Aug 142011
 

Nicht als wandelndes Monument der Zeitgeschichte, eher als ein mitfühlender Zeuge, als in allen Fasern mit Berliner Geschichte verwobener, jung gebliebener Mann: so nachdenklich, so festlich gestimmt präsentierte sich gestern der ehemalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen bei einer Gedenkveranstaltung der CDU Friedrichshain-Kreuzberg im Gold-Hotel in Friedrichshain.

Diepgen amtierte als Regierender Bürgermeister von 1984-1989 und von 1991-2001. Wer hätte packender, umfassender die Jahre ab 1961 entfalten können? Die Hauptlinien seiner Festrede waren: 1) Die Mauer war ein verheerendes Unrecht für die ganze Stadt, aber auch ein eklatanter Bruch der Vier-Mächte-Vereinbarungen. Ohne Not haben damals die drei Westmächte den Sowjets und der DDR gesicherte Teile des Status quo preisgegeben. 2) Die Berliner CDU hat jahrzehntelang die Sache der Freiheit, die Sache der Deutschen Einheit hochgehalten gegen die gaukelspielerischen Verlockungen derer, die der geschrumpften „Limesrepublik“ oder der „Rheinischen Republik“ das Wort redeten. 3) Die Senate Diepgen haben damals in der Berliner Landespolitik nach der mit viel Geschick, aber auch der Gunst der Stunde errungenen Wiedervereinigung kraftvolle Signale der Ost-West-Angleichung gesetzt hat, insbesondere durch Ost-West-Tarifangleichung im öffentlichen Dienst. Weitere derartige Schritte hätten alsbald folgen sollen.  4) „Sagen sie bitte nie DIE WENDE – sagen Sie einfach REVOLUTION: Die Mauer wurde durch eine echte Revolution in Ostdeutschland niedergerissen – eine politische, eine soziale Revolution, die später auch zur nationalen Revolution, zur deutschen Wiedervereinigung wurde.“ In diesen Worten lag auch eine fast beschwörende Aufforderung, das Vermächtnis der 50 Jahre ab dem 13.08.1961 zu pflegen und fortzuführen.

Ein gutes Hinabtauchen in den Brunnen der Erinnerungen, dem herausgehobenen Datum angemessen! Ich spürte: Es liegt an uns, diesen Ansprüchen zu genügen und unser politisches Handeln unbeirrbar in den Dienst der Freiheit zu stellen, die durch den Mauerbau so grausam beschnitten worden war.

 Posted by at 21:31

  2 Responses to “Der wehende Mantel der Geschichte”

  1. Lieber James T. Kirk, das ist ein spannender Einwurf! Bei vielen Gesprächen mit Bürgern der früheren DDR stelle ich in der Tat fest, dass es für viele ein hohes Maß an menschlicher Gemeinsamkeit gab, solange man den Machtanspruch der SED anerkannte und nicht aus Reihe tanzte.

    Die von Ihnen genannten Erscheinungen – Prostitution? Arbeitslosigkeit? Kriminalität? Obdachlosigkeit? Sozialer Autismus, soziale Kälte? Ellenbogengesellschaft? – gehören zum ganzen Spielraum der Freiheit. Gab es das nicht auch in der DDR?

    Sie können heute Bild, taz, FAZ, Neues Deutschland, Junge Freiheit, Junge Welt alle an einem Kiosk finden. Diese Bandbreite wäre in der DDR nicht möglich gewesen.
    Menschlichkeit und Nähe können wir aber auch heute schaffen und pflegen. Es ist keine Aufgabe des Staates, Menschlichkeit und Nähe zu erzeugen. Das müssen die Menschen schon selber machen.

    Sicherlich gibt es Pathologien in unserer Gesellschaft, dazu zähle ich beispielsweise oft einen Mangel an sozialer Verantwortung, Vernachlässigung von Kindern, Sucht, Faulheit usw. Das gehört – meine ich – zum Risiko der Freiheit.

    Ich bleibe ein Befürworter des freiheitlichen Staates. Der Staat kann Missstände nicht restlos beseitigen. Er kann kein Paradies schaffen. Aber er kann den Menschen die Möglichkeiten bieten, für all das zu kämpfen, was sie für richtig halten.

    Ich hoffe, Sie können meine Ansicht akzeptieren, so wie ich es akzeptiere, dass Sie das so empfinden, wie Sie es geschildert haben. Sie sind ja auch bei weitem nicht der einzige, der das so sieht.
    Beste Grüße, der arme Kreuzberger Blogger

  2. Was denn für eine „Freiheit“?

    Bild-Zeitung? Prostitution? Arbeitslosigkeit? Kriminalität? Obdachlosigkeit? Sozialer Autismus, soziale Kälte? Ellenbogengesellschaft? Pervertiertes Konkurrenz- und Leistungsprinzip? Konsum als Ersatzbefriedigung?

    Ich bin froh, daß ich diese „Freiheit“ in der DDR nicht hatte. Dafür ein wesentlich angenehmeres und sozialeres gesellschaftliches Klima, mehr Menschlichkeit und Nähe.

    Viele Westdeutsche und ehemalige Bürgerrechtler mißbrauchen die DDR als Vogelscheuche und reduzieren sie auf ihren Diktaturcharakter, auf Mauer und Stasi, um sich nicht mit den Pathologien und Perversitäten der westlichen, heutigen Gesellschaft auseinandersetzen zu müssen.

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