Lasst euch nicht ins Bockshorn der Angst jagen!

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Jul 092008
 

Wir greifen unser altes Thema aus dem Winter wieder auf: Angst, und der Umgang mit ihr. Wovor habt ihr Leser Angst? Bitte ehrlich antworten! Vor Terroristen, vor BSE, vor Atomkraftwerken, vor der Partei Die Linke, vor steigenden Energiepreisen, vor den Deutschen, vor ausländischen Jugendlichen, vor dem Islam, vor christlichen Fundamentalisten, vor der Vogelgrippe, vor dem Finanzamt? Alles mit Nein beantwortet? Gratuliere – Sie sind wahrscheinlich weitgehend frei von irrationalen Ängsten!

Oder haben Sie Angst vor parfümiertem Lampenöl, vor der gemeinen Wintergrippe, vor Salmonellen, vor Kolivergiftungen, vor Verkehrsunfällen, vor Herz-Kreislauferkrankungen? Wenn Sie mit Ja antworten: Sie sind statistisch gesehen im Recht. Das Risiko, an einer der genannten Ursachen zu sterben, ist um ein mehrfaches Hundert höher als die zuvor genannte Risikofaktoren.

Im heutigen Tagesspiegel wartet der Soziologe Ortwin Renn mit bemerkenswerten Daten auf. Fast alle medial geschürten Ängste der letzten Jahre sind – nun zwar nicht völlig unbegründet, jedoch statistisch gesehen, und mit gesundem Menschenverstand erwogen, auf unglaubliche Weise aufgebauscht.

Herr Renn, Tschernobyl, Vogelgrippe, BSE – die Deutschen werden regelmäßig von Ängsten heimgesucht. Was hat es damit auf sich?

Bei vielen dieser Ängste gibt es Grundlagen, die nicht völlig idiotisch sind und über die man sich zu Recht sorgt. Andererseits sind die Reaktionen häufig übertrieben gewesen. Bei der Asian Flu (Vogelgrippe, Anm. d. Red.) haben Soldaten in Gasmasken und weißen Anzügen Schrecken unter der Bevölkerung hervorgerufen, obwohl eigentlich so gut wie nichts passiert war. Nur wenige Katzen und Vögel waren gestorben.

Währenddessen hat die größte Pandemie, die wir hatten, die Spanische Grippe vor dem Ersten Weltkrieg, immerhin dreißig Millionen Menschen umgebracht – damit ist dann auch nicht zu spaßen.

Wie war das bei BSE?

Der Schaden war insgesamt ausgesprochen gering und das ganze wurde völlig überbewertet. Wir haben in den letzten dreißig Jahren hochgerechnet etwa 180 BSE-Todesfälle unter den 300 Millionen Europäern gehabt. Im selben Zeitraum starben 136.000 an Salmonellenvergiftung, 12.000 an Kolivergiftungen. Noch ein Vergleich: Ungefähr die gleiche Zahl ist am Trinken von parfümiertem Lampenöl gestorben.

„Brennende Kühe zerstörten die Idylle“

Wie muss die Antwort auf die immer wieder anrollenden Angstkampagnen lauten? Erstens: Aufklärung. Die echten Gefahren lauern ganz woanders als die Angstmacher uns weismachen wollen. Dies lässt sich durch hartes Zahlenmaterial untermauern. Zweitens: Ursachen der echten Gefahren bekämpfen. Warnhinweise beachten, Vorsicht walten lassen, Sicherheitsvorschriften einhalten.

Gerade im Straßenverkehr kann jeder durch umsichtiges, vorsichtiges und regeltreues Verhalten sehr viel bewirken. Dem extrem hohen Risiko von Herz-Kreislauf-Erkankungen kann man durch tägliche ausreichende Bewegung, etwa durch das Fahrradfahren, und gesundes Essen wirkungsvoll vorbeugen.

Drittens: Vertrauen säen. Vertrauen in dich selbst, in den Nächsten, in das große Ganze, in das wir hineingestellt sind. Jeder Tag kann Neues, Schönes bringen. So habe ich zum Beispiel gestern in der Kita am Kleistpark eine schöne Aufführung von „Ferdinand der Stier“ gesehen. Bild steht oben, Bericht folgt!

Mein persönlicher Vierfach-Angst-Blocker:

Lasst euch nicht ins Bockshorn jagen. Esst mehr Äpfel. Fahrt mehr Fahrrad. Geht ins Kindertheater.

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Am Karfreitag: Purim-Budenzauber

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Mrz 212008
 

helmi_21032008.jpg An diesem regnerischen Karfreitag des Jahres 2008, dem 14. Adar des Judentums, also dem Purim-Fest, beschließen wir nach reiflichem Erwägen, das Puppentheater im Jüdischen Museum zu besuchen. Wir verlieren uns zunächst unrettbar im verwinkelten Gegänge des Libeskind-Baus in der Lindenstraße, doch nach zahlreichen Rückfragen erreichen wir die Kinderinsel. Dort warten schon die drei Spieler des Theaters Helmi mit ihren drolligen, aus Schaumstoff geschaffenen Puppen auf die Kinder. Gegeben wird Purim, eine theatralische Umsetzung der Ester-Geschichte, die ja sowohl in der hebräischen wie in der christlichen Bibel zu finden ist. Worum geht es? Am persischen Hofe zu Susa herrscht ein recht kläglicher, allen Einflüsterungen seines korrupten Höflings Haman ausgelieferter König namens Ahaschverosch. Aus gekränkter Eitelkeit heckt Haman einen Vernichtungsplan gegen das gesamte jüdische Volk aus, doch die mutige und schöne Jüdin Ester erringt das Vertrauen des Königs und vereitelt diesen Anschlag.

Wie bei diesem jüdischen Fest heute üblich, erhalten die Kinder Ratschen und allerlei Klangwerk, um den missgünstigen Haman bei jeder Namensnennung zu übertönen und zu vertreiben.

Bei vielen Reden stockte mir schier der Atem. Wie konnten die Vernichtungsgesetze des persischen Trunkenbolds ausgerechnet im Jüdischen Museum, in dem die Shoah eine so beklemmende Vergegenwärtigung erfährt, mit derart leichtsinnigem Tand und mutwilligem Treiben als ein Art Kasperletheater mit bösem Krokodil und lieber Prinzessin ins Werk gesetzt werden? Durfte diese maßlose Rache- und Zerstörungsphantasie denn an diesem Ort so unverhüllt noch einmal ausgesprochen werden? Immerhin entwirft das in der Bibel wiedergegebene Gesetz des Perserkönigs zunächst einmal eine Art Grundsatzprogramm des „eliminatorischen Antisemitismus“, wie dies Daniel Goldhagen etwa 2.500 Jahre später nennen sollte: Vernichtung und Tötung aller Juden im Reich, Enteignung und Umverteilung ihrer gesamten Habe, Bereicherung der Staatskasse durch Einzug des herrenlos gewordenen Vermögens.

Ich habe mich nach der Aufführung mit einem der Puppenspieler unterhalten, habe aber sogleich gesagt, dass ich diesen Versuch nicht nur künstlerisch höchst gelungen, sondern auch pädagogisch wertvoll finde: immerhin gehen Kinder häufig mit Todes- oder Rachephantasien um, diese Bilder des Bösen sind ein häufiger Gegenstand von Märchen und Träumen; die Bilder spielen ferner auch eine gewisse Rolle in den Kämpfen der Kinder untereinander. Das lustige Puppentheater erlaubte es den Kindern, sich mit „den Guten“ zu identifizieren, Vertrauen in die Kraft der Gemeinschaft zu fasssen, die sich auch in bedrückender Unterlegenheit durch Witz und Klugheit den rettenden Weg aus höchster Gefahr schafft. Das Helmi, dieses Berliner Puppentheater, verdient höchstes Lob! Lob verdient auch die Leitung des Jüdischen Museums, die sich getraut hat, einen derart explosiven Stoff den spielerischen Händen einer buntgewürfelten Truppe von Bajazzos und Komödianten anzuvertrauen.

Beim Nachschauen in der Bibel fällt mir noch einmal auf, eine wie schlechte Presse doch das Perserreich in der Antike hatte! Wir hatten schon einmal in diesem Blog Gelegenheit, dieses zähe antipersische Vorurteil bei der Betrachtung der Perser des Aischylos anzusprechen (dieses Blog, Eintrag vom 08.01.2008). Die heutige Bibelwissenschaft freilich scheint die Darstellung des Perserhofs im Buch Ester mehrheitlich als Karikatur aufzufassen; so schreibt etwa Annemarie Ohler in ihrem sehr kundigen, hilfreichen Bibel-Atlas:

Das Buch Ester übertreibt satirisch Luxus und Willkür des Perserkönigs. Der Günstling Haman, den es ärgert, daß ein Jude nicht vor ihm niederfällt, erhält die Erlaubnis, alle Juden im Reich umzubringen. Zum Glück verbraucht der König Wein und Mädchen in Mengen, denn so gerät er an Ester. Todesmutig nützt sie ihre Schönheit, lädt ihn zum Trinkgelage und stimmt ihn um. Der Freibrief zu töten wird Haman entzogen; wörtlich denselben erhalten nun die Juden (8,11 = 3,13).

Regierungsamtliche Judenverfolgung war im Perserreich undenkbar; das Buch setzt sich mit Vorgängen in hellenistischer Zeit auseinander. Es ermutigt Verfolgte; doch es warnt auch: Gewinnen Ohnmächtige Macht, gehen sie nur zu leicht mit ehemaligen Verfolgern so um, wie diese zuvor mit ihnen (9,12 ff.).

zitiert aus: Annemarie Ohler, dtv-Atlas Bibel, Deutscher Taschenbuch Verlag, 3. Auflage, München 2006, S. 133

Mir fällt auf, dass Buch Ester ausdrücklich hervorhebt, dass die Erlasse des Königs jeweils in den verschiedenen Sprachen der Volksgruppen übersetzt wurden. Das Perserreich war zweifellos ein multikulturelles Gebilde, in dem sich keine „Leitkultur“ dominierend über die andere legte, sondern die Macht des Königs die zentrale Achse war, um die herum sich Politik, Recht und Herrschaft anordneten. Immer wieder tritt es freilich in der vernichtend harten Kritik etwa des Aischylos oder auch der Bibel hervor: Wo kein überpersönliches Recht herrscht wie etwa im alten Israel, wo keine starke, von allen getragene Identifikation mit dem Gemeinwesen ausgebildet wird wie etwa in der attischen Demokratie, da geht diese personalisierte Reichsvorstellung an sich selbst zugrunde. Tyrannei, also Macht ohne Legitimität, so kommen Aischylos und Buch Ester überein, hebt sich selbst auf, geht an Übertreibungen und Genusssucht zugrunde.

Es besteht mehr als ein Anlass, dieses Buch erneut zu lesen und sich einen Reim aus heutiger Sicht darauf zu machen! Das Theater Helmi im Jüdischen Museum zu Berlin – was für eine mutige, fruchtbare Zusammenstellung!

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Feb 082008
 

bettines-innerer-schweinehund.jpg Ira hat sich mal wieder als grandiose Puppenmacherin betätigt. Für Sängerin Bettine hat sie den „inneren Schweinehund“ geformt – was in trüben Tagen einen überfallen mag, gewinnt hier runzlig, faltig, verdrießlich Gestalt. Sogar die Warze mit einem darauf sprießenden Haar ist echt! Die Frage ist aber: Soll man den Inneren Schweinehund immer bekämpfen? Oder muss man ihm manchmal nachgeben – um ihn bei Laune zu halten? Was meint ihr?

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„Wenn ich doch nur fliegen könnte …!“

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Feb 042008
 

fasching03022008005.jpg Gestern ergetzten wir uns erneut an allerlei närrischen Späßen im beliebten Theater „Endstation Sehnsucht“ in der Kreuzberger Obentrautstraße. Clown Toti markierte Probeaufnahmen für einen Film, und da die echten Schauspieler fehlten, engagierte er flugs alle anwesenden Kinder. Heraus kam ein geplant-improvisiertes Narrenspektakel, bei dem unser Wanja als Elefant Atze eine tragende Rolle übernahm – als fliegender Elefant.

Ich selbst warf mich gegen Schluss mit revolutionärem Pathos ins Zeug zugunsten der ausgebeuteten, ständig geschurigelten Hilfsclowns, deren Fähigkeiten nicht zum Tragen gekommen wären, wenn sie sich nicht zuletzt doch noch durchgesetzt hätten. Pero und Jojo spielten eine Pantomime, bei der sie alle Höhen und Tiefen des Daseins auskosteten. Da konnte einem Hören und Sehen vergehen! Verdienter Beifall prasselte satt herab!

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Jan 142008
 

clown-toti.jpg Am Wochende besuchten wir das hübsche neue Salontheater „Endstation Sehnsucht“ in der Kreuzberger Obentrautstraße gleich zwei Mal. Am Samstag lud unser Nachbar Laurenz Schlüter zur Premiere seines Kurzfilms ein. Was für ein Vergnügen! Wir sahen zahlreiche Bekannte, Nachbarn und Freunde als Darsteller in einem veritablen, ironisch-versonnenen Kurzfilm! Vorher und nachher: Geplauder, Händeschütteln, Wiedererkennungen en masse, genießerisches Suppelöffeln – vortrefflich!

Mit unserem syrischen Hofnachbarn konnte ich bei einer Flasche Bionade auch den arabischen Namen Haschem klären (dieses Blog diskutierte): Seiner Meinung nach kommt der männliche Vorname einfach vom uralten Stamm der Haschemiten und ist insofern nicht mit dem hebräischen ha-schem verwandt.

Am Sonntag sahen wir am selben Spielort das Stück „Die tollsten Abenteuer sind im Kopf“ mit Tara Stalter und Thomas Ulbricht. Wir wurden nach einem lustigen Vorgeplänkel, bei dem ein wahrhaft „auf-sässiger“ Liegestuhl dem Clown Toti böse Streiche spielte, in einen finsteren Zauberwald entführt, wo die böse Hexe Baba-Jaga den Menschen die Augen klaute! Recht schaurig, aber die Kinder im Raum wurden zu kühnen Kämpfern gegen die Angst, die uns Großen mit Singen, Lachen und Mitspielen halfen, die Bangnis zu vertreiben und die ungeliebte Baba-Jaga zu versöhnen. Unser Wanja beteiligte sich auch und brachte die Lieder, die wir seit Wochen singen, eigenständig in dieses bewegende Theatererlebnis ein! Der Zauber des Theaters wirkte auf mich ein – hier, unter den Kleinen, oft nicht genug Gewürdigten. Vielleicht deswegen, weil Clown Toti immer wieder uns Zuhörer einbezog, zum Mitmachen und Mitlachen anregte.

Stelle einen Menschen auf eine Bühne – und du kannst die Welt bewegen!

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Vorfreude auf Die Perser im Theater

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Jan 102008
 

Soeben habe ich zwei Karten für die Aufführung der Perser im Deutschen Theater Berlin bestellt. Am kommenden Sonntag, den 13. Januar, gehen wir hin. Ich bin schon gespannt, empfinde aber – noch – keinerlei Angst. Regisseur Dimiter Gotscheff beruft sich ausdrücklich auf die antike Katharsis-Deutung. Wird er uns wohlige Schauer des Entsetzens über den Rücken jagen? Am nächsten Sonntag wissen wir mehr! Wieso aber wohlige Schauer des Entsetzens?

Nun, Aristoteles bestimmt das Wirkungsziel der attischen Tragödie in seiner Poetik wie folgt:

Eine tragödienspezifische Lust, die im Erlebnis eines eigenartigen Gereinigtwerdens von zuvor in tieferschütternder Wucht empfundenen Affekten, an deren Spitze die besonders stark aufwühlenden Grund-Affekte ‚Mitleid‘ und ‚Furcht‘ (eleos kai phobos) stehen.

Hier frei zitiert (mit Auslassungen) nach folgender, nachdrücklich zu empfehlender Hinführung: Joachim Latacz, Einführung in die griechische Tragödie. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1993 [=UTB 1745], S. 65-66

So wiederum kündigt das Deutsche Theater Berlin selbst sein Unterfangen an:

DIE PERSER
480 v. Chr. verloren die Perser in der Schlacht bei Salamis gegen die von ihnen lange unterdrückten Griechen. Acht Jahre später schrieb ein Grieche aus der Sicht des besiegten Feindes die älteste überlieferte Tragödie der Weltliteratur. Die Perser: Ein Volk begreift, dass es ausgespielt hat. Ein »organisierter Nervenzusammenbruch«, so Durs Grünbein, ein einziger langer Schrei, übertragen in Worte. Aischylos lässt die Verantwortlichen für das Fiasko auftreten, vom Chor des Ältestenrates bis zu Xerxes, dem geschlagenen Feldherrn und König. Er wagt einen Blick auf gegenwärtige Geschichte, der Vergangenheit und Zukunft einbezieht. Die Sieger von heute sind bald wieder die Besiegten von morgen. Auch wenn die Toten verscharrt werden, sind sie präsent. In seiner Theaterarbeit ging es Dimiter Gotscheff stets um die klassisch griechische Tragödienwirkung einer umfassenden, auch körperlichen Reinigung.

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Glückwunsch Ira!

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Jan 082008
 

2112_14067_nbh_potapenko_190.jpg Zufällig entdecke ich auf der Homepage des Nachbarschaftsheims Schöneberg einen Bericht über Ira, die in der Kita am Kleistpark verschiedene Theateraufführungen gemacht hat. Glückwunsch, Ira! Wir sind stolz auf Dich!

Zitate:

Die Opernsängerin Irina Potapenko, Mutter eines Kindes in der Kita Am Kleistpark, hat dort vieles angestoßen. Gemeinsam mit dem Team initiierte sie das Projekt „Der kleine Amadeus“. Mittlerweile gibt es eine feste Kooperation mit der Musikschule des Bezirks, eine Musikpädagogin arbeitet in der Kita. Die aus Moskau stammende Alt-Sängerin musiziert in ihrer Freizeit ebenfalls weiter mit den Kindern.

Frau Potapenko, gerade haben Sie mit Kitakindern Mozarts Zauberflöte aufgeführt. Wie geht das mit Vierjährigen?
Wir haben mit acht Kindern und sechs Puppen gespielt, alles hat gut geklappt. Wir werden das wiederholen. Die Kinder, die mitgemacht haben, waren begeistert. Alle anderen haben gebannt zugehört. Dass sie klassische Musik kennenlernen, ist so wichtig! Es sollte sogar eine Selbstverständlichkeit sein. Dafür engagiere ich mich.

Das hört sich energisch an. Reißen Sie immer viele Menschen mit?
Ich muss zugeben, als mein Sohn im Jahr 2005 in die Kita kam, habe ich mich sofort eingemischt. „Wo ist das Klavier?“, war meine erste Frage. Es gab keins. Dann wurde es angeschafft, das hat etwas in Gang gesetzt. Gemeinsam mit meinem Mann Johannes Hampel, der Geige spielt, habe ich Konzerte auf den Fluren der Kita gegeben. Das war im Mozartjahr 2006. Jetzt folgte als weiterer Höhepunkt die Zauberflöte.

Sie haben auch die Figuren gebastelt?
So fing es an. Die Königin der Nacht habe ich aus Pappmaschee gemacht, dann konnte ich nicht mehr aufhören. Als ich die Puppen hatte, habe ich die Oper auf 40 Minuten Länge gekürzt. Die Arie der Pamina singt eine befreundete Sopranistin, die Orchesterbegleitung kommt von der CD. Ein Kita-Vater ist Tonmeister, er hat alles zusammengeschnitten. Alle Kinder sind wieder voll dabei, sie singen, malen, dekorieren. Auch die, die zu Hause mit Kultur oder Musik womöglich gar nichts zu tun haben. Genauso die Kinder, die zum Beispiel sprachliche Probleme haben. Die Sprache der Musik versteht jeder.

Weil sie die Seele wirklich öffnet, so wie Mozart es meint?
Kinder lügen in diesem Alter nicht, ihre Reaktion ist direkt und ehrlich. Wenn die Botschaft dieser Musik nicht ankäme, würde man es ihnen sofort anmerken. Aber sie kam bisher noch jedes Mal an, also habe ich immer weitergemacht. So machen wir mit der Kita auf uns aufmerksam. Für Eltern und Erwachsene aus der Nachbarschaft werden wir die Zauberflöte noch einmal aufführen. Das Haus soll ein Familienzentrum werden. Das unterstütze ich sehr

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Nov 152007
 

10112007003.jpg Am 10.11.2007 besuchte ich Premiere des Doppelabends „Arlecchino“ und „Cavalleria rusticana“ in Görlitz. Arlecchino von Busoni spielte kunstvoll auf Operntraditionen an, mit zahlreichen eingebauten Zitaten, doppelten Böden und Verständnis-Fallstricken. Derbes, Zotiges und angenehm Geistreiches reichten einander die Hand. Das ist doch was anderes als die übliche Kost! Die Cavalleria Rusticana zeigte hochwogende Leidenschaften, in ihren Gefühlen verstrickte Männer – und Frauen, die es auch nicht mehr richten können. Weil die Männer halt nicht hören wollen. Das Publikum war begeistert, ich auch! Ein Empfang im Theaterfoyer rundete den gelungenen Abend ab. Dort entstand das Bild. Es zeigt von rechts im Uhrzeigersinn Chorsängerin Mi-Seon Kim, Solistin Irina Potapenko und den Komponisten Mozart mit einer Perücke, die ihm die Maskenbildnerin des Theaters als Toi-toi-toi verpasst hat.

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Blumensuche in Görlitz

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Okt 072007
 

Wir melden uns aus Görlitz, der Grenzstadt an der Oder. Ira verbringt ja hier einen ganzen Probenmonat und ich besuche sie übers Wochenende. Wir wohnen in der Nikolaivorstadt, einem aufwendig wieder hergerichteten Altstadtviertel.

Gestern abend besuchten wir im Theater Görlitz „Die Blume von Hawaii“, die Revue-Operette des ungarisch-jüdischen Komponisten Paul Abraham aus dem Jahr 1931. Auf Hawaii tut sich allerlei Ungereimtes. Prinzessin Laya, die schmählich ins Exil geschickte Erbin des Throns von Hawaii, inszeniert ihre Rückkehr. Eine königstreue Partei versucht, sie gegen den Willen des regierenden amerikanischen Gouverneurs als echte Königin, nicht nur als Blumenkönigin ausrufen zulassen. Die Amerikaner haben was dagegen und fordern, unter diskretem Hinweis auf ihren vor dem Hafen ankernden Zerstörer, die Verzichtserklärung. Das Stück zeichnet sich durch die konsequente Vermeidung jedes Tiefgangs aus. Es surft sozusagen über die Wellenkämme eines dahinplätschernden Geschehens. Niemand versteht was läuft. Dabei lauern gefährliche Themenhaifische unter der Oberfläche aus amerikanischem Hot-Jazz, Swing und ungarischer (?) Folklore. Insbesondere bei der einen Travestienummer “Ich bin ja nur ein Nigger, ich bin ja nur ein Johnny, ich tanze nur für Money …“ stockt mir (aber offenbar nur mir) der Atem. Mir fällt ein, dass diese Revue-Operette 1931 in Deutschland uraufgeführt wurde …

Zufällig sitzt neben mir ein US-Amerikaner. Ich gerate ins Plaudern mit ihm, wir sind uns einig, das die Inszenierung äußerst gekonnt jede platte Aktualisierung vermeidet. Aber uns beiden blieb noch die Bemerkung im Ohr: „Die amerikanische Regierung achtet die Selbstbestimmungsrechte der kleinen Völker ganz besonders. Sie kann doch nichts dagegen haben, wenn Hawaii dieses Recht in Anspruch nimmt.“ Nur das herabsinkende Porträt des amerikanischen Präsidenten gemahnt an den im Mittleren Osten recht unbeliebten, derzeit noch amtierenden Republikaner im Weißen Haus.

Herrlich ironisch sind die polnischen Übertitel. Ich habe Polnisch, das ich selbst ja radebreche, stets als rein europäische Sprache verstanden, dass es nunmehr offenkundig auch auf Hawaii für die Touristen geschrieben wird, ist mir ein Beweis für echte Globalisierung. Erst nachher klärt mich Ira auf: „Viele Theaterbesucher sind Polen, die Polen gehen wie wir Russen mehr ins Theater als ihr.“

Das Publikum im fast ausverkauften Haus lässt sich von dem ganzen Brimborium anstecken und klatscht am Ende eifrig mit. Ich merke, dass dies ein treues Stammpublikum ist. „Man geht ins Theater“. Im Foyer lernen wir einen Besucher kennen, der uns seine Lebensgeschichte erzählt: Aufgewachsen nach dem Krieg in Oppeln als Angehöriger der deutschen Minderheit. Verlernte im Alter von 5 Jahren die deutsche Muttersprache, deren offener Gebrauch eine Zeitlang untersagt worden sei, und sprach dann nur noch Polnisch. Lebte dann 35 Jahre im Rheinland und kehrte vor kurzem als Rentner nach Schlesien zurück. Ich erzähle, dass meine Urgroßmutter ebenfalls aus Oppeln stammte, dass mein Vater im Bezirk Troppau aufgewachsen sei. „Wie heißt Ihr Vater?“ Ich sage es ihm. „Ein Schulfreund von mir hieß genau so“, erzählt er. Es war aber nicht mein Vater, aber er hätte es sein können.

Auf dem Nachhauseweg verwechsle ich Ober- und Untermarkt, aber wir finden den Weg doch. Entspanntes Dahindämmern bei offenem Fenster in die Nikolaivorstadt.

 Posted by at 09:50