Im ZDF-Heute-Journal wird ein Bericht über die heutige Bundestagsdebatte zur Stammzellenforschung gebracht. Laut Bericht sprechen sich zwei Drittel der Redner für eine zeitliche Verschiebung der Stichtagsregelung aus, wonach Forschung an allen Stammzelllinien betrieben werden darf, die vor einem bestimmten Stichtag, dem 01.01.2002, gewonnen wurden. Nur ein Drittel verweigern diesem Ansinnen die Zustimmung, darunter Abgeordnete der Grünen und der PDS. Die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten scheint der Meinung zuzuneigen, eine Liberalisierung und Ausweitung der Stammzellenforschung zu erlauben. Am beeindruckendsten und überzeugendsten fand ich nach all den herausgeschnittenen Spitzensätzen jedoch den Zwischenruf des Dr. Peter Radtke, den das Heute-Journal anschließend einblendete: er sprach davon, dass die Forschung an menschlichen Stammzellen stets die Vernichtung „potenziellen menschlichen Lebens“ mit sich bringe. Dem schloss sich eine eindringliche Warnung vor der Einteilung in lebenswertes und lebensunwertes menschliches Leben an – diese Einteilung habe uns schon einmal in verheerende Abgründe geführt. Er schloss: „Wehret den Anfängen!“ (Dieser Beitrag kann auf der ZDF-Videothek abgerufen werden.)
Ich meinerseits schließe mich – trotz all der Begrenztheit meiner Kenntnisse – den Ausführungen Radtkes an.
Schon vor langem wies übrigens Robert Spaemann, den ich damals als Student an der Universität München hörte, darauf hin, dass wir schlechterdings kein unstrittiges Kriterium zur Definition menschlichen Person-Seins besitzen. Sein Gedanke war, wenn ich mich über all die Jahrzehnte hinweg recht entsinne, ungefähr der folgende: Bekanntlich können in unserer Rechtsordnung nur Personen Träger von Rechten sein. Eine befruchtete Eizelle ist ja wohl keine Person. Aber ab wann ist ein menschlicher Zellhaufen dann Person? Ab dem Erwachen der Wahrnehmung und des Bewusstseins, also während der späteren Schwangerschaft, ab der Ausbildung eines echten Selbstbewussteins, also etwa ab dem 3. Lebensjahr, oder ab voll entwickelter Reflexionsfähigkeit, d.h. etwa im Alter von 16 Jahren? Spaemann kommt zu dem Schluss, dass unser allgemein gültiges Kriterium für Personalität, nämlich „Selbstsein und Selbsthabe“, untauglich sei, den Zeitpunkt festzusetzen, ab welchem menschliches Leben innerhalb unserer Rechtsordnung schützenswert sei. Wir haben, so Spaemann, kein Merkmal an der Hand, mit dem sich Person-Sein zuverlässig bestimmen lasse.
Sein einziger Ausweg, den er anbot, war geradezu frappierend wegen seiner Einfachheit und Selbstbescheidung: Wir haben kein anderes Kriterium, um schützenswertes menschliches Leben zu definieren außer der biologischen Zugehörigkeit zur Gattung Mensch. Alles, was dieser einfachen Definition unterfällt, sollte der Verfügung durch zugreifendes Handeln entzogen bleiben. Mir ist bisher kein Argument entgegnet worden, dass Spaemanns Ausführungen widerlegt hätte.
Ich schließe mich der Minderheit der heutigen Bundestagsredner, den Überlegungen Peter Radtkes und Robert Spaemanns an.
Ich bin gespannt auf die Protokolle der heutigen Bundestagssitzung. Vielleicht bieten sie grundlegend Neues, was mich von meiner hier geäußerten Meinung abbringen könnte.
One Response to “Peter Radtkes mutiger Zwischenruf zur Stammzellenforschung”
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Mein Verhältnis zur Stammzellenforschung ist ambivalent. Einerseits teile ich die ethisch-moralischen Bedenken, andererseits sehe ich aber auch das Potential, das in dieser Forschung steckt.