Zuversicht oder Zukunftsangst? Die Einsichten des Wolfgang Schmidbauer

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Dez 242007
 

Worauf ich mich jetzt zu Weihnachten besonders freue: viel Zeit mit der Familie verbringen – und nach Herzenslust Bücher lesen! Zum Beispiel dieses: Wolfgang Schmidbauer: Lebensgefühl Angst. Herder Verlag Freiburg im Breisgau, 2005, 208 Seiten.

Der Autor beleuchtet Angst in ihren zahlreichen persönlichen, sozialen und politischen Ausprägungen. Ein gewisses Maß an Angst ist überlebensnotwendig. Es warnt vor Gefahren und hilft Schmerz vermeiden. Ein Übermaß an nicht bewältigter Angst hingegen führt zu krankhaften Verfestigungen, kann lähmend wirken. Phobien, Panikattacken und Depressionen sind die Folge. Unsere Generation – Schmidbauer bezeichnet sie in polemischer Zuspitzung als Generation Angst – sei durch ein Zuviel an bewusst und unbewusst geschürten dumpfen Ängsten gekennzeichnet, das im eklatanten Gegensatz zur tatsächlich erreichten Daseinsvorsorge stehe. Die Politiker nutzten die Angst der Wähler häufig in unverantwortlicher Weise aus, ja schürten sie noch zusätzlich, um daraus Gewinn zu ziehen. Sie gaukeln den Wählern falsche Verheißungen, gleisnerischen Trost, nämlich die Abwehr aller Ängste vor. Seine ganze Fülle an klugen, beherzigenswerten Einsichten lässt Schmidbauer in einem Schlusskapitel Generation Zuversicht?, einem Plädoyer für eine weise, solidarische Angst ausklingen. Er schreibt auf S. 206: „Eine solche Generation wird gelernt haben, die gefährliche Angst, ungerechte Privilegien einzubüßen, zugunsten der solidarischen Angst aufzugeben, nicht rücksichtsvoll genug mit den begrenzten Möglichkeiten unseres Planeten umzugehen, dieses an wenigen Stellen prekär mit Leben überwachsenen Stäubchens im All.“

Das Buch passt auf jeden Gabentisch, ich werde versuchen, es noch einmal rechtzeitig zu beschaffen, um es zu verschenken.

Zitat des Tages, aus diesem Buch, S. 13: „Autofahrer wissen schon lange, dass es nicht genügend Benzin für alle Zukunft gibt. Aber die meisten werden erst dann aufs Fahrrad umsteigen, wenn sie ihren Tank nicht mehr füllen können.“

So lasst uns denn aufs Fahrrad umsteigen!

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Das böse Tier oder: Wie Angst entsteht und wohin sie führen kann

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Dez 202007
 

boses-tier.jpg Mit Wanja entdecke und singe ich gerne Kinderlieder. Diesmal durchblättern wir das Buch: Die schönsten Kinderlieder, herausgegeben von Gisela Walter, Ravensburger Buchverlag. Mit Bildern von Marlis Scharff-Kniemeyer. Es ist derzeit mein liebstes Liederbuch. Viele alte Bekannte treffen wir, aber auch Neues, z.B. das Lied

Wir wolln einmal spazierengehn in einem schönen Garten.

Wenn nur das böse Tier nicht wär, wir wolln nicht lange warten …

Nach und nach baut sich von eins bis zwölf eine immer stärkere Spannung, eine angstvolle Erwartung auf. Gibt es das Tier? Wie sieht es aus, wer hat es gesehen? Unklarheiten, Vermutungen, Ungenauigkeiten werden aufgebläht. Beim Singen kommt in mir eine echte Angstlust auf.
Wenn es dann heißt:

Um elf, da klopft’s

um zwölf, da kommt’s!

dann ist die Angst da – breit und groß und schaurig-schön! So entsteht Angst, so wird sie gelöst, so wird sie durch gemeinsames Singen bewältigt. Wanja sagt zum ersten Mal überhaupt: Dieses Lied lerne ich auswendig, das möchte ich vorsingen! Am nächsten Morgen kann er es auch schon auswendig. Ein echtes Einlernen war nicht nötig. Allerdings fragt er weiterhin nach den Einzelheiten des bösen Tiers. Wie sieht das böse Tier aus? Warum ist es im Garten? Ich antworte stets mit einem einen raunenden … Vielleicht ist es …

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„Sie haben Angst“

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Nov 062007
 

In dem ZDF-Dokumentarfilm „Roots Germania“ von Mo Asumang, heute nach Mitternacht ausgestrahlt, sah und hörte ich erschütternde Zeugnisse. Unter anderem einige Hasslieder aus der deutsch-nationalistischen Musikszene. In einem Rap wurde einigen bekannten Menschen Mord angedroht. Wie fühlen sich diese Menschen, wenn sie mit dem Tode bedroht werden? Rita Süssmuth antwortet: „Sie haben Angst … sie sind vorsichtiger, wenn sie im Dunkeln um eine Ecke gehen.“ Mir war nicht klar, ob Süssmuth hier von denen sprach, „denen, die Angst haben“, oder von sich selbst … denn auch sie wurde namentlich mit diesen hasserfüllten gegrölten Parolen eingeschüchtert. Dann wurde mir klar: Sie sprach wohl eher von sich selbst, von ihrer eigenen Angst. Ich bewundere Frau Süssmuth schon seit langem für ihre mutigen, klaren, zuversichtlichen Worte. Zum ersten Mal sah ich sie hier, wie sie völlig offen von Angst, mit Angst sprach. Und da wurde mir klar, womit die Extremisten arbeiten: mit Angst. Angst ist ihre Waffe, mehr noch als die Kugeln und die Bomben. Frau Süssmuth hat sich durch ihre Worte erneut als stärker und mutiger denn die Angstmacher erwiesen.

Der Film von Mo Asumang hätte es verdient, weit früher und weit öfter gezeigt zu werden. Frau Asumang hat einen rechtsradikalen Gewalttäter im Gefängnis besucht und versucht, ein Gespräch mit ihm zu führen. Ich bin begeistert von diesem Mut und von diesem unerschütterlichen Vertrauen in das Wort. Ich teile dieses Vertrauen!

 Posted by at 17:24