik durchführte.“

Durch die Benesch-Dekrete der Tschechoslowakei wurde in Friedenszeiten plötzlich ein Drittel der Bevölkerung des eigenen Staates aller Rechte verlustig erklärt. Ihnen wurde die Staatsangehörigkeit aberkannt, sie galten als vogelfrei, sie trugen das „N“ auf ihre Jacken genäht. Ihr gesamter Besitz fiel entschädigungslos dem Staat anheim. Die Deutschen und die Ungarn sowie auch diejenigen Juden, die als Deutsche gezählt wurden, verloren alle Eigentums- und Aufenthaltsrechte. Alle Verbrechen, die an ihnen nach dem Krieg begangen worden waren, wurden straffrei gestellt, für die zahlreichen Massaker und Morde ist kein Tscheche belangt worden.

Ich  meine: Die EU darf sich nicht darauf einlassen, derartige willkürliche, allen Grundsätzen der Menschenrechte zuwiderlaufende Dekrete anzuerkennen. Hier darf man sich nicht durch den Präsidenten Klaus unter Druck setzen lassen!

„Wir waren alle in keinem Krieg, aber für die Russen waren wir als Deutsche schuld an Hitlers Verbrechen.“  So schreibt Herta Müller über die gleichfalls deportierten Rumäniendeutschen.

So könnte man auch auch sagen: Der Krieg hatte Böhmen verschont, in ganz Böhmen fand während des 2. Weltkriegs keine Schlacht statt, aber nach dem Krieg waren alle Deutschen in der Tschechoslowakei an allem Bösen schuld, das die nationalsozialistischen Mörder weltweit verübt hatten. Auf diese Logik darf man sich nicht einlassen!

Es gilt, durch gemeinsame Erinnerung, durch gemeinsame Aufarbeitung der tschechisch-deutschen Geschichte die Mauern des Misstrauens zu überwinden. Ich habe schon mehrfach behauptet, die Zukunft der EU stehe auf tönernen Füßen, solange die gemeinsame Vergangenheit nicht einvernehmlich aufgeklärt wird. Das gilt für Slowaken und Ungarn, für Kroaten und Italiener, für Türken und Griechen, es gilt aber ebenso auch für Tschechen und Deutsche. Denn Geschichte ist nicht wie Zement, Geschichte ist nicht ein feiner Staubnebel, der alles umhüllt und zudeckt.

Alles, was geschehen ist, tragen wir mit uns.  Es ist eingeschrieben in die Gedächtnisse, es wartet darauf, erzählt zu werden. Wie es mit leuchtendem Mut und salzigen Augen Herta Müller getan hat.

Herta Müller: Atemschaukel. Roman. Carl Hanser Verlag, München 2009, hier: S. 38 und S. 44

Daniel Jonah Goldhagen: Schlimmer als Krieg. Wie Völkermord entsteht und wie er zu verhindern ist. Aus dem Englischen von Hainer Kober und Ingo Angres. Siedler Verlag, München 2009, hier: S. 222-223

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Mai 182009
 

 Yussuf – so heißt ein Mitschüler meines Sohnes. In Yussuf benannte sich auch Cat Stevens nach seinem Übertritt zum Islam um. Würdet ihr glauben, dass dieser Yussuf kein anderer ist als der Joseph aus dem 1. Buch Mose, das Juden wie Christen gemein ist?

Diesem Joseph oder Yussuf begegnete ich gestern beim Spazierengehen in Würzburg. Ihr seht ihn dort oben. Es war ein herrlich leichter, hingezauberter Abend. Die alte Mainbrücke zu überschreiten, den Blick der ruhig vertäuten Kähne zu genießen und ein paar Worte unter Freunden zu wechseln, das war für mich gestern ein schöner Augenblick.

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So wie Navid Kermani oder Necla Kelek uns einen neuen Blick auf das Kreuz lehren können, so vermag es Goethe, die Eigenart des Islam genauso hervortreten zu lassen wie auch sein Strenges und Hartes. Ähnlich wie Kermani gelingt es ihm, in Anziehung und Abstoßung des Eigene und das Fremde geradezu sinnlich spürbar werden zulassen.

Goethe schreibt in seinen Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des West-östlichen Divans in dem Mahomet benannten Kapitel:

Nähere Bestimmung des Gebotenen und Verbotenen, fabelhafte Geschichten jüdischer und christlicher Religion, Amplificationen aller Art, gränzenlose Tautologien und Wiederholungen  bilden den Körper dieses heiligen Buches, das uns, so oft wir auch daran gehen, immer von Neuem anwidert, dann aber anzieht, in Erstaunen setzt und am Ende Verehrung abnöthigt.

Eine der wenigen im echten Sinne erzählenden Suren ist die Sure 12. Sie ist ganz dem Josef (ungarisch: Joschka, arabisch: Yusuf, bairisch: Sepp) gewidmet. Goethe rühmt an der koranischen Umarbeitung der biblischen Josefsgeschichte, sie sei bewundernswürdig.  Die Überlieferungen des Alten Testaments beruhen – so Goethe – „auf einem unbedingten Glauben an Gott, einem unwandelbaren Gehorsam und also gleichfalls auf einem Islam“.

So wie Kermanis Bildmeditationen das beste sind, was ich seit einigen Monaten über das Christentum gelesen habe, so stellen Goethes Meditationen über Mahomet das beste dar, was ich seit vielen Wochen aus der Feder eines Nicht-Muslims über den Islam gelesen habe. Ohne flache Multi-Kulti-Versöhnlichkeit gelingt es Goethe, sich in Lebenswelt und Schriftsinn des Koran hineinzuversetzen, sich in ihn einzufühlen, ohne die eigene, abendländische Denkart preiszugeben.

Der Goethe des West-östlichen Divans ist DER große Anreger für uns in der Bundesrepublik Deutschland am Beginn des 21. Jahrhunderts. Er muss gleichberechtigt an die Seite des bekannteren Goethe gestellt werden, der den Faust geschrieben hat!

Schließen wir diese kurze Abendandacht mit einem Zitat aus der 12. Sure, Vers 92-93. Sie kann uns zeigen, wie innig verschwistert Judentum, Christentum und Islam sind und bleiben. Denn alle drei Religionen erzählen in immer neuen Abwandlungen das spannungsreiche Thema der Entfremdung zwischen Vätern und Söhnen, zwischen Bruder und Bruder. Ob Cat „Yussuf“ Stevens, ob Josef „Joschka“ Fischer sich immer bewusst waren, welche Kraft in ihrem Namen lag? Ihrem hebräischen Namen, der bedeutet: ER fügt hinzu? Denn nachdem Josef von seinen Brüdern verraten und verkauft worden war und der Vater aus Gram und Kummer das Augenlicht verloren hat, führt er zuletzt die große Versöhnung herbei, indem er sein Hemd weggibt und hinzufügt und dabei seinen Brüdern sagt:

„Keine Schelte soll heute über euch kommen. Gott vergibt euch, Er ist ja der Barmherzigste der Barmherzigen. Nehmt dieses mein Hemd mit und legt es auf das Gesicht meines Vaters, dann wird er wieder sehen können.“

Das heißt: Die Versöhnung geht vom Sohn aus, nicht vom Vater. Heißt sie deshalb Ver-söhnung, also Wiederherstellung des Sohn-Seins? Etymologisch nicht, denn das Wort stammt von Sühne ab. Aber in einem tieferen Sinne stimmt dieses Brückenbild. Joseph oder Yussuf – sie stehen im Bilde gesprochen „auf der Brücke“, sie sind die großen Hinzufüger, die großen Schenkenden.

Versöhnung geht in der Josefsgeschichte von dem aus, dem Unrecht angetan wurde, nicht von den Tätern des Unrechts. Und die Versöhnung macht im vollen Umfang „sehend“.

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Quellen:

Goethes Sämmtliche Werke. Vollständige Ausgabe in zehn Bänden. Mit Einleitungen von Karl Goedeke. Erster Band. Stuttgart. Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1885,  S. 555-557

Der Koran. Übersetzung von Adel Theodor Khoury. Unter Mitwirkung von Muhammad Salim Abdullah. Mit einem Geleitwort von Inamullah Khan. Gütersloher Verlagshaus, 4. Auflage, Gütersloh 2007, S. 185

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Apr 152009
 

13042009.jpg Erneut zitieren wir heute aus dem Koran. Heute aus Sure 22, Vers 11. An diesen Vers musste ich gestern nacht denken. Ich fuhr auf dem Rad die Stresemannstraße nachhause. Es war ein herrlicher lauer Sommerabend, ein letztes Spätlicht hielt sich noch in den Straßen. Plötzlich zuckte ich zusammen – mein Lenker schlug aus, ich zitterte. Dann erst merkte ich: Aus einem knapp an mir vorbeifahrenden Auto hatte mich ein Mann angebrüllt: HU! Sehr laut, völlig unvorbereitet, so plötzlich, dass ich erst erschrak und zusammenzuckte, fast stürzte, und dann erst bemerkte: aus dem offenen Fenster eines vorbeifahrenden Kleinwagens heraus lehnte ein junger Mann, lachte über mein Erschrecken.

Ich fing mich, stürzte nicht. Dann erwachte in mir stechend, heiß und unbeugsam der Wunsch nach Vergeltung. „Na, dich knöpf ich mir vor!“ Mein Wunsch nach Vergeltung verlieh mir Kraft, an der nächsten Ampel, vor der SPD-Parteizentrale hatte ich das Auto eingeholt.  Ich klingelte laut, rief zornig: „Hey, ihr da! Was sollte das da sein!“ Der Beifahrer kurbelte das Seitenfenster herunter: „Bitte, wie können wir Ihnen helfen?“ „Was hast du mich eben angebrüllt, ich wäre fast umgefallen!“, rief ich.

„Das war ich nicht!“, sagte der junge Mann und wandte sein Gesicht in die andere Richtung. „Aber ich erkenne dich, ich erkenne euer Auto wieder“, erwiderte ich. „Warum habt ihr das gemacht? Ich möchte wissen, was in euch vorgeht!“ „Wir waren das nicht, Sie müssen sich täuschen!“, erhielt ich als Antwort.

Und schon begannen in mir die Zweifel aufzusteigen. Hatte ich mich getäuscht? Vielleicht waren sie es doch nicht? Ich fasste einen Plan: „So, dann fahren Sie mal rechts ran – Papiere bitte, Fahrzeugschein und Führerschein!“ Und die List wirkte.

„Natürlich, wir waren es“, sagte jetzt der Fahrer. Er schaltete die Warnblinkanlage an und stieg aus: „Hey, mein Kumpel hat Stoff genommen, der ist high, der weiß nicht, was er sagt. Klar, er war es. Ich entschuldige mich für meinen Freund. Ich lebe schon seit 28 Jahren hier in Berlin, ich bin Deutschtürke. Ich bin mit einer Deutschen verheiratet. Ich will keinen Ärger mit der Polizei.“

Der Typ war mir sympathisch. Mein Zorn war schon verraucht. Ich verzieh ihm, wir verabschiedeten uns – als Freunde, wir gaben uns die Hand, und ich bin sicher, wir würden uns bei einem Wiedersehen gut verstehen. Dass er sich im Namen seines Freundes, der gerade auf auf Rauschgift war, entschuldigte, hat mich beeindruckt. Allerdings wird der Brüller, der mich fast zum Stürzen gebracht hätte, dadurch in seinem Handeln eher bestärkt werden. Denn er weiß: Es findet sich immer einer, der die Haftung übernimmt. Man kommt immer davon.

Was sage ich im Nachhinein dazu?

Ich habe immer wieder mit jungen Männern gesprochen, die was ausgefressen haben, mit den Steineschmeißern, mit Rauschgiftsüchtigen, mit den Jungs, die etwa ins Prinzenbad über den Zaun einsteigen. Was mir immer wieder auffällt: Sie wenden das Gesicht ab, sobald man sie anspricht, wie es im Koran so schön heißt. Wenn man sie fragt: „Warum machst du das? Mach das nicht!“, dann kommen immer Antworten wie: „Ich war das nicht“, oder: „Wir müssen das machen, wir haben kein Geld“. Jede persönliche Verantwortung wird abgeleugnet, es wird irgendeine Lüge aufgetischt, der Blick wandert in andere Richtungen. Sie verweigern letztlich die Antwort. Als Einzelpersonen kriegt man die Jungs so kaum zu fassen. Sie verweigern jede persönliche Verantwortlichkeit, verstecken sich im Wir. Sie werden nie sagen: „Ja, das habe ich gemacht.“

Ich halte diese Grundhaltung für verheerend. So werden diese jungen Leute nie lernen, zu sich zu stehen. Ein gesundes Selbstbewusstsein kann so nicht entstehen.

Was hören diese jungen Männer in der Schule, in den Familien? Etwa, dass sie arme Migrantenkinder sind, denen die böse, hartherzige Mehrheitsgesellschaft keine Chancen einräumt?

Sind sie arm? Nein, solange man mit einem Auto ziellos durch die Gegend kurvt, harmlose Radfahrer erschreckt und Rauschgift konsumiert, ist man nicht arm. Sind sie Migranten? Nein, sie sind hier in Berlin geboren und aufgewachsen, es sind unsere Kinder, es ist unsere nächste Generation. Sie sprechen einwandfreies Kreuzberger Türkdeutsch als Erstsprache.

Ist die deutsche Mehrheitsgesellschaft böse? Nein, denn diese Kinder aus türkischen und arabischen Familien sind bereits die Mehrheit in unseren Kreuzberger Regelschulen. Diese Jugendlichen sind nicht böse. Sie sind nur vollkommen verwöhnt und verhätschelt, orientierungslos, alleingelassen. Die deutschen Familien wenden ebenfalls das Gesicht ab, ziehen weg.

Die jungen Türken und Araber der dritten und vierten Generation  sind das Gegenstück zu einer anderen Gruppe deutscher Jugendlicher, die derzeit wieder verstärkt Autos anzünden, Läden einschmeißen, Steine schmeißen, Polizisten angreifen, Menschen zu vertreiben suchen. Die deutschen sogenannten autonomen Jugendlichen einerseits und die türkisch-arabischen sogenannten muslimischen Jugendlichen andererseits halten sich streng voneinander getrennt, sie haben nichts miteinander zu tun. Sie leben die Spaltung, auf die die deutsche Gesellschaft zuschreitet, bereits vor. Aber sie verbindet doch eine gemeinsame Grunderfahrung: „Mach, was du willst, hier in Berlin kannst du dir alles erlauben – aber lass dich nicht erwischen.

Und wenn sie dich erwischen, leugne alles ab.“

Über diese Haltung sagt der Koran in Sure 22, Vers 11:

Und unter den Menschen gibt es manch einen, der Gott nur beiläufig dient. Wenn ihn etwas Gutes trifft, fühlt er sich wohl dabei. Und wenn ihn eine Versuchung trifft, macht er kehrt auf seinem Gesicht. Er verliert das Diesseits und das Jenseits. Das ist der offenkundige Verlust.

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Wer mahnt besser – die Überlebenden oder die Toten?

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Jan 272009
 

Der Ausdruck Holocaust gefällt mir nicht. Ich kenne ihn aus der Septuaginta, der griechischen Übersetzung der Tora,  als Bezeichnung für das Opfer, bei dem das Tier ganz verbrannt wird – das „Ganzopfer“. Nein, ich ziehe den Ausdruck Schoah bei weitem vor – wie in Israel üblich.

Mein erstes KZ besuchte ich im Alter von 16 Jahren – es war Majdanek bei Lublin. Ich reiste zusammen mit einer Gruppe des BDKJ – des Bundes Deutscher Katholischer Jugend.  Wir wurden durch das Lager geführt – durch einen polnischen Überlebenden. Er zeigte uns die Baracken, die Reste der Öfen, er deutete in bestem Deutsch einiges an von den Schrecken, die er erlebt hatte. Anschließend lud er uns zu sich nachhause ein, wir wurden bewirtet, wir sangen gemeinsam einige Lieder und spielten auch auf dem Klavier, das da stand.

Warum ich das erzähle? Ich meine: Es ist ein Privileg, mit Überlebenden sprechen zu dürfen. Es ist noch ein größeres Glück, von ihnen bewirtet zu werden. Und am schönsten ist es, mit ihnen zu singen. Und ich meine: An jeden KZ-Besuch, an jede Gedenkveranstaltung sollte sich eine „Rückführung ins Jetzt“ anschließen. Irgendetwas, eine Geste, eine gemeinsame, fast rituelle Handlung, die zeigt: Wir erkennen die Vergangenheit an – aber das Jetzt ist stärker. Das kann ein Lied sein – oder sogar ein Witz.

Immer wieder bin ich danach in meinem Leben Überlebenden begegnet – verschiedenen KZ-Überlebenden, aber ich begegnete auch im Kreis meiner russischen Verwandten Menschen, die die Belagerung Leningrads überlebt hatten. Und ich habe Menschen kennengelernt, deren Angehörige durch den sowjetischen Terror in Russland vernichtet worden sind.

Bei all diesen Begegnungen war es für mich entscheidend zu erfahren: Wir sind im Jetzt, – die Schrecken der Vergangenheit sind hinter uns und diese Überlebenden sind Menschen aus Fleisch und Blut wie ich auch. Was mir immer wieder auffiel: Sie wirkten in der Erinnerung viel befreiter und … sogar humorvoller als wir Nachgeborene. Nur ganz wenige habe ich kennengelernt, deren ganzes nachfolgendes Leben zerstört war.

Zurück zur Frage: Wer mahnt besser? Ich meine: Die Toten mahnen uns nicht wirklich – nur die Lebenden können uns etwas sagen. Wir, die Lebenden, die Nachher-Lebenden müssen uns selbst mahnen.

Eklat um Holocaust-Gedenken – “Überlebende wie Zaungäste“ – Politik – sueddeutsche.de
Bundespräsident Horst Köhler hat dazu aufgerufen, die Erinnerung an das Verbrechen des Holocaust zu bewahren. „Wer sich der eigenen Vergangenheit nicht stellt, dem fehlt das Fundament für die Zukunft. Wer die eigene Geschichte nicht wahrhaben will, nimmt Schaden an seiner Seele“, sagte Köhler zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus.

Die Verantwortung aus dem Völkermord an den Juden sei Teil der deutschen Identität. „Die Trauer über die Opfer, die Scham über die furchtbaren Taten und der Wille zur Aussöhnung mit dem jüdischen Volk und den Kriegsgegnern von einst sie führen uns zu den Wurzeln unserer Republik“, sagte Köhler in der Gedenkstunde des Bundestages.

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Sei mein Freund! Oder: Wie sog. Parteifreunde zu Verbündeten werden können

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Nov 172008
 

Der neue Präsident hat mal wieder ein meisterhaftes Interview geliefert. Diesmal auf CBS. Nicht staatsmännisch-gelehrt wie bei der Rede damals an der Siegessäule, sondern locker, gewürzt mit allerlei Anspielungen und Geschichtchen vom heimatlichen Kaminfeuer, von Schwiegermutter und Hund.

Aber erneut blitzt die alte Weisheit auf, die schon Abraham Lincoln beherzigte: Innerparteiliche Risse lassen sich am besten dadurch überbücken, dass man Gegnerschaft mit einem guten, ehrenvollen Posten belohnt. Dann läuft es wieder rund.

Lessing legte es Nathan dem Weisen in den Mund, nach der qualvollen Auseinandersetzung zwischen den verwandten Schwesterreligionen Judentum, Christentum und Islam: „Sei mein Freund!“

Wird die Botschaft Lessings, die Botschaft Abraham Lincolns, die Botschaft der Versöhnung auch in Deutschland, auch in Berlin vernommen? Wie hieß doch noch mal die Versöhnungsreligion? Hab ich da nicht was gehört in der Schule?

Wir werden es erfahren!

Obama, on ’60 Minutes,‘ talks about the challenges ahead – Los Angeles Times
Asked by CBS‘ Steve Kroft whether he planned to put political enemies in his Cabinet, as Abraham Lincoln did, Obama responded by saying the first president from Illinois was a „very wise man.“

 Posted by at 13:38
Mai 192008
 

Junge Banker schütten Champagner über ihren Köpfen aus, um ihre Boni zu feiern. Etwa 190 Parlamentarier der C-Parteien verlangen unter dem Motto „Mehr Netto vom Brutto“ rasche Steuersenkungen für kleine und mittlere Einkommen von der Bundesregierung. Die „kalte Progression“ zieht geringe Einkommensverbesserungen gleich wieder aus der Tasche. Diese und andere Phänomene greifen sowohl Bundespräsident Köhler wie auch die Partei DIE LINKE immer wieder auf. Sie legen den Finger auf offene Wunden. Salz in diese offenen Wunden streut auch der neue Armutsbericht der Bundesregierung, der am heutigen Tage herausgekommen ist.

Der stellvertretende Linksparteichef Klaus Ernst wertete den Armutsbericht als Dokument des Scheiterns der SPD. „In ihrer Regierungszeit hat sich die Zahl der Vermögensmillionäre verdoppelt und zugleich die Armut deutlich zugenommen“, sagte er laut Spiegel online von heute.

DIE LINKE greift mit großem Geschick Schwachstellen und Unzufriedenheiten aus der gegenwärtigen Lage auf. Aus welchen Parteien sie ursprünglich entstanden ist, diese Frage muss verblassen angesichts der Frage: Hat sie recht oder nicht recht mit ihrer Diagnose? Welche Vorschläge macht sie? Sind ihre Vorschläge brauchbar oder unbrauchbar, bezahlbar oder unbezahlbar?

Die beiden großen Parteien, SPD und Union, haben sich bisher fast überhaupt keiner sachlichen Argumente bedient, um sich mit der LINKEN auseinanderzusetzen. Ich höre statt sachlicher Argumente aus diesen Parteien nur ein diffuses Hintergrundrauschen, fast nur: „Billiger Populismus … unbezahlbar … eine Schande, dass die uns in Berlin mitregieren … die neue RAF … “ Dieses denkbar niedrigste Niveau der Auseinandersetzung hat den Erfolg der LINKEN noch verstärkt, denn die Bürger sind hellhörig geworden gegenüber Verteufelungsversuchen und „Rote-Socken-Kampagnen“ aller Art. Diese Manöver haben bisher ausnahmslos „nicht funktioniert“, wie Jörg Schönbohm der FAZ sagte. Eine der wenigen hellsichtigen Stimmen aus der Union stammt übrigens von Volker Kauder:

„Ohne Antworten auf die Fragen, die die Linke aufwirft, können wir uns nicht davonstehlen.“

Was können die verunsicherten Volksparteien SPD und CDU tun? Ich meine:

1) Verbale Abrüstung tut not. Die maßlose Verunglimpfung der LINKEN muss aufhören. Ein Dietmar Bartsch, ein Senator Harald Wolf und viele andere haben nun mal nichts mit dem Mauerbau und zurückliegendem DDR-Unrecht zu tun. Vieles vom heutigen Gezetere aus Unions- und SPD-Kreisen gemahnt an die maßlose linke Kritik an der CDU in den 50er und 60er Jahren, als in der Tat viele Nazi-Mitläufer und ehemalige NSDAP-Mitglieder Unterschlupf in den neu entstandenen Parteien fanden, darunter der berüchtigte Staatssekretär Globke.

2) Nachlesen, was die LINKE will. Fragt man diejenigen, die so heftig auf die LINKE einschlagen, was sie eigentlich gegen die LINKE haben, dann kommt meist keine genaue Antwort, außer undeutlichem Gebrummel, etwa: Das sind alles Stasi-Leute, die haben die Mauertoten auf dem Gewissen. Kaum jemand in den „Altparteien“ kennt die wesentlichen Forderungen der LINKEN, kaum jemand hat sich sachlich damit auseinandergesetzt.

3) Konsequent nach vorne schauen! Die meisten Argumente gegen die LINKEN speisen sich aus einer bestimmten Sicht auf die Vergangenheit. Aber: Das Hemd sitzt näher als der Rock, die Menschen im Lande wollen heute und morgen anständig leben, sie wollen nicht die Schlachten der Vergangenheit wieder und wieder kämpfen. Politik heißt: Gestaltung des Heute mit einem Blick auf tragfähige Zukunft. Es geht meist nicht um Gut und Böse, sondern um machbar/nicht machbar, bezahlbar/nicht bezahlbar. Die Menschen aus der DDR haben einfach keine Lust darauf, sich ihre „Biographie“ von selbsternannten Tugendwächtern aus Westdeutschland „würdigen zu lassen“. Sie werden ihr Kreuzchen bei den Parteien machen, von denen sie sich ernstgenommen und angenommen fühlen, bei jenen Parteien, die den richtigen Ton treffen, die die richtigen Fragen stellen.

4) Sachliche, auch harte Auseinandersetzungen führen, aber nicht ständig ad personam und ad historiam urteilen! Lasst die DDR doch mal DDR sein, Schnee von gestern! Materialien und die Homepage der Linken stehen im Netz. Man sollte sie zur Kenntnis nehmen.

5) Wo sie recht haben, haben die LINKEN recht. Es könnte doch sein, dass sie auch einmal den Nagel auf den Kopf treffen? So stellen sie besonders unbequeme Fragen zum Afghanistan-Krieg, auf die im Moment keine befriedigenden Antworten erfolgen. Man sollte nicht immer gleich alles in Bausch und Bogen verurteilen, was die LINKE sagt.

6) Auf die Bindekraft des parlamentarischen Systems vertrauen! Die Bundesrepublik hat erfolgreich die GRÜNEN in das System eingebaut, sie sind heute als wichtiger Teil des innerparlamentarischen Parteienspektrums nicht mehr wegzudenken. Das Gleiche wird auch mit den LINKEN geschehen und geschieht bereits jetzt.

7) Alternativen anbieten! Die Fragen, die die LINKE aufwirft, haben unleugbar ihre Berechtigung, die beiden anderen Volksparteien SPD und Union sollten in einen ständigen Wettbewerb um die besten Antworten mit dieser dritten Volkspartei treten.

Insgesamt meine ich: Man muss es der LINKEN nicht gar so einfach machen, wie es die älteren Parteien, insbesondere die Union, ihr derzeit machen. Respekt, Höflichkeit und Achtung ist angesagt, auch gegenüber den politischen Gegnern von der LINKEN. Wenn es daran fehlt, dann bestärkt man die Leute in ihrer Verdrossenheit gegenüber den „Altparteien“ noch zusätzlich, und man gräbt sich in den Trutzburgen seiner alten, löchrig gewordenen Weltanschauungspanzer ein.

Übrigens: Am Parteiensystem Italiens kann man wunderbar studieren, wie ganze Parteien sich selbst sehenden Auges umbringen – so gibt es die frühere Democrazia Cristiana (DC), die italienischen Christdemokraten nicht mehr. Sie haben sich aufgelöst. Nachdem die Mauer gefallen war, verloren sie die Peilung, gruben sich in ihren alten, sinnleer gewordenen Antikommunismus ein und wurden als Machterhaltungsapparate demaskiert – Selbstmord auf Raten! Profitiert haben originelle Neuschöpfungen, Anti-Parteien, die erfolgreich die Sympathisanten des früheren Faschismus, also die Neofaschisten vom MSI, mit dem Heer der Unzufriedenen und Verdrossenen verbanden. Man lese hierzu: Christian Jansen: Italien seit 1945, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007. Im Kapitel „Die herrschenden Parteien werden abgewählt“ heißt es auf S. 204:

Während des Jahres 1993 verschwanden die fünf Parteien, die die Erste Republik bestimmt hatten, von der politischen Bühne: die DC, die offiziell am 26. Juli 1993 aufgelöst wurde, zerfiel in verfeindete Kleinparteien (die linkskatholische PPI, die konservativen CDU und CCD), die sich seitdem mehrfach neu gespalten und zusammengeschlossen haben. Die schnelle Auflösung der erfolgreichsten und mächtigsten Partei des Westens zeigt, dass nicht gemeinsame Ziele, sondern anfangs gemeinsame Gegner, die politische Linke, und dann mehr und mehr allein die Verteilung von Macht und Pfründen die DC zusammengehalten hatte.

Leute, Freunde: Das Leben geht weiter, schaut nach vorne! La vita è bella.

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