Jan 252009
 

Wiederholt habe ich in diesem Blog beklagt, dass von den Bürgerrechtlern aus der DDR heute auf der politischen Bühne so wenig zu hören ist. Sie haben wesentlich bewirkt, dass das System DDR von innen heraus gekippt worden ist. Unterstützt fühlten sie sich dabei von der Bundesrepublik kaum oder gar nicht. Und wie fühlen sie sich heute? Und heute, nachdem die beiden deutschen Staaten vereinigt sind, bestimmen andere das Geschehen – Menschen, die es gelernt haben, dass Macht auch auf wechselseitig gewährter Zustimmung beruht.

Dabei meine ich, dass unbequeme, nicht parteienhörige Frauen und Männer wie Bärbel Bohley, Vera Lengsfeld oder Werner Schulz eigentlich in viel größerer Anzahl  in den Parlamenten vertreten sein müssten.

Immerhin: Heute hat es jedenfalls Werner Schulz doch noch einmal zurückgeschafft. Und darüber freue ich mich! Warum war er bei den letzten Listenbesetzungen nicht wieder auf aussichtsreichem Platz nominiert worden? Ich kann nur mutmaßen: Durch seine offene Opposition gegen Kanzler Schröder und dessen mehr oder minder getürktes Misstrauensvotum im Jahr 2005. Erneut hatte Schulz also seine Überzeugung über den bequemen eigenen Vorteil, über den persönlichen Machterhalt gestellt! Es war ihm offenbar wichtiger, einen – wie er empfand –  Missbrauch des Grundgesetzes anzuprangern, als sich in seiner eigenen Fraktion lieb Kind zu machen.

Und genau deswegen brauchen wir mehr solche Leute – in allen Parteien! Das bedeutet übrigens nicht, dass ich Fraktionsdisziplin ablehne! Ich meine durchaus, dass in den allermeisten pragmatischen Fragen die Fraktionsdisziplin ein sinnvolles Mittel ist, um Berechenbarkeit herzustellen, z.B. in einer Frage wie der Steuerfestsetzung. Aber in so fundamentalen Fragen wie der Herbeiführung eines fingierten Misstrauensvotums, wo es um den Umgang mit dem Grundgesetz geht, muss der einzelne Abgeordnete seinem Gewissen mehr verpflichtet bleiben als den taktischen Manövern seiner Fraktion.

Das gleiche – so meine ich – gilt bei der Wahl des Bundespräsidenten. Der Vorwurf, den Herr Westerwelle gegen die 10 unbeugsamen Freien Wähler erhoben hat, sie begingen einen „miesen Wortbruch“, wenn sie sich ihr Votum in der Bundesversammlung noch einmal überlegen wollten, fällt auf ihn selbst zurück. Jedes Mitglied der Bundesversammlung ist doch verpflichtet, die oder den Kandidaten zu wählen, die er am Abstimmungstag für die bestgeeignete hält! Es gibt doch bei uns kein imperatives Mandat, Herr Westerwelle! Und Überzeugungen von der Tauglichkeit eines Bewerbers können sich ändern. Gerade das Amt des Bundespräsidenten ist überparteilich zugeschnitten, jeder Versuch, die Mitglieder der Bundesversammlung unter Druck zu setzen, kann das Ansehen des Amtes beschädigen.

Grüner Werner Schulz: Comeback für Europa – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Politik
Auch am 1. Juli 2005 hatte er gedonnert – und zwar in Richtung Regierungsbank. Dem rot-grünen Kanzler Gerhard Schröder schmetterte Schulz damals im Bundestag entgegen, die von ihm gestellte Vertrauensfrage sei „ein inszeniertes, ein absurdes Geschehen“. Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler, Mitbegründer des Neuen Forums und Bündnis-90-Urgestein, stellte sich wieder einmal gegen einen Mächtigen. Seine politische Karriere schien damit beendet. Für die folgende Bundestagswahl bekam Schulz, der sich auch gegen die Agenda 2010 ausgesprochen hatte, keinen sicheren Listenplatz mehr.

Seine Chancen im Vorfeld des Dortmunder Parteitags wurden als gering eingeschätzt. „Der ist durch“, hieß es von Realo- und Parteilinken-Insidern. Sieben Konkurrenten hatte er zudem für den aussichtsreichen Listenplatz acht, darunter ein aktueller Europaabgeordneter und Parteiveteran und weitere ernstzunehmende Kandidaten. „Ich weiß es doch auch nicht“, sagte Schulz am frühen Nachmittag auf die Frage nach seinen Chancen.

 Posted by at 22:03

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