Aug 302010
 

Er ist einer der intelligentesten Politiker, die Berlin je hatte. Seine Frageansätze sind brillant, seine Faktenkenntnis ist in einigen Feldern unübertroffen. Er ist zäh, sorgfältig und fleißig. Er argumentiert strategisch, aber er reagiert taktisch nicht immer optimal.

Aber er „verrennt sich“ allzu leicht, verprellt wohlgesonnene Zuhörer und Menschen, die ihm zu folgen versuchen. Ihm fehlt vielleicht das echte Du. Ich meine: Wir müssen den irrenden Menschen zurückholen in unsere Wertegemeinschaft!

Wenn er doch nur einmal zu uns in die Kreuzberger Fanny-Hensel-Schule käme und statt einer PowerPoint-Präsentation ein Märchen aus 1001 Nacht erzählte, die Herzen der durchweg muslimischen Kinder würden ihm zufliegen! Und sein Herz flöge ihnen, den Kindern zu, als flöge es nachhaus. Und wenn er dann noch ein Gedicht aus dem West-Östlichen Divan von Goethe vortrüge, flöge vor einem einzigen Wort der ganze unsägliche Wirrwarr der entstellenden Kommentare fort.

Er würde Empathie für die Muslime entwickeln können, die ihm leider offenbar noch fehlt.

Es gibt doch kaum etwas Schöneres, als diesen unseren so schmählich übersehenen, links liegen gelassenen „libanesischen“ Kindern, ich sage bewusst „unseren Kindern“, Freude und Zukunftshoffnung zu schenken! Ich weiß es, denn wir durften es immer wieder versuchen.

Ich glaube an diese Kinder.

Diese muslimischen Kinder sind der größte Schatz, der uns anvertraut ist! Wir stehen alle in der Verantwortung.

Aber ich bleibe dabei: Seine Fragenansätze sind spannend, er ist einer der intelligentesten Politiker, die Berlin in den letzten Jahren hatte.

Wer ist gemeint?

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Mrz 292010
 

„Die Grundrechte und -freiheiten beinhalten auch Verpflichtung und Verantwortung der Person gegenüber der Gemeinschaft, ihrer Familie und gegenüber den anderen Personen.“

Verfassung.pdf (application/pdf-Objekt)

So steht es in der türkischen Verfassung (Art. 12). Spannend! Sie ist eine der wenigen mir bekannten Verfassungen, die neben den Grundrechten der Person auch umfassende explizite „Grundpflichten“ enthält.

An Grundpflichten kennt das deutsche Grundgesetz nur die Pflege und Erziehung der Kinder (GG Art. 6, 2) und die Wehr- und Dienstpflicht (Art. 12 a)!

Eine Pflicht zur Selbsterhaltung oder gar eine Arbeitspflicht kennt die deutsche Verfassung nicht. Sie verbietet ganz offen die Zwangsarbeit – und folglich auch den Arbeitszwang (Art. 12).

Das heißt auf gut Deutsch: Wenn einer nicht lernen und nicht arbeiten will oder nicht arbeiten kann – dann kann er auch nicht dazu gezwungen werden.

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Mrz 132010
 

„Er war verloren und ist wiedergefunden worden“, so heißt es in der alten, ewig jungen Geschichte vom verlorenen Sohn. „Jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern.“

Wenn ich es recht bedenke, müsste diese Geschichte heute ebenso sehr auch als die „Geschichte vom verlorenen Vater“ erzählt werden. Wieviele Söhne und Töchter berichten mir davon, dass sie ihren Vater nie so recht gekannt, nie so recht gefunden hätten. Es ist, als hätte sich die Gestalt des Vaters verflüchtigt und müsste erst mühsam wiedergefunden werden. Der Vater – muss wiederkommen.

Die schönste Fassung dieser Geschichte von der Wiederkehr des Vaters bietet in meinen Augen Giani Stuparich, ein 1891 in Triest geborener, Italienisch schreibender Autor. Erst vor wenigen Tagen las ich seine Erzählung  „Il ritorno del padre – Die Wiederkehr des Vaters“. Ich kenne keinen anderen Autor, dem es so gut gelänge, dem zuhause verlassenen Sohn wie auch dem in der Welt verlorenen Vater Mitgefühl und Gerechtigkeit widerfahren zu lassen!

Der Vater – das ist ein Hallodri und Kneipengänger, ein Herumtreiber – so stellen ihn die Verwandten dar. Der Sohn stellt ihn sich ganz anders vor. Er meint: „Die allermeisten Verurteilungen verwandelten sich in Lobpreisungen.“  Der Vater ist stark, verständnisvoll, erfolgreich, warmherzig. So soll er zumindest sein in den Phantasien des Sohnes.

Und dann beschreibt Stuparich genau, was bei einer tatsächlichen Begegnung in Vater und Sohn vorgeht. Dieses Hin- und Herschwanken, diese Furchtsamkeit, sich auf einen anderen Menschen einzulassen! In der Begegnung mit dem kleinen Sohn erfährt der Vater seine eigene Schwäche und Verletzlichkeit. Er wehrt sich dagegen. Er möchte einfach so gehen, obwohl der Sohn gerade davor große Angst hat.

Dann bleibt er doch. Mit dem Rauch einer Zigarette bläst der Vater zum Schluss dem Sohn buchstäblich den Ruch des großen Lebens ein – im ausgetauschten Atmen ergibt sich etwas, woran so viele Vater-Sohn-Geschichten ein Leben lang sich vergeblich abmühen: die Versöhnung. Angeleitet von diesem „zarten lebendigen Gewicht, das sich in seine Brust hinabließ wie ein Anker in die beruhigt schimmernden Fluten eines stillen Hafens“, oder im Original:

Negli occhi aperti del padre passavano le luci di nuovi sentimenti, che davano alla sua faccia un’espressione di dolorante bontà. Erano stati sotto, in fondo al suo cuore quei sentimenti, repressi e soffocati da altre passioni: ora tornavano a galla, richiamati da quel dolce e vivo peso, che scendeva dentro il suo petto come un’àncora nelle acque riposate e limpide d’un porto in calma.

Ich empfehle diese meisterhafte Erzählung allen Töchtern und Söhnen, die bisher auf die Heimkehr des Vaters vergeblich gewartet haben.

Leseempfehlung: Giani Stuparich, Il ritorno del padre e altri racconti. Con una nota di Arrigo Stara. Verlag Giulio Einaudi, Turin 1961 und 1989, hier S. 18

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Jan 062010
 

Und hier kommt Futter für euch! Mit den nachstehenden Gedanken stellte ich mich gestern der Nominierung und konnte die Parteifreunde von CDU umdenken dafür gewinnen, mich als Kandidaten ins Rennen um den Kreisvorsitz zu schicken. Und jetzt ran ans Leitbild! Lest selbst. Kommentiert. Macht euch Gedanken.

1.       1. “Die Aufsteigerrepublik” Armin Laschets, “die soziale Marktwirtschaft”, “die wachsende Stadt” eines Ole von Beust – das alles sind Beispiele für prägnante, positiv nach vorne weisende Leitbilder. Diese müssen das Fundament der Politik in Bezirk und Bundesland bilden. Leitbilder ruhen auf Leitbegriffen wie etwa der Menschenwürde oder der Freiheit  auf.

2.       2. “Einigkeit und Recht und Freiheit”, das ist ebenfalls ein solches Leitbild. Wir erkennen: Leitbilder müssen klar sein, sie müssen einfach sein, und sie müssen oft wiederholt werden. Sie sind keine Selbstverständlichkeit. Sie müssen durch Wiederholung und Werbung in Fleisch und Blut übergehen.

3.       3. Das Arbeiten für das Leitbild muss das Auftreten der Partei prägen. Wir brauchen Sätze wie etwa: „„Das Wichtigste ist, dass die Kinder eine Zukunft erarbeiten können““, oder: „“Das Wichtigste ist, dass unser Bezirk, unsere Stadt Erfolg hat.“ Was können wir dafür tun?“

4.       4. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ist wie die Stadt Berlin durch eine starke Zerklüftung und zunehmendes Auseinanderdriften der verschiedenen Bevölkerungsteile geprägt. Die zersplitterten Milieus versuchen nun, das jeweils Beste für sich herauszuholen, da sie sich keinem gemeinsamen Leitbild verantwortlich wissen. Die Politik, der Staat wird fast nur noch als „Anspruchsgegner“ wahrgenommen, nicht als gemeinsame Sache. So sind etwa die Autozündeleien ein, aber auch nur ein Ausdruck dieses Anspruchsdenkens: „Ich hol mir was ich will und wenn ich es nicht krieg dann schlag ich zu.“

5.       5. Die Stadt kann zusammenwachsen, wenn die Menschen zu Personalität und Subsidiarität zurückfinden. Personalität heißt, dass jede und jeder sich als unverwechselbare, unendlich wertvolle, freie, verantwortliche Einzelpersönlichkeit erfahren kann. Subsidiarität bedeutet, dass die jeweils niedrigste Ebene des Zusammenlebens die erste Zuständigkeit beansprucht: Der Einzelne – die Familie –  die Schule – der Betrieb – das Haus – die Nachbarschaft: das sind diese untersten Ebenen. Sie gilt es zu stärken und zur Verantwortung zu rufen.

6.       6. Die Politik der zusammenwachsenden Stadt steigt von unten nach oben auf. Im Gegensatz zur von oben herab ausgleichenden, verteilenden Gerechtigkeit, wie sie etwa die SPD bevorzugt, muss die CDU die Allzuständigkeit der oberen Ebenen bewusst zurückdrängen. „Die Politik“ muss sehr viel bescheidener auftreten. Sie darf nicht so viel versprechen. „“Wir kümmern uns um euch“,“ –dieser Satz führt die CDU in die Sackgasse eines Versorgungsstaates. Statt dessen muss es heißen: „“Kümmere dich um dich selbst, um deine Familie, um deine Nächsten. Lerne. Arbeite.  Ihr seid die Schmiede eures Glücks. Der Staat kann euch nicht glücklich machen.““

7.       7. Hat man sich auf dieses Leitbild geeinigt, so gilt: Bei allen Aktionen der CDU Friedrichshain-Kreuzberg muss der Aspekt des Zusammenwachsens durchscheinen. Die Partei muss Partner in der Zivilgesellschaft suchen und dauerhafte Bündnisse eingehen. Das setzt voraus, dass die CDU dem Unions-Gedanken volles Vertrauen schenkt.

Alle werden dieses Leitbild freudig begrüßen. Keiner wird sich der Anziehungskraft dieser guten Idee entziehen. Statt immer nur mehr für sich zu verlangen, werden die Menschen sagen: „Da will ich mitmachen!”

Gemeinsam gelingt die zusammenwachsende Stadt. 

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Gibt es neben Menschenrechten auch Menschenpflichten?

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Dez 012009
 

„Sie ist einfach ein toller Politiker, noch wichtiger: als Mensch für mich ein echtes Vorbild, sie hat einen starken Begriff von Pflicht und Hingabe – und das Ganze präsentiert sie obendrein mit einem Lächeln. Jungs, da können wir (noch) nicht mithalten.“ So schrieb ich kürzlich einer werten Freundin nicht ins Stammbuch, aber sehr wohl ins Facebook. Anlass: ein klitzekleines Revirement an der Spitze zweier Bundesministerien. Wer war gemeint? Egal! Auffällig jedoch, dass es mir herausrutschte: „Ein starker Begriff von Pflicht und Hingabe.“ Damit bezog ich mich insbesondere auf die Tatsache, dass diese Politikerin die Pflege ihres demenzkranken Vaters in die Familie hineingenommen hat.

Also frage ich zum Frühstück: Gibt es neben Rechten und Ansprüchen auch Pflichten? Große Frage! Schaut man sich um im Lande, möchte man meinen: Die Frage ist offen. Nur wenn man mit einzelnen Menschen spricht, werden sie einem doch meistens zustimmen: „Ja, es gibt gewisse Pflichten. Aber nicht zu viele.“

Gibt es neben individuell einklagbaren Menschenrechten auch individuell einzufordernde Menschenpflichten? Ich meine damit sittliche Pflichten im öffentlichen und privaten Bereich, etwa die vom Einzelnen zu fordernde Pflicht zur Generationengerechtigkeit, die individuelle Pflicht zur Umweltgerechtigkeit, die individuelle Pflicht zur Fürsorge für die eigenen Kinder und Eltern? Kann man erwarten oder verlangen, dass Kinder sich um die demenzkranken Eltern kümmern?

Viele werden zugeben: „Wir müssen etwas gegen die Erderwärmung tun!“ Aber kann man dann verlangen, dass man den Privat-PKW abschafft und nur noch Fahrrad, Bus und Bahn fährt?  Denn der private Kfz-Verkehr trägt ganz erheblich zur privaten „Kohlendioxid-Verschuldung“ bei – ganz abgesehen von den sonstigen Folgekosten.

Wir müssen darüber sprechen!

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Glaubwürdigkeit steht und fällt mit Personen

 Feig, Person  Kommentare deaktiviert für Glaubwürdigkeit steht und fällt mit Personen
Aug 232009
 

Es gibt viele glaubwürdige Politiker. Immer wieder führe ich aus der Fülle der Beispiele namentlich einige Politiker an, die mir durch einige aufblitzende Erkenntnisse, durch unscheinbare, aber bedeutsame Abweichungen von der Parteilinie zu erkennen geben, dass sie mit Herz und Verstand zu dem stehen, was sie sagen: Helmut Schmid, Horst Köhler, Oswald Metzger, Jürgen Todenhöfer, Kurt Biedenkopf, zu Guttenberg („Unsere Kommunikationsstrategie ist gescheitert“), Peter Gauweiler („Wir haben vor Feigheit gestunken“). Und und und. Die Liste der glaubwürdigen Politiker ist verlängerbar. Jeder Politiker kann sich einreihen, so sie oder er dies will, denn wir sind ein freies Land.

Die Parteizugehörigkeit ist für mich bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit unerheblich, ebenso unerheblich ist es, wo und in welchem Organ der Politiker veröffentlicht oder nicht veröffentlicht.

Aber zu den unverstelltesten, den glaubwürdigsten deutschen Politikern zähle ich Vera Lengsfeld. Niemand, der sich zu dieser Politikerin heute zu Wort meldet, scheint übrigens ihre gesammelten Äußerungen als Bundestagsabgeordnete zur Kenntnis zu nehmen. Dabei ist es doch das Naheliegendste der Welt, dass man erst einmal nachsieht, was eine Politikerin schon früher veröffentlicht hat, ehe man sie wieder zurück in den Bundestag wählt.

Man kann dies aber ohne weiteres tun. O Segnungen des Internets! Klickt euch einfach  durch den untenstehenden Link. Die Äußerungen Lengsfelds sind – so meine ich – gut haltbar. Sie verdienen es, nachgelesen zu werden. Sie sind natürlich nicht plakativ, man kann so ein Interview nicht auf die nächste Litfass-Säule kleben. Die Leute würden darüber nicht diskutieren. Aber es lohnt sich schon, sich darin ein bisschen festzulesen.

Hier sind die gesammelten Äußerungen:

Vera Lengsfeld Mitglied des Deutschen Bundestages

Danach kann man immer noch entscheiden, ob man dieser Frau auch seine Erststimme gibt oder nicht.

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Apr 252009
 

Ringsum ruhet die Stadt, still wird die erleuchtete Gasse, Und mit Fackeln geschmückt rauschen die Wagen hinweg, diese Verse warf ich in die Runde irgendwo in Berlin beim Italiener, als der Wein schon fast ausgetrunken war. Hell schimmerte die Kuppel des Deutschen Doms über dem Gendarmenmarkt. Es ging ums Grundsätzliche.

Hinwegrauschende Wagen, davontreibende Begrifflichkeiten – das sind auch die zahlreichen Begegnungen, Vorträge, Diskussionen, die ich den letzten Tagen geführt und gehört habe.  Was bleibt am deutlichsten haften? Wohl dies: ein neu erwachtes Gespür, dass den Menschen in diesen Wochen nichts so sehr am Herzen liegt wie das Aufbrechen der Kruste der Gleichgültigkeit, das Einstehen für sich und für andere, mit einem Wort: eine neue Verantwortlichkeit.

Beipiele für diese umfassende Sehnsucht nach Verantwortung? Es waren für mich in diesen Tagen: Der Kongress 30 jahre taz, die beiden neuen Bücher Die verlogene Gesellschaft von Oswald Metzger, Die gute Schule von Christian Füller. Und der Fluch „Fick dich!“, den mir gestern ein Radfahrer entgenschleuderte, als ich ihn durch höflichstes Klingeln und den Zuruf „Du fährst falsch“ darauf aufmerksam machte, dass er im Begriffe stand, mich über den Haufen zu fahren, da er den Radweg in der falschen Richtung benutzte und volle Kanne auf mich zusteuerte.

Alle diese Zeugnisse und Erfahrungen kommen überdeutlich überein: Wir müssen das gängige System der organisierten Verantwortungslosigkeit durchbrechen, das uns nicht weiterbringt. Ich möchte anfangen, diese Verantwortung mir selbst abzuverlangen. Dabei fange ich ganz klein an: etwa durch das Einhalten von Verkehrsregeln, durch Höflichkeit und Rücksicht im Straßenverkehr, auch wenn sonst kaum jemand sich drum kümmert.  Wer – wie so viele Radfahrer – in Anwesenheit von Kindern es nicht fertigbringt, bei Rot anzuhalten, bei dem glaube ich nicht, dass er in wichtigeren Fragen zu seiner Verantwortung steht. Ein solches Verhalten kann nicht vorbildlich sein.

Gehäufte Regelverletzungen, das ständige Übertreten von Normen des zivilisierten Umgangs zeichneten von Anfang an viele kriminelle Karrieren in der Politik des 20. Jahrhunderts aus. Das wird meines Erachtens viel zu wenig bedacht. Ein Hitler, ein Stalin, ein Lenin – sie und viele andere Verbrecher fingen ihre Laufbahn damit an, dass sie Fenster einschmissen, Graffiti auf unliebsame Geschäfte pinselten, grölend Versammlungen sprengten, fremdes Eigentum beschädigten und Körperverletzungsdelikte begingen – und zwar lange ehe sie in Regierungsämter gelangten. Sie verachteten den bürgerlichen Rechtsstaat und deshalb hielten sie sich nicht an seine Regeln.

Umgekehrt meine ich: Wer diesen Rechtsstaat will und bejaht, der muss sich an seine Regeln halten, auch im Kleinen. Das ist ein erster, winziger Schritt zur neuen Verantwortlichkeit, die doch alle so sehr wünschen.

Und jetzt gilt – still wird die erleuchtete Gasse.

 Posted by at 23:32
Jan 252009
 

Wiederholt habe ich in diesem Blog beklagt, dass von den Bürgerrechtlern aus der DDR heute auf der politischen Bühne so wenig zu hören ist. Sie haben wesentlich bewirkt, dass das System DDR von innen heraus gekippt worden ist. Unterstützt fühlten sie sich dabei von der Bundesrepublik kaum oder gar nicht. Und wie fühlen sie sich heute? Und heute, nachdem die beiden deutschen Staaten vereinigt sind, bestimmen andere das Geschehen – Menschen, die es gelernt haben, dass Macht auch auf wechselseitig gewährter Zustimmung beruht.

Dabei meine ich, dass unbequeme, nicht parteienhörige Frauen und Männer wie Bärbel Bohley, Vera Lengsfeld oder Werner Schulz eigentlich in viel größerer Anzahl  in den Parlamenten vertreten sein müssten.

Immerhin: Heute hat es jedenfalls Werner Schulz doch noch einmal zurückgeschafft. Und darüber freue ich mich! Warum war er bei den letzten Listenbesetzungen nicht wieder auf aussichtsreichem Platz nominiert worden? Ich kann nur mutmaßen: Durch seine offene Opposition gegen Kanzler Schröder und dessen mehr oder minder getürktes Misstrauensvotum im Jahr 2005. Erneut hatte Schulz also seine Überzeugung über den bequemen eigenen Vorteil, über den persönlichen Machterhalt gestellt! Es war ihm offenbar wichtiger, einen – wie er empfand –  Missbrauch des Grundgesetzes anzuprangern, als sich in seiner eigenen Fraktion lieb Kind zu machen.

Und genau deswegen brauchen wir mehr solche Leute – in allen Parteien! Das bedeutet übrigens nicht, dass ich Fraktionsdisziplin ablehne! Ich meine durchaus, dass in den allermeisten pragmatischen Fragen die Fraktionsdisziplin ein sinnvolles Mittel ist, um Berechenbarkeit herzustellen, z.B. in einer Frage wie der Steuerfestsetzung. Aber in so fundamentalen Fragen wie der Herbeiführung eines fingierten Misstrauensvotums, wo es um den Umgang mit dem Grundgesetz geht, muss der einzelne Abgeordnete seinem Gewissen mehr verpflichtet bleiben als den taktischen Manövern seiner Fraktion.

Das gleiche – so meine ich – gilt bei der Wahl des Bundespräsidenten. Der Vorwurf, den Herr Westerwelle gegen die 10 unbeugsamen Freien Wähler erhoben hat, sie begingen einen „miesen Wortbruch“, wenn sie sich ihr Votum in der Bundesversammlung noch einmal überlegen wollten, fällt auf ihn selbst zurück. Jedes Mitglied der Bundesversammlung ist doch verpflichtet, die oder den Kandidaten zu wählen, die er am Abstimmungstag für die bestgeeignete hält! Es gibt doch bei uns kein imperatives Mandat, Herr Westerwelle! Und Überzeugungen von der Tauglichkeit eines Bewerbers können sich ändern. Gerade das Amt des Bundespräsidenten ist überparteilich zugeschnitten, jeder Versuch, die Mitglieder der Bundesversammlung unter Druck zu setzen, kann das Ansehen des Amtes beschädigen.

Grüner Werner Schulz: Comeback für Europa – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Politik
Auch am 1. Juli 2005 hatte er gedonnert – und zwar in Richtung Regierungsbank. Dem rot-grünen Kanzler Gerhard Schröder schmetterte Schulz damals im Bundestag entgegen, die von ihm gestellte Vertrauensfrage sei „ein inszeniertes, ein absurdes Geschehen“. Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler, Mitbegründer des Neuen Forums und Bündnis-90-Urgestein, stellte sich wieder einmal gegen einen Mächtigen. Seine politische Karriere schien damit beendet. Für die folgende Bundestagswahl bekam Schulz, der sich auch gegen die Agenda 2010 ausgesprochen hatte, keinen sicheren Listenplatz mehr.

Seine Chancen im Vorfeld des Dortmunder Parteitags wurden als gering eingeschätzt. „Der ist durch“, hieß es von Realo- und Parteilinken-Insidern. Sieben Konkurrenten hatte er zudem für den aussichtsreichen Listenplatz acht, darunter ein aktueller Europaabgeordneter und Parteiveteran und weitere ernstzunehmende Kandidaten. „Ich weiß es doch auch nicht“, sagte Schulz am frühen Nachmittag auf die Frage nach seinen Chancen.

 Posted by at 22:03
Sep 192008
 

19092008001.jpg Kirsten Heisig, das ist neben der füheren Erzieherin meines Sohnes in der Kita am Kleistpark eine der Frauen, die ich bewundere. Ich erlebte die Neuköllner Jugendrichterin persönlich bei einer Anhörung im Bundestag – dieses Blog berichtete darüber am 22.01.2008. Ich meldete mich damals auch zu Wort (zum ersten Mal im Bundestag!), und was sie mir erwiderte, zeigte, dass sie sehr genau zuhört. Das muss sie sowieso, es ist Zeichen einer guten Richterin. Nicht umsonst heißt es im Englischen: „The judge hears the case.“ Der Richter verhandelt im angesächsischen Recht nicht den Fall, sondern er hört ihn.

Später sah ich ein Foto aus einem Infobrief des Vereins Morus 14. Dort war abgebildet, wie Richterin Heisig am Herd steht und für „schwierige“ Neuköllner ein Essen kocht und dann bei einem Fest mit ihnen feiert und isst. Toll, klasse, bewundernswert, mutig, Frau Heisig! Sie hören nicht nur richtig gut zu, Sie reden auch in klarer, schlichter, glaubwürdiger Sprache – und Sie handeln.

Frau Heisig ist ein Mensch, wenn man ihr zuhört, ist man sofort beeindruckt von ihrer Lauterkeit, ihrem Mut, ihrer Fähigkeit, sich in andere Lebensläufe hineinzuversetzen. Erneut großen Mut beweist sie mit ihren Vorschlägen zur migrantischen Jugendkriminalität. Da mein Sohn selbst Migrationshintergund hat, musste ich ihre Ausführungen aus dem Fachblatt „Der Kriminalist“ unbedingt lesen. Er soll ja nicht auf die schiefe Bahn geraten. Ergebnis der Lektüre: Im wesentlichen dieselben Aussagen, die Heisig im Januar im Bundestag mündlich vortrug: rascheres Reagieren auf Regelverletzungen, konsequenteres Ausschöpfen des vorhandenen rechtlichen Instrumentariums, stärkeres Eingehen auf kulturelle Hintergründe und abweichende Wertvorstellungen der Täter, Durchsetzen der in unsesem Lande geltenden Rechtsordnung, koordiniertes Zusammenwirken von Polizei, Sozialarbeit und Justiz.  Zitat aus dem Aufsatz:

Ich bin der Ansicht, dass im Bereich der Strafjustiz gegenüber den jugendlichen Straftätern vermehrt von den vereinfachten Jugendverfahren Gebrauch gemacht werden muss. Diese Verfahren ermöglichen es ohne Einhaltung von Form und Fristen, unmittelbar auf die Straftat zu reagieren. Deshalb wurde von Berliner Jugendrichtern (meinem Kollegen Günther Räcke und mir) ein Modellprojekt für den Bereich Neukölln-Nord initiiert. Wir Jugendrichter haben mit einem Polizeiabschnitt in Neukölln, einem Staatsanwalt und einem Mitarbeiter des Jugendamtes eine kleine „schnelle Eingreiftruppe“ gebildet, die sich zum Ziel gesetzt hat, in geeigneten Fällen der kleinen bis mittleren Kriminalität innerhalb von etwa drei Wochen nach der Tat bei Jugendlichen zu einer richterlichen Maßnahme zu kommen.

Jugendliche – So denkt eine Berliner Richterin über kriminelle Ausländer – Berlin – Berliner Morgenpost

Die klug abwägenden Vorschläge Kirsten Heisigs leuchten mir ein. Ich bin kein Fachmann, aber ich spreche oft mit arabischen und türkischen Jugendlichen. Sie warten – so mein Eindruck – nur darauf, einmal ernst genommen zu werden, mit Namen angesprochen zu werden, in ihrer Sprache angeredet zu werden, Grenzen zu spüren. Eine solche Grenzerfahrung kann über die Justiz erfolgen. Besser wäre es, wenn der Vater oder die Mutter oder andere erwachsene Männer die festen Grenzen zögen.

Und was sagen unsere vielfach gerühmten Berliner Landespolitiker?  Liest man deren Stellungnahmen durch, so erkennt man: Es wird immer nur der eine oder andere Teilaspekt herausgegriffen, das gesamte Modell wird kaum gewürdigt, unmittelbar danach versuchen die Politiker, Kapital für ihre eigene Partei daraus zu schlagen, indem sie die von jeher erhobenen Forderungen des eigenen Haufens an die Vorschläge Kirsten Heisigs draufpappen. Also: CDU schlägt mit der Holzhammer-Forderung nach Herabsetzung der Strafmündigkeit und schärferen Strafmaßen drauf, Grüne heucheln Einfühlung in fremde Kulturen,  SPD unterstellt der Richterin Heisig fälschlich plumpe Einseitigkeit. Auf dass das Licht der eigenen Partei umso heller scheine. Richtig Ahnung von der Materie dürften die wenigsten Politiker haben.  Aber zuhören sollte man schon können. Wenigstens der Frau Heisig.

Richterin Heisig: Bitte übernehmen Sie den Fall! Gehen Sie doch bitte in die Politik. Sie könnten es besser. Ich werde Sie wählen, egal in welcher Partei. Doch halt, da gibt es ja die Landeslisten – dann werden Sie doch bitte Direktkandidatin. Am besten in Neukölln.

Das Foto des Tages zeigt die Losung für Heisigs kooperativen Ansatz: „Gemeinsam sind wir eine Macht.“ Das Banner habe ich heute auf dem Boulevard Unter den Linden aufgenommen. Dort gingen Ärzte, Pfleger und Schwestern in guter Abstimmung spazieren.

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Demenz annehmen – Lösungen suchen – Pflegemarkt besser strukturieren

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Aug 212008
 

Ich finde aus meiner persönlichen Sicht den Vorschlag von Gesundheitsministerin Schmidt gut, Langzeitarbeitslose nach entsprechender Schulung für die Betreuung unserer Demenzkranken und anderer Pflegebedürftiger einzusetzen. Demenz im hohen Alter ist ein Massenphänomen, das in unserer alternden Gesellschaft an Bedeutung noch zunehmen wird. Hier sind wir alle gefordert, nach Lösungen zu suchen. Eine sehr gute Lösung kann sein, zu den Demenzkranken in die Wohnung zu ziehen oder sie zu sich zu nehmen. Dies hat etwa Ministerin von der Leyen kürzlich gemacht. Ihr Kommentar: „Das schlechte Gewissen ist weniger geworden!“ Hut ab, Frau Ministerin! Ich war aber sowieso schon ein Fan von Ihnen. „Just another fawning German …!“

Die Angehörigen allein sind aber häufig überfordert, da ein schwer dementer Mensch rund um die Uhr auf Abruf Betreuung und Zuwendung abraucht. Ein großer Teil dieser Arbeit wird heute in Deutschland durch Hunderttausende von osteuropäischen Frauen erbracht. Genaue Zahlen gibt es nicht. Die Herkunftsländer: Polen, Ukraine, Russland, Lettland, Estland, Litauen. Frauen, die aus ganz anderen Berufen kommen und keine hinreichende Ausbildung haben, schon gar nicht den jetzt ins Auge gefassten 160-Stunden-Kurs. Dennoch leisten diese Frauen aufgrund von viel Einfühlung, mühsam erworbener Erfahrung und einer richtigen Grundhaltung gute, ja oft hervorragende Arbeit. Sie sind durch ihre eigene prekäre wirtschaftliche Lage in den Heimatländern gezwungen, diese Arbeit anzunehmen.

Die sozialrechtliche Stellung vieler dieser Frauen ist ungeklärt. Sie bewegen sich in einem grauen Bereich. Jeder in der Branche weiß es. Aber der Pflegesektor in Deutschland bräche sofort zusammen, wenn man alles komplett legalisieren wollte.

Aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen mit der Pflege Demenzkranker, aufgrund der Geschichten, die ich mir habe erzählen lassen, behaupte ich: Die Betreuung Demenzkranker und anderer Pflegebedürftiger nach geregelten Arbeitszeiten ist grundsätzlich für jeden erwachsenen Menschen eine lösbare und zumutbare Aufgabe. Voraussetzung dafür ist allerdings eine vorherige fachliche Einweisung, eine regelmäßige „Betreuung der Betreuer“, etwa in Art von Supervision, und vor allem ein grundsätzliches Umdenken in unserer Gesellschaft. Wichtig ist, dass die Arbeitszeiten begrenzt sind, dass man immer wieder komplett abschalten kann und sich dem sogartigen Effekt entzieht, den das Zusammenleben mit dementen Menschen hat.

Demenz in allen ihren Spielarten ist Teil der Normalität, Teil unseres Lebens. Es gilt, diesen Teil unserer Normalität anzunehmen. Alle Vorschläge zur Besserung der Lage sollen uns willkommen sein. Der Vorschlag, Arbeitslose für den riesigen, derzeit nicht abgedeckten Pflege- und Betreuungsbedarf heranzuziehen, geht in die richtige Richtung. Weitere Vorschläge sind nötig. Eine konzertierte Aktion „Pflege – das geht uns alle an“ täte unserem Land gut.
Merkel begrüßt Pläne für mehr Pflegehelfer

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Obama in Berlin – es lebe die Milieulosigkeit!

 Person  Kommentare deaktiviert für Obama in Berlin – es lebe die Milieulosigkeit!
Jul 232008
 

Ijoma Mangold bringt heute in der Süddeutschen einige sehr treffende Überlegungen zur Frage: Warum ist Obama so erfolgreich? Zu Recht weist er darauf hin, dass Obama eigentlich für keine bestimmte Klientel, kein bestimmtes Milieu stehe. Vielmehr sei er eine geeignete Projektionsfläche für all jene, die irgendwie nicht ganz dem Durchscnitt entsprächen:

Milieulosigkeit als Hauptmerkmal

Sein Hauptmerkmal ist in gewisser Weise Milieulosigkeit – was nicht zufällig ein Lessing’scher Traum der Aufklärung ist: Obama hat einen Vater aus Kenia, aber weder hatte er in seiner Kindheit dieses Land je betreten, noch wuchs er mit seinem Vater zusammen auf.

Stattdessen lebte er, stark geprägt von seinen weißen Großeltern mütterlicherseits, als ein Farbiger (wie man seinerzeit noch sagte) in einem insgesamt sehr multikulturellen Hawaii, in dem es jedenfalls keine prägende afroamerikanische Gemeinde gab.

Ich glaube: Auch jene deutschen Parteien, die noch sehr stark im Milieudenken und Klientelismus befangen sind, müssen diese Fesseln sprengen. Darin stecken die riesigen Chancen!

Obama in Berlin – Zwei Farben Schwarz – Deutschland – sueddeutsche.de

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Hassübung

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Mrz 282008
 

„Wie machst du das?“, fragte heute vormittag ein Vereinskamerad beim Pilates-Training im Fitnessstudio die Trainerin Julia, als diese ihren wohlgeformten Oberkörper wie in einem Scharnier bewegt auf den gestreckten Knien ablegte. „Das ist meine absolute Hassübung. Ich schaffe das einfach nicht.“ Ich schalte mich ein: „Mein Tipp: Werde als Frau geboren … die sind einfach gelenkiger!“ Julia stimmt zu, verweist auf ihr tägliches, jahrelanges Training als Turnerin und Tänzerin. Mir gehen noch ein paar Gedanken im Kopf herum, über die ich nachher auch mit dem Klagenden spreche. Warum „Hass-Übung“? Warum hassen wir das, was wir nicht schaffen, was sich uns entzieht? „Warum soll ich mein Spielzeug aufräumen – ich HASSE das!“ So reden schon die Kinder in der Kita heute. Das habe ich selbst öfters gehört. Sehr oft, sehr schnell sind gerade junge Menschen heute mit diesem Wort Hass zur Stelle. Ein weiteres Beispiel – diesmal von einem anderen Kaliber! Ich entnehme es der Tagesspiegel-Rezension des aktuellen Dokumentarfilms „Deutschstunde“, der den Deutschunterricht in einem Kreuzberger Gymnasium beschreibt:

Aber das Sprachproblem allein ist es ja nicht. Fatima etwa spricht ausgezeichnet Deutsch und hat inzwischen ihr Abitur in der Tasche. Sie ist eine Hauptprotagonistin im Film. Sie lebt für ihren Glauben und besucht Hamas-Solidaritätskundgebungen. An ihrer radikalen Einstellung lässt Fatima zumindest keinen Zweifel. „Ich habe einen Hass entwickelt“, sagt sie in dem Film und meint damit vor allem den Hass auf die USA.

Wie kann man mit solchen Arten des Hasses umgehen? Im leichter zu lösenden Falle der Pilates-Hass-Übung erreichten wir heute in der Nachbesprechung der Trainingsstunde folgende Antwort: „Betrachte doch deinen Körper mit seinen Schwächen nicht als deinen Feind, den es zu besiegen oder zu hassen gilt. Hass ist keine Antwort. Fordere nicht alles auf einmal, nimm dir weniger vor, gehe an die Grenzen deiner Beweglichkeit, aber quäle dich nicht.“

Ich würde ergänzen: Hass ist zwar manchmal eine verständliche Reaktion, aber keine weiterführende Antwort. Er dient niemandem. Hass darf zwischen Personen – aber auch in der Person selbst – nicht das letzte Wort sein. Beim politisch oder ideologisch motivierten Hass wird die Bewältigung schwieriger. Wahrscheinlich um so schwieriger, je weiter entfernt oder unbekannter der Gegenstand des Hasses ist. Da es dann keine Möglichkeiten der direkten Erfahrung mit dem Gehassten gibt, fehlt die Korrekturmöglichkeit.

 Posted by at 16:06
Feb 152008
 

Im ZDF-Heute-Journal wird ein Bericht über die heutige Bundestagsdebatte zur Stammzellenforschung gebracht. Laut Bericht sprechen sich zwei Drittel der Redner für eine zeitliche Verschiebung der Stichtagsregelung aus, wonach Forschung an allen Stammzelllinien betrieben werden darf, die vor einem bestimmten Stichtag, dem 01.01.2002, gewonnen wurden. Nur ein Drittel verweigern diesem Ansinnen die Zustimmung, darunter Abgeordnete der Grünen und der PDS. Die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten scheint der Meinung zuzuneigen, eine Liberalisierung und Ausweitung der Stammzellenforschung zu erlauben. Am beeindruckendsten und überzeugendsten fand ich nach all den herausgeschnittenen Spitzensätzen jedoch den Zwischenruf des Dr. Peter Radtke, den das Heute-Journal anschließend einblendete: er sprach davon, dass die Forschung an menschlichen Stammzellen stets die Vernichtung „potenziellen menschlichen Lebens“ mit sich bringe. Dem schloss sich eine eindringliche Warnung vor der Einteilung in lebenswertes und lebensunwertes menschliches Leben an – diese Einteilung habe uns schon einmal in verheerende Abgründe geführt. Er schloss: „Wehret den Anfängen!“ (Dieser Beitrag kann auf der ZDF-Videothek abgerufen werden.)

Ich meinerseits schließe mich – trotz all der Begrenztheit meiner Kenntnisse – den Ausführungen Radtkes an.

Schon vor langem wies übrigens Robert Spaemann, den ich damals als Student an der Universität München hörte, darauf hin, dass wir schlechterdings kein unstrittiges Kriterium zur Definition menschlichen Person-Seins besitzen. Sein Gedanke war, wenn ich mich über all die Jahrzehnte hinweg recht entsinne, ungefähr der folgende: Bekanntlich können in unserer Rechtsordnung nur Personen Träger von Rechten sein. Eine befruchtete Eizelle ist ja wohl keine Person. Aber ab wann ist ein menschlicher Zellhaufen dann Person? Ab dem Erwachen der Wahrnehmung und des Bewusstseins, also während der späteren Schwangerschaft, ab der Ausbildung eines echten Selbstbewussteins, also etwa ab dem 3. Lebensjahr, oder ab voll entwickelter Reflexionsfähigkeit, d.h. etwa im Alter von 16 Jahren? Spaemann kommt zu dem Schluss, dass unser allgemein gültiges Kriterium für Personalität, nämlich „Selbstsein und Selbsthabe“, untauglich sei, den Zeitpunkt festzusetzen, ab welchem menschliches Leben innerhalb unserer Rechtsordnung schützenswert sei. Wir haben, so Spaemann, kein Merkmal an der Hand, mit dem sich Person-Sein zuverlässig bestimmen lasse.

Sein einziger Ausweg, den er anbot, war geradezu frappierend wegen seiner Einfachheit und Selbstbescheidung: Wir haben kein anderes Kriterium, um schützenswertes menschliches Leben zu definieren außer der biologischen Zugehörigkeit zur Gattung Mensch. Alles, was dieser einfachen Definition unterfällt, sollte der Verfügung durch zugreifendes Handeln entzogen bleiben. Mir ist bisher kein Argument entgegnet worden, dass Spaemanns Ausführungen widerlegt hätte.

Ich schließe mich der Minderheit der heutigen Bundestagsredner, den Überlegungen Peter Radtkes und Robert Spaemanns an.

Ich bin gespannt auf die Protokolle der heutigen Bundestagssitzung. Vielleicht bieten sie grundlegend Neues, was mich von meiner hier geäußerten Meinung abbringen könnte.

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