Berlins CDU sieht sich teils als Volkspartei, teils als Milieupartei

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Aug 312008
 

28062008001.jpg Ein klares Bekenntnis zum Parteientyp „Volkspartei“ liefert Generalsekretär Frank Henkel in der heutigen Morgenpost in einem längeren, höchst lesenswerten Interview.

Interview mit Frank Henkel – Berliner CDU streitet über Jamaika-Kurs – Berlin – Berliner Morgenpost
Morgenpost Online: Gehen wir noch einmal auf den Ostteil der Stadt ein, wo die CDU besonders schwach ist. Kurth befürwortet wegen der wenigen Mitglieder einen Rückzug aus der Fläche und eine Konzentration auf einige Themen und wenige Wahlkreise. Ist das der richtige Ansatz?
Henkel: Es ist eine wahlkämpferische Binsenweisheit, dass man sich auf Potenzialgebiete konzentriert. Aber dabei geht es um konkreten Wahlkampf. Mein Ansatz ist klar, dass wir Politik für die gesamte Stadt machen. Wir sind Volkspartei. Deshalb wäre es töricht, einzelne Gebiete in der Stadt völlig aufzugeben. Es ist unsere Aufgabe, um jede Stimme zu kämpfen. Da ist es egal, ob im Norden, Süden, Osten oder Westen der Stadt.

Was heißt das: „Wir sind Volkspartei“?

Wir hatten auf den Spuren Ciceros in verschiedenen früheren Beiträgen den Typ „Volkspartei“  vom Typ „Elitepartei“ und „Milieupartei“ abzuheben versucht.

Milieuparteien richten sich vorrangig an bestimmte Wählergruppen, etwa die Arbeiter, die Eigenheimbesitzer, die Gewerbetreibenden, die Mieter, die Senioren, die Umweltbewegten usw.

Eine typische Aussage für eine Milieupartei reinsten Wassers ist die folgende: „Wir sind die bürgerliche Partei aus dem Westen. Wir dürfen dem linken Block nicht die Vorherrschaft überlassen!“ Kennzeichnend für Milieuparteien ist es, dass sie bei bestimmten Wählergruppen stark sind, während sie in anderen Wählerguppen oder gar in ganzen Stadtteilen wenig Zuspruch finden. Typisch für Milieuparteien ist ferner, dass Wähler und Gewählte einem einheitlichen Sozialtyp angehören. Die Wähler und die Abgeordneten einer solchen Partei ähneln einander. Man kann schon weitem erkennen: So sieht ein typischer Wähler der Partei X aus! Und genau so sieht ein typischer Abgeordneter der Partei X aus! Man wählt an der Wahlurne offenbar nach Haartracht, Kleidung, Sprache, nach einem bestimmten Tonfall in der Sprache, nach bestimmten leicht erkennbaren „Wahlsprüchen“. „Hie Welf! hie Weibling!“ – so erscholl es im Mittelalter im Ringen zwischern Welfen und Gibellinen. Heute erschallt der Ruf: „Hie links!“ „Hie bürgerlich!“

Stark auseinanderklaffende Wahlergebnisse bei verschiedenen Wählergruppen, in verschiedenen Bezirken für ein und dieselbe Partei sind Beleg dafür, dass die entsprechende Partei eine Milieupartei ist. Sie hat es nicht verstanden, sich als Volkspartei darzustellen, und folglich ist sie auch keine. So eine Milieupartei kann Volkspartei werden, wenn sie beständig und methodisch zielgerichtet lernt. Sie muss sich – wenn sie dies will – zu einer lernenden Partei wandeln. Sie kann es werden, wenn sie inhaltlich arbeitet und nicht Personalien ständig nach außen trägt. Sie kann Volkspartei werden, wenn sie klar und vernehmlich spricht. Und wenn sie ins Volk hineinhört und Anregungen aus verschiedenen Wählerschichten aufnimmt und produktiv in ein gemeinsames, nach vorne gerichtetes Leitbild einfließen lässt.

Je stärker hingegen eine solche Partei ihren Charakter als Milieupartei herausstreicht, desto weniger wird sie für andere Wählerschichten wählbar. Die Wahlergebnisse verharren mit geringen Ausschlägen auf einem Sockelniveau. Es ist schwer, vielleicht unmöglich, sich gleichzeitig als echte Milieupartei und als echte Volkspartei darzustellen. Eine solche Partei spräche beständig mit gespaltener Zunge. Die Wähler wüssten nicht, wofür sie eigentlich steht.

Eliteparteien hingegen richten sich an besser ausgebildete, wirtschaftlich besser abgesicherte Wähler. Bundesweit entspricht die FDP am ehesten diesem Typ, in Berlin sind es die Grünen und auch die FDP. Die Wählerschaft der Grünen in Berlin ist überdurchschnittlich gebildet, wirtschaftlich stärker als der Durchschnitt. Wir sprechen hier in Friedrichshain-Kreuzberg, im Bundestagswahlkreis 084,  von der „neuen bürgerlichen Mitte“, die ihren gemäßen Ausdruck in der Partei Die Grünen gefunden hat. Nicht zufällig konnten die Grünen hier auch ihr einziges Bundestags-Direktmandat erringen.

Echte Volksparteien können behaupten, für alle sozialen Schichten zu sprechen. Sie vertreten ein umfassendes Leitbild, dem im Grunde alle Bürger zustimmen könnten, wenn es denn gelänge, sie zu überzeugen. So hat sich die SPD etwa ab dem Godesberger Programm von 1959 von einer Milieupartei zu einer Volkspartei gewandelt. Um Volkspartei zu sein, sind Vertrauen und Glaubwürdigkeit unerlässlich. Glaubwürdigkeit entsteht, wenn über einen längeren Zeitraum hinweg einprägsame, in sich stimmige Botschaften von klar erkennbaren Persönlichkeiten verkörpert werden und wenn die gesamte Partei mit denselben Botschaften an die Bevölkerung herantritt.

Ein solches Modell „Volkspartei“ vertritt in der Bundesrepublik beispielsweise die CDU auf Bundesebene mit dem Führungsduo Merkel/Pofalla. Man kann dies sehr klar auf den ersten Seiten des 2007 verabschiedeten neuen CDU-Grundsatzprogramms nachlesen. Bundeskanzlerin Merkel selbst verkörpert mit großem Geschick und mit größtem Erfolg den Politikertyp „Im Grunde wählbar für alle“. Ihre traumhaften Zustimmungswerte – sogar in anderen europäischen Ländern – bestätigen dies wieder und wieder. „Ich hab mein Leben lang SPD gewählt, aber das nächste Mal wähl ich Merkel.“ Solche typischen Aussagen kann man auf der Straße immer wieder hören. Merkel braucht freilich, um erfolgreich zu bleiben, eine Partei, die ebenfalls diesem Typ „im Grunde wählbar für alle“ entspricht. Sie bräuchte für sichere Mehrheiten im Bund eine starke Volkspartei in den Bundesländern als Widerpart und Unterstützerbasis. Denn direkt wählen kann man die Bundeskanzlerin nicht. Die Zusammensetzung des Bundestages wird schließlich über die Listen, die Parteien entschieden, nicht über einzelne Persönlichkeiten.

Die Partei Die Linke vertritt das Modell Volkspartei sehr erfolgreich in den östlichen Bundesländern und in der östlichen Hälfte Berlins.

Wie geht es weiter? Es bleibt spannend. Die Parteien wandeln sich. Es kommt darauf an, den Wandel aktiv voranzutreiben. Wer Wandel bewusst für sich gestaltet, statt ihn nur ohnmächtig zu erleiden, wird Vorteile herausarbeiten. Das gilt für den Arbeitsmarkt, es gilt aber auch für die Parteien.

Mach den Test! Geh durch eine Berliner Straße und entscheide: Welche Partei wählt wohl dieser oder jener Passant? Welche Partei würde sie oder er niemals wählen? Mach diese Übung ein paar Mal, und du weißt, welches Bild du von den Berliner Parteien hast. Vergleich dein Bild von den Parteien mit der Realität, indem du die Abgeordneten oder Mandatsträger der Parteien mit deinem Bild vergleichst. Über das Internet ist dies heute sehr leicht möglich. Stellst du Unterschiede fest? Welche? Bitte berichte uns von deinen Beobachtungen in diesem Blog! Wir wollen von dir lernen!

Unser heutiges Bild zeigt das Kreuzberger Volk in all seiner Buntheit. Aufgenommen am 28. Juni 2008 auf dem Bergmannstraßenfest. Dieses Volk will selbstverständlich von den Volksparteien umworben werden. Wie, mit welchen Mitteln? Was erkennst du auf dem Bild?

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Jul 022008
 

Keine Überraschungen bringt die neueste Umfrage des Stern nach der Bekanntheit deutscher Politiker. Merkel führt einsam, aus den in diesem Blog mehrfach erörterten Gründen. Der Außenminister liegt unter den Ministerkollegen vorne. Das galt auch schon für seine Amtsvorgänger, gleich welcher Partei. Ratschlag: Wer den Beruf „beliebter Politiker“ ergreifen will, der sollte Außenminister werden. Dann kommt Ursula von der Leyen, deren Kommunikationsstil – stets konstruktiv, stets nach vorne gerichtet – ich für vorbildlich halte. Gleiches gilt für Schäuble. Bei diesen beiden spielt das Ressort kaum eine Rolle, denn das Familienministerium war doch früher eher das Aschenputtel. Es sind wohl die Persönlichkeiten, die hier zählen. Und die Fähigkeit, politische Inhalte so zu kommunizieren, dass eine Mehrheit der Wähler sich darin wiedererkennt.

Was mich wundert bei dem Bericht des Spiegel über den Bericht des Stern, ist folgende Wendung:

Merkels Union ist auch in der wöchentlichen „Stern“-Wahlumfrage vorn. Die CDU/CSU kommt auf 35 Prozent (minus ein Punkt). Die FDP hat mit 14 Prozent erneut ihr Jahreshoch erreicht. Für das bürgerliche Lager aus Union und FDP votieren somit 49 Prozent der Wähler.

Mir sticht diese Wendung „bürgerliches Lager“ immer wieder ins Auge. Trifft sie noch zu? Wir haben hier in Friedrichshain-Kreuzberg eine neue bürgerliche Mitte aus gutverdienenden Akademikern. Sie wählen mit absoluter Mehrheit die Grünen! Die CDU und die FDP machen kaum einen Stich bei ihnen. Und Angela Merkel oder von der Leyen haben sich erfolgreich vom Klischee „bürgerliches Lager, bürgerliche Partei“ abgesetzt! Sie haben sich eindeutig vom alten Block- und Lagerdenken verabschiedet. Sie haben die veraltete Farbenlehre der Politik kräftig aufgemischt. Folge: Auch die Wähler anderer Parteien finden sie … „klasse“. Obwohl das alte Klassendenken ja ebenfalls nicht mehr trägt.

Ich meine: Staatsbürger sind wir alle! Wir sind alle Bürger. Es gibt nicht mehr die ständische Aufteilung in König, Adlige, Bürger, Bauern, Bettelleute. Wollt Ihr noch einen Beweis? Hier ist er: Fürstin Gloria von Thurn und Taxis, eine Adlige reinsten Geblütes, stimmte in der Bundesversammlung für die Vertreterin der SPD, der alten Arbeiterklasse, für Gesine Schwan. Aber Schwan selbst ist auch keine Arbeiterin, sondern Professorin – also was … Bürgerin?

Ist also die SPD die bürgerliche Partei? Sind es die Grünen, die neue Partei der Besserverdienenden? Sind es die Linken mit ihren gut gefüllten Parteikassen und ihren strebsamen Wählern? Wer soll das noch verstehen? Alles geht da durcheinander, o tempora, o mores!

Ich meine: Traditionelle bürgerliche Tugenden wie Verantwortung für das eigene Umfeld, eine gewisse Hochschätzung der Arbeit, Fleiß, Streben nach wirtschaftlichem Erfolg – solche Eigenschaften findet man in allen Parteien. Sie sind noch keine politische Aussage. Der Wettbewerb zwischen den Parteien ist mit solchen allgemein menschlichen Tugenden nicht zu gewinnen.

Die Einteilung der Parteien in „bürgerliche“ und „linke“ Parteien ist windgebeutelt und löchrig. Man sollte ganz auf sie ganz verzichten.

Merkels Kabinett: Deutsche stellen Großer Koalition schlechtes Arbeitszeugnis aus – Politik – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten

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Kandidatenaufstellung: Eine siegreiche Partei häutet sich nicht

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Jul 022008
 

Oswald Metzger hat es nicht geschafft: Die CDU-Basis im ländlichen oberschwäbischen Wahlkreis 292 wollte den republikweit bekannten Haushaltsexperten, der mehrfach die Partei gewechselt hat, nicht als Direktkandidaten aufstellen. Sie wählte den bisher in Deutschland unbekannten Josef Rief, also „einen von uns“. Es lohnt sich den Artikel in Spiegel online nachzulesen!

Bundestags-Aus: Metzger scheitert an konservativer CDU-Basis – Politik – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten

Wie ist dies zu deuten? Ich glaube, ein ganz entscheidender Hinweis ist in den bisherigen Wahlergebnissen zu suchen: Die CDU besitzt diesen Wahlkreis unangefochten, sie fährt dort satte Mehrheiten ein. Sie war 2005 sowohl bei Erst- wie bei Zweitstimmen stärkste Partei mit ca. 15% Abstand auf die SPD! Wieso sollte sie da ein Risiko eingehen? Es gab keinen Grund, einen unbequemen Warner und Mahner wie Metzger in diesen Wahlkreis zu holen. Und ich vermute auch, dass die über Jahrzehnte hinweg gewachsene Bindung zwischen Partei und Wähler dort im Oberschwäbischen noch besteht. Ich kenne doch die Schwaben, auch in Augsburg zum Beispiel war es ein Argument: „Der Gribl kommt von hier“. Man wählt einfach die Partei, der man sich irgendwie verbunden weiß. Ganz entscheidend ist dabei der „Stallgeruch“. Nur wer über viele Jahre hinweg seine fraglose Zugehörigkeit zur Partei bewiesen hat, wer ein osmotisches Verhältnis zu Orts- und Kreisverbänden aufgebaut hat, wird es auf die vorderen Listenplätze oder auf den Platz des Direktkandidaten schaffen. Jedenfalls in den Hochburgen der Parteien. All das fehlte Metzger.
Nein, nur nach einer satten Wahlschlappe werden die Parteien auf die Suche nach neuen geeigneten Kandidaten gehen. Nur dort, wo die Stammwähler wegbrechen oder sich nicht mobilisieren lassen, wo eine frühere Volkspartei das Volk verliert und in den einstelligen Bereich abrutscht, gilt geradezu zwingend das Gebot: Sucht neue Wege, geht Wagnisse ein, öffnet euch! Die Stammtruppe der Partei vermag nicht in breite Wählerschichten hinein zu wirken. Dann wird das Gründe haben, die in der Partei selbst zu suchen sind. Also muss man die breiten Wählerschichten symbolisch in die Partei hinein holen. Tut man das nicht, so gibt man den Anspruch auf Mehrheiten von vornherein auf.

Gut war das Verfahren in Oberschwaben: Offener Ausgang, faire Befragung aller Kandidaten, nicht abgesprochene Abstimmung. Metzger hat seine Niederlage sofort eingestanden. Er hat das Verfahren gelobt. Auch das spricht für ihn. Nicht alle Politiker bringen diese Größe auf.

Und habt Ihr noch Zeit zu lesen? Dann empfehle ich Euch: Hans Herbert von Arnim, Die Deutschlandakte, C. Bertelsmann Verlag 2008. Unter dem Kapitel „Wahl von Abgeordneten: Inszenierter Schein“ zerreißt der Verfassungsrechtler das gängige Auswahlverfahren bei Bundestags- und Europawahlen als hinterhältige Wählertäuschung:

„Die politische Klasse hat unser Wahlsystem in eigener Sache derart pervertiert, dass die Abgeordneten gar nicht mehr vom Volk gewählt werden, wie es das Grundgesetz verlangt. Wen die Parteien auf sichere Plätze setzen – und das ist oft die große Mehrheit der Abgeordneten -, der ist lange vor der Wahl praktisch schon „gewählt“, bloß eben nicht von den Bürgern“ (S. 42).

Ich meine: Von Arnim hat in vielem recht, wenn er auch manchmal allzu einseitig formuliert und dann übers Ziel hinausschießt. Zum Beispiel kann er nicht erklären, warum es doch immer wieder „Quereinsteiger“ schaffen, die sich nicht mühsam über die Ochsentour hochgedient haben, wie etwa die jetzige Bundeskanzlerin und der jetzige Bundespräsident, ein ausgewiesener Systemkritiker. Das „System“ ist vielleicht nicht ganz so schlecht, wie von Arnim oder Horst Köhler behaupten.

Schlussfolgerung auf kurze Sicht: Um etwas zu verändern, muss man in die Parteien reingehen, sich in die Kandidatenauswahl einmischen, die Stimme erheben. Man könnte an Zwischenformen denken, wie in den USA: Man muss dort nicht gleich Parteimitglied sein, um bei der Kandidatenwahl mitzustimmen. Das ist viel spannender als am Wahlsonntag irgendwo sein Kreuzchen abzuliefern. Und genau so eine spannende Auseinandersetzung ist gestern in Biberach geschehen. Die Delegierten haben entschieden, das Wahlvolk wird zu erwägen haben, ob diese wichtige Vorauswahl ankommt oder nicht.

Metzger wäre wohl besser beraten gewesen, bei einem großstädtischen Kreisverband mit schlechten Wahlergebnissen anzuklopfen. Es gibt ja großstädtische Wahlkreise, in denen sich die CDU neu aufstellen muss. Dort hätte er – so meine ich – sehr gute Chancen gehabt. Aber das wollte er nicht. Wahrscheinlich ist er dazu doch zu sehr, mit Feuer und Flamme, das, was er ist, ein Oberschwabe.

 Posted by at 08:27
Jun 302008
 

Der einzige direkt gewählte Bundestagsabgeordnete der Grünen, Hans-Christian Ströbele, nimmt nun ebenfalls zum Kreuzberger Schulstreit Stellung. Er vertritt den Bundestagswahlkreis 084 Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost. Wahlergebnis 2005: Grüne: 21,8% , Ströbele: 43,3% . Das Interview im Tagesspiegel von heute zeigt, warum er in unserem Wahlkreis bei der letzten Bundestagswahl doppelt soviele Stimmen erhielt wie die Partei, die ihn aufgestellt hat: Er verbiegt sich einfach nicht, argumentiert immer wieder quer zu den Parteilinien – und er bleibt dadurch hochgradig erkennbar. Ströbele ist Ströbele. Das verleiht ihm eine hohe Glaubwürdigkeit. Zu Recht oder Unrecht? Die Mehrheit der Kommentare im Online-Tagesspiegel von heute meint offenbar: zu Unrecht. Wenn dem Bundestagsabgeordneten Ströbele die Politik der Grünen nicht passt, dann sagt er das vernehmlich und ohne die üblichen diplomatischen Klauseln. So war es damals bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr unter Außenminister Joschka Fischer, so ist es jetzt beim massiven Elternprotest gegen die grüne Bildungspolitik im Bezirk. So kritisiert er auch offen den Umgang der Grünen mit „mediaspree versenken“. Zitat Ströbele:

„Vieles von dem, was die Initiative „Mediaspree versenken“ will, ist richtig. Selbstkritisch muss ich eingestehen, dass viele von uns, die jetzt kritisch sind, sich lange leider um diese brachliegenden Flächen zu wenig gekümmert und auch gar nicht daran geglaubt haben, dass da mal was draus werden könnte.“

Die Wähler wollen das, sie wollen einfach keine braven Parteisoldaten mehr, sondern aufrechte Kämpen. Menschen, die hinhören können. Die es schaffen, Glaubwürdigkeit weit über die Grenzen der eigenen Partei auszustrahlen. Aber lest selbst den Ausschnitt aus dem Interview:

Frage: Einige Eltern sagen, sie würden bleiben, wenn sie eine evangelische Privatschule gründen könnten. Das wurde ihnen bislang von Ihrer Grünen-Kollegin, der Bildungsstadträtin, Monika Herrmann, verwehrt.

Ströbele: „Ich unterstütze die Gründung dieser Schule. Das kann für einige der Ausweg sein.“

Es ist, als wollte er sagen: „Ich kämpfe für meine politischen Überzeugungen. Am meisten davon glaube ich bei den Grünen durchsetzen zu können.“ Welche Eigenschaften müsste eine Direktkandidatin mitbringen, die gegen Ströbele im Bundestagswahlkreis 084 antreten wollte? Wie könnte sie – oder ein männlicher Direktkandidat – sich gegen die „Marke Ströbele“ durchsetzen? Antwort: Sie oder er müsste dieselbe klare Erkennbarkeit mitbringen. Einen Politikstil verkörpern, der die Leute anspricht. Nicht Ströbele kopieren. Aber Aussagen machen, in denen sich die Mehrheit der Wähler wiederfindet. Klar ausdrücken, dass man nicht aus Rücksicht auf die Parteilinie sich wieder und wieder verbiegt. Werden die anderen Parteien so jemanden finden? 2009 wird doch wieder der Bundestag gewählt, die Kandidatensuche ist wahrscheinlich schon im Gange. Tritt Ströbele wieder an?
Die Botschaft eines erfolgreichen Direktkandidaten muss sein: Erst kommt das, was gut ist für das Land. Danach schauen wir, mit welcher Partei wir das bewirken können. Nicht umgekehrt! Denn: Keine Partei hat immer recht.

Aber: Man muss nicht – wie Ströbele – auf einem über 10 Jahre alten Fahrrad durch den Wahlkreis ziehen. Es darf auch ein neueres Modell sein – sofern mit Muskelkraft betrieben.

Lies das ganze Interview:

„Wegziehen wäre falsch“

 Posted by at 10:42
Feb 252008
 

Das Parlamentsfernsehen des Deutschen Bundestags ermöglicht es nunmehr, die Anhörung des Petitionsausschusses zum Thema Verkehrsrecht vom 18.02.2008 in voller Länge anzuschauen. Eine wahre Fundgrube an Einsichten in die Art, wie die radelnden Bürger und die Politiker miteinander reden – oder auch aneinander vorbeireden können. Ich habe mir die Ausstrahlung soeben zu Gemüte geführt. Sie beginnt übrigens bei der Zeitmarkierung 2:15:06. Hinsehen lohnt!

Es geht um den über Petition vorgebrachten, von 17.000 Bundesbürgern unterzeichneten Wunsch nach Abschaffung der Radwegbenutzungspflicht. Und da wartete Staatsekretär Kasparick gleich mit der ersten faustdicken Überraschung für die sichtlich verdutzten Abgeordneten auf: „Wir haben in Deutschland keine Radwegbenutzungspflicht.“ Was er meinte, war: Seit der Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) von 1997 gibt es keine allgemeine Pflicht zur Benutzung vorhandener Radwege. Nur dort, wo die zuständigen Behörden der Länder (also nicht des Bundes) im Einvernehmen mit den Kommunen im begründeten Einzelfall eine zwingende Notwendigkeit erkennen, die Nutzung des Radwegs vorzuschreiben, kann dies durch Anbringen des bekannten Radwegschildes geschehen. Im Normalfall ist jedoch das Befahren des Radwegs den Radfahrern nicht als Pflicht auferlegt. Viele Autofahrer wissen dies noch nicht, was mitunter zu drolligen Gestikulationsausbrüchen führt.

Die Petition begehrt nun die Abschaffung dieser Fälle der Radwegbenutzungspflicht. Der Petent konnte darlegen, dass Radfahrer Verkehrsteilnehmer sind. Und Verkehrsteilnehmer haben nach der StVO auf der Straße zu fahren.

Es war auffallend, wie häufig die anwesenden Abgeordneten und der Petent einander misszuverstehen schienen. „Wollen Sie denn den Radfahrern als einzigen Verkehrsteilnehmern freistellen, wo sie fahren wollen?“, fragte eine Abgeordnete mit sanft bohrendem Unterton.

„Was ist ein linksseitiger Radweg?“, fragte ein anderer Abgeordneter. Hier zeigt sich, dass man in der Politik im Zweifelsfall immer etwas schlichter und fasslicher argumentieren sollte, als dies bei ausgepichten Kennern des Verkehrsrechts zu erwarten gewesen wäre.

Wir Radler müssen die anderen Menschen, die Noch-nicht-Radler, sozusagen bei der Hand nehmen und ihnen Verständnishürden aus dem Weg räumen.

Immer wieder brachen in den Äußerungen der Bundestagsabgeordneten gewisse Vorbehalte gegenüber der Regeltreue der Radler durch. Verdrießliche Fragezeichen, missmutige Untertöne, Befremden und auch schlichte Unkenntnis waren manchmal herauszuhören. Diese „Gelb-Signale“ unserer Volksvertreter müssen wir unbedingt aufnehmen, nutzen und positiv darauf eingehen. Nur so gewinnen wir neue Verbündete!

Den Fischen braucht man kein Wasser zu predigen, – die Nichtradfahrer sind es, die wir umwerben müssen!

Für die materielle Ausgestaltung des Radverkehrsrechts war dies noch keine Sternstunde, eher glich es einer kleinen Nachhilfestunde für die beteiligten Abgeordneten und uns Bürger. Staatssekretär Kasparick erwies sich als guter Kenner der Materie und als kundiger Anwalt des Radverkehrs. Er warb eigens für die mittlerweile errichtete „Fahrradakademie“, in der Stadtplanern und Behördenmitarbeitern Werkzeuge zur sinnvollen Gestaltung der Verkehrsflüsse an die Hand gegeben werden.

Besonders ergiebig ist diese Sitzung im Petitionsausschuss für die Analyse der Kommunikation in der politischen Arena und für die unterschwellig mitverhandelten Vorbehalte gegenüber dem Fahrradverkehr überhaupt. Auch wer sich nicht für Fahrradpolitik interessiert, kann hier dank Internet wunderbar studieren, wie leicht Missverständnisse aufkommen und dann mühsam abgebaut werden.

Wir bleiben dran mit unserem Blog – eine Entscheidung ist noch nicht gefällt!

Übrigens: Beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) kann man noch mehr nachlesen.

Links und Kommentare zu diesem Thema:

http://www.rad-spannerei.de/blog/2008/02/18/radwegbenutzungspflicht-muss-weg/#comments

 Posted by at 22:36