Vertrauen säen statt Ängste schüren!

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Jul 092008
 

Unser Bild zeigt, frisch von der gestrigen Kita-Aufführung, eine gefährliche Biene und einen furchteinflößenden Stier. Den Stier Ferdinand. Na, wer sagt’s denn: Angst, Angst wohin das Auge reicht! Allerdings schelte ich die Medien nicht – denn die Medien bringen ja auch immer wieder in schöner Regelmäßigkeit Berichte, wonach ein großer Teil unserer Ängste unbegründet sind. Ein löbliches Geschäft! Die FAZ berichtet heute:

Fernsehen schürt Inflationsängste

Aber auch das Fernsehen ist einer neuen Studie zufolge mitverantwortlich für die aufgeflammten Ängste: Wissenschaftler der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich haben festgestellt, dass insbesondere das Fernsehen in Deutschland Inflationsängste vielfach über Gebühr schürt. Beim Wechsel von der D-Mark zum Euro-Bargeld sorgten zudem auch Zeitungen und Zeitschriften dafür, dass die neue Einheitswährung rasch ihren Ruf als „Teuro“ weghatte, berichten die Forscher.

Es wäre interessant, aus diesen und anderen unschätzbar wertvollen Berichten ein Paket für eine Vertrauenskampagne zu schnüren! Mein Motto:

Vertrauen säen statt Ängste schüren!

Sorgenstudie der GfK: Die neue deutsche Angst vor der Inflation – Wirtschaftspolitik – Wirtschaft – FAZ.NET

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Lasst euch nicht ins Bockshorn der Angst jagen!

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Jul 092008
 

Wir greifen unser altes Thema aus dem Winter wieder auf: Angst, und der Umgang mit ihr. Wovor habt ihr Leser Angst? Bitte ehrlich antworten! Vor Terroristen, vor BSE, vor Atomkraftwerken, vor der Partei Die Linke, vor steigenden Energiepreisen, vor den Deutschen, vor ausländischen Jugendlichen, vor dem Islam, vor christlichen Fundamentalisten, vor der Vogelgrippe, vor dem Finanzamt? Alles mit Nein beantwortet? Gratuliere – Sie sind wahrscheinlich weitgehend frei von irrationalen Ängsten!

Oder haben Sie Angst vor parfümiertem Lampenöl, vor der gemeinen Wintergrippe, vor Salmonellen, vor Kolivergiftungen, vor Verkehrsunfällen, vor Herz-Kreislauferkrankungen? Wenn Sie mit Ja antworten: Sie sind statistisch gesehen im Recht. Das Risiko, an einer der genannten Ursachen zu sterben, ist um ein mehrfaches Hundert höher als die zuvor genannte Risikofaktoren.

Im heutigen Tagesspiegel wartet der Soziologe Ortwin Renn mit bemerkenswerten Daten auf. Fast alle medial geschürten Ängste der letzten Jahre sind – nun zwar nicht völlig unbegründet, jedoch statistisch gesehen, und mit gesundem Menschenverstand erwogen, auf unglaubliche Weise aufgebauscht.

Herr Renn, Tschernobyl, Vogelgrippe, BSE – die Deutschen werden regelmäßig von Ängsten heimgesucht. Was hat es damit auf sich?

Bei vielen dieser Ängste gibt es Grundlagen, die nicht völlig idiotisch sind und über die man sich zu Recht sorgt. Andererseits sind die Reaktionen häufig übertrieben gewesen. Bei der Asian Flu (Vogelgrippe, Anm. d. Red.) haben Soldaten in Gasmasken und weißen Anzügen Schrecken unter der Bevölkerung hervorgerufen, obwohl eigentlich so gut wie nichts passiert war. Nur wenige Katzen und Vögel waren gestorben.

Währenddessen hat die größte Pandemie, die wir hatten, die Spanische Grippe vor dem Ersten Weltkrieg, immerhin dreißig Millionen Menschen umgebracht – damit ist dann auch nicht zu spaßen.

Wie war das bei BSE?

Der Schaden war insgesamt ausgesprochen gering und das ganze wurde völlig überbewertet. Wir haben in den letzten dreißig Jahren hochgerechnet etwa 180 BSE-Todesfälle unter den 300 Millionen Europäern gehabt. Im selben Zeitraum starben 136.000 an Salmonellenvergiftung, 12.000 an Kolivergiftungen. Noch ein Vergleich: Ungefähr die gleiche Zahl ist am Trinken von parfümiertem Lampenöl gestorben.

„Brennende Kühe zerstörten die Idylle“

Wie muss die Antwort auf die immer wieder anrollenden Angstkampagnen lauten? Erstens: Aufklärung. Die echten Gefahren lauern ganz woanders als die Angstmacher uns weismachen wollen. Dies lässt sich durch hartes Zahlenmaterial untermauern. Zweitens: Ursachen der echten Gefahren bekämpfen. Warnhinweise beachten, Vorsicht walten lassen, Sicherheitsvorschriften einhalten.

Gerade im Straßenverkehr kann jeder durch umsichtiges, vorsichtiges und regeltreues Verhalten sehr viel bewirken. Dem extrem hohen Risiko von Herz-Kreislauf-Erkankungen kann man durch tägliche ausreichende Bewegung, etwa durch das Fahrradfahren, und gesundes Essen wirkungsvoll vorbeugen.

Drittens: Vertrauen säen. Vertrauen in dich selbst, in den Nächsten, in das große Ganze, in das wir hineingestellt sind. Jeder Tag kann Neues, Schönes bringen. So habe ich zum Beispiel gestern in der Kita am Kleistpark eine schöne Aufführung von „Ferdinand der Stier“ gesehen. Bild steht oben, Bericht folgt!

Mein persönlicher Vierfach-Angst-Blocker:

Lasst euch nicht ins Bockshorn jagen. Esst mehr Äpfel. Fahrt mehr Fahrrad. Geht ins Kindertheater.

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Jan 202008
 

marie_luise18012008.jpg Mit einigen Büchern und einem USB-Stick im Gepäck radelte ich zu Marie-Luise. Zum ersten Mal seit mehreren Jahren verspürte ich vor einem Vortrag oder Auftritt starkes Lampenfieber! Warum? Es war sicherlich ein titanisches Unterfangen, die Angst in einem Grenzgang zwischen Alt-Athen und Alt-Israel, zwischen Gegenwart und Antike, zwischen Psychologie, Literatur, Religion und Politik ausleuchten zu wollen. Aber es wurde ein sehr bewegender Abend für alle. Alle gingen mit starken Gefühlen schwanger – es war also keine theoretische Übung, sondern ein echtes Gastmahl für Kopf und Herz, zu dem jede und jeder etwas beitrug. Danke an euch alle, danke an Marie-Luise und Karl-Heinz!

Ein paar Folien, die man hier nachlesen kann, vermitteln einen ersten Eindruck von den Themen, dir wir erörterten: angst_eine-erregung.ppt

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Jan 162008
 

bode_germanangst.jpg Entrüstungsmaximalismus – ein schönes Wort, das ich Sabine Bodes klugem Buch „Die deutsche Krankheit – German Angst“ entnehme (S. 251-3). Damals, im April 2006, ging es um das Attentat auf einen Deutsch-Äthioper in Potsdam. Heute geht es erneut um Jugendkriminalität, insbesondere bei jungen Männern. Damals wie heute werden einzelne Fälle herausgegriffen und überlebensgroß als Schreckensgemälde ausgespannt. Das ganze Angstszenario floß dann in politische Beratungen ein. Zitat aus dem Buch (S. 253):

Das zähe, jahrelange Verhandeln über ein Zuwanderungsgesetz ist ein Lehrstück darüber, wie nicht ausgedrückte Ängste eine vernünftige Politik blockieren können. Meiner Ansicht nach lag bei den Verfechtern der multikulturellen Gesellschaft wie auch bei den Befürwortern des Ausländerstopps dieselbe Ratlosigkeit zugrunde. Wäre die große gemeinsame Beunruhigung erkannt worden, dann hätte man sich eingestehen können: Wir haben Angst, weil wir nicht wissen, wie wir mit Fremden umgehen sollen.

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Textauswahl für „Angst – Angststarre – Angstflucht – Angstlösung“

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Jan 152008
 

Für den Vortrag bei Marie-Luise am Freitag habe ich nunmehr die Textauswahl getroffen. Alle Zuhörer können sich vorab, so sie denn wollen und Zeit haben, mit diesen vorgeschlagenen Texten vertraut machen. Dies ist aber keine Bedingung – ich freu mich auf euch!

Aischylos: Perser insgesamt, jedoch besonders Einzugslied des Chores V. 1-155 vom Anfang und Monolog der Atossa, V. 598-622

Aristoteles: Rhetorik, 1382a-1383b; Poetik, 1449b-1450; 1453b11

Evangelium des Johannes: insgesamt, jedoch besonders 16,33

Biblia hebraica („Altes Testament“) in der griechischen Übersetzung der Septuaginta: Psalm 56 (Zählung der Septuaginta: 55, Zählung der evangelischen und katholischen Bibelausgaben: 56), Buch Genesis/Bereschit: Kapitel 3

Für alle Texte wird der griechische Text herangezogen, jedoch werden keine griechischen Sprachkenntnisse vorausgesetzt. Alles wird ins Deutsche übersetzt werden.

Gute deutschsprachige Literatur:

Sabine Bode: Die deutsche Krankheit – German Angst. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart, 2. Auflage 2007

Borwin Bandelow: Das Angstbuch. Woher Ängste kommen und wie man sie bekämpfen kann. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 2006

Wolfgang Schmidbauer: Lebensgefühl Angst. Jeder hat sie. Keiner will sie. Was wir gegen Angst tun können. Herder Verlag, Freiburg 2005

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Jan 132008
 

Im heutigen Tagesspiegel lese ich ein sehr bewegendes Gespräch mit Sabriye Tenberken. Es geht um ihre Angst, und wie sie sie überwunden hat. Auszüge:

„Als Sie neun Jahre alt waren, sind Sie durch eine Erkrankung langsam erblindet. Hatten Sie Angst?

Ich hatte Angst vor der Reaktion der Leute. Angst, allein zu sein, nicht mehr ernst genommen zu werden. Nicht vor dem Nichtsehen. Als ich sehen konnte, habe ich mir Blindheit als Dunkelheit vorgestellt, und als ich dann wusste, dass ich erblinde, habe ich auf die Dunkelheit gewartet. Aber es wurde nie dunkel.“

Ein großartiges Zeugnis der Überwindung der Angst, des mühsam errungenen Vertrauens – ich bin begeistert!

„Bekommen Sie Höhenangst?

Man kriegt nur Höhenangst, wenn man Zeit hat, sich auf die Höhe zu konzentrieren. Aber ich muss ständig auf meine Füße achten: Ist der Untergrund fest oder schlammig, Schnee, Eis oder Geröll? Und auf die Ohren: Jeder Blinde hatte ja einen sehenden Begleiter, bei mir war das Paul, und an seinem Rucksack hing ein Glöckchen, das mir die Richtung anzeigt.

Da müssen Sie dem Vordermann ja eine ganze Menge Vertrauen entgegenbringen.

Klar, wenn er einen Abgrund runterspringen würde, dann spränge ich hinterher im Glauben, es ginge nur eine Stufe hinunter. Aber er wäre ja blöd, das zu tun. Als Blinder muss man sowieso Vertrauen haben. Wir haben bei uns zum Beispiel eine sehr gefährliche Straße, da rasen die Autos mit 100 Sachen. Ich sage den Kindern: Keine Angst, die Leute helfen euch rüber.

Wie merken Sie, dass Sie jemandem vertrauen können?

Ich vertraue so ziemlich jedem. Das geht sogar so weit, dass ich beim Bezahlen das Portemonnaie offen hinhalte und sage: Such dir raus, was du brauchst. Die Leute sind so überrascht über dieses Vertrauen, dass sie es nicht missbrauchen. Wenn du dich als blinder Mensch mit Selbstverständlichkeit bewegen willst, führt Misstrauen zu nichts.“

Ich lese das Interview so: Der Gegensatz zu Angst ist nicht Mut oder Tollkühnheit, sondern Vertrauen. Dieses Vertrauen lässt sich nicht rational begründen, sondern nur beispielhaft am eigenen Leib erfahren, am besten durch das Vorbild eines anderen Menschen.

„Wenn Sie die Wahl hätten, sehen zu können oder blind zu sein, wofür würden Sie sich entscheiden?

Ich weiß nicht. Dadurch, dass ich etwas verloren habe, habe ich auch vieles gewonnen: Ich kann mich sehr lange stark konzentrieren. Und ich habe meine Angst verloren. Wenn man sehen kann, sieht man ein Problem, eine Sackgasse, und denkt: Da geht es nicht weiter. Ich habe diese Vorhersicht nicht, ich lasse mir Zeit und stelle mich ganz anders auf Leute und Probleme ein. Aus der Ferne scheinen Probleme manchmal unlösbar. Und wenn man davorsteht, dann begreift man erst: Hier ist eine Lücke, da kann ich durch.“

Wir müssen uns Sabriye Tenberken als einen glücklichen Menschen vorstellen.

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Angst vor etwas – warum eigentlich VOR?

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Jan 102008
 

Der aktuelle Spiegel (Nr. 2 vom 7.1.2008) bringt auf S. 143 unter dem Titel Willkommen, oh Schattenreich eine gute Besprechung der Tagebücher Peter Handkes. Handke schreibt demnach in seinem Tagebuch:

„A. hat Angst vor meiner Unbeherrschtheit, noch bevor ich die Beherrschung verliere (auch so ein kleiner Teufeskreis).“

Ein vortrefflicher Satz! Er spiegelt genau das wider, was die Angst oft so schrecklich macht: Die Erwartung eines Unheils, das man schon von irgendwoher zu kennen meint, das aber noch bevorsteht. Angst scheint stets in die Zukunft gerichtet zu sein. Vor etwa vollständig Vergangenem, einem Unheil, das endgültig abgeschlossen ist, empfindet man keine Angst, sondern Trauer, Wehmut oder ähnliches. Bereits in der Behandlung der Angst (phobos) bei Aristoteles, in der Rhetorik (1382b-1383a), wird das Wägend-Ungewisse, das in die Zukunft Vorgreifende der Angst sehr schön herausgearbeitet, und zwar so, dass auch wir modernen Menschen jeden Satz daraus verstehen und nachvollziehen können.

Tritt das Wovor der Angst dann endlich ein, dann erscheint die Angst sofort gemindert – oder sie verschwindet gänzlich. Dies haben viele Verbrechensopfer, aber auch Soldaten berichtet.

Wahrscheinlich heißt es deswegen: Angst vor etwas haben, nicht nach etwas.

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Zygmunt Bauman über soziale Ängste und Angstbefreiung

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Jan 022008
 

In der italienischen Wochenzeitschrift L’espresso vom 03.01.2008 äußert sich Zygmunt Bauman über Funktion und Erscheinungsformen der Angst in modernen Industriegesellschaften. Er sieht Angst funktional: Weshalb wird uns Angst eingeflößt und zu welchem Ende sollen wir sie empfinden? Als gefügige Objekte der Angst und der Ablehnung in der modernen Massengesellschaft erkennt er die Migranten, insbesondere die Zigeuner – den Ausdruck „Sinti und Roma“ verwirft er als bloße Begriffskosmetik. In Zeiten hemmungsloser Globalisierung, die gepaart sei mit einem immer schwächeren Staat, seien es einzig und allein künstlich geschaffene Bedrohungsszenarien, die noch den Zusammenhalt, das Funktionieren der fragmentierten Gesellschaften gewährleisten könnten. Dies gelte insbesondere auch für das Zusammenspiel zwischen Terroristen, Massenmedien und politischen Machteliten:

„I terroristi possono contare sulla collaborazione dei media, che riportano su scala globale le loro azioni locali; su potenti armate che in rappresaglia per queste azioni semineranno distruzione e odio, procurando ai terroristi schiere di nuove reclute; sui governi che vedono nelle azioni terroristiche (quelle riuscite e quelle fallite, o pianificate o solo pensate, o in sospetto di essere pensate) una chance per dimostrare di essere vigili ed efficaci e di ottenere l’applauso degli elettori.“

Bis hierhin vermag ich Baumann zu folgen. Nehmen wir als Beleg nur unsere Lage in Europa: Jedes Jahr sterben in der Europäischen Union etwa 50.000 Menschen bei Verkehrsunfällen, viele mehr tragen schwere und schwerste Behinderungen davon, während die Zahl der Terroropfer in Europa regelmäßig nur einen winzigen Bruchteil davon, der in vielen europäischen Ländern eine runde Null ist, ausmacht. Wer spricht in der öffentlichen politischen Debatte von diesem grotesken Missverhältnis? Wer tut etwas gegen den nicht erklärten „Krieg auf den Straßen“, wie es ein Beitrag von Eva Tenzer in der Zeitschrift Psychologie heute im Januar 2008 in polemischer Übertreibung titelt?

Ich widerspreche dem ursprünglich aus Posen stammenden Soziologen aber, wenn er am Schluss des Interviews einen Ausblick auf die Möglichkeit entwirft, uns von der Angst überhaupt zu befreien („la speranza di liberarci dalla paura“). Meint er damit ein Leben frei von Angst? Das halte ich für ausgeschlossen. Ich meine sogar, jeder – utopistische – Vorsatz, die Angst völlig aus dem menschlichen Dasein beseitigen zu wollen, würde einen neuen Teufelskreis von Repression und neuen Ängsten einläuten. Unser Ziel kann es nur sein, sinnvolle, realitätsgerechte Angst zu empfinden, irrationale Ängste zu durchkreuzen und denen in den Arm zu fallen, die aus geschürten Ängsten Kapital schlagen wollen.

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Neues Jahr – Neues Ja

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Jan 022008
 

winteraugustinum.jpg Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich ein frohes, vom Ja zum Leben geprägtes Jahr 2008!

Das neue Jahr beginne ich mit Bachs E-Dur-Partita. Eine frohe, kraftvolle, glänzende Musik voller Bejahung des Lebens! Ich spiele sie auf der mich stets begleitenden Geige in aller Frühe vor dem Frühstück im Keller des Hauses, um die verschiedenen Langschläfer nicht zu behelligen.

Ringsum sind Bücher aufgestapelt. Ich entdecke das Exemplar eines Buches wieder, das ich lange vermisste: Uns eint vergossenes Blut. Juden und Polen in der Zeit der ‚Endlösung‘. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1987. Ich erinnere mich, dass der Autor etwa 1987 einen Abend bei Gesprächen in unserem Hause verbrachte. Ich wurde ihm damals vorgestellt, schüttelte ihm die Hand – aber ich wusste nicht, was ich ihn fragen sollte! Ich wusste: Dieser Mann hatte das Lager Auschwitz überlebt, er hat nach dem Krieg unter verschiedenen Beschuldigungen in verschiedenen polnischen Gefängnissen gesessen. Ich empfand Scham, aber auch eine gewisse moralische Unterlegenheit. Ich war überrascht, einen so freundlichen, zugänglichen und gut Deutsch sprechenden Mann kennenzulernen. Ich schlage das Buch auf: es enthält eine persönliche handschriftliche Widmung des Wladyslaw Bartoszewski an meinen Vater: „in der weltanschaulichen Verbundenheit“. Es ist gut, anhand solcher Zufallsfunde die fast schon verschwundenen Kindheitserinnerungen wiederzubeleben. Daneben bin ich dadurch auf Lebenszeit gefeit gegen die Jammerarien, welche insbesondere Teile der heutigen deutschen Gesellschaft ach so gerne über ihr hartes Los anstimmen! Als ob etwa Arbeitslosigkeit eine Entwürdigung, einen Verlust der Menschlichkeit darstellte!

Über den Tag fahren wir nach Dießen am Ammersee, wo meine Mutter wohnt. Hinter Kissing umfängt uns bereits eine zauberhafte winterliche Landschaft.

Von meiner Mutter erbitte ich mir folgendes Buch zur Ausleihe: Borwin Bandelow, Das Angstbuch. Woher Ängste kommen und wie man sie bekämpfen kann. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2006. Ein außerordentlich gescheiter Autor, von dem ich vieles hinzulernen kann!

Auf dem Bahnhof lernen wir beim Warten auf den Zug zurück einen Geistlichen kennen. Wir sprechen über seelische Not. Wir kommen überein, dass alles Geld der Welt nicht gegen Hartherzigkeit, gegen das Leiden an der Einsamkeit, gegen seelische Wohlstands-Verwahrlosung und Schwermut hilft. Jeder Besuch in wohlhabenden Gegenden – wie etwa hier am Ammersee – bestätigt diese Einsicht aufs Neue.

Der Tag klingt aus in kleiner Runde mit russischem Essen und allerlei Walzermusik, die ich erneut auf der Geige zu produzieren versuche.

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Quote of the day – the most salient political fear

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Dez 282007
 

„Nevertheless, the most salient political fear, the one that most pervasively structures our lives and limits our possibilities, is the fear among the less powerful of the more powerful, whether public officials or private employers, far-off agents of state or local, familiar elites. And here we come to the crux of the argument. For all our talk today of the fear of terrorism, or, before that, of communism, the most important form of fear is that which ordinary Americans have of their superiors, who sponsor and benefit from the inequities of everyday life.“

Corey Robin: FEAR. The History of a Political Idea. Oxford University Press, New York 2004, 316 pages, here: p. 20

Stimmt dies? Nach Robins Sicht spielt Angst eine eminent wichtige Rolle beim Zusammenhalt von Machtstrukturen. Ängste werden bewusst eingesetzt, um Macht zu sichern. Die gerade „angesagtesten“ Ängste – also die vor Terrorismus, oder in Deutschland: die vor Arbeitsplatzverlust – sind willkommene Steuerungsmechanismen, um tiefersitzende, alltäglichere Ängste zu überdecken. Robins Buch ist erneut – wie schon das von Schmidbauer – ein herrlicher Gedankenschmaus! In diesem Buch werden die verschiedensten Spielarten all dessen, was die Griechen unter Phobos zusammenfassten, abgehandelt: Furcht, Angst, Terror, Schrecken, Entsetzen, Terrorismus, Einschüchterung – meines Wissens die umfassendste politische Analyse des Phänomens Angst aus jüngerer Zeit. Besonders lesenswert: die Ausführungen über Hannah Arendt.

Nebenbei: Nach einer Umfrage, die BILD heute auf Seite 1 brachte, flößt die „Angst vor sozialer Kälte“ den meisten Deutschen (58%) die größte Besorgnis ein – nicht die Angst vor Krankheit, Tod oder Terrorismus. Quelle der Meldung ist dpa; die Meldung selbst fand ich auch zum Nachlesen beim Fränkischen Tag.

Die Deutschen fürchten die soziale Kälte
Umfrage Fast jeder Zweite hält unsere Gesellschaft für kinderfeindlich.

von Dorit Koch, dpa

Hamburg – Die Angst der Deutschen vor Kinderfeindlichkeit und sozialer Kälte wächst: „Immer mehr Menschen sehen in diesen beiden Problemen die größten Zukunftssorgen. Umfragen haben ergeben, dass Deutschland damit im Vergleich zu anderen europäischen Ländern leider weit vorn liegt“, sagte Zukunftsforscher Prof. Horst Opaschowski. „Ganz persönlich sehnen sich die Deutschen vor allem nach Vertrauen, Geborgenheit und menschlicher Wärme.“ Die Hamburger BAT-Stiftung für Zukunftsfragen, deren wissenschaftlicher Leiter Opaschowski ist, hat bei Repräsentativumfragen in neun Ländern 11 000 Menschen dazu befragt.

Gestern wurde Benazir Bhutto ermordet. Und gerade deswegen ist unser Thema Angst angesagter denn je!

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Dez 272007
 

Mit derart wörtlich gepflastertem hartem Gefüge könnte man den Vers 606 aus den Persern des Aischylos wiedergeben. Emil Staiger übersetzt weitaus gepflegter und beruhigter:

Derart verstört Unheilsbestürzung unsern Sinn.

Las gestern zur Nacht dieses Drama in einem Zug durch. Was für eine Orgie der Angst, was für ein Wühlen in der Verstörung! Vieles erschließt sich erst, wenn man den griechischen Originaltext liest, Wort um Wort dem ungewohnten, über weite Strecken mit persischen Fremdwörtern und Namen durchsetzten Text nachlauscht. Dieser gesamte Monolog der Atossa ist darüber hinaus eine der Stellen, in denen ausführlich über Ursprung und Wirkung der Angst verhandelt wird.

Ἄτοσσα
φίλοι, κακῶν μὲν ὅστις ἔμπειρος κυρεῖ,
ἐπίσταται βροτοῖσιν ὡς ὅταν κλύδων
600κακῶν ἐπέλθῃ πάντα δειμαίνειν φιλεῖ:
ὅταν δ᾽ δαίμων εὐροῇ, πεποιθέναι
τὸν αὐτὸν αἰεὶ δαίμον᾽ οὐριεῖν τύχην.
ἐμοὶ γὰρ ἤδη πάντα μὲν φόβου πλέα
ἐν ὄμμασιν τἀνταῖα φαίνεται θεῶν,
605βοᾷ δ᾽ ἐν ὠσὶ κέλαδος οὐ παιώνιος:
τοία κακῶν ἔκπληξις ἐκφοβεῖ φρένας.
τοιγὰρ κέλευθον τήνδ᾽ ἄνευ τ᾽ ὀχημάτων
χλιδῆς τε τῆς πάροιθεν ἐκ δόμων πάλιν
ἔστειλα, παιδὸς πατρὶ πρευμενεῖς χοὰς
610φέρους᾽, ἅπερ νεκροῖσι μειλικτήρια,
βοός τ᾽ ἀφ᾽ ἁγνῆς λευκὸν εὔποτον γάλα,
τῆς τ᾽ ἀνθεμουργοῦ στάγμα, παμφαὲς μέλι,
λιβάσιν ὑδρηλαῖς παρθένου πηγῆς μέτα,
ἀκήρατόν τε μητρὸς ἀγρίας ἄπο
615ποτὸν παλαιᾶς ἀμπέλου γάνος τόδε:
τῆς τ᾽ αἰὲν ἐν φύλλοισι θαλλούσης βίον
ξανθῆς ἐλαίας καρπὸς εὐώδης πάρα,
ἄνθη τε πλεκτά, παμφόρου γαίας τέκνα,
ἀλλ᾽, φίλοι, χοαῖσι ταῖσδε νερτέρων
620ὕμνους ἐπευφημεῖτε, τόν τε δαίμονα
Δαρεῖον ἀνακαλεῖσθε, γαπότους δ᾽ ἐγὼ
τιμὰς προπέμψω τάσδε νερτέροις θεοῖς. ̓́ Vielleicht werde ich diesen Abschnitt überhaupt bei dem Angst-Vortrag zugrunde legen. Er scheint mir passend. Bis zum 18. Januar ist noch Zeit. Was das Johannes-Evangelium angeht, so steht 16,33 bereits fest – ein Spitzensatz johanneischen Denkens, der unabsehbar in die Ferne gewirkt hat, bis hin zu Kierkegaard, Heidegger, Paul Tillich, ja selbst der Ägyptologe Jan Assmann bezieht sich ausdrücklich auf ihn.

Wieso erwähne ich Assmann? Nun, im Februar 2007 besuchte ich Angst. Kon(junk)turen eines Gefühls, die Tagung des Einstein Forums Potsdam, bei der Assmann seine Überlegungen im Anschluss an dieses Jesus-Wort vortrug. Das Beste kommt jetzt: Diesen Vortrag kann man ebenso wie einige andere nachhören – was hiermit nachdrücklich empfohlen sei!

 Posted by at 18:38

„Fürchtet euch nicht!“

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Dez 262007
 

Erneut lasse ich den Tag heute geruhsam angehen. Ich finde fast zufälllig beim Lesen von allerlei klugen Büchern über Angst die folgenden Worte, die häufig Nelson Mandela zugeschrieben werden. Er soll sie in seiner Antrittsrede als Staatspräsident 1994 gesagt haben:

Our deepest fear is not that we are inadequate. Our deepest fear is that we are powerful beyond measure. It is our light, not our darkness that most frightens us. We ask ourselves, Who am I to be brilliant, gorgeous, talented, fabulous? Actually, who are you not to be? You are a child of God. Your playing small does not serve the world. There is nothing enlightened about shrinking so that other people won’t feel insecure around you. We are all meant to shine, as children do. We were born to make manifest the glory of God that is within us. It’s not just in some of us; it’s in everyone. And as we let our own light shine, we unconsciously give other people permission to do the same. As we are liberated from our own fear, our presence automatically liberates others.

Diese mittlerweile berühmten Worte stammen allen Belegen nach, die mir vorliegen, von Marianne Williamson, und zwar aus ihrem 1992 erschienenen Buch: A Return to Love. Die Zuschreibung an Mandela ist eine Mär, die sich hartnäckig hält. Dieses Gedicht findet sich in dem veröffentlichten Manuskript seiner Rede nicht.

Ich selbst fand den Hinweis auf dieses Zitat übrigens in folgendem, durchaus lesenswertem Aufsatz: Linda Briendl: Archetypen der Angst und das sich ängstigende Individuum, in: Jan Baldewien, Hans Erich Loos (Hg.): „Angst essen Seele auf“. Vom Umgang mit den Ängsten. Evangelische Akademie Baden, Karlsruhe 2006, [= Herrenalber Forum Band 46], S. 9-29

 Posted by at 19:09
Dez 252007
 

heiligabend.jpg Hoch oben auf der Empore der Heilig-Kreuz-Kirche, auf den Treppenstufen hockend – denn es war kein Platz auf den Bänken – höre ich mir die Botschaft an:


„Habt keine Angst!“ Unser Kind schwirrt auf eigene Faust im gewaltigen Kirchenraum umher. „Habt keine Angst!“ Zuhause suchte und fand ich einen zeitgenössischen Deuter, der diese Freudenbotschaft, deren Verkündung ein Teil der Menschheit heute begeht, ganz wesentlich als Befreiung von Angst deutet. Von der Angst, die in mannigfachen Gestalten unser Dasein wesentlich bestimmt. Es ist Eugen Drewermann. Ich habe mir seinen Kommentar zum Johannes-Evangelium entliehen. Drewermann schreibt:

Verständlich machen lässt sich die „neue Wirklichkeit“ (Paul Tillich), die mit der Person Jesu in die „Welt“ getreten ist, wohl nur, wenn man sowohl individualpsychologisch als auch sozialpsychologisch die Mechanismen freilegt, die im Felde der Angst das gesamte Dasein des Menschen und seine Weltauslegung verformen. „In der Welt habt ihr Angst; aber faßt Mut: ich – besiegt habe ich die Welt“, sagt der johanneische Jesus (Joh 16,32).

Eugen Drewermann: Das Johannes-Evangelium. Bilder einer neuen Welt. Zweiter Teil: Joh 11-21. Patmos Verlag, Düsseldorf 2003, S. 8

Alle Weihnachtslieder singe ich mit, doch bricht mir manchmal die Stimme.

Ich werde gerade in diesen von Lohnarbeit freigestellten Tagen meine Studien zum griechisch verfassten Neuen Testament fortsetzen und beständig immer wieder in die dionysische Welt des Aischylos eintauchen. Höchst bemerkenswert, dass Drewermann wieder und wieder eine Nähe des Johannes-Evangeliums zum Dionysos-Kult zu belegen meint.

 Posted by at 21:16